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Der Hype um Wasserstoff ist vorbei - jetzt zählt, was funktioniert

Sunfire aus Dresden zählt zu den Vorreitern der europäischen Wasserstoffwirtschaft. Seit 2010 entwickelt das Unternehmen Elektrolyseure für die industrielle Produktion von grünem Wasserstoff. CEO Nils Aldag sieht das einstige Zukunftsversprechen inzwischen als tragfähiges Geschäftsmodell – vor allem für Schlüsselbranchen wie die Raffinerieindustrie.
Interview: Meike Naber
23.05.2025 | 7 Min.
Sunfire-Chef Nils Aldag über die nächsten Schritte des Markthochlaufs.
Sunfire-Chef Nils Aldag über die nächsten Schritte des Markthochlaufs.
Foto: Sunfire

neue energie: Sie sehen in der Wasserstoff-Elektrolyse eine industriepolitische Chance – und Sunfire demnächst im Dax. Wie realistisch sind diese Ziele? 

Nils Aldag: Für mich steckt in der Elektrolyse ein enormes industriepolitisches Potenzial, besonders für den Standort Deutschland.  Gobale Innovationsführer wie Siemens Energy, Thyssenkrupp Nucera, Linde und auch Sunfire kommen aus Deutschland. Grüner Wasserstoff ist daher mehr als nur ein Technologiethema – es ist eine strategische Zukunftsfrage, die langfristig auch in den großen Börsenindizes wie SMAX, MDAX und DAX abgebildet werden sollte. 

Die anfängliche Euphorie ist verflogen, der Hype um Wasserstoff vorbei. Jetzt zählen vor allem realistische Anwendungen und tragfähige Geschäftsmodelle. Ich betone immer: Energie sollte nicht unnötig umgewandelt werden. Erneuerbarer Strom gehört dorthin, wo er direkt genutzt werden kann. Unsere Technologie kommt genau dort zum Einsatz, wo das nicht möglich ist – und genau da schafft sie echten Mehrwert.

Es passiert viel in unserem Sektor: Die Projekte werden größer, erste Märkte entstehen und Kunden entscheiden sich zunehmend aus wirtschaftlicher Überzeugung – nicht aus Technikbegeisterung. Grüner Wasserstoff wird damit zunehmend zur Realität. Vor diesem Hintergrund halte ich es für realistisch, dass Sunfire langfristig im DAX vertreten sein könnte – vielleicht sogar als erstes ostdeutsches Unternehmen.

Sunfire zählt zu den Pionieren der Elektrolysetechnologie. Warum haben Sie von Anfang an auf diesen Weg gesetzt – und wie hat alles begonnen?

Nils Aldag: Wir wussten früh: All Electric allein reicht nicht – und haben ganz bewusst dagegengehalten. Eine vollständige Elektrifizierung ist weder flächendeckend möglich noch wirtschaftlich sinnvoll. Bereiche wie Industrie, Luftfahrt oder Schifffahrt lassen sich nicht komplett elektrifizieren und auch nicht realistisch mit Biomasse versorgen. Unsere Überzeugung war und ist: Erneuerbarer Strom muss nicht nur Elektronen liefern, sondern auch Moleküle – erzeugt aus Wind und Sonne.

Wir haben früh differenziert: Im Nahverkehr oder Wärmesektor ist der direkte Einsatz von Strom oft effizienter. Aber in der Chemie, in Raffinerien, der Stahlproduktion oder im Flugverkehr sind Moleküle unverzichtbar. Genau aus dieser Perspektive heraus haben wir Sunfire gegründet – basierend auf drei Grundannahmen: Erneuerbarer Strom wird günstiger, fossile Energie teurer und Biomasse bleibt begrenzt.

