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Interview der Woche

„Rational lässt sich der Bau neuer Kernkraftwerke nicht begründen"

Interview: Astrid Dähn, 06.06.14
...sagt der Physiker und ehemalige Geschäftsführer der Gesellschaft für Reaktorsicherheit Lothar Hahn. Die Technik sei weder sicher, noch finanzierbar – es sei denn der Staat garantiere den Betreibern über Jahre hinweg Gewinne. Staaten, die weiter auf Atomkraft setzen, drohe ein riesiges Verlustgeschäft.

neue energie: Rund um Deutschland scheint die Diskussion über den Neubau von Kernkraftwerken wieder zu entflammen. Steht uns eine Renaissance der Kernenergie bevor?

Lothar Hahn: Das sehe ich nicht so. In Europa befinden sich derzeit zwei Anlagen in Bau, in Finnland und in Frankreich; bei beiden Projekten sind Zeitplan und Kosten dramatisch aus dem Ruder gelaufen. Und in einigen wenigen Ländern wird über die Errichtung neuer Kernkraftwerke nachgedacht, etwa in Großbritannien oder in Polen. Die Aktivitäten halten sich also sehr in Grenzen.

neue energie: Und weltweit?

Lothar Hahn: Weltweit ist die Lage meiner Ansicht nach ähnlich. Global gibt es knapp 70 Anlagen, die in Bau sind, die meisten in Russland, China und Indien. Diese Länder setzen tatsächlich noch stark auf Atomkraft und planen auch in größerem Stil neue Anlagen. China expandiert allerdings in allen Energiegebieten stark, investiert auch enorm in Erneuerbare und Kohlekraft. Dort findet im Moment ein Wettlauf zwischen den Konkurrenten auf dem Energiemarkt statt, der noch längst nicht zugunsten einer Technologie entschieden ist. Ansonsten sehe ich weltweit keine großen Nuklear-Aktivitäten. Im Gegenteil. Viele Atomprogramme wurden gekürzt oder zumindest gestreckt. Unlängst hat etwa der zuständige Energieversorger in Tschechien darauf verzichtet, zwei neue Reaktor-Blöcke zu errichten, die fest vorgesehen waren.

neue energie: Gäbe es für einen weltweiten Boom denn genügend Brennmaterial, sprich Uran?

Lothar Hahn: Nein, die Vorkommen sind endlich und bei der bisherigen Technik auch relativ schnell verbraucht. Wenn man Brutreaktoren einsetzen würde, die sich einen Teil ihres Brennstoffs selber herstellen, könnte man das Problem entschärfen. Aber diese Technik hat sich ja global nicht durchgesetzt.

neue energie: Unter anderem, weil es viele technische Probleme gab. Hat die Kerntechnik in den letzten Jahrzehnten Fortschritte gemacht?

Lothar Hahn: Kaum. Die Kernenergie ist insgesamt wenig innovativ. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass die Kernenergie in vielen Ländern unter politischem und gesellschaftlichem Druck steht. Dann wagt man wenig Experimente, zum Beispiel mit neuen Reaktortypen. Man stützt sich lieber auf das Bewährte, nämlich auf Leichtwasserreaktoren mit immer größeren Blöcken – das ist der Trend. Andere Konzepte, die vielleicht mehr Sicherheit versprechen, bleiben auf der Strecke.

neue energie: Aber die Erbauer moderner Kernkraftwerke werben doch gerade mit ihren Sicherheitskonzepten für die Technik, so etwa auch beim Bau des neuen Reaktors in Finnland.

Lothar Hahn: Naja, in Finnland wird der Europäische Druckwasserreaktor EPR gebaut, ebenfalls eine Leichtwasser-Reaktoranlage, mit einer immensen Leistung von 1600 Megawatt. Natürlich hat man an dem Konzept einige Verbesserungen vorgenommen. Man hat zum Beispiel die Auslegung gegen äußere Einwirkungen wie Flugzeugattacken verstärkt und versucht, einen so genannten Core Catcher zu installieren, der notfalls die Kernschmelze auffangen soll. Aber ob der unter allen Umständen funktioniert, ist die Frage. Ein schwerer Unfall ist so vielleicht ein bisschen unwahrscheinlicher, aber nicht ausgeschlossen.

neue energie: Eine absolute, inhärente Sicherheit, von der im Laufe der Kernkraftentwicklung schon immer die Rede war, ist weiterhin nicht in Sicht?

