Windenergie

Mühlen mit eingebauter Vogelperspektive

Michael Hahn, 05.12.18
Über die Frage, wie gefährlich Windräder für Vögel und Fledermäuse sind, wird heftig gestritten. Moderne Technik kann Teil der Lösung sein.

Ein Rotmilan zieht seine Bahnen am Himmel. Er ist auf der Suche nach Beute, die Jungtiere im Horst sind hungrig. Dass er einer Windenergieanlage immer näher kommt, deren Rotorblattspitzen eine Geschwindigkeit von bis zu 300 Kilometern pro Stunde erreichen können, bemerkt er nicht. Er steuert direkt auf die Mühle zu – und die schaltet plötzlich ab. Ein intelligentes Kamerasystem am Turm hat den Rotmilan von Weitem erkannt und automatisch reagiert.

Modernste Technik kann viel dazu beitragen, dass weniger Tiere durch Windkraftanlagen zu Schaden kommen. Systeme zum Schutz von Fledermäusen werden weiträumig eingesetzt und sind auch behördlich anerkannt. Beim Vogelschutz gibt es hingegen noch einige Hürden zu nehmen.

Bei dem eingangs beschriebenen System handelt es sich um eine Entwicklung des Bürgerwindparks Hohenlohe in Baden-Württemberg. Die Windmüller gehen dabei nach eigenen Angaben ganz neue Wege, setzen auf eine hochmoderne Bildverarbeitungstechnologie. Die soll vollautomatisch erkennen, welche Vogelart sich der Anlage nähert.

Zunächst wurden dazu von Rotmilan und Mäusebussard circa 200 000 Bilder gemacht und mittels einer sogenannten Tagging-Software in einer Datenbank klassifiziert. Mehrere Kameras, die am Turm der Anlage angebracht werden, erfassen die Umgebung im 360-Grad-Winkel. Die Bilder werden in Echtzeit mit der Datenbank abgeglichen.

Anlage schaltet ab oder reduziert Drehzahl

Nähert sich einer der dokumentierten Vögel der Anlage, schaltet diese künftig ab oder reduziert ihre Drehzahl. Und: Die Software soll sich selbst immer weiter optimieren und das vorliegende Datenmaterial eigenständig ergänzen. „Dadurch erwarten wir zukünftig deutlich weniger Abschaltungen“, sagt Benjamin Friedle, einer der Geschäftsführer des Bürgerwindparks Hohenlohe.

Ansonsten würden die Kameras auch andere fliegende Objekte „erkennen“ und die Anlagen abschalten. Ziel seien eine Million Bilder pro Vogelart. Dann könne die Software sehr genau arbeiten, sagt Friedle. Erste Versuche in Windparks hätten gute Ergebnisse geliefert, die Software identifiziere die betroffenen Vögel bereits „sehr erfolgreich“.

Große Auswirkungen auf den Ertrag oder die Anlagen befürchtet Friedle nicht. „Wenn die Technik perfekt arbeitet, rechnen wir je nach Standort bei Rotmilanen pro Tag mit wenigen Abschaltungen.“ Das sei vergleichbar mit den Maßnahmen, die für Fledermäuse nötig seien.

An den bisher getesteten Standorten sollte ein Stop-and-Go technisch kein Problem für die Anlagen darstellen. An windreicheren Standorten müssten aber möglicherweise robuster gebaute Anlagen gewählt werden. Für zusätzliche Tests, und um noch mehr Daten zu gewinnen, installiert der Bürgerwindpark Hohenlohe noch zwei bis drei weitere Kamerasysteme im kommenden Jahr.

Mittlerer bis hoher fünfstelliger Betrag

Das Unternehmen will das System künftig vermarkten. „Betreiber wird es vermutlich einen mittleren bis höheren fünfstelligen Betrag kosten, der sich aus Hardware und Software sowie der Betreuung des Systems zusammensetzt“, schätzt Friedle. Die Daten müssten validiert, geprüft und protokolliert werden.

Anlass für die Entwicklung der Technik war die derzeitige Genehmigungssituation. Bewilligungen seien Friedle zufolge zum Erliegen gekommen und es gebe keine Standorte mehr ohne Einschränkungen beim Naturschutz (siehe Seite 34). Langfristiges Ziel sei es, dort, wo derzeit aufgrund der Naturschutzauflagen keine Anlagen aufgestellt werden können, aber auch keine Vermeidungsmaßnahmen möglich sind, den Bau dennoch zu ermöglichen.

