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Sechstes Klima- und Energiecamp

Kohle-Widerstand in der Lausitz

Michael Hahn, 17.05.16
Am Pfingstmontag endete das sechste Klima- und Energiecamp in der Lausitz. Aktivisten aus der ganzen Welt protestierten eine Woche lang gegen den Braunkohleabbau. Eine Demonstration sowie die Besetzung eines Tagebaus und Kraftwerks mit mehreren tausend Teilnehmern bildeten den Abschluss der Aktion. Während die Veranstalter ein positives Resümee ziehen, kritisiert die Polizei die „militante Vorgehensweise“.

Proschim ist ein kleines, idyllisches Dörfchen in der brandenburgischen Niederlausitz. An 51 Wochen im Jahr ist es hier vermutlich so ruhig, wie man es von einem 370-Einwohner-Dorf in der Nähe von Cottbus an der sächsischen Landesgrenze erwarten würde.

In der letzten Woche war dies jedoch anders. Schon bei der Ankunft am Bahnhof im benachbarten Neupetershain wurde deutlich, dass in der Ortschaft der Ausnahmezustand herrschte: Zwei Polizisten waren am Eingang der kleinen Station eigens dazu abgestellt, Wache zu halten und alle Neuankömmlinge zu begutachten. Ein weiteres Polizeiauto fuhr die Straße auf und ab. Der Grund für die Präsens der Staatsgewalt und auch für die ungewöhnlich vielen Fahrgäste, die am Bahnhof ausstiegen: Das sechste Lausitzer Klima- und Energiecamp.

Seit 2011 treffen sich Aktivisten aus Deutschland und der ganzen Welt einmal im Jahr, um ein Zeichen gegen den Braunkohleabbau in der Lausitz zu setzen. Circa 800 waren es Donnerstagmittag, schätzt Mitorganisator Marvin Kracheel, am Wochenende stieg die Zahl auf 3500, wie der Veranstalter auf Facebook meldete. Das Camp soll eine Plattform bieten für den Widerstand gegen neue Tagebaue und Kraftwerke. Ein „Ort der Vernetzung, des Erfahrungsaustauschs sowie der künstlerischen und praktischen Auseinandersetzung mit Kohle und Energie. Wir möchten Alternativen leben, in deren Mittelpunkt der bewusste Umgang miteinander und mit den natürlichen Ressourcen steht. Und einen Ausgangspunkt für widerständige Praxis und direkte Aktionen bieten“, so der Aufruf.

Bioenergiedorf soll weggebaggert werden

Höhