Wasserstoffstrategie & europäische Vergleichsperspektive
neue energie: Wie bewerten Sie Deutschlands Fortschritt beim Wasserstoffhochlauf im Vergleich zu internationalen grünen Leitmärkten und welche Pilotprojekte oder Initiativen gelten als besonders beispielhaft?
Kerstin Andreae: Deutschland arbeitet intensiv daran, sich im internationalen Vergleich eine führende Position beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft aufzubauen – insbesondere durch gezielte Förderprogramme und die strategische Einbindung des Maschinen- und Anlagenbaus. Großprojekte wie das Bundesprojekt Hy2Infra und private Initiativen verdeutlichen, wie entlang der gesamten Wertschöpfungskette Pionierarbeit geleistet wird. Sie stärken nicht nur die Wachstumsaussichten und die Technologieführerschaft Deutschlands, sondern tragen auch zur Resilienz und geopolitischen Souveränität Europas bei. Innovative Projekte, wie etwa zur Offshore-Elektrolyse in der Nordsee, erhöhen zudem die Vielfalt des Angebots in der Energieversorgung im europäischen Verbund. Dem stehen jedoch erhebliche regulatorische und wirtschaftliche Hürden gegenüber. Wasserstoffprojekte erfordern Investitionen im hohen Millionen- bis Milliardenbereich. Um diese zu fördern, ist ein verlässlicher regulatorischer Rahmen entscheidend – er schafft die notwendige Planungssicherheit für Investoren und ist Voraussetzung dafür, dass Projekte sich auch langfristig rechnen. Die Vorgaben müssen Import und Produktion unter realistischen Bedingungen ermöglichen und zugleich die Kosten im Blick behalten. Wettbewerbsfähige Preise erhöhen die Nachfrage.
Welche Faktoren sind entscheidend, damit Deutschland bis 2030 die angestrebten 10 GW Elektrolyseleistung erreicht?
Kerstin Andreae: Um das Ziel von 10 Gigawatt (GW) Elektrolyseleistung bis 2030 zu erreichen, ist eine gezielte Unterstützung des Elektrolysehochlaufs unerlässlich. Die angekündigten Förderprogramme müssen zeitnah umgesetzt und die dafür erforderlichen finanziellen Mittel bereitgestellt werden. Gleichzeitig müssen Gesetze, Richtlinien und Verordnungen auf EU- und Bundesebene entschlackt werden. Wünschenswert wäre eine Überarbeitung etwa der RFNBO-Richtlinie, die zu strenge Voraussetzungen für die Produktion von grünem Wasserstoff definiert.
Warum sind internationale Partnerschaften so wichtig für den Wasserstoffimport?
Kerstin Andreae: Für den Wasserstoffhochlauf in Deutschland benötigen wir zeitnah und verlässlich sehr große Mengen an Wasserstoff. Nach Angaben der Bundesregierung sollen bis 2030 bis zu 70 Prozent des Wasserstoffbedarfs durch Importe gedeckt werden. Dafür brauchen wir verlässliche Lieferländer, leistungsfähige Transportinfrastrukturen wie Pipelines und Häfen sowie international anschlussfähige Zertifizierungen. Je schneller Deutschland diese Partnerschaften schließt und sie funktionieren, desto rascher kann die Transformation der Wirtschaft und damit die Energiewende gelingen.
Wie gelingt es Deutschland, Industrie und Schlüsselbranchen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu integrieren und seine Innovationsführerschaft auszubauen?
Kerstin Andreae: Deutschland treibt den Aufbau von Industrie und Schlüsselbranchen entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette voran und stärkt so seine Innovationsführerschaft. Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau liefert zentrale Komponenten für Elektrolyse, Transport und Speicherung. Laut der Nationalen Wasserstoffstrategie soll Deutschland bis 2030 zum Leitanbieter für Wasserstofftechnologien werden – mit einem klaren Fokus auf die gesamte Wertschöpfungskette von der Erzeugung bis zur Anwendung.
Genauso wichtig ist jedoch, dass gleichzeitig regulatorische Hürden abgebaut werden und private Investments attraktiv sind. Nur dann können wir hierzulande ein funktionierendes Marktumfeld etablieren. Der Aufbau eines transparenten und wettbewerbsfähigen Wasserstoffmarktes mit klaren Regeln und Zertifizierungen ist zentral für profitables Wachstum und sinkende Kosten.
Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit europäischen Nachbarn beim Aufbau grenzüberschreitender Wasserstoffpipelines, wie dem European Hydrogen Backbone (EHB)? Welche konkreten Schritte sind geplant?