Befürchtungen der Branche, wonach die Technik grundsätzlich in den Genehmigungen vorgeschrieben werden könnte, obwohl sie vielleicht gar nicht gebraucht wird, kann Friedle nachvollziehen. Er sehe derzeit aber keine andere Möglichkeit, wie sein Unternehmen ohne das System überhaupt noch neue Windparks bauen könne.

Weiter Weg bis zur Marktreife

Falls diese oder eine andere Technik künftig vorausgesetzt werden sollte, müsste das in den Projektkosten einkalkuliert werden. Bis zur Marktreife sei es jedoch noch ein weiter Weg. Derzeit fehle es an Erfahrung mit dem System. Ganz grundsätzlich gibt es auch noch kein einheitliches Regelwerk für die Artenschutztechnik – und damit viele offene Fragen: Ist eine Abschaltung schon dann nötig, wenn lediglich ein Vogel einer bestimmten Art vorbeikommt? Oder wird das erst bei Gruppen erforderlich? Wie nah dürfen sie kommen? Wann darf wieder angeschaltet werden?

Das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE), das im Auftrag des Bundesumweltministeriums arbeitet und sich damit befasst, wie die Energiewende naturverträglich gestaltet werden kann, will im nächsten Jahr Empfehlungen geben, was ein technisches System zur Vogelerkennung können und wie es geprüft werden sollte.

Eva Schuster, Referentin beim KNE, erklärt, dass es einerseits ein großes Interesse am Einsatz solcher Systeme und andererseits einen Mangel an konfliktfreien Standorten gebe. Das anerkannte Spektrum an Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen zum Vogelschutz stoße zunehmend an Grenzen. „Viele Anlagen arbeiten mit pauschalen Abschaltzeiten, durch die neue Technik entsteht die Möglichkeit, die Abschaltungen bedarfsgerechter zu gestalten“, sagt Schuster.

Jedoch fehle bisher der empirische Nachweis, wie zuverlässig die Systeme sind, in welchen Situationen und für welche Arten sie funktionieren und für welche nicht. Projektierer seien bereits an das KNE herangetreten, um sich an der Erprobung zu beteiligen.

Wissenschaftliche Tests geplant

Schuster betont aber, dass jegliche Untersuchung, die von Seiten der Praxis kommt, durch unabhängige Dritte begleitet werden müsse, um sicherzustellen, dass den wissenschaftlichen Kriterien genügt wird: „Wir haben mit einer Expertengruppe erarbeitet, welche Anforderungen an ein solches Verfahren zu stellen sind.“ Künftig wolle man in der Praxis an unterschiedlichen Standorten unterschiedliche Systeme mit einer vergleichbaren Methode erproben.

Doch die Arbeit des KNE wird auch kritisch gesehen. Joachim Steinmetz meint, dass die Anforderungen des KNE an die Wirksamkeit der Systeme im Detail „sehr, sehr hoch“ seien. Steinmetz kümmert sich um den deutschen Vertrieb der französischen Kamera- und Infrarotsysteme Bird Sentinel und Safe Wind zum Schutz von Vögeln und Fledermäusen. Für ihn beginnt das Problem schon dabei, wie Wirksamkeit überhaupt nachgewiesen werde könne. Es sei unklar, wessen Gutachten als unabhängig akzeptiert werden und von wem der Auftrag – und die Bezahlung – dafür kommen dürfe. Das KNE lege den Fokus stärker auf Naturschutz als auf die Energiewende, findet Steinmetz.

Generell seien die französischen Behörden innovationsfreudiger und technischen Lösungen gegenüber aufgeschlossener. So sei dort der Bau oft auch an problematischen Standorten möglich, sobald ein Kamerasystem verbaut werde. In Deutschland sei das anders: „Derzeit fordern die Genehmigungsbehörden einen fundierten wissenschaftlichen Nachweis, wie zuverlässig die Technik funktioniert. Den haben wir leider noch nicht“, sagt Steinmetz. Um das zu ändern, sucht er Kooperationsmöglichkeiten mit laufenden Forschungsprojekten, etwa des Bundesamts für Naturschutz oder der Hochschule Weihenstephan.

