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Windenergie

Recycling und andere Fragen

Bernward Janzing, 01.11.19
Wie viele Windkraftanlagen pro Jahr genau stillgelegt werden, wenn ab 2021 Tausende die EEG-Vergütung verlieren, ist unklar. Trotz aller Unsicherheit: Eine Studie des Umweltbundesamts befasst sich nun mit den Herausforderungen beim Rückbau. Ein zentrales Entsorgungsthema müsse dabei branchenübergreifend gelöst werden.

Voraussichtlich 5333 Windkraftanlagen werden am 1. Januar 2021 in Deutschland ihre durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) garantierte Einspeisevergütung verlieren. Eine stattliche Anzahl. Vorsorglich hat das Umweltbundesamt (Uba) von der Ingenieur- und Beratungsfirma Ramboll die Entsorgungssituation in der Windbranche analysieren lassen – obwohl längst nicht feststeht, wie viele der Anlagen eventuell noch lange Jahre weiter betrieben werden. Ein Entwurf der im Oktober 2017 begonnenen Studie mit dem Titel „Entwicklung eines Konzepts und Maßnahmen für einen ressourcensichernden Rückbau von Windenergieanlagen“ lag neue energie vor der Veröffentlichung exklusiv vor.

In dem über 250 Seiten umfassenden Papier werden gleich mehrere Empfehlungen an Behörden und Betreiber ausgesprochen, wobei es sich – wie so oft bei einem Blick auf mögliche zukünftige Entwicklungen – an vielen Stellen auf Annahmen stützen muss. Das vielleicht wichtigste Fazit betrifft dabei nicht die Windindustrie allein: Für Faserverbundwerkstoffe sollen Recyclingsysteme aufgebaut werden, unabhängig davon, für welche Zwecke die Materialien eingesetzt wurden. Bei Windkraftanlagen betrifft das Abfälle aus Rotorblättern, die Glasfaser- und Kohlenstofffaser-verstärkten Kunststoff enthalten (GFK und CFK).

Nach 2021 müssen jährlich weitere 1000 bis 2000 Anlagen auf die EEG-Vergütung verzichten. Das Uba warnt deshalb davor, dass „Engpässe bei den Recyclingkapazitäten für die faserverstärkten Kunststoffe der Rotorblätter“ drohen könnten.

Allerdings sind die errechneten Mengen an abzubauendem Beton und Stahl mit Unsicherheiten behaftet. Die Windbranche beschäftigt sich angesichts des näher rückenden Datums seit geraumer Zeit mit Geschäftsmodellen, die auch künftig den Betrieb von Altanlagen ermöglichen. Viele Betreiber signalisieren starkes Interesse an dem Thema Power Purchase Agreement, kurz PPA. Dabei geht es um Stromlieferverträge, die zwischen dem Anlagenbetreiber und einem Abnehmer direkt abgeschlossen werden. Wenn die Konditionen gut sind und auch Risiken abdecken, die beispielsweise aus anfallenden Reparaturen entstehen, kann der Weiterbetrieb durchaus wirtschaftlich möglich sein – der Abbau der Anlagen verteilt sich dann über einen sehr viel längeren Zeitraum. „Ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen heißt gerade für Umwelt- und Klimatechnologien, dass deren klimapolitischer Beitrag bis zum Erreichen des technischen Lebensendes nutzbar sein muss“, findet Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands WindEnergie (BWE).

Da derzeit jedoch nicht abschließend gesagt werden kann, in welchem Umfang die Politik Anlagenbetreibern diese Option offen lässt – die Entscheidung hängt stark von den Preisen an der Strombörse ab, aber auch von künftigen regulatorischen Rahmenbedingungen –, gehen die Gutachter des Uba der Einfachheit halber davon aus, dass sich der Weiterbetrieb einerseits und der vorzeitige Rückbau andererseits (zum Beispiel beim Repowering, der Errichtung neuer Anlagen anstelle der alten) etwa die Waage halten werden. Woraus die Prämisse resultiert, dass die Anlagen im Durchschnitt nach 20 Betriebsjahren zurückgebaut werden.