Kerstin Andreae: Eine enge Abstimmung mit den europäischen Nachbarstaaten ist entscheidend für den erfolgreichen Aufbau einer grenzüberschreitenden Wasserstoffinfrastruktur. Nur durch koordinierte Planung und gemeinsame Investitionen kann ein effizienter, resilienter und wettbewerbsfähiger europäischer Wasserstoffmarkt entstehen. Großprojekte wie das European Hydrogen Backbone, das bis 2040 ein rund 50.000 Kilometer umfassendes Pipelinenetz vorsieht, bilden das infrastrukturelle Rückgrat dieses Vorhabens.
Konkrete Pläne wie das deutsch-französische mosaHYc-Projekt, das bestehende Erdgasleitungen bis 2027 für den Wasserstofftransport umrüstet, oder der SoutH2 Corridor, der grünen Wasserstoff aus Nordafrika über Italien und Österreich nach Deutschland bringen soll, verdeutlichen den Fortschritt auf diesem Weg.
Auch das Projekt H2 Backbone WAG + Penta-West stärkt wichtige Verbindungen zwischen Österreich, der Slowakei und Deutschland, während AquaDuctus als Offshore-Pipeline in der Nordsee die Grundlage für künftige Importe von grünem Wasserstoff nach Deutschland schafft. Diese Entwicklungen unterstreichen die zentrale Bedeutung einer abgestimmten europäischen Infrastrukturplanung. So können wir in Europa Versorgungssicherheit gewährleisten, Wettbewerb ermöglichen und langfristig eine integrierte Wasserstoffwirtschaft etablieren.
Förderinstrumente & Marktinitiativen für grünen Wasserstoff
Welche nationalen und europäischen Initiativen fördern derzeit den Wasserstoffmarkt in Deutschland?
Kerstin Andreae: Der deutsche Wasserstoffmarkt wird heute durch eine Vielzahl konkreter Initiativen gefördert. Im Zentrum steht die Nationale Wasserstoffstrategie, die sowohl den Ausbau von Elektrolysekapazitäten als auch die Entwicklung entlang der gesamten Wertschöpfungskette unterstützt. Ein zentraler Baustein ist zudem das IPCEI-Programm, mit dem 62 Wasserstoff-Großprojekte mit insgesamt 8 Milliarden Euro gefördert werden. Ergänzt wird dies durch regionale Initiativen wie HYPOWER Mitteldeutschland und die Taskforce Transformation, die Industriecluster und ostdeutsche Regionen in den Fokus nehmen. Mit der neuen Wasserstoffimportstrategie schaffen wir ein stabiles Fundament für internationale Versorgungssicherheit. Ziel ist es, Deutschland als Leitmarkt für Wasserstofftechnologien zu etablieren.
Was macht die IPCEI-Wasserstoffprojekte besonders – und welchen Einfluss haben sie auf die deutsche Wasserstoffwirtschaft? Und wie positionieren sich andere grüne Leitmärkte im internationalen Vergleich?
Kerstin Andreae: Die IPCEI-Wasserstoffprojekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie in großem Maßstab entlang der gesamten europäischen Wasserstoff-Wertschöpfungskette von der Erzeugung bis zur industriellen Anwendung wirken. In Deutschland wurden 62 Projekte ausgewählt, die mit rund 8 Milliarden Euro staatlich gefördert werden und mehr als 20 Milliarden Euro privates Kapital mobilisieren sollen. Die potenzielle Hebelwirkung dieser Vorhaben ist enorm. Sie bilden die Basis für einen Wachstumsmarkt und Technologieführerschaft, insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau. Auch deshalb steht Deutschland im europäischen Vergleich gut da, insbesondere durch die breite Abdeckung unterschiedlichster Anwendungsbereiche.
Andere Staaten, die sich im Bereich Wasserstoff stark engagieren, sind etwa die Niederlande, Frankreich, die skandinavischen Länder oder Spanien. Während die Niederlande vor allem auf Infrastruktur und Import setzen, investiert Frankreich in industrielle Anwendungen. Insgesamt zeigt sich: Nur in enger Abstimmung mit diesen Nachbarstaaten – beispielsweise im Rahmen des European Hydrogen Backbone oder durch grenzüberschreitende IPCEI-Projekte – kann ein leistungsfähiger europäischer Wasserstoffmarkt entstehen.
Was zeichnet das Fördermodell von H2Global aus, und welches Gesamtziel verfolgt es? Welche Fortschritte wurden bereits beim Markthochlauf, Import von grünem Wasserstoff und beim Infrastrukturaufbau in Deutschland erzielt?
