EWE - Energiekosten senken ohne Eigeninvestition
Was sagt die Politik?

Der Wind weht kalt aus dem Osten

Der SPD-Politiker Bengt Bergt, Windenergie-Berichterstatter der Sozialdemokraten im Bundestag, wirbt in seinem Gastbeitrag für eine neue Mentalität im globalen Wettbewerb um Erneuerbaren-Industrie.
Von:  Bengt Bergt
29.07.2024 | 7 Min.
Erschienen in: Ausgabe 08/2024
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Bengt Bergt
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Bengt Bergt
Foto: Pepe Lange

Die Windenergie ist ein Multi-Milliardengeschäft. Die weltweit umsatzstärksten Anlagenhersteller haben im vergangenen Jahr 55 Milliarden Euro erwirtschaftet. Vier der Top 6 sind europäische Firmen, zwei sogar deutsche. Die größten Absätze generieren die chinesischen Hersteller – und die haben jetzt den Weltmarkt ins Visier genommen. Auch die USA und Indien schlafen nicht. Riesige Subventionspakete drohen ganze Lieferketten und Produktionsstätten aus Deutschland und Europa abzuziehen. Es geht um wirtschaftliche, aber auch geostrategische Interessen.

Für uns – Politik, Wirtschaft, Gesellschaft – gilt es, alte Illusionen abzulegen und die „German Schläfrigkeit“ zu überwinden. Sonst werden wir in die Bedeutungslosigkeit abrutschen. Man könnte jetzt sagen: Angesichts der üppigen Umsatzzahlen ist es weit bis zur Bedeutungslosigkeit. Das mag stimmen. Doch wer auf den Anteil am Zubau für das vergangene Jahr schaut, dem zeigt sich ein anderes Bild: Hier liegen die Chinesen bei satten 65 Prozent. 65 von 100 neuen Anlagen kamen 2023 von chinesischen Herstellern (Goldwind, Envision, Windey, Mingyang, Sany, Dongfang Electric). Sieben von zehn Bauteilen europäischer Windturbinen stammen aus chinesischer Produktion.

Der riesige subventionierte und zudem für nichtchinesische Hersteller verschlossene Markt generiert Skaleneffekte und Produktionsüberhänge für hunderte Windturbinen pro Jahr. Die Menge und der Preis pro Megawatt drohen schlicht, den restlichen Weltmarkt zu erschlagen. Um im Bild zu bleiben: Der Wind weht kalt aus dem Osten. Die Aufholjagd Chinas liegt auch an dem riesigen Binnenmarkt, der dem Land einen immensen Absatz ermöglicht und ihm erlaubt, seine Technik immer weiter zu verfeinern – und somit wettbewerbsfähiger zu werden.

Neue Industrie-Mentalität

China ist längst nicht mehr das „Kohle-Land“, das wir vor Augen haben, wenn wir an die dortige Energieversorgung denken. 2023 wurden dort erneuerbare Energien mit einem Volumen ausgebaut, wie in der restlichen Welt zusammen. Uns in Europa muss klar sein: Wenn China, Indien und die USA sich immer schneller und entschlossener Marktvorteile mit aggressiver Subventions- und Investitionspolitik erkaufen, dann rutschen wir ab – und zwar schneller, als uns lieb ist. Was es braucht, ist eine völlig neue Industrie-Mentalität und eine Resilienz-Strategie aus einem Guss.

Als Sozialdemokrat sind mir folgende vier Punkte besonders wichtig.

– Erstens: eine Energieversorgung, die sauber (CO2-arm auf dem Weg zur CO2-Neutralität) produziert wird.

– Zweitens: Die Energie muss bezahlbar sein für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen.

– Drittens: Beschaffung und Belieferung müssen sicher sein.

– Und viertens: Die Energiewende muss Wertschöpfung in Deutschland und Europa schaffen.

