EWE - Energiekosten senken ohne Eigeninvestition
Was sagt die Politik?

Sind es die ganzen Ampel-Kompromisse wert, Frau Verlinden?

Die Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag erklärt in ihrem Gastbeitrag, warum die Arbeit in der Ampelkoalition für sie Sinn ergibt – auch wenn beim Klimaschutz vieles schneller gehen müsste.
Von:  Julia Verlinden
06.09.2024 | 7 Min.
Erschienen in: Ausgabe 09/2024
Julia Verlinden, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag
Julia Verlinden, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag
Foto: Stefan Kaminski

Es ist das Wesen des Kompromisses, dass unterschiedliche Interessen vereint werden und keine Haltung sich vollständig durchsetzen kann. Doch ohne Kompromisse keine Mehrheit im Parlament. In der Koalition machen wir uns Debatten nie leicht und führen sie auch mal nächtelang. Unsere Kompromisse waren selten perfekt. Bislang sind wir aber immer zu einem Ergebnis gekommen – ob Gesetzesnovelle oder neues Förderprogramm – mit dem wir den Status quo deutlich verbessert haben.

Dabei leitet mich der Gedanke, dass wir nicht auf der Stelle stehen dürfen, vor allem bei einer so existenziellen Herausforderung wie der Klimakrise. Schlichtes Abwarten und Nichthandeln befeuert diese eskalierende Klimakrise. Die Zeit spielt da bekanntermaßen gegen uns. Die Kompromisse der Koalition sind manchmal schmerzhaft, denn uns Grünen ist vieles zu langsam.

Für die ‚perfekte‘ Politik für schnellstmöglichen Ausbau der erneuerbaren Energien, für eine gelingende Energiewende oder für ambitionierten Klimaschutz gibt es aber auch keine Blaupause. Denn in der Regel bekommen wir als Politiker und Politikerinnen auch aus der Branche unterschiedliche, teils widersprüchliche Bedürfnisse und Erwartungen kommuniziert.

Extrem viel nachzuholen

Ich kann sehr gut verstehen, dass vielen die bisherigen Ergebnisse der Bundesregierung beim Klimaschutz nicht weit genug gehen. Wie sollte es anders sein? Angesichts der Größe und Komplexität der Aufgabe und der geringen Konsequenz, mit der die Vorgängerregierungen Klimaschutz verfolgt haben, ist extrem viel nachzuholen. Dabei braucht es viele – oft kleinteilige – politische Entscheidungen. Viele haben wir auf den Weg gebracht, weitere müssen dringend folgen.

Viele junge Eltern äußern mir gegenüber Sorgen, um das Leben, das die Klimakrise für ihr Kind bedeutet. Teenager mahnen auf Fridays-for-Future-Demonstrationen, dass uns die Zeit davonläuft und Landwirte klagen, dass Dürren oder Hochwasser ihre Existenz gefährden. Das sind dieselben Sorgen, die ich mir als Umweltwissenschaftlerin mache und die mich motivieren. Natürlich bin ich oft ungeduldig, wenn ich mit den Koalitionspartnern verhandle. Denn es müsste viel mehr und viel schneller angepackt werden.

Bei einer Bewertung der politischen Kompromisse lohnt ein differenzierter Blick. Waren die Kompromisse, die wir in dieser Legislaturperiode in der Koalition gemacht haben, wichtige Schritte nach vorne, um die Energiewende zu beschleunigen und die Investitionssicherheit in der Branche insgesamt zu stärken? Hier ist meine Antwort ein klares Ja!

Die Erneuerbaren boomen

Messbar ist: Die bisherigen Beschlüsse von Regierung und Parlament haben den Ausbau von Photovoltaik und Windenergie deutlich vorangebracht. Während Deutschland vor wenigen Jahren noch am Tropf russischen Erdgases und klimaschädlicher Kohle hing, haben wir seit dem Regierungswechsel in kurzer Zeit die Kehrtwende geschafft und die deutsche Energieversorgung kraftvoll in Richtung Erneuerbare umgesteuert.