Fehlabschaltungen unproblematisch

Entwickelt wurden Bird Sentinel und Safe Wind vom französischen Start-up Biodiv-Wind. Während Bird Sentinel vor allem als mobiles System zur Erfassung der Vogelbewegungen für potenzielle Windstandorte genutzt wird, handelt es sich bei Safe Wind um Kameras, die an den Anlagen angebracht werden.

Die Technik arbeitet zweidimensional und kann derzeit noch nicht erkennen, welche Vogelart sich dem Windpark nähert. Dafür braucht sie aber vergleichsweise wenig Rechenleistung in der Anlage. Steinmetz bestätigt, dass auch andere fliegende Objekte wie Flugzeuge oder Insekten Abschaltungen auslösen könnten. „Die Anzahl ist allerdings relativ gering und damit nicht problematisch“, ist er überzeugt. Derzeit sei Safe Wind an fünf Anlagen in drei deutschen Parks in Betrieb.

In Abgrenzung zu dem System aus Hohenlohe bietet Biodiv-Wind neben Abschaltungen optional die sogenannte Vergrämung an. Um anfliegende Vögel zu vertreiben, wird ein lauter Signalton ausgesendet. Weil die Tiere sich daran gewöhnen könnten, kann die Art des Signals verändert werden.

In Frankreich ist Safe Wind laut Steinmetz bereits weit verbreitet und erfolgreich im Einsatz. „Dort ist es Standard, dass beides eingesetzt wird, Vergrämung und Abschaltung“, weiß Steinmetz. Falls das Erste nicht funktioniere, greife das Zweite.

Doch es gibt noch andere Schutzsysteme, die bereits im Ausland eingesetzt werden. Das KNE hat eine Marktanalyse durchgeführt. Kamerasysteme wie DT Bird, Identiflight, Vars oder Atom, arbeiten teilweise zusätzlich mit Infrarottechnik und können auch Kollisionsopfer an den Anlagen erfassen.

System erkennt 96 Prozent der Vogelflüge

Untersuchungen in den USA, die dieses Jahr im Fachmagazin Biological Conservation veröffentlicht wurden, haben ergeben, dass Identiflight 96 Prozent der Vogelflüge erkannt hat, die auch gleichzeitig vor Ort anwesende Vogelbeobachter erkannt hätten. Die Technik habe außerdem 562 Prozent mehr Vögel ermittelt als die Beobachter. Vor allem auf zunehmende Distanz hätten Menschen bei der Erkennung Schwierigkeiten, so die Wissenschaftler.

Andererseits seien neun von 149 Adlern fälschlicherweise von Identiflight nicht als solche klassifiziert worden und 287 von 1013 anderen Vögeln. Die mittlere Distanz der Erkennung lag laut Papier bei 793 Metern, durchschnittlich hat es 0,4 Sekunden von der Erkennung bis zur Klassifizierung gedauert. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, „dass automatisierte Kameras ein wirksames Mittel zur Erkennung von Vögeln im Flug und zur Identifizierung von Adlern sein können“.

Neben optischen gibt es Radarsysteme, die beispielsweise die Position, die Flugrichtung und die Geschwindigkeit von Flugobjekten erfassen und daraus mögliche Flugrouten ableiten können. Radare kommen laut KNE in Deutschland bereits im Offshore-Bereich zum Einsatz, seien jedoch sehr teuer und bei hoher Luftfeuchtigkeit, Regen oder Schnee nur bedingt funktionsfähig. Ihr Einsatz könnte sich deshalb eher in großen Windparks lohnen. Radartechnik lässt sich ebenso wie Kameras mit Vergrämung und/oder Abschaltung koppeln.

Virtuelle Grenzzäune

Vögel mit Sendern auszustatten – auch darüber wird nachgedacht, um ihre Flugbewegung und Position mittels GPS zu ermitteln. Rund um die Anlagen lassen sich dann sogenannte Geofences, virtuelle Grenzzäune, einrichten. Fliegt einer der relevanten Vögel über diese definierte Grenze, schaltet die Anlage ab.

Allerdings sei die Methode sehr aufwendig und zudem mit Gefahren für die Tiere verbunden. Das KNE kommt deshalb mit Verweis auf verschiedene Untersuchungen zu dem Schluss, dass der Einsatz von Sendern bei „gefährdeten Arten kein geeignetes Instrument für die Praxis“ sei.

Sensor-basierte Technologien wie B-Finder oder WT-Bird dienen vor allem der Erfassung von Schlag- oder Kollisionsopfern. Akustische Detektoren wie Anabat, Batmode oder Avisoft USG können Fledermäuse erfassen. Kaum ein Standort kommt heute ohne Fledermausabschaltungen aus.