Bei den Punkten eins und zwei sind wir aus meiner Sicht auf einem guten Weg. Wir haben ambitionierte Ausbauziele flankiert mit massiven Vereinfachungen der Antrags- und Genehmigungsverfahren. Mittelfristig wird sich der Ausbau mehr und mehr bei den Energiepreisen bemerkbar machen, wenn wir immer weniger auf teure fossile Energie setzen. Wichtig wird sein, den notwendigen Netzausbau pragmatisch zu gestalten und die Kosten (generationen-)gerecht zu verteilen. Hierzu müssen SektorenkopplungDie Nutzung von Strom in anderen Energie-Sektoren wie Wärme und Verkehr, z.B. durch E-Autos und Wärmepumpen.Die Nutzung von Strom in anderen Energie-Sektoren wie Wärme und Verkehr, z.B. durch E-Autos und Wärmepumpen. und der Aufbau von Speichern mehr im Fokus stehen.

Nachhaltige Wertschöpfung

Im Folgenden möchte ich mich auf die zwei anderen großen Punkte konzentrieren – die Sicherstellung unserer Energieversorgung und den Aufbau von Wertschöpfung. Beides zusammen schafft deutsche und europäische Widerstandskraft gegen aggressive Politik außerhalb der EU. Und es nimmt Rechtspopulisten ihre (scheinheiligen) Argumente. Mein Verständnis von Wertschöpfung ist, dass wir nachhaltige Werte für Wirtschaft und Gesellschaft schaffen. Wenn ein Hersteller von Windenergieanlagen tarifgebunden ist, gute Kontakte in den Anlagenbau und in die Zulieferindustrie hat, verkehrlich gut angebunden ist, verankert ist mit Fachhochschulen und Universitäten – dann profitiert nicht nur der Hersteller, sondern wir alle.

Ob es um die Produktionsautomatisierung oder KI-gesteuerte Turbinen geht: Ein kreatives Forschungsumfeld drückt die (hohen) Entwicklungskosten und steigert die Wettbewerbsfähigkeit. Wenn es nach mir geht, flankiert von vergünstigten Investitionskrediten und staatlichen Sicherheiten. Auch Behörden werden zunehmend auf neue Entwicklungen wie KI-gesteuerte Verwaltungstools setzen, um Genehmigungsverfahren zu vereinfachen.

Es geht um „nachhaltige Wertschöpfung“. Für mich als Sozialdemokraten bedeutet das mehr als Umwelt- und Klimaschutz. Nachhaltige Wertschöpfung beinhaltet für mich die Wahrnehmung sozialer Verantwortung durch Tariflöhne, soziales Engagement der Firmen und der Mitarbeitenden, gute Arbeitsbedingungen. Das alles schafft gesellschaftlichen Benefit: durch Steuerzahlungen der Betriebe und ihre gesellschaftliche Verankerung in den Kommunen und mit den Bürgern. Gute Beispiele dafür finden sich in Aurich (Enercon), Rostock (Nordex), Friedrichshafen (ZF) oder auch Ludwigshafen (BASF).

Unangenehme Fragen stellen

Dieser soziale, gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Weitblick muss stets Ziel und Leitlinie unserer Industriepolitik sein. Verbunden mit der Förderung von „Net Zero-Industrien“ schaffen wir so einen Win-win-Effekt aus wirtschaftlicher Widerstandsfähigkeit und ökologisch-sozialer Nachhaltigkeit. Es sind unangenehme Fragen, die sich dahinter verbergen. Aber wir müssen sie uns stellen. Werden Arbeitsplätze und Wertschöpfung zunehmend im „Reich der Mitte“ entstehen und wird China an Einfluss über die deutsche und europäische Energieversorgung gewinnen? Oder schaffen wir es, die EU zum Goldstandard in der Windenergie-Branche zu entwickeln?

Die Antwort ist im Grunde simpel. Wir müssen es schaffen – denn es geht um nichts weniger als die nationale (Energie-)Sicherheit und die Akzeptanz der gesamten Energiewende. Dazu gehört auch die Diversifizierung der Lieferketten durch die Industrie – was durch einen vorgeschriebenen Anteil heimischer Bauteile forciert werden könnte. Das ist eine große Aufgabe. Aber es ist auch eine große Chance.