Rücklagen zu gering?

Zudem rücken die Autoren die Frage nach der Höhe der künftig erforderlichen Rückstellungen in den Blick – ein sensibles Thema. Die Windenergie an Land leidet derzeit an einem akuten Mangel genehmigter Projekte, statt neuer genehmigungsrechtlicher Hürden bräuchte es eigentlich eine Vereinfachung der behördlichen Vorgaben.

 Auch die Prognosen der Rückbaukosten im Vergleich zu den dafür vorgesehenen Rückstellungen müssen dabei spekulativ bleiben – zu viele Faktoren sind im Spiel. Die Studie versucht sich mit zwei unterschiedlichen Rechenmodellen daran. In der ersten Phase des Rückbaus, in den Jahren 2021 bis 2025, bleiben die erwarteten Kosten in einem der beiden Rechenmodelle unter den erfolgten Rückstellungen. In der zweiten Phase von 2026 bis 2030 jedoch liegt in beiden angesetzten Modellen der Finanzierungsbedarf höher als der Betrag, der zurückgestellt wurde. „Das Auftreten von Finanzierungslücken ist in diesem Zeitraum wahrscheinlich“ bilanziert das Uba.

Ab 2031 bis 2038 sei dann gar „ein starker Anstieg der Rückbau- und Entsorgungskosten zu erwarten“. Dieser sei insbesondere durch die ab 2011 errichteten und ab 2031 zum Rückbau anstehenden höheren Türme bedingt. Folglich sei, sofern die Regulierung unverändert bleibe, in jenen Jahren „mit erheblichen Finanzierungslücken zu rechnen“.

Doch wie groß ist das Problem tatsächlich, wie valide sind die Abschätzungen – und wie zutreffend können darauf aufbauend Empfehlungen sein? Die Antwort ist schwierig. Sicher ist: Im Rahmen der Erteilung einer Baugenehmigung werden schon sehr lange Vorgaben zu Rückstellungen für den Rückbau gemacht. Und da das Länderhoheit ist, fallen Finanzierungslücken, wenn überhaupt, von Bundesland zu Bundesland recht unterschiedlich aus.

In der Praxis zeigt sich, wieso verlässliche Prognosen kaum möglich sind. „Vor ein paar Jahren konnte man alte Anlagen verkaufen und als Eigentümer ein Plus verzeichnen“, sagt Siegfried Schülter, Teamleiter technische Betriebsführung beim Service- Unternehmen PSM. Aktuell jedoch deckten die Schrottpreise nicht mehr ganz die Rückbaukosten, sodass man für die Entsorgung der Rotorblätter und des Fundaments tatsächlich auf Rücklagen zurückgreifen müsse.

Markt für Altanlagen im Wandel

Erfahrungen mit dem Thema Rückbau hat die Branche bislang vor allem mit Repowering- Projekten gemacht. In diesen Fällen konnten die Altanlagen meist ins Ausland verkauft werden – was in der Regel lukrativ war. Aber auch diese Geschäftsmodelle wandeln sich: „Durch den Wegfall einzelner Märkte und den gestiegenen Anteil an Repowering Projekten hat sich der Markt gedreht“, sagt Peter Spengemann, Leiter Repowering bei WPD Windmanager.

Von starken Preisveränderungen auf dem Altanlagenmarkt, weiß auch Ingo Sebastiani, Projektleiter Repowering bei Juwi, zu berichten. Einst habe man für eine abgebaute E-66, eine Anlage des Herstellers Enercon, noch mehr als 500.000 Euro erlösen können. Aktuell seien es für eine baugleiche Maschine nur noch 100.000 Euro oder weniger. Aufgrund solcher Schwankungen ist die Kostensituation beim Rückbau grundsätzlich schwer kalkulierbar, umso schwerer, je langfristiger man planen muss.

Juwi sei bei dem Thema bislang gut gefahren: Von den 109 Altanlagen, die der Projektierer im Rahmen des Repowerings bisher abgebaut hat, seien etwa 100 verkauft worden. Für den bisherigen Rückbau seien keine Rücklagen nötig gewesen, was allerdings auch daran liege, dass Juwi bisher nur Anlagen mit Stahlturm zurückgebaut habe. In 95 Prozent der Fälle habe man diese sogar komplett verkaufen können, mitunter samt Fundamenteinbauteil.

