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Studie zur Sektorkopplung

Unter Strom

Michael Hahn, 20.06.16
Um die deutschen Klimaziele einzuhalten, muss der Umstieg auf erneuerbare Energien einer aktuellen Studie zufolge bis 2040 geschafft sein. Neben einem Kohleausstieg bis 2030 sind dafür auch der baldige Verzicht auf Verbrennungsmotoren und der schnelle Ausbau der Speichertechnologie notwendig.

100 Prozent erneuerbare Energie in Deutschland bis 2040 – nur dann könnten die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens eingehalten werden. So lautet das Fazit der Studie „Sektorkopplung durch die Energiewende“ der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, die heute (20. Juni) von Energieexperte Volker Quaschning, der Energiegenossenschaft Greenpeace Energy und dem Bundesverband Erneuerbare Energie vorgestellt wurde. In der Analyse der Forschungsgruppe Solarspeichersysteme unter Leitung von Quaschning wurden neben dem Energiebedarf des Stromsektors auch Verkehr, Wärmeversorgung und Industrie einbezogen. Lediglich eine vollständige Dekarbonisierung dieser Sektoren innerhalb von weniger als 25 Jahren, so die Studie, leiste den notwendigen Beitrag Deutschlands, um die Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad Celsius zu beschränken.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Kohleausstieg bis spätestens 2030 erfolgt sein müsse, ebenso sollten spätestens ab diesem Jahr keine Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen und die wichtigsten Fernstraßen mit elektrischen Oberleitungen versehen werden. Schon ab 2020 dürften keine Ölheizungen, Gas-Brennwertkessel und Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen neu installiert werden. Dafür solle die Wärmeversorgung in Gebäuden durch effiziente Wärmepumpen erfolgen. Sanierungsmaßnahmen könnten außerdem den Wärmebedarf von Gebäuden um 30 bis 50 Prozent in den nächsten 25 Jahren senken.

Ausschreibungssystem für weiteren Zubau der Erneuerbaren ungeeignet

Weil dabei die Kopplung mit dem Stromsektor eine tragende Rolle spielen soll steigt hier der Verbrauch. Deutschland brauche in 2040 jährlich 1320 Terrawattstunden (TWh) erneuerbaren Strom – mehr als doppelt so viel wie die heutigen 628 TWh, prognostiziert die Studie. Mit dem aktuellen politischen Kurs bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) steuert die Bundesregierung laut Quaschning aber genau in die entgegengesetzte Richtung: „Mit den geringen Zubaukorridoren des EEG ist ein Einhalten der Paris-Ziele praktisch unmöglich. Entweder fehlt den politisch Verantwortlichen der nötige Sachverstand oder sie beabsichtigen das Klimaschutzabkommen gar nicht einzuhalten.“

Wind- und Solarenergie müssten den wesentlichen Anteil der Energieversorgung ausmachen und daher drei bis sechs Mal schneller ausgebaut werden als im aktuellen EEG-Entwurf vorgesehen. Das bedeute für die Windkraft an Land einen Netto-Zubau von 6,3 Gigawatt (GW), für Photovoltaik sogar 15 GW. Für Offshore-Wind empfehlen die Experten einen Zubau von 2,9 GW. Im EEG-Entwurf sind die Ausbauziele für Windkraft an Land bei 2,8 GW brutto und für Photovoltaik bei 2,5 GW festgeschrieben, das würde insgesamt zu einem Erneuerbaren-Anteil von 26 Prozent in 2040 führen. Studienautor Quaschning hält das bevorstehende Ausschreibungssystem im EEG für den weiteren Zubau der Erneuerbaren für ungeeignet, um die benötigten Mengen zu erzielen. Bei der Präsentation der Studie wies er auf ein weiteres Problem für die ambitionierten Studien-Ziele hin: Es sei schwierig, die benötigten Flächen für Wind und Photovoltaik zu erschließen.

Bundesregierung ignoriert Speicher-Thematik

Weil die Erzeugung von Solar- und Windstrom wetterbedingt schwankt, sind zudem Speicher erforderlich. Greenpeace Energy hat errechnet, dass für die Absicherung des Energiebedarfs eine erneuerbare Langzeit-Speicherleistung von mindestens 80 GW bis 2040 durch Power-to-Gas-Speicher wie Windgas-Elektrolyseure erforderlich wäre. „Für einen wirksamen Klimaschutz müssen wir jetzt damit beginnen, diese Kapazitäten aufzubauen“, sagte Marcel Keiffenheim, Leiter Politik und Kommunikation des Ökostromanbieters. Deshalb müsste spätestens ab dem Jahr 2020 jährlich ein GW an Elektrolyseuren ans Netz angeschlossen und die Zubaumenge alle fünf Jahre verdoppelt werden. „Dieses wichtige Thema ignoriert die Bundesregierung im EEG 2016 aber komplett.“

Den finanziellen Aspekt des Systemwechsels hat Quaschning in der Studie außen vor gelassen. Keiffenheim schätzt, dass das neue Energiesystem nicht nur sicherer ist als das jetzige, sondern auch günstiger. Neben wegfallenden Folge- und Ewigkeitskosten der fossilen Energieträger würden auch Milliarden an Euro durch das Ausbleiben von Energieimporten gespart.

Kommentare (1)

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  • 02.07.16 - 17:31, Thomas

    So viel EE-Zubau wird aber bei den derzeitigen Vergütungen langfristig etwas teuer.
    Annahmen:
    Umlagepflichtiger Stromverbrauch: 350 TWh

    Wind:
    Ausbau: 6,3 GW/a
    Vergütung: 8,5 Cent/kWh
    Ertrag: 2000 kWh/(kW*a)
    Erhöhung der EEG-Umlage um ca. 0,306 Cent/kWh pro Jahr.

    PV:
    Ausbau: 15 GWp/a
    Vergütung: 8,5 Cent/kWh
    Ertrag: 1000 kWh/(kW*a)
    Erhöhung der EEG-Umlage um ca. 0,306 Cent/kWh pro Jahr.

    Natürlich sinken die Kosten jährlich.

    Es wäre sinnvoller, jetzt noch einige Milliarden in Forschung zu Kostensenkung/Wirkungsgraderhöhung zu stecken, anstatt
    Milliarden als Vergütungen für die Betreiber über die EEG-Umlage einzutreiben.

    Dann PV/Windkraftanlagen nur noch als Unternehmen ohne Gewinnerzielungsabsicht bauen, dann ist es wirklich ökologisch und sozial!

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