Heute wird bei der Photovoltaik eine Zielmarke nach der anderen übertroffen. Nachdem wir das Neun-Gigawatt-Zubauziel für neue Solaranlagen 2023 bereits drei Monate vor Jahresende erreicht haben, ist in diesem Jahr das Gesamtausbauziel von 88 Gigawatt bereits ein halbes Jahr früher als geplant erreicht. Mehr Solarausbau gab es nie in der Geschichte der Bundesrepublik.

Besonders erfreulich ist zum Beispiel das gestiegene Interesse der deutschen Unternehmen an Solarenergie. Laut Befragung des Bundesverbands für Solarwirtschaft ist jedes zweite Unternehmen an der Installation einer PV-Anlage interessiert. Denn günstigen Strom selbst produzieren, das lohnt sich für die meisten. Hier zeigt sich deutlich, dass das im Mai auf Initiative der Grünen verabschiedete Solarpaket den boomenden Ausbau nochmal stärken wird. Darin haben wir unter anderem die Bedingungen für die Installation von Solaranlagen auf Gewerbedächern mit höherer Vergütung attraktiver gemacht.

Klimaschutz als Gemeinschaftsaufgabe

Durch unsere Beschlüsse für Bürokratieabbau, Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung, Standardisierung und das Windenergieflächenbedarfsgesetz sind die Neugenehmigungen für Windenergieanlagen im ersten Halbjahr 2024 rasant um 32 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Auch die Anzahl der Gebote und bezuschlagten Mengen bei den Ausschreibungen steigt. Bei der jüngsten Runde im Mai erhielten insgesamt etwa 2,4 Gigawatt einen Zuschlag.

Manchmal hilft bei der Bewertung der aktuellen Politik auch ein Blick zurück. Es ist nicht lange her, dass die Minister Rösler, Altmaier und Gabriel tiefe Löcher in die Ausbaustatistik der Erneuerbaren gruben. Branchenkennern sind die Begriffe Altmaier-Knick und Sigmar-Senke noch bekannt. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei und die Beschlüsse von Regierung und Parlament zeigen deutlich Wirkung.

Nun kommt es darauf an, die verbesserten Rahmenbedingungen, so gut es geht zu nutzen. Denn: Klimaschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Hier vertraue ich darauf, dass die vielfältigen Akteure die verbesserten Möglichkeiten nutzen und in erneuerbare Energien und Klimaschutz investieren.

Zwei Sektoren hinken hinterher

Leider geht es nicht in allen Bereichen mit diesem Tempo voran. Der Expertenrat für Klimafragen hat zu Recht auf den Gebäude- und den Verkehrssektor hingewiesen. Hier ist viel zu tun, um die Sektorziele (die es entgegen vieler Behauptungen auch im novellierten Klimaschutzgesetz unverändert gibt) zu erreichen. Aber auch hier lohnt ein genauerer Blick, denn manchmal versteckt sich konkreter Klimaschutz in Gesetzen, von denen man es nicht erwartet.

In der Novelle des Straßenverkehrsgesetzes wurde beispielsweise das Ziel „Klimaschutz“ gleichrangig neben die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gestellt. Eine Revolution im bislang autofixierten deutschen Verkehrsrecht. Das neue Gesetz schafft mehr Freiheit für Kommunen, Radwege, Busspuren, Zebrastreifen und Tempo-30-Abschnitte leichter umzusetzen. Das gibt Menschen die Möglichkeit, klimafreundlich zu Fuß zu gehen, das Rad oder den ÖPNV zu nutzen, statt Auto zu fahren.

Ein weiteres Beispiel: Wir verwenden die Einnahmen der kürzlich reformierten Lkw-Maut vor allem für die Schiene, nicht wie bisher nur für den Straßenbau. Die massiven Investitionen (erstmals wird auf Bundesebene mehr Geld für die Schiene als für die Straße ausgegeben) werden über die nächsten Jahre zu einer verlässlicheren Bahn führen, eine Bahn, die einfach funktioniert. Das klappt nicht von heute auf morgen, wenn so lange kaputtgespart wurde. Aber die Weichen sind gestellt.

