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Klimapolitik

Nicht kompatibel

Tim Altegör, 15.03.19
Egal wie man rechnet, die Klimaziele der Bundesregierung passen nicht zum globalen 1,5-Grad-Ziel, das eine katastrophale Erderwärmung verhindern soll. Zu diesem Schluss kommt eine nun veröffentlichte Studie. Um sicherzugehen, müsse Deutschland statt bis 2050 schon zwanzig Jahre früher klimaneutral sein.

Die Schülerbewegung „Fridays for Future“, die seit Wochen für mehr und schnelleren Klimaschutz streikt, bekommt zusätzliche Rückendeckung durch eine aktuelle Kurzstudie. Das New Climate Institute hat im Auftrag der Kampagnenorganisation Campact durchgerechnet, was Deutschland tun müsste, um seinen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel zu leisten. Auf diesen Wert soll die Erderwärmung laut Pariser Klimavertrag und Weltklimarat IPCC reduziert werden, um schwerwiegende Folgen wie Dürren oder Überschwemmungen möglichst weitgehend zu verhindern.

Die Autoren haben sich dazu drei Varianten angeschaut: Einen Pfad entlang des globalen Durchschnitts, mit dem das Ziel erreicht werden kann. Einen zweiten, der sogenannte negative Emissionen überflüssig machen würde, die bei den IPCC-Berichten mit eingerechnet sind. Damit ist gemeint, dass CO2 wieder aus der Atmosphäre geholt wird, um das Budget im Nachhinein auszugleichen. Die dafür nötigen Technologien sind bislang allerdings kaum erprobt.

Drittens untersucht die Studie, welche Treibhausgasminderung für Deutschland eigentlich gerecht wäre, gemessen an historischen Emissionen oder Wirtschaftsleistung. In allen drei Fällen lautet das Ergebnis: „Die Ziele der Bundesregierung sind nicht kompatibel mit dem 1,5-Grad-Ziel“, so Mitautor Niklas Höhne bei der Vorstellung in Berlin. Wie genau die Werte für einen gerechten deutschen Beitrag aussehen müssten, variiert zwar je nach Berechnungsgrundlage, im Durchschnitt liefe es aber auf null Emissionen bis zum Jahr 2030 hinaus. Nur dieses Ziel wäre „zweifelsfrei“ 1,5-Grad-kompatibel, so Höhne.

Auf dem falschen Pfad

„Die Ergebnisse sind erschütternd”, kommentierte Luise Neumann-Cosel von Campact. „Wir tun nicht mal ansatzweise genug.“ Lässt man die unterschiedliche Verantwortung für Emissionen außen vor, würde zwar das Regierungsziel einer „weitgehenden Treibhausgasneutralität“ bis 2050, interpretiert als Minderung um 95 Prozent im Vergleich zu 1990, passen – der Pfad dorthin allerdings nicht. Die Kurve läuft mit Zwischenschritten bei minus 55 Prozent bis 2030 und minus 70 Prozent bis 2040 nicht früh genug steil nach unten, es müssten vielmehr minus 70 und minus 85 Prozent sein. Erschwerend kommt hinzu, dass die Emissionen 2020 höher liegen werden als von der Regierung geplant. Dieser Überschuss muss irgendwann wieder ausgeglichen werden.

Wollen wir zusätzlich negative Emissionen als letzten Strohhalm vermeiden, steigt der Zeitdruck ebenfalls rasant: Dann müsste global bereits 2037 Schluss mit Treibhausgasen sein. Die Technologien, um schneller zu handeln als von der Regierung vorgesehen, seien da, sagt Niklas Höhne. Und es sei auch im globalen Maßstab wichtig, dass das (ehemalige) Energiewende-Land Deutschland das Tempo anzieht: „Was hier passiert, wird international sehr genau angeschaut.“ Für den Stromsektor kommt eine andere Analyse zu dem Schluss, dass bis 2030 eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien möglich wäre. Aber auch im Verkehr, beim Heizen oder in der Landwirtschaft müssten die Emissionen rapide sinken, um in elf oder 18 Jahren bei null zu landen.

EU-Parlament vs. Bundesregierung

Die Signale aus der Bundesregierung, vor allem aus der CDU/CSU-Fraktion, deuten allerdings in die entgegengesetzte Richtung: Gegen den – an den offiziellen Regierungszielen orientierten – Entwurf für ein Klimaschutzgesetz von SPD-Umweltministerin Svenja Schulze gibt es massiven Widerstand. Jetzt soll ein „Klimakabinett“ aus den zuständigen Ministern dafür sorgen, dass das Ziel für 2030 (das laut Campact-Studie deutlich zu niedrig liegt) erreicht wird.

Und während das EU-Parlament gerade die Absicht bekräftigt hat, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, sagt der CDU-Politiker Thomas Bareiß aus dem deutschen Wirtschaftsministerium kürzlich beim Treffen der Mitgliedsländer, er sei da skeptisch. Schließlich seien die letzten zehn bis 20 Prozent immer am teuersten, „wir sollten unsere Wirtschaft nicht überfordern“.

„Was die Bundesregierung gerade macht, ist fast schlimmer als den Klimawandel zu leugnen“, findet Luisa Neubauer, die für Fridays for Future zur Vorstellung der Campact-Studie gekommen ist. Die Debatte über Realismus im Klimaschutz finde sie „sehr irritierend“, und die Forderung nach viel mehr Geschwindigkeit auch nicht radikal: „Wir fordern schlicht und ergreifend, auf einem intakten Planeten alt werden zu dürfen.“


Infografik

Die Bundesregierung geht davon aus, dass sie ihr eigenes Klimaziel für 2020 verfehlt. Unsere interaktive Grafik zeigt: Seit 1990 sind die deutschen Treibhausgas-Emissionen zwar gesunken, doch zuletzt entstand eine deutliche Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Daten: Umweltbundesamt (tatsächliche Emissionen bis einschließlich 2017, Schätzung für 2018, Ziele für 2020 und 2030), aktualisiert am 2.4.2019

 

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