Kerstin Andreae: Das Besondere von H2Global ist sein marktwirtschaftlicher Ansatz: Über ein Doppelauktionsverfahren kauft die H2Global-Tochter Hintco grünen Wasserstoff oder dessen Derivate international möglichst kostengünstig ein und veräußert sie anschließend in Auktionen an Abnehmer in Europa. Die Differenz zwischen Ein- und Verkaufspreis wird durch staatliche Fördermittel ausgeglichen. Das schafft Investitionssicherheit für Anbieter wie auch Nachfrageanreize im Markt.
Ein Beispiel ist der erste Einkauf von grünem Ammoniak aus Ägypten. Zu den Fortschritten in Deutschland zählen die Durchführung der ersten Ausschreibungsrunde, die Genehmigung einer zweiten Runde durch die EU-Kommission sowie der Aufbau von Importinfrastrukturen, etwa im Hamburger Hafen. Damit leistet H2Global einen wichtigen Beitrag zum Markthochlauf und zur Umsetzung der nationalen Wasserstoffimportstrategie. Kritisch zu bewerten ist jedoch, dass die zur Verfügung stehenden Fördermengen im Verhältnis zu den erheblichen Investitionskosten vieler Wasserstoffprojekte bislang vergleichsweise gering ausfallen.
Leitmarktinstrumente & industriepolitische Steuerung
Welche Auswirkungen könnten Leitmarktinstrumente wie die „Grüngasquote“ und die „Grüne Stahlquote“ auf die Nachfrage nach grünem Wasserstoff haben?
Kerstin Andreae: Ob eine Quote eingeführt wird und wie diese konkret ausgestaltet sein könnte, ist derzeit noch völlig unklar. Geforderte Leitmarktinstrumente wie die Grüngasquote oder die Grüne Stahlquote können erheblichen Einfluss auf die Nachfrage nach grünem Wasserstoff haben. Sie würden potenziell einen verbindlichen und verlässlichen Absatzpfad für klimafreundliche Energieträger schaffen. Als Instrumente zur Mengensteuerung erhöhen sie die Planungssicherheit für Investoren, Produzenten und Infrastrukturanbieter und regen langfristige Investitionen in Produktionskapazitäten und Infrastrukturen an. Gleichzeitig fördern sie die Dekarbonisierung industrieller Prozesse, etwa in der Stahl- oder Chemieindustrie, und können dazu beitragen, grüne Produkte wettbewerbsfähiger zu machen. Allerdings sind Quoten auch stets mit Herausforderungen verbunden: Sie können entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu höheren Kosten führen. Das birgt vor allem für energieintensive Industrien ein Wettbewerbsrisiko. Zudem besteht die Gefahr marktverzerrender Effekte und übermäßigen bürokratischen Aufwands.
Welche Maßnahmen sind jetzt erforderlich?
Kerstin Andreae: Um den Wasserstoffmarkthochlauf und den Import nach Deutschland erfolgreich zu gestalten, sind zielgerichtete, koordinierte und ambitionierte Maßnahmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette erforderlich. Zunächst braucht es klare politische Leitplanken und langfristige Investitionssicherheit, die verbindliche Nachfrage schaffen und als Mengensteuerungsinstrumente wirken. Parallel dazu ist eine stärkere europäische und internationale Koordination erforderlich. Wir setzen uns deshalb gemeinsam mit zwölf weiteren Industrie- und Energieverbänden für eine Wasserstoffallianz auf EU-Ebene ein. Dabei muss der Fokus auf der gemeinsamen Infrastruktur, Standards, Zertifizierungssystemen sowie dem Aufbau resilienter Import-Partnerschaften liegen. Der regulatorische Rahmen – etwa im Energiewirtschaftsrecht, Planungs- und Genehmigungsrecht oder im Steuer- und Abgabenbereich – sollte technologieoffen erfolgen, um Investitionen in Infrastruktur zu erleichtern. Deutschland sollte zudem die laufenden EU-Verhandlungen aktiv mitgestalten. Nur so kann es gelingen, einen verlässlichen Ordnungsrahmen für Wasserstoff in Europa zu schaffen. Mit entschlossenem politischem und regulatorischem Handeln heute schaffen wir die Grundlage für eine sichere, wirtschaftliche und klimaneutrale Wasserstoffversorgung von morgen.
- Zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) e.V.
- Zur H2Global Stiftung.
- Zur Plattform European Hydrogen Observatory.
- Zur Pressemitteilung des Projektträgers Jülich: EU-Kommission genehmigt IPCEI Wasserstoffprojekte.