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Verkehr

Fluglos glücklich

Tim Altegör, 24.06.19
Auf Flüge verzichten, um das Klima zu schützen – in Schweden machen das immer mehr Menschen. Anderswo ist bislang das Gegenteil der Fall, auch in Deutschland. Doch die Privilegien des Flugverkehrs geraten europaweit unter Druck.

Wer kann da schon widerstehen? Zum Beispiel beim „Balearen-Knaller“ eines Online-Vergleichsportals, drei Tage Mallorca für zwei Personen ab 478 Euro. Oder beim „Griechenland-Kracher“, vier Tage Kreta ab 472 Euro. Selbstverständlich inklusive Flug zum Niedrigpreis, anders gelingt der preiswerte Kurztrip unter die südeuropäische Sonne ja nicht.

Neuerdings gerät die Selbstverständlichkeit von Flügen allerdings ins Wanken. Zumindest in Schweden ist das schon spürbar, dem Land, das in jüngster Zeit den Begriff „Flugscham“ und die (auf Flüge verzichtende) Klimaaktivistin Greta Thunberg hervorgebracht hat. Dort vermeldete der Flughafen-Betreiber Swedavia in diesem Jahr bislang deutlich sinkende Passagierzahlen, in Stockholm etwa waren es im Zeitraum Januar bis Mai fünf Prozent weniger als 2018. Einer Umfrage der Umweltorganisation WWF zufolge verzichteten bereits im vergangenen Jahr 23 Prozent der Schweden aus Klimagründen auf Flüge, sechs Prozent mehr als im Jahr davor. 18 Prozent gaben an, stattdessen den Zug genommen zu haben. Darunter sind laut WWF vor allem junge Menschen, Frauen und Stadtbewohner.

In Deutschland ist ein ähnlicher Trend bislang noch nicht erkennbar – im Gegenteil. Mehr als 3,3 Millionen Flüge verzeichnete die Deutsche Flugsicherung 2018 insgesamt im deutschen Luftraum. Laut Statistischem Bundesamt starteten von den hiesigen Flughäfen rund 122,6 Millionen Passagiere. Beides entspricht einem Plus von 4,2 Prozent, beides sind neue Höchstwerte. Nur die Inlandsflüge gingen leicht zurück, dennoch: 23,5 Millionen Menschen nutzten den Flieger für die Kurzstrecke.

Einen weiteren Rekord vermeldete das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das regelmäßig einen „Billigfliegerreport“ erstellt. Im Winter 2018/2019 stieg die Zahl solcher Flugstarts auf als 5300 pro Woche ab, ein Zuwachs von zehn Prozent. In anderen europäischen Ländern bildet sich der Höhenflug der Billig-Airlines mittlerweile auch sichtbar im Emissionshandel ab. Nach einer Auswertung der Verkehrs-NGO Transport and Environment (T&E) aus Daten der EU-Kommission stehen Fluggesellschaften in 15 europäischen Ländern unter den sieben größten CO2-Erzeugern, neben Kohlemeilern und Industrieanlagen. In Großbritannien, Norwegen, Irland und auch Schweden sind sie sogar auf Platz 1. Im Fall der irischen Fluglinie Ryanair spiegelt sich das auch international wider: Sie landete zuletzt europaweit in den Top Ten.

Ist Frittierfett die Lösung?

Trotz dieser teils ernüchternden Zahlen: Die Debatte über Sinn und Ausmaß von Flugreisen in Zeiten der Klimakrise ist eröffnet. Zum Beispiel ist die seit langem diskutierte Kerosinsteuer wieder hoch im Kurs. Unter anderem will sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dafür einsetzen, diesen Wettbewerbsvorteil des Flugverkehrs gegenüber Bus und Bahn zu beenden. Die EU-Kommission hat kürzlich eine europäische Bürgerinitiative zugelassen, die dieses Ziel verfolgt; sie läuft noch bis Mai 2020. T&E hat vor einigen Monaten eine unveröffentlichte EU-Studie ausgewertet, wonach eine europäische Besteuerung von Kerosin die CO2-Emissionen um elf Prozent senken könnte, ohne dass die Gesamtwirtschaft leidet. Es gibt aber auch andere Ideen, persönliche Flugkontingente etwa, wie sie der Verkehrsforscher Andreas Knie vorschlägt. Vor allem Kurztrips übers Wochenende und Inlandsflüge würden damit wohl deutlich seltener.

