Offshore-Windenergie

„Die Investoren agieren heute vorsichtiger am deutschen Offshore-Markt"

Nach gefloppten Auktionen und wegen akutem Desinteresse institutioneller Investoren weht der deutschen Offshore-Windbranche derzeit eine steife Brise um die Ohren. BWO-Geschäftsführer Stefan Thimm beschreibt die drängendsten Probleme – und wie sie zu lösen wären.
Interview: Frank Lassak
15.10.2025 | 7 Min.
Erschienen in: Ausgabe 10/2025
Stefan Thimm, BWO-Geschäftsführer
Stefan Thimm, BWO-Geschäftsführer
Foto: Bundesverband Windenergie Offshore

neue energie: Herr Thimm, wo steht die deutsche Offshore-Windbranche derzeit?

Stefan Thimm: Aktuell haben wir 1639 Anlagen im Wasser stehen, mit insgesamt 9,2 Gigawatt installierter Leistung. So viel zu den harten Fakten. In den Jahren 2023 und 2024 hatten Investoren großes Interesse am deutschen Offshore-Markt, entsprechend florierten die Ausschreibungen. Das ist Geschichte, denn die geopolitischen, aber auch die regulatorischen Rahmenbedingungen haben sich geändert, sodass Investoren heute vorsichtiger agieren.

ne: Welche Risiken gibt es konkret?

Thimm: Investoren müssen auch bei nicht voruntersuchten Flächen bereits zum Zeitpunkt der Auktion Annahmen über die Kosten des Projekts machen, die sie im Grunde erst kennen müssten, wenn sie die finale Investmententscheidung treffen. Zudem sollen sie frühzeitig die Erlöse kalkulieren – also eine Prognose abgeben, die 25 bis 40 Jahre in die Zukunft reicht. Das ist mit großen Unsicherheiten behaftet. Wir haben gerade erst gesehen, dass die langfristigen Strompreisprognosen signifikant nach unten korrigiert wurden. Geldgeber reagieren auf solche Risiken grundsätzlich mit höheren Kapitalkosten, also höheren Zinsen. Das hemmt den Ausbau.

ne: Das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) hat allerdings berechnet: Wenn es gelänge, die langfristigen Strompreisrisiken aus der Wirtschaftlichkeitsbeurteilung auszuklammern, könnten die Kapitalkosten für Windparkprojekte erheblich sinken. Zudem wären womöglich bis zu 30 Prozent niedrigere Strompreise drin.

Thimm: Ich kenne das Statement von Professor Neuhoff. Seine Aussage ist zutreffend.

ne: Nur gibt es nicht bloß hinsichtlich des langfristig erzielbaren Strompreises Unsicherheiten. Auch die Strombedarfsprognosen spielen eine wichtige Rolle. Bisweilen entsteht indes der Eindruck, dass sie agendagetrieben sind. Wie sehen Sie das?

Thimm: Da gab es viel Kritik in jüngster Zeit. Dabei ist doch klar, dass man bei Prozessen wie der Energiewende immer wieder nachprüfen muss, ob man noch on track ist – oder ob sich Rahmenbedingungen verändert haben und gegebenenfalls Korrekturen nötig sind. Am Ziel an sich, der Dekarbonisierung, wird durch das aktuelle Energiemonitoring nicht gerüttelt. Die relevanten Fragen lauten aber: Wie verläuft der Weg dahin? Wie viel Energie brauchen wir 2045 tatsächlich? Und: Was liegt diesen Stromverbrauchsszenarien zugrunde?

ne: Haben Sie Antworten darauf?

Thimm: Geht man davon aus, dass die Grundstoffindustrie in Deutschland nicht erhalten bleibt, käme für das Jahr 2045 ein signifikant niedrigerer Stromverbrauch heraus. Meine persönliche Meinung dazu ist: Wir sollten davon ausgehen, dass wir die Industrie behalten werden. Gleichwohl müssen wir uns auch auf niedrigere Verbrauchsszenarien vorbereiten. Ich würde mich freuen, wenn es gelänge, die Debatte zu versachlichen. Dazu gehört auch das Thema, ob wir neue Gaskraftwerke brauchen oder nicht. Klar ist: Wenn sie gebaut werden, sollten sie von vornherein in der Lage sein, Wasserstoff als Energieträger zu nutzen, und in der Nähe des Wasserstoffkernnetzes stehen.

ne: Apropos Grüngas: Welche Rolle wird die Offshore-Windenergie bei der Produktion von grünem Wasserstoff spielen?