Unser Ziel war es, strombasierte Kraftstoffe und Gase marktfähig zu machen. Dabei wurde schnell klar: Die notwendige Elektrolysetechnologie war im industriellen Maßstab schlicht nicht vorhanden. Also haben wir selbst aufgebaut – angefangen mit dem Kauf einer kleinen Dresdner Brennstoffzellenfirma. Damit sind wir in die Hochtemperaturelektrolyse eingestiegen – die effizienteste, aber auch komplexeste Technologie.

Heute, da erneuerbare Energien so günstig wie nie sind, zählen vor allem robuste und skalierbare Systeme. Deshalb haben wir 2020 strategisch erweitert und die alkalische Elektrolyse in unser Portfolio aufgenommen. Damit verbinden wir heute technologische Spitzenleistung mit industrieller Skalierbarkeit – und genau das macht Sunfire stark.“

Technologie & Projekte

Welche Schlüsselprojekte treiben Sie voran und welche Innovation zeichnet sie aus? 

Nils Aldag: Unsere beiden größten Projekte sind jeweils 100-Megawatt-Anlagen – eine für eine europäische Raffinerie, die andere für RWE in Lingen. Besonders wegweisend ist das Projekt mit RWE: Aus einem 10-Megawatt-Piloten ist durch enge Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen ein Großauftrag entstanden. Dabei haben wir nicht nur viel über die Anforderungen großer Energieversorger gelernt, sondern auch gezeigt, dass wir zuverlässig liefern können.

Der in Lingen produzierte grüne Wasserstoff wird über das entstehende Wasserstoff-Kernnetz nach Sachsen-Anhalt transportiert und in der Total-Raffinerie in Leuna – einer der effizientesten Europas – als nachhaltiger Rohstoff eingesetzt. Genau hier liegt ein großer Vorteil gegenüber Elektronen: Wasserstoff lässt sich flexibel über Pipelines transportieren, unabhängig von Netzengpässen oder Fragen der Frequenzstabilität.

Dieses Projekt zeigt erstmals, wie sich grüne Moleküle wirtschaftlich und skalierbar in industrielle Prozesse integrieren lassen – von der Elektrolyse über den Transport bis zur Nutzung im Raffineriesektor. Grüner Wasserstoff ist längst kein Pilotprojekt mehr, sondern gelebte Realität. Wir sehen, dass Unternehmen wie Cepsa, Total, BP oder Shell ihn gezielt als Rohstoff einsetzen – nicht im Mobilitätssektor, sondern zur Dekarbonisierung ihrer industriellen Prozesse. Das ist kein Zukunftslabor mehr, das ist ein funktionierender Markt.

Ich bin überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren viele weitere industrielle Anwendungen sehen werden – insbesondere im Raffineriesektor. Denn genau hier zeigt sich: Grüner Wasserstoff ist nicht nur Teil der Energiewende, sondern auch ein echter Business Case.

Marktentwicklung & Rahmenbedingungen

Was sind die entscheidenden nächsten Schritte – für die Branche und  für Sunfire?

Nils Aldag: Der Ausbau des Wasserstoff-Kernnetzes ist für uns bei Sunfire und für die gesamte Branche ein zentraler nächster Meilenstein. Diese Investitionen legen den Grundstein für eine flächendeckende, industrielle Verfügbarkeit von Wasserstoff in Deutschland – und genau das ist für uns als Technologieanbieter entscheidend.

Aus Sicht der erneuerbaren Energien ist das Kernnetz ein hochspannendes Projekt: Es ermöglicht uns, grünen Strom in Form von Wasserstoff dorthin zu bringen, wo direkte Elektrifizierung an ihre Grenzen stößt – und das erstmals im industriellen Maßstab. Genau dort entfaltet Wasserstoff seinen größten Nutzen.

Deshalb ist das Kernnetz weit mehr als nur Infrastruktur – es wird zum Rückgrat eines skalierbaren Wasserstoffmarktes und ist ein echter Hebel für die industrielle Dekarbonisierung. Dass es im Koalitionsvertrag verankert ist, war ein wichtiger Schritt – jetzt braucht es Tempo bei der Umsetzung.