Für die Luftfahrtindustrie sind weniger Flüge – kaum überraschend – keine Option. Sie wirbt stattdessen zum einen mit Corsia, ihrem Programm zur Kompensation jener Treibhausgas-Emissionen, die in Zukunft das Niveau von 2020 übersteigen werden. Das CO2 soll also anderswo eingespart werden, um die Bilanz auszugleichen. Umweltschützer und Verkehrsexperten bezweifeln jedoch stark, dass damit ein angemessener Beitrag zum notwendigen Klimaschutz geleistet wird. Im Februar warnte etwa das New Climate Institute, dass durch den Kauf von Klima-Zertifikaten ohne strikte Vorgaben bei der Auswahl der Projekte möglicherweise überhaupt kein Effekt entsteht.

Zudem soll der technologische Fortschritt helfen. Im niederländischen Delfzij etwa soll ab 2022 Kraftstoff aus Abfällen wie Frittierfett entstehen. Beteiligt sind unter anderem die Fluglinie KLM und das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik. Ebenfalls in den Niederlanden, am Flughafen Rotterdam Den Haag, will ein Konsortium Treibstoff aus Luft herstellen. Dafür soll CO2 mit Filtern eingefangen und in mehreren Schritten zu Synthese-Gas und schließlich Kerosin-Ersatz werden. Eine Machbarkeitsstudie für eine Pilotanlage wurde im Mai vereinbart. Das bringt aber auch schon das Problem auf den Punkt: Es dürfte noch viele Jahre dauern, bis tatsächlich genügend sauberer Kraftstoff verfügbar ist, um im heutigen Maße weiterzufliegen.

Swedavia setzte im Juni symbolisch einige Tage lang Biokraftstoff aus gebrauchtem Speiseöl ein. Davon gebe es bislang jedoch zu wenig, zudem sei es zu teuer, erklärte der schwedische Flugplatzbetreiber. Für die Aktivisten von „Stay Grounded“ (zu Deutsch: Am Boden bleiben) ist all das ohnehin keine Option. Das Netzwerk will den Flugverkehr radikal reduzieren, in einem 13-Punkte-Papier listet es unter anderem ein Werbeverbot für Flüge, höhere Steuern, Flugkontingente, zusätzliche Abgaben für Vielflieger und einen Ausbaustopp für Flughäfen als sinnvolle Schritte auf. Dagegen würden CO2-Kompensationen und der großangelegte Anbau von Biokraftstoffen nur zu neuen Konflikten führen; auf Technologiesprünge zu hoffen, sei „zu riskant und lenkt den Fokus weg von den sofortigen Emissionssenkungen, die notwendig sind“.

Warum nicht mal mit Lamas wandern?

In London stand gerade für kurze Zeit im Raum, dass der Konflikt zwischen individuellen Urlaubsplänen und notwendigem Klimaschutz erstmals offen ausgetragen wird. Die Klimabewegung „Extinction Rebellion“ hatte laut darüber nachgedacht, im Juli zehn Tage lang mit Drohnen jeglichen Verkehr in Heathrow zu verhindern. Der Flughafen soll zum Unverständnis der Aktivisten ausgebaut werden. Fürs Erste sagten sie die Aktion aber wieder ab.

Bleibt für den Moment die Möglichkeit, sich à la Schweden bewusst gegen einen Flug zu entscheiden, der die persönliche CO2-Bilanz wie nichts anderes verhagelt (als zweitbeste Lösung können auch Privatpersonen ihre Flüge kompensieren). Alternativangebote gibt es überraschend viele. Ein Beispiel: Die Kampagne „Katzensprung“, an der unter anderem die hiesigen Naturparks beteiligt sind, wirbt für besondere Reiseziele in Deutschland – vom Übernachten im Baumhaus bis zur Lama-Wanderung.

Wenn es doch ein weiter entferntes Urlaubsziel sein soll, kommt neben dem Geld, das der Verzicht auf den Billigflieger momentan zusätzlich kostet, der Faktor Reisezeit hinzu. Diesem Hindernis widmet sich eine Initiative von der kleinen Berliner Genossenschaft „Weiberwirtschaft“: Deren Mitarbeiterinnen erhalten drei zusätzliche Urlaubstage, wenn sie ein Jahr lang nicht fliegen. Alternativen würden häufig mehr Zeit kosten, so Geschäftsführerin Katja von der Bey. „Zumindest dieses Argument möchten wir entkräften und klimaschonendes Verhalten belohnen.“

 

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