Thimm: Grüner Wasserstoff ist ein zentraler Bestandteil der Dekarbonisierungsstrategie. Ich halte es jedoch nicht für realistisch, dass wir 100 Prozent des in Deutschland für den Erhalt unserer Grundstoffindustrie benötigten Wasserstoffs, insbesondere im Stahlbereich, selbst erzeugen können. Das heißt, wir werden CO2-neutralen Wasserstoff importieren müssen. Im Sinne der Minimierung von Importrisiken und Abhängigkeiten sollten wir aber dafür sorgen, dass wir einen Großteil hierzulande produzieren. Und dafür ist Offshore-Wind eine Schlüsseltechnologie. Wir haben viele Volllaststunden und können die für die Produktion des klimaneutralen Brennstoffs nötigen Elektrolyseure verlässlich mit Strom versorgen. An Land oder auf See, von wo aus der Wasserstoff über Pipelines oder per Schiff abtransportiert würde.

ne: Dazu gibt es bereits Pilotprojekte, die aber mit Problemen zu kämpfen haben.

Thimm: Es gibt Schwierigkeiten auf der Abnehmerseite und auf der Infrastrukturseite. Und es bedarf staatlicher Garantien, um den Wasserstoffhochlauf überhaupt zu ermöglichen. Es wird nicht reichen zu sagen, das muss der Markt regeln. Das wird er nicht.

ne: In anderen Ländern, etwa den Niederlanden oder Dänemark, wurden dazu bereits politische Weichenstellungen vorgenommen. Wäre es nicht sinnvoll, den europäischen Nachbarn über die Schultern zu schauen und zu fragen: „Wie habt ihr das gemacht?“

Thimm: Ich glaube, dafür muss grundsätzlich der politische Wille vorhanden sein – und die Erkenntnis, dass wir die Technologie dringend benötigen. Zum Erkenntnisgewinn gehört für mich selbstverständlich, dass wir unsere Nachbarn fragen, übrigens nicht nur die europäischen, sondern auch den Rest der Welt. Da kann man nur lernen – und dadurch werden wir nicht dümmer.

ne: Thema Erkenntnisgewinn: Zurzeit arbeiten Politik und zuständige Gremien am kommenden Flächenentwicklungsplan. Wie stehen die Chancen für weitere Offshore-Gebiete in Nord- und Ostsee, etwa auch im sogenannten Entenschnabel?

Wir brauchen dringend Differenzverträge und fest ausgehandelte Stromlieferverträge." Stefan Thimm, BWO-Geschäftsführer
Thimm: Der Flächenentwicklungsplan basiert auf dem Raumordnungsplan. Der weist die Gebiete aus, in denen Offshore-Wind überhaupt ausgebaut werden darf. Der Flächenentwicklungsplan definiert die zuzubauende Leistung sowie die Inbetriebnahmedaten und Ausschreibungsdaten. Wir haben im Prinzip die Flächen bereits definiert. Insofern würde ich jetzt nicht davon ausgehen, dass wir zu wenige haben. Wir müssen allerdings die Flächendichte reduzieren und die zeitliche Reihenfolge der auszuschreibenden und anzuschließenden Flächen so optimieren, dass wir höhere Erträge bekommen. Aktuell sind wir zum Teil mit sehr hohen Flächendichten oder Leistungsdichten konfrontiert. Das führt zu Abschattungseffekten und mindert die Wirtschaftlichkeit. Wenn es uns gelingt, zehn Prozent mehr Ertrag aus den Flächen herauszuholen, dann ist die Wirtschaftlichkeit schnell wieder gegeben.

ne: Steigt dann auch das Interesse der Investoren wieder?

Thimm: Dafür bedarf es meines Erachtens einer Veränderung des Auktionsdesigns.

ne: In welche Richtung?

Thimm: Wir brauchen dringend Differenzverträge (Contracts for Difference; CfDSteht für Contracts for Difference (Differenzverträge): Erhält ein Stromerzeuger bei Ausschreibungen für sein Preisangebot den Zuschlag, kriegt er bei einem niedrigeren Börsenpreis die Differenz erstattet. Liegt der Börsenpreis höher, muss er die zusätzlichen Gewinne abgeben.Steht für Contracts for Difference (Differenzverträge): Erhält ein Stromerzeuger bei Ausschreibungen für sein Preisangebot den Zuschlag, kriegt er bei einem niedrigeren Börsenpreis die Differenz erstattet. Liegt der Börsenpreis höher, muss er die zusätzlichen Gewinne abgeben.) und fest ausgehandelte Stromlieferverträge (Power Purchase Agreements; PPASteht für Power Purchase Agreement: längerfristiger Stromliefervertrag zwischen einem Erzeuger und einem Verbraucher, z.B. einer Fabrik.Steht für Power Purchase Agreement: längerfristiger Stromliefervertrag zwischen einem Erzeuger und einem Verbraucher, z.B. einer Fabrik.). Damit könnten Windparkbetreiber unterschiedliche Kundenstrategien bedienen und das eigene Risiko reduzieren. Für Finanzinvestoren wären sie dann attraktiver.

ne: Woran liegt es, dass es derzeit relativ großen Widerstand gibt bei den Differenzverträgen?

