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Interview der Woche

„Deutsche Medien beurteilen die Erneuerbaren besonders kritisch“

Foto: UHU

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Interview: Astrid Dähn, 11.07.14
…sagt der Kommunikationswissenschaftler Jens Wolling. Selbst die Reaktorkatastrophe von Fukushima habe an diesem Trend wenig geändert. Die Branche müsse sich deshalb verstärkt auf Diskussionen zu den Auswirkungen ihrer Technik einlassen.

neue energie: Herr Wolling, Sie haben in mehreren Studien untersucht, wie sich die Reaktorkatastrophe von Fukushima auf die Energieberichterstattung in den Medien, insbesondere in deutschen und internationalen Tageszeitungen ausgewirkt hat. Hat das Atomunglück das Bild der Erneuerbaren in der Presse verändert?

Jens Wolling: Nach unseren Befunden hat Fukushima das Bild nicht so verändert, wie wir es ursprünglich erwartet hatten. Wir hatten gedacht, das Unglück bewirke einen Push für die Erneuerbaren, führe zu einer positiveren Bewertung dieser Energieform als Alternative zur Atomkraft. Eine solche Tendenz konnten wir aber nicht feststellen. Unsere internationale Studie, in der wir die Presseberichterstattung aus elf  Ländern von Indien über Deutschland bis Neuseeland miteinander verglichen haben, hat zum Teil sogar gegenläufige Effekte gezeigt, auch in Deutschland. Das hat uns überrascht.

neue energie: Lassen sich nach Ländern aufgefächert unterschiedliche Trends feststellen?

Jens Wolling: Ja, da gab es durchaus unterschiedliche Tendenzen. Generell deuten die Befunde darauf hin, dass die Bewertung der technischen Potenziale von erneuerbaren Energien schlechter ausfällt, wenn die materiellen Rahmenbedingungen für ihren Einsatz in einem Land eher ungünstig sind: Ein hoher Anteil an Atomenergie, das Vorhandensein großer konventioneller Energieressourcen und eine Volkswirtschaft mit hohen CO2-Emissionen legen die Schlussfolgerung nahe, dass in solchen Ländern politische oder wirtschaftliche Einflüsse wirksam sind, deren Interessen eine Veränderung des bisherigen Energiesystems widerstrebt. Ihnen gelingt es offenbar eine Sichtweise in der Öffentlichkeit zu etablieren, die die technische Leistungsfähigkeit der konkurrierenden Erneuerbaren in Frage stellt – selbst nach Fukushima. Hinzu kommt, dass der massive Ausbau erneuerbarer Energien auch zahlreiche neue technische Fragen aufwirft, die noch nicht gelöst sind, etwa was die Energiespeicherung und den Stromtransport anbelangt. Gerade in Ländern, die viele erneuerbare Energien nutzen, berichten die Zeitungen deshalb auch häufiger  über technische Probleme rund um den Ausbau dieser Energiequellen.

neue energie: Das gilt dann vermutlich auch für Deutschland. Wie hat sich bei uns die Berichterstattung über die Erneuerbaren nach dem japanischen Reaktorunfall verändert?

Jens Wolling: In Deutschland war die Berichterstattung über die Alternativenergien schon vor Fukushima in vielerlei Hinsicht deutlich negativer als in allen Vergleichsländern, vor allem hinsichtlich der Beurteilung der Umweltauswirkungen, der gesellschaftlichen Konsequenzen und der technischen Machbarkeit. Nach Fukushima hat sich dies nur unwesentlich verändert. Allgemein wurden die Schwierigkeiten mit erneuerbaren Quellen sehr stark in den Mittelpunkt gerückt, und zwar in höherem Maße, als das in vielen anderen Ländern der Fall war.

neue energie: Was meinen Sie mit Schwierigkeiten?