Noch viel zu tun

Gleichzeitig reizen wir mit der neuen Lkw-Maut – sie gilt nun ab 3,5 Tonnen – den Antriebswechsel oder eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene an. Weitere Milliarden-Investitionen in eine funktionierende und klimafreundliche Verkehrsinfrastruktur sind nötig, denn es gibt unfassbar viel aufzuholen, aber erste Schritte sind wir gegangen.

Am Ende zählt nur jede eingesparte Tonne CO2 und jedes Zehntelgrad vermiedene Erderhitzung.“

Viel Debatte – und leider auch viel Desinformation – gab es um das Gebäudeenergiegesetz. Dabei ist klar: Deutschland wird nur klimaneutral, wenn in den Heizungskellern die Verbrenner von fossilem Gas und Öl durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Mit einer verbesserten und zielgerichteten Heizungsförderung sorgen wir dafür, dass Menschen sich das leisten können. Bis zu 70 Prozent Zuschuss gibt es für neue klimafreundliche Heizungen. Sozial gestaffelt und mit Geschwindigkeitsbonus.

Obwohl wir die von den Vorgängerregierungen vererbte Klimaschutzlücke bis 2030 durch unsere harte Arbeit zu einem großen Teil geschlossen haben, ist die Einhaltung der Klimaziele bis 2045 nicht garantiert. Wir haben noch sehr viel zu tun. Großes Potenzial liegt im Abbau klimaschädlicher Subventionen. Ein neues Gutachten des Wirtschaftsministeriums beziffert die staatlichen Begünstigungen mit klimaschädlicher Wirkung insgesamt auf circa 35,8 Milliarden Euro im Jahr. Wenn wir diese reduzieren, entlasten wir den Haushalt und unser CO2-Budget.

Es geht nicht um Haltungsnoten

Auch bei Energieeffizienz und Energiesparen haben wir riesiges Potenzial, zum Beispiel bei der Sanierung von Gebäuden. Nur wenn wir überall Energie einsparen, schaffen wir es rechtzeitig, ausreichend Erneuerbare für alle Sektoren zur Verfügung zu stellen.

Wir werden also weiter um Kompromisse zum Schutz des Klimas ringen. Wir werden uns weiter die Nächte um die Ohren schlagen. Denn am Ende gibt es keine Haltungsnoten für das perfekte Gesetz. Am Ende zählt nur jede eingesparte Tonne CO2 und jedes Zehntelgrad vermiedene Erderhitzung. Das schaffen wir in der Koalition nicht alleine, sondern nur wir als Gemeinschaft. Es braucht die Bürgermeisterin, die eine Photovoltaik-Anlage auf das Schuldach schraubt, die Wohnungsgesellschaft, die eine alte Ölheizung im Mietshaus durch eine Wärmepumpe ersetzt, oder das mittelständische Unternehmen, das in eine neue Fertigungsanlagen investiert, um Energie zu sparen.

Wie es keinen perfekten Kompromiss gibt, sollte auch niemand auf das perfekte Gesetz warten. Als vor Jahrzehnten in Deutschland große Energiekonzerne mit Kohle und Atom den Markt beherrschten, begannen engagierte Bürgerinnen und Bürger die Energiewende dezentral von unten. Sie legten einfach los, produzierten sauberen Strom und starteten damit eine Energie-Revolution, in Deutschland und weltweit. Heute sind es mehr Menschen, die anpacken – und wir haben bessere politische Rahmenbedingungen. Beides sind Mut machende Voraussetzungen, um diese Revolution zu vollenden. Mit Ausdauer, Engagement und Zuversicht.

An dieser Stelle lesen Sie einen Gastbeitrag, der nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wiedergibt. Für den Inhalt sind die jeweiligen Autorinnen und Autoren verantwortlich.

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