Wo sind die größten Hemmnisse? Welche Antworten muss die Politik liefern?

Nils Aldag: „Eine zentrale Weichenstellung ist für uns die ambitionierte Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED III. Besonders im Fokus steht die geplante Grüngasquote – sie bietet die Chance, den verpflichtenden Einsatz erneuerbarer Gase im Energiesystem endlich wirksam voranzubringen.

Gleichzeitig beobachten wir mit Sorge, dass die Tür für sogenannten ‚blauen Wasserstoff‘ – also Wasserstoff aus Erdgas mit CO₂-Abscheidung – wieder weiter geöffnet wird. Ich verstehe das politische Ziel, das Wasserstoff-Kernnetz schnell zu füllen. Aber Wasserstoff aus Erdgas schafft neue geopolitische Abhängigkeiten und setzt auf Technologien wie CO₂-Speicherung, die gesellschaftlich wie technisch äußerst umstritten sind. Das gefährdet aus meiner Sicht die Glaubwürdigkeit der Transformation.

Wirklich entscheidend ist der industrielle Einsatz von grünem Wasserstoff – insbesondere in Raffinerien. Sie gehören weltweit zu den größten CO₂-Emittenten und verbrauchen riesige Mengen Wasserstoff, der bislang vollständig fossil erzeugt wird. Allein in Europa liegt hier ein Potenzial von 10 bis 20 Gigawatt Elektrolyseleistung – nur um den heutigen Bedarf zu dekarbonisieren.

Wenn wir den Markthochlauf ernst meinen, brauchen wir klare Vorgaben. Der Einsatz von grünem Wasserstoff in Raffinerien darf nicht nur möglich sein – er muss verpflichtend werden. Das wäre der erste große, wirtschaftlich tragfähige Markt für grünen Wasserstoff. Und genau solche Skaleneffekte braucht die Industrie jetzt.

Deshalb mein Appell: Raffinerien in den Fokus nehmen, konsequent auf erneuerbare Energien setzen – und den Markthochlauf durch klare politische Leitplanken aktiv steuern.

Zukunftsmärkte & Potenziale

Wo liegen unterschätzte Potenziale für Wasserstoff oder dessen Derivate – und welche internationalen Märkte sind besonders vielversprechend?

Nils Aldag: Ich bin fest überzeugt: Für grünen Wasserstoff müssen wir nicht ans andere Ende der Welt schauen. Europa selbst bietet enormes Potenzial – etwa in Spanien, Portugal, Dänemark, Norwegen oder Finnland. Dort können wir schon heute zu wettbewerbsfähigen Preisen von 5 bis 7 Euro pro Kilogramm produzieren. Mittelfristig lassen sich die Kosten auf 3 bis 4 Euro senken – langfristig sogar auf 2,50 bis 3,50 Euro. Damit rückt die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit gegenüber fossilem Wasserstoff inklusive CO₂-Zertifikaten in greifbare Nähe.

Der große Vorteil Europas liegt in der Kombination aus günstigen erneuerbaren Energien und industrieller Nähe. Diese geografische und wirtschaftliche Nähe senkt nicht nur die Transportkosten, sondern stärkt auch die lokale Wertschöpfung und macht uns unabhängiger von globalen Lieferketten.

Deshalb brauchen wir keinen globalen Wettlauf um Wasserstoffimporte, sondern einen starken europäischen Binnenmarkt – mit der Produktion in der Peripherie und der Nutzung in den Industriezentren. Und nicht zuletzt: Der Aufbau dieser Industrie ist ein riesiger Jobmotor. Elektrolyseure sind keine Leichtgewichte, sondern komplexe industrielle Systeme – da steckt viel Know-how drin, gerade in Ländern mit einer starken Maschinenbau- und Automobiltradition. Wenn wir es klug anstellen, schaffen wir nicht nur klimafreundliche Energie, sondern auch zukunftsfähige Arbeitsplätze hier in Europa.“

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