Jens Wolling: Ganz verschiedene. Zum Beispiel ökologische Probleme, etwa die Frage, ob ein neues geplantes Pumpspeicherkraftwerk im Thüringer Wald die Natur zerstört, ob Windräder die Landschaft verspargeln oder bestimmte Vogelarten in ihrem Bestand bedrohen. All diese Diskussionen zum Umweltschutz sind in Deutschland sehr prominent, das haben wir in anderen Ländern nicht in diesem Umfang gefunden.

neue energie: Wie ist das im Gegenzug mit der Atomkraft. Hat sich hier der Tenor der Berichterstattung nach Fukushima verändert?

Jens Wolling: Bei der Atomkraft kann man sehr deutliche Veränderungen sehen, insbesondere auch in Deutschland. Wenn man sich die Berichterstattung hierzulande anschaut, erkennt man: Früher, vor Fukushima gab es in Deutschland zwei Blöcke, zum einen die eher linken Parteien und die  ökologisch orientierten Atomkraftgegner, zum anderen das konservative Lager, die Atomwirtschaft, aber auch Teile der übrigen Industrie, die die Atomkraft sehr positiv beurteilt haben. Ihr zentrales Argument war immer das Wirtschaftsargument. Wenn man Energie zu bezahlbaren Preisen haben will, dann ist die Atomkraft der Königsweg, lautete ihre Botschaft. Die Risiken wurden letztlich als beherrschbar angesehen. Dieser Argumentationsrahmen ist mit der Reaktorkatastrophe in Japan zusammengebrochen. Das zeigen die Analysen ganz klar. Bis auf die Betreiber der Atomkraftwerke gab es nach Fukushima keinen mehr, der gesagt hat, wir können weitermachen wie bisher. Es gab kleine Differenzen bei der Frage, wie schnell der Ausstieg sein muss. Aber ansonsten war unstrittig, dass es einen Ausstieg geben musste, und das spiegelt sich auch in der Presse wider.

neue energie: Dann spricht sich die Pressewelt also gegen die Atomenergie aus und beurteilt gleichzeitig auch die Erneuerbaren skeptisch. Berichten die Medien über jede Form der Energieerzeugung negativer seit Fukushima?

Jens Wolling: Eine Untersuchung in unserem Studienband hat das ganze Spektrum der Energiequellen betrachtet. Und dort zeigte sich tatsächlich, dass die Erneuerbaren in Deutschland nahezu unverändert beurteilt wurden –  hier war aber, wie gesagt,  schon die Ausgangslage extrem kritisch. Atomenergie und fossile Energieträger kamen beide schlechter weg. Die Veränderungen sind aber nicht einheitlich, sondern variieren stark in Anhängigkeit von der redaktionellen Linie der jeweiligen Zeitung.  Die Logik, von der wir in unserer Untersuchung ausgegangen waren, lautete: Man weiß, man muss irgendwie Energie erzeugen. Wenn nun bei der einen Erzeugungsform, nämlich der Atomkraft, ein gravierendes Problem wie Fukushima auftaucht und fossile Energien wegen des Klimawandels kaum als Allheilmittel gelten können, dann müssen alternative Quellen positiver gesehen werden. So ist die Debatte in den Medien aber nicht gelaufen. Nur in wenigen Ländern wie Indien und Österreich überwogen positive Veränderungen.

neue energie:   Wie erklären Sie sich diesen Mangel an Schubkraft für die Erneuerbaren nach Fukushima?

