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Interview der Woche

„Der Netzplan hinkt hinterher“

Foto: wind:research

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Interview: Tim Altegör, 20.06.14
…sagt Dirk Briese, Geschäftsführer von wind:research. Das Marktforschungsinstitut hat errechnet, dass es künftig in der Nordsee zu viele Netzanschlüsse für Offshore-Windparks geben wird. Für eine verlässliche Planung seien die politischen Ziele viel zu kurzlebig.

neue energie: Immer wieder ist zu lesen, dass Stromleitungen und Anschlüsse für Offshore-Windparks fehlen, Windräder ungenutzt im Meer stehen. Jetzt haben Sie errechnet, dass zu viele Netzanschlüsse geplant wurden. Wie passt das zusammen?

Dirk Briese: Aktuell ist es noch so, dass fertige Windparks ohne Anschluss sind. Der Trianel Windpark Borkum ist fertiggestellt, aber noch nicht am Netz, weil die Konverterplattform noch nicht angeschlossen ist. Das führt zu hohen Kosten für die Verbraucher, weil die Entschädigungszahlungen an die Betreiber auf ihre Stromrechnungen umgelegt werden. Für die Zukunft sieht es aber anders aus. Der Netzbetreiber Tennet beauftragt in großem Umfang Plattformen und hat Anschlussjahre genannt. Und damit haben wir künftig aller Voraussicht nach zu viel Netzkapazität. Das gilt selbst dann, wenn die zweite Welle des Offshore-Ausbaus wie geplant ab 2016 stattfindet.

neue energie: Wie haben Sie die Entwicklung denn untersucht?

Dirk Briese: Wir hatten bereits eine „Hochlaufkurve“ ermittelt, die den Ausbau der Windparkleistung auf See anlagengenau über die Zeit abbildet. Basis ist unsere Offshore-Windpark-Datenbank, in der wir rund 900 Parks weltweit erfasst haben und einzeln nach über 330 Kriterien bewerten. Das gleiche haben wir jetzt mit den Konverterplattformen gemacht, an die die Parks angeschlossen werden. Wir haben diese ebenfalls auf eine Zeitachse gelegt und geschaut: Welche sind bereits da, wann kommen wo neue hinzu? Und dann haben wir beide Kurven übereinander gelegt. Dabei wird deutlich, dass wir in den nächsten Jahren in der Nordsee ein bis zwei Gigawatt (GW) zu viel Netzkapazität haben. Wir zahlen also Netzentgelte für Anschlüsse, die noch gar nicht genutzt werden.

neue energie: Wie kommt es zu dieser Umkehrung?

Dirk Briese: Das Hauptproblem ist, dass Tennet Netzanschlüsse beauftragt und baut und die Bundesregierung während dieses Prozesses mal eben das Ausbauziel von zehn auf 6,5 GW bis 2020 senkt. Tennet hat seine Anschlüsse ursprünglich aber auf zehn GW ausgerichtet. Wir reden auch hier über lange Projektlaufzeiten, Konverterplattformen werden nicht von heute auf morgen gebaut.

neue energie: Zehn GW wurden allerdings ohnehin von vielen Experten als unrealistisch angesehen. Mit welchen Ausbauzahlen rechnen Sie?

Dirk Briese: In unserem Referenzszenario gehen wir aktuell von 6,7 GW bis 2020 aus. Wir haben aber noch zwei weitere Szenarien errechnet. Im „Worst Case“ bleibt die zweite Welle aus, weil etwa das Stauchungsmodell im Zuge der EEG-Reform nicht wie derzeit geplant verlängert wird. Dann wären sogar fünf GW an Netzkapazitäten überflüssig. Derzeit sind diese Parks noch nicht endgültig finanziert. Die letzten Unterschriften werden wohl erst nach der Reform erfolgen. Es gibt aber auch einen „Best Case“, der sich am Offshore-Netzentwicklungsplan orientiert.

neue energie: Würden in diesem Fall die Netzanschlüsse voll genutzt?

Dirk Briese: Bis 2018 liegen die Kurven im Best Case annähernd übereinander. Danach würden wiederum Netzanschlüsse fehlen. Allerdings bliebe dann auch noch etwas Zeit für den Netzbetreiber, um nachzulegen. Generell stimmt aber die Abstimmung zwischen Windpark- und Netzausbau nicht.

neue energie: Sie haben den Netzentwicklungsplan angesprochen. Eigentlich soll der ja für Verlässlichkeit sorgen.

Dirk Briese: Der Plan ist schon hilfreich. Aber kurz nach Erscheinen war er auch schon wieder veraltet, weil die Bundesregierung die Ziele angepasst hat. Und es ist ja nicht so, dass man mal eben einen neuen Netzentwicklungsplan schreibt. Da sitzen Experten im Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie und bei der Bundesnetzagentur eine ganze Weile zusammen, stimmen sich zu den Entwürfen der Netz- und Windpark-Betreiber ab. Letztlich hinkt der Plan so immer hinterher.

neue energie: Ist die Abstimmung bei derartig großen Projekten mit entsprechend langen Vorlaufzeiten überhaupt perfekt planbar?

Dirk Briese: Ja, sie ist planbar. Das Problem ist aber: Die Legislaturperioden im Bundestag dauern vier Jahre. In diesem Rhythmus werden auch die Ziele angepasst. EEG-Novellen gibt es eher schon alle zwei Jahre. Diese Zeitabstände passen nicht zu den Laufzeiten der Projekte, bei denen wir über sechs bis acht Jahre reden.

neue energie: Künftig sind für Offshore-Parks Ausschreibungen geplant. Wie wirkt sich das auf die Planungssicherheit aus?

Dirk Briese: Es ist derzeit noch nicht klar, wie das System konkret aussehen soll. Die Erfahrungen aus dem Ausland sind aber durchgängig negativ. Und der Zeitplan ist ehrgeizig bis unmöglich. Bei durchschnittlich sieben Jahren Planung und Umsetzung hätten Sie einen Park, der 2020 ans Netz gehen soll, 2013 ausschreiben müssen. Wenn wir 2015 Windparks ausschreiben, sind sie frühestens 2022 fertig – vorausgesetzt alles verläuft nach Plan. In Frankreich etwa gibt es immer wieder Verzögerungen. Im Moment sehe ich noch nicht, wie sich das positiv auf die Planungen in Deutschland auswirken könnte.

 

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