Der sogenannte Net Zero Industry Act bietet eine gute Grundlage. Wäre es nicht wunderbar, wenn heimische Windenergieanlagen-Hersteller Ausbildungsakademien für die künftigen Top-Fachkräfte aufbauen, und sie damit nicht nur den Arbeitsmarkt fördern, sondern auch ihre Position am hiesigen Markt stärken? Und wäre es nicht begrüßenswert, wenn der Schutz vor Cyber-Angriffen nicht nur die Daseinsvorsorge sichert, sondern auch Vorteile bei den Ausschreibungen?

Faire Bedingungen für alle

Sicherheit bedeutet aber auch, den Schutz vor zu weit reichenden Zugriffen von Unternehmen und Staaten außerhalb der EU auf Windparks zu beachten. Vertrauen ist gut – europäische Hoheit ist besser. Selbstverständlich müssen möglichst geringe CO2- Emissionen in der Produktion positiv bei Ausschreibungen berücksichtigt werden. Vor allem aber braucht es zwingend soziale Kriterien. Wer gute, tarifgebundene Löhne zahlt und seinen Beschäftigten gute Arbeitsbedingungen bietet, soll dafür belohnt werden.

Solche sogenannten qualitativen Kriterien sind ein sinnvolles Instrument, um zu entscheiden, wer auf dem europäischen Windenergiemarkt mitspielen darf und wer nicht. Damit soll nicht gesagt sein, dass China vom europäischen Markt verbannt würde. Das wäre weder möglich noch sinnvoll, weil wir auch künftig auf China angewiesen sein werden. Aber europäischen Herstellern würden wir bessere Chancen einräumen und ein sogenanntes Level Playing Field schaffen – faire Bedingungen für alle.

Derzeit entscheidet allein der Preis über einen Bieterzuschlag. Klar ist, dass wir einen Preiskampf mit den Chinesen, die ihre Windenergieanlagen fast zum halben Preis anbieten können, nicht gewinnen werden. Also würde eine kluge Reaktion wie folgt aussehen: China subventioniert mit Geld? Okay! Dann fördern wir non-monetäre Kriterien, die wir erfüllt wissen wollen. Wenn chinesische Firmen sie erfüllen möchten und dafür ein Werk in Deutschland oder Europa eröffnen oder Lieferkettenteile nach Europa verlagern: herzlich willkommen!

Europäischen Markt stärken

Wir müssen uns ehrlich machen. Eine Energiewende, die keine Jobs schafft, sondern frisst, die keine Steuern einbringt, sondern Werte in andere Teile der Welt verschenkt, wird die Bevölkerung – zu Recht – auf Dauer nicht hinnehmen. Noch vor etwa 14 Jahren war Deutschland Weltmarktführer bei der Photovoltaik – Strom aus Sonne „made in Germany“. Das Ergebnis der schwarz-gelben Politik ist bekannt. Innerhalb von sechs Jahren gingen 160 000 Jobs vorwiegend in Ostdeutschland verloren.

Mittlerweile haben hochsubventionierte chinesische Unternehmen eine Monopolstellung in der Solarbranche. Die deutschen Ausbauzahlen sind dank entsprechender Förderung und politischer Vereinfachungen – etwa für „Balkon-Kraftwerke“ – zwar auf einem sehr guten Niveau. Dennoch: Der Schaden ist angerichtet, Wertschöpfung (Produktionsstandorte, Zulieferindustrie) und Arbeitsplätze sind verloren.

Bei der Windenergie sind wir (noch) gut aufgestellt. Es geht nun nicht darum, das zu verteidigen, was wir haben. Sondern darum, einen guten Markt weiter zu stärken – resilient zu machen. Das meine ich, wenn ich von einer „neuen Mentalität“ spreche: Wir müssen bereit sein, selbstbewusst die notwendigen Entscheidungen zu treffen, um uns als Europäer von China und anderen großen Playern zu emanzipieren. Das schafft nachhaltige Wertschöpfung und Energiesicherheit.

An dieser Stelle lesen Sie einen Gastbeitrag, der nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wiedergibt. Für den Inhalt sind die jeweiligen Autorinnen und Autoren verantwortlich.

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