Thimm: Ich weiß gar nicht, ob man da von großem Widerstand reden kann. Manchmal brauchen die Dinge einfach ihre Zeit, gerade wenn es um Fragen des Marktdesigns geht. Es gibt beim Thema CfDSteht für Contracts for Difference (Differenzverträge): Erhält ein Stromerzeuger bei Ausschreibungen für sein Preisangebot den Zuschlag, kriegt er bei einem niedrigeren Börsenpreis die Differenz erstattet. Liegt der Börsenpreis höher, muss er die zusätzlichen Gewinne abgeben.Steht für Contracts for Difference (Differenzverträge): Erhält ein Stromerzeuger bei Ausschreibungen für sein Preisangebot den Zuschlag, kriegt er bei einem niedrigeren Börsenpreis die Differenz erstattet. Liegt der Börsenpreis höher, muss er die zusätzlichen Gewinne abgeben. jedoch viel Gesprächsbedarf, weil der Mechanismus erst mal von allen Marktteilnehmern verstanden werden muss – auch vom Gesetzgeber.

ne: CfDSteht für Contracts for Difference (Differenzverträge): Erhält ein Stromerzeuger bei Ausschreibungen für sein Preisangebot den Zuschlag, kriegt er bei einem niedrigeren Börsenpreis die Differenz erstattet. Liegt der Börsenpreis höher, muss er die zusätzlichen Gewinne abgeben.Steht für Contracts for Difference (Differenzverträge): Erhält ein Stromerzeuger bei Ausschreibungen für sein Preisangebot den Zuschlag, kriegt er bei einem niedrigeren Börsenpreis die Differenz erstattet. Liegt der Börsenpreis höher, muss er die zusätzlichen Gewinne abgeben. sind in anderen Märkten durchaus üblich, obwohl Kritiker bemängeln, dass es sich dabei um eine Art Subventionsmechanismus handelt.

Thimm: Es ist insofern eine Art Subvention, als CfDs den Betreibern einen Preis garantieren. Und falls die tatsächlichen Erlöse aufgrund des aktuellen Marktpreises niedriger sind, als ursprünglich vereinbart, springt der Staat ein, um die Differenz auszugleichen. Ebenso gut kann das Geld aber in die andere Richtung fließen: dann nämlich, wenn der Erlös die ursprünglich angenommene Summe übersteigt. Wir reden also über ein Instrument, das der Absicherung von Investoren dient und zugleich die Versorgungssicherheit erhöht. Da ist es ganz normal, dass der Regulator, sprich: der Staat in solche Vorgänge eingreift. Das soll auch bitte so bleiben. Denn es ist wichtig für die Industrie und andere Verbraucher.

ne: Auch das Windenergie-auf-See-Gesetz halten viele für dringend reformbedürftig, damit künftige Ausschreibungen gelingen. Was schlagen Sie vor?

Thimm: Nachdem die jüngsten Ausschreibungen gescheitert sind, haben wir darüber Gespräche mit dem BMWE geführt. Momentan gibt es zwei Möglichkeiten, wie wir vorgehen können: entweder direkt neu ausschreiben oder alles auf den Prüfstand bringen. Seitens des Ministeriums wurde an uns herangetragen, zunächst ein De-Risking durchzuführen und die nächste Ausschreibung 2026, aber mit dem gleichen Ausschreibungsdesign durchzuführen. Wir haben das in der Branche intensiv diskutiert und mit großer Mehrheit beschlossen: Lasst uns das richtig machen. Es hilft nicht, wenn wir jetzt schnell zu kurz springen, um im kommenden Jahr die nächste Schreckensnachricht zu ernten. Wir wollen daher die Ausschreibungen für 2026 um ein paar Monate verschieben und zugleich den Diskussionsprozess fortsetzen, der erforderlich ist, um das Ausschreibungsdesign zu verbessern. Anschließend können wir klare Empfehlungen für die Gesetzgebung aussprechen, beihilferechtliche Genehmigungen einholen und dann mit dem neuen Auktionsrahmen Ende 2026 durchstarten. Gründlichkeit geht klar vor Tempo.

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