Jens Wolling: Meine Einschätzung für Deutschland ist die: Wir haben bei uns mit den Erneuerbaren schon seit einigen Jahren Erfahrungen gemacht. Der erste intuitive Impuls dabei war zu denken: Alles toll, wir zapfen die Sonne und den Wind an, das macht keinen Dreck. Weshalb sollte man da zur Energieerzeugung noch etwas verbrennen? Wenn man dann aber zu dem Grundkonsens gekommen ist, dass man diesen Weg beschreiten will, und anfängt, die Idee umzusetzen, stößt man an verschiedenen Stellen auf Probleme: auf ökonomische Probleme, etwa durch eine mögliche Übersubventionierung, auf ökologische Probleme, wie ich sie eingangs schon erwähnt habe. Und genau diese kritischen Punkte sind für die Medien dann die Neuigkeit. Die Zeitungen können nicht jeden Tag wieder schreiben: Der Wind weht kostenlos und wir haben keine CO2-Emissionen dabei, das ist keine Nachricht mehr. Wenn jedoch jemand herausgefunden hat: Für die Produktion von Windrädern brauchen wir Seltene Erden. Seltene Erden werden in China gewonnen, dafür werden große Felder dort umgepflügt und das führt zu ökologischen Missständen, dann ist das eine Neuigkeit, die natürlich ein Thema für die Medien ist. So rücken die Schwierigkeiten in den Mittelpunkt. Und über alle Meldungen gemittelt, entsteht am Ende der Eindruck, dass  über erneuerbare Energien in Deutschland vor allem negativ berichtet wird.

neue energie: Auch für die Berichterstattung über die Erneuerbaren gilt also der journalistische Grundsatz für die Auswahl von Nachrichten: "bad news are good news". Gibt es darüber hinaus noch andere Gründe für negative Tendenzen in der Berichterstattung über Erneuerbare?

Jens Wolling: Ja, zum Beispiel geschickte Lobbyarbeit. Wie oben schon angedeutet sprechen unsere Befunde  dafür, dass sich die Interessenvertretung der Atomenergie in Ländern, in denen die Atomkraft einen wichtigen Beitrag zur Stromerzeugung leistet, auch nach Fukushima erfolgreich gegen die Erneuerbaren positionieren kann. In solchen Ländern wird nicht nur die Erneuerbaren-Technik in den Medien kritisch bewertet, auch die mit der Nutzung verbunden ökologischen und sozialen Probleme werden deutlich betont. In Ländern mit starker Atomindustrie wird der Ausbau in der Presse dementsprechend primär als eine Folge politischer Förder-Entscheidungen dargestellt und nicht als eine notwendige Konsequenz aus Klimawandel, Ressourcenknappheit und Reaktorhavarien. In den USA, Australien und Großbritannien werden die Erneuerbaren beispielsweise in der Wirtschaftlichkeit ähnlich negativ bewertet wie in Deutschland.

neue energie:  Welche Konsequenzen sollte die Erneuerbaren-Branche also aus Ihren Studienergebnissen ziehen?

Jens Wolling: Die Branche darf nicht die Erwartung haben, dass die Alternativenergien in Deutschland nur in einem positiven Zusammenhang gesehen werden. Dafür sind wir in der Debatte um den Ausbau der Erneuerbaren inzwischen einfach zu weit. Die Branche muss sich mit den aufgebrachten Problemen aktiv auseinandersetzen, muss sich auf die Diskussion um die Details einlassen und dabei den Blick immer wieder über die momentanen Schwierigkeiten hinauslenken auf langfristige Strategien, auf die Frage, wie die Lernkurve der Erneuerbaren aussieht –  was die Technik in Zukunft leisten kann und zu welchen Preisen. Da gab es ja schon enorme Fortschritte, auf die man sich berufen kann.  Einfach pauschal zu sagen: „Aber diese Form der Energieerzeugung ist doch insgesamt gut“, wird nicht reichen.

 

Jens Wolling ist Professor für Empirische Medienforschung und politische Kommunikation an der Technischen Universität Ilmenau. Zu seinen Spezialgebieten gehören Umwelt- und Energiekommunikation. Er ist Mitherausgeber des gerade erschienenen Studiensammelbands „Fukushima und die Folgen. Medienberichterstattung, Öffentliche Meinung, Politische Konsequenzen“.

Den Sammelband „Fukushima und die Folgen" finden Sie hier als kostenfreie PDF-Version.

 

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