Tatsächlich fallen in Windkraftanlagen sehr große Mengen Stahl an. Die Studie zeigt, dass der wertvolle Rohstoff an zweiter Stelle steht, gleich nach Beton – die Altanlagen bieten eine Fülle von Materialien, deren Wiederverwertung in jedem Fall lohnt.

Ausschlachten statt verschrotten

Bevor die Bauteile aber in den Hochofen zum Einschmelzen wandern, gibt es e weitere Option. Altanlagen können auch als Ersatzteillager dienen. Darauf verweist zum Beispiel der Projektierer und Betriebsführer Abo Wind. Das eigene Materiallager umfasse vor allem instandgesetzte Getriebe. Auch die Uba-Studie betont mit Verweis auf befragte Akteure, dass der Gebrauchtmarkt für einzelne Komponenten derzeit attraktiver eingeschätzt werde als jener für komplette Gebrauchtanlagen.

Schwierig sind die Kalkulationen aber nicht nur aufgrund der Märkte für Anlagenkomponenten, sondern auch, weil – so zumindest die Einschätzung des Uba – für das Vorgehen beim Rückbau noch praktikable Vorgaben fehlen. Zwar gelte grundsätzlich die Gewerbeabfallverordnung. Gleichwohl fehlten „abfallrechtliche Zielvorgaben und damit eine Definition klarer Entsorgungswege für die einzelnen Materialien“.

Unsicherheiten bestehen mitunter auch, weil der Rückbauumfang nicht immer eindeutig geklärt ist. Das Phänomen kennt man auch bei PSM: „Bei manchen Projekten ist nichts definiert, bei anderen dagegen alles ganz genau geregelt“, berichtet Siegfried Schülter. Mitunter bleibt zum Beispiel die Frage, wie man mit Fundamenten und Nebeneinrichtungen, also den Kabeln, Stellflächen oder Zuwegungen, verfährt. Auch bei den Rückbaumethoden bestehe Regelungsbedarf, betont das Uba. Bevorzugt werde mit Kran zurückgebaut, ähnlich wie beim Aufbau.

Die Entscheidung liegt bislang beim Betreiber, häufig in Abstimmung mit den Landeigentümern. „Oftmals wird die Anlage zurückgebaut, das Fundament hingegen gesprengt“, heißt es bei WPD Windmanager. Das sei eine recht gute Lösung. Regeln für den Rückbau finden sich oft auch im Nutzungsvertrag mit den Landverpächtern, zum Beispiel, bis zu welcher Tiefe das Fundament entfernt werden muss. „Je jünger die Anlagen sind, umso genauer ist auch der Rückbau geregelt“, sagt Juwi-Experte Sebastiani. Wobei in vielen Fällen nicht das Fundament, sondern der Kran der größte Kostenfaktor sei.

Kapazitätsprobleme möglich

Unterdessen hält die Branche künftig Kapazitätsprobleme für denkbar, bei Mitarbeitern, wie auch bei Maschinen. „Vorübergehende Engpässe bei 600-Tonnen-Kränen sind durchaus möglich“, heißt es bei Juwi. Deswegen sei eine frühzeitige und professionelle Planung des Rückbaus zu empfehlen. Hinsichtlich des nötigen Personals verweist PSM auf den allgemeinen Fachkräftemangel – ein branchenübergreifendes Problem.

Recht unterschiedliche Erfahrungen haben die Windkraft-Unternehmen mit dem Thema Dokumentation gemacht. „Eine für den Rückbau verwendbare Dokumentation ist häufig nicht zur Hand“, sagt PSM-Betriebsführer Schülter. Vor allem bei den 20 Jahre alten Anlagen sei das oft ein Problem. Bei den neuen Maschinen dagegen, die erst in 20 Jahren abgebaut werden, werde das „ganz anders aussehen“.