Lothar Hahn: Nein, mit der derzeit gängigen Technik der Leichtwasserreaktoren ist dieses Ziel ohnehin nicht zu erreichen.

neue energie: Aber vielleicht bei der nächsten, der IV. Generation von Kernreaktoren?

Lothar Hahn: Diese Generation existiert bislang nur auf dem Papier. Einzig und allein von den Hochtemperaturreaktoren, die ebenfalls zu dieser Generation gehören, gibt es vereinzelt Prototypen. In Deutschland ist man aus dieser Technik schon vor Jahrzehnten ausgestiegen. Es sind nur noch wenige Länder übrig, die sich für den Hochtemperaturreaktor interessieren. Und bis der wirklich serienreif ist, werden noch sehr viele Jahre vergehen, wenn er es überhaupt jemals wird.

neue energie: Historisch betrachtet war die Kernkraft immer ein großes staatliches Zuschussgeschäft. Was steckt dahinter, wenn sich Länder wie Großbritannien oder Polen nun überlegen, verstärkt in neue Atommeiler zu investieren. Ist die Technik inzwischen wirtschaftlich?

Lothar Hahn: Ohne staatliche Hilfe rentiert sich der Neubau eines Kernkraftwerks überhaupt nicht.  Das ist in den letzten Wochen und Monaten mehrfach durchgerechnet worden, unter anderem von unabhängigen Instituten wie Prognos: Die Investitionskosten sind einfach zu hoch.

neue energie: Wie hoch sind sie denn?

Lothar Hahn: Bei der 1600-Megawatt-Anlage in Finnland sind sie jetzt bei mehr als acht Milliarden Euro angelangt, statt der ursprünglich vorgesehenen Summe von drei Milliarden Euro. Wie man sich leicht ausrechnen kann, lohnt sich das nur, wenn der Staat bestimmte Abnahmepreise für Atomstrom garantiert, und zwar über Jahrzehnte. Wer kann schon über solche Zeiträume voraussagen, wie sich die Energiepreise entwickeln? Wenn die Preise allgemein sinken, was nicht unwahrscheinlich ist, dann ist das Ganze ein riesiges Verlustgeschäft für den Staat. 

neue energie: Und weshalb werden solche Anlagen dann trotzdem geplant?

Lothar Hahn: Mit rationalen Argumenten lässt das aus meiner Sicht nicht begründen. Aber es gibt natürlich immer Gruppen und Konzerne, die an den geschilderten Rahmenbedingungen der staatlichen Hilfe verdienen würden. Die Atomlobby aus Betreibern und Herstellern dieser Anlagen ist eben noch sehr stark.

neue energie: Wenn die Atomkraft auf Dauer so unwirtschaftlich ist, wie Sie es beschreiben, weshalb steht Deutschland mit seinen Ausstiegsplänen dann weitgehend allein da, während in den meisten Nachbarländern zumindest der Status quo beibehalten wird?

Lothar Hahn: Ich denke, dass Deutschland da eine gewisse Vorbildfunktion hat. Uns fällt es leichter auszusteigen, weil wir mit den Regenerativen schon enorme Fortschritte gemacht haben. Die Energiewende stockt zwar manchmal ein bisschen. Aber die Leute, die wirklich ernsthaft über Energiepolitik und Energietechnik nachdenken, werden sehen, dass den regenerativen Energien die Zukunft gehört. Dass Atomenergie ein Auslaufmodell ist, wird man nicht nur in Deutschland erkennen. Auch andere Länder werden folgen, davon bin ich fest überzeugt.

neue energie: Gibt es Schätzungen, was uns der Atomausstieg kosten wird?

Lothar Hahn: Im Grunde nichts. Es fallen jedenfalls keine Kosten nur wegen des Atomausstiegs an. Im Gegenteil: Je früher wir aussteigen, desto mehr Geld sparen wir, weil zum Beispiel weniger Nuklearmüll erzeugt wird. Den Rückbau der bestehenden Atomkraftwerke und die Entsorgung des vorhandenen Mülls müssen wir ohnehin irgendwann bezahlen, egal wie lange die Kraftwerke noch laufen.

neue energie: Und welche Summen kommen da auf uns zu?