Wann die Anlagen abschalten, wird in der gängigen Praxis jedoch nicht von einem System ad hoc bestimmt, sondern von Algorithmen. „Bei Fledermäusen hat man herausgefunden, dass deren Flugaktivität mit Witterungsparametern wie Windgeschwindigkeit, Temperatur und Niederschlag zusammenhängt“, erläutert KNE-Mitarbeiterin Schuster. Außerdem seien Tages- und Jahreszeit entscheidend. Im Betrieb bestehe dann die Möglichkeit, über ein akustisches Monitoring, mit sogenannten Batcordern, die Schwellenwerte der Parameter für den Algorithmus und somit für die Abschaltzeiten noch genauer an die tatsächlich am Standort vorkommenden Fledermäuse anzupassen, so Schuster.

Laut der Expertin hätten mittlerweile einige Hersteller von Schutztechniken – wie Kamera- oder Radarsystemen – auch Deutschland als Markt erkannt. „Im nächsten Jahr wird es erste Erprobungsergebnisse hierzulande geben“, ist sie sich sicher. Welche Technik besser geeignet sei, komme ganz auf den Einzelfall und den Standort an. Grundsätzlich könnten zudem auch technische Systeme eine sorgfältige Standortwahl nicht ersetzen, macht Schuster klar.

Aus der Gefahrenzone locken

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt hingegen René Krawczynski. Er ist bei dem Erneuerbaren-Unternehmen Energiequelle für den Naturschutz zuständig und erforscht dort die sogenannte Ablenkfütterung. Dabei wird im Umkreis des Windparks in einem eingezäunten Bereich ein totes Wildtier – etwa ein Schwein, Hirsch oder Reh – ausgelegt, das Greifvögel wie Seeadler, Rot- oder Schwarzmilan aus dem Gefahrenbereich der Anlagen weglocken soll, erklärt der Ökologe Krawczynski.

Derzeit befinde man sich im zweiten Jahr der Testphase im brandenburgischen Trebbin. Die Kadaver werden mit Kameras überwacht, um zu beweisen, dass die Ablenkfütterung funktioniert. Die bisherigen Ergebnisse seien vielversprechend, sagt Krawczynski. Die Vögel würden das Futterangebot annehmen und dem Windpark fernbleiben. Allerdings fehlten auch bei dieser Methode noch ein wissenschaftlicher Nachweis und die Anerkennung durch die Behörden.

Den größten Vorteil der Ablenkfütterung gegenüber technischen Maßnahmen sieht Krawczynski im Preis, der bei 3000 bis 5000 Euro jährlich liege. „Außerdem müssen die Anlagen nicht abgeschaltet oder gedrosselt werden“, ergänzt der Fachmann.

Keine flächendeckende Option

Krawczynski schränkt jedoch ein, dass die Ablenkfütterung nur an einzelnen Standorten und nicht flächendeckend eine Option sei. Aufgrund des Geruchs könnten sich bei falscher Windrichtung Spaziergänger oder Anwohner belästigt fühlen. Auch Tierkrankheiten müssen bedacht werden, weil dann die Kadaver einiger Tiere nicht verwendet werden dürfen, damit sich die Krankheit nicht weiter ausbreitet.

Und – in der Branche ist die Ablenkfütterung umstritten. „Bei den Unternehmen herrscht große Skepsis“, sagt Krawczynski. Es bestehe etwa die theoretische Sorge, dass durch die Ablenkfütterung für einen Rotmilan noch ein Seeadler angelockt wird und wegen des Futterangebots dort einen Horst errichtet. Das sei allerdings in den zehn Jahren, die Krawczynski bereits an dem Thema forscht, noch nie passiert.

Dennoch: Bis neue Methoden des Artenschutzes alle Hürden genommen haben und auch behördlich anerkannt sind, wird es wohl noch eine Weile dauern.


Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 10/2018 von neue energie.

Kommentare (0)

Kommentar verfassen»

Kommentar verfassen

Aktuelles Magazin

Ausgabe Nr. 03 / 2024

Superwahljahr: Europa setzt seinen künftigen Kurs – und ist damit nicht allein

Bisherige Ausgaben »
Anzeige

Social Media

AGB, Datenschutz, Impressum

Anzeige