Bei WPD Windmanager sieht man Defizite in der Dokumentation eher seltener: In der Regel sei sie ausreichend vorhanden, auch für die älteren Anlagen. Zwar komme es vor, dass beim Verkauf zum Beispiel das Wartungshandbuch fehle. Aber grundsätzlich seien fehlende Dokumentationen „kein Thema“.

Gleichwohl regt das Uba auch an dieser Stelle Verbesserungen an: Informationen, etwa Zeichnungen, die für den Rückbauprozess benötigt werden, sollten noch besser durch den Betreiber eines Windparks archiviert werden und müssten vom Hersteller beim Anlagenverkauf zur Verfügung gestellt werden.

Defizite bei Rohstoff-Wiederverwertung

Defizite sieht die Umweltbehörde momentan bei der Wiederverwertung mancher Rohstoffe, etwa mit Blick auf eine „hochwertige Verwertung von Altbeton- Strömen“. Hintergrund sei zum Beispiel fehlende Akzeptanz für Recyclingbaustoffe. Bei Magneten aus Synchrongeneratoren, die Seltene Erden enthalten, fehle es zudem an den nötigen „Mengen für eine wirtschaftliche Verwertung“.

Angesichts der komplexen Thematik empfiehlt das Uba, einen Arbeitskreis von Bund und Ländern einzurichten, zum Beispiel innerhalb der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaften Immissionsschutz (LAI) oder Abfall (LAGA). In einem solchen Arbeitskreis könnten „unter Berücksichtigung der Erfahrungen der Genehmigungsbehörden Leitlinien für den Rückbau und die Verwertung von Windenergieanlagen erarbeitet werden“. Die Diversität des Anlagenbestands, die abweichenden geologischen Gegebenheiten und die starke Position der Bundesländer sprächen für bundesweit abgestimmte, jedoch zugleich flexible Empfehlungen und Vollzugshilfen – wobei die Studie auf Leitlinien und Hinweise für Behörden setzt statt auf zusätzliche Gesetze. So seien auch nachträgliche Anordnungen für den Rückbau bestehender Anlagen möglich. Zudem sei es sinnvoll, für technische Details bei Rückbau und Recycling, soweit noch nicht geschehen, Standards erarbeiten zu lassen.

Eine der größten Herausforderungen dürfte dabei das Thema Verbundmaterialien sein. „Rotorblattabfälle sind aufgrund der Faserverbundwerkstoffe außerordentlich schwer zu verwertende Anlagenteile und bedürfen einer besonderen Aufbereitung“, heißt es in der Studie. Sie propagiert daher auch Informations- und Kennzeichnungspflichten zur Materialzusammensetzung der Rotorblätter. Bislang wissen die Entsorger mitunter nur aus eigener Erfahrung, in welchen Rotorblatt-Generationen zum Beispiel CFK enthalten ist.

Branche fordert politische Vernunft

Die Entsorgungsmöglichkeiten von GFK und CFK sind nun das vordringliche Thema. Die Debatte sollte aber, so regt das Uba an, künftig „eher stoffstromspezifisch statt produktspezifisch adressiert werden“. Denn es sind auch immer mehr andere Produkte aus den gleichen Materialien im Umlauf, etwa in der Luftfahrt, zunehmend auch in Autos oder in Sportgeräten. Und überall stellen sich längst die gleichen Entsorgungsfragen wie bei den Flügeln alter Windkraftanlagen.

Angesichts der prekären Lage, in der sich die Onshore-Windenergie derzeit befindet, fordert die Branche indes politische Vernunft walten zu lassen: Der sachgerechte Rückbau sei Aufgabe der Eigentümer. Die Windkraftbranche habe sich des Themas längst angenommen, betont BWE-Präsident Albers. Aber: „Es ist auch für den Klimaschutz in Deutschland von zentraler Bedeutung, dass Bestandsanlagen weiterhin wirtschaftlich betrieben werden können. Ein vorzeitig erzwungener Abbau durch politische Fehlsteuerung ist dringend zu vermeiden. Wenn die Politik dies anerkennt, können auch die Grundlagen für einen geordneten Rückbau alter Anlagen geschaffen werden.“

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