Lothar Hahn: Schwer zu sagen. Die Rückstellungen der Atomkonzerne dafür betragen ungefähr 36 Milliarden Euro. Ob das für alle Hinterlassenschaften inklusive Rückbau reicht, ist fraglich. Die Größenordnung der Ausgaben ist gewaltig. Andererseits: Wenn man die Kosten auf viele Jahre und Jahrzehnte verteilt – allein der Rückbau wird sich voraussichtlich bis weit in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts hinziehen –, sind sie nicht ganz so dramatisch, wie sich das zunächst anhört.

neue energie: Bislang gibt es allerdings nicht einmal einen konsensfähigen Endlagerstandort für den Atommüll. Die Suche danach soll jetzt ganz neu aufgerollt werden. Wie sehen Sie die Chancen für eine einvernehmliche Lösung?

Lothar Hahn: Bei der Endlagersuche hat man 30 Jahre lang aufs falsche Pferd gesetzt, indem man sich einseitig auf Gorleben festgelegt hat –  obwohl schon lange klar war, dass es ein Auswahlverfahren zwischen mehreren Wirtsgesteinen und Standorten geben muss. Das ist inzwischen sogar in internationalen Regeln als Standard festgeschrieben. Bei uns wurden diese Regeln einfach ignoriert, auch was die gesellschaftspolitischen Kriterien betrifft. In Skandinavien etwa wurden die Bürger an der Standortwahl beteiligt. Diesen Ansatz wählen wir in Deutschland nun ebenfalls. Wenn wir auf diese Weise ein ehrliches und transparentes Verfahren hinbekommen, dann sehe ich eine Chance dafür, dass wir letztendlich auch einen Standort finden. Wenn man das Verfahren aber nicht transparent gestaltet, werden sich die Fronten nicht auflösen.

neue energie: Über welchen Zeitraum kann sich der Prozess hinziehen?

Lothar Hahn: Die Suche nach einem Endlagerstandort wird in Jahrzehnten bemessen. Das ist weltweit so. Für die jetzigen Beratungen zur Auswahl sind zwei Jahre vorgesehen. Bis schließlich ein Standort gefunden ist, dauert es schätzungsweise bis 2030 oder 2035, der Betrieb wird nicht vor 2050 beginnen. Die Anforderungen für eine sichere Lagerung sehen derzeit vor, dass der Müll dort dann für eine Million Jahre zuverlässig weggeschlossen sein soll. Ein absolut unvorstellbarer Zeitraum, bezogen auf die Geschichte der Menschheit.

neue energie: In der Debatte um die steigenden Strompreise wurde in den letzten Monaten auch der Ruf laut, die Laufzeiten der Atomkraftwerke doch noch einmal zu verlängern, den Ausstieg also ein bisschen aufzuweichen. Könnte das passieren?

Lothar Hahn: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Wir fahren doch ganz gut mit dem Ausstieg, das untermauern auch die Strom-Exportstatistiken: Wenn wir als ein Land, das aus der Kernenergie aussteigt, immer mehr Strom nach Frankreich exportieren, in ein Land, in dem 75 Prozent des Stroms aus der Kernenergie stammen, dann spricht das eindeutig für unser Modell. Eine Laufzeitverlängerung wäre ein ganz falsches Signal. Man war sich nach Fukushima so breit und parteiübergreifend über den Ausstieg einig, wie das selten im Bundestag möglich ist. Die Bevölkerung war zum überwiegenden Teil damit einverstanden, hat das Vorhaben unterstützt. Man hat also einen echten gesellschaftlichen Konsens gefunden – wer wollte den jetzt aufkündigen nur für ein paar Jährchen längerer Laufzeit?

 

Lothar Hahn (70) war bis zu seiner Pensionierung 2010 Geschäftsführer der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, die das Bundesumweltministerium in Fragen der nuklearen Sicherheit und das Bundeswirtschaftsministerium zur Nuklearforschung berät. Der Physiker ist zudem Co-Autor des Buchs „Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft“ und befasste sich bis vor kurzem als Mitglied einer Expertengruppe im Auftrag Forschungszentrums Jülich mit der Geschichte des Forschungsreaktors AVR.

 

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews mit Lothar Hahn. Den gesamten Test lesen Sie in der Ausgabe 6/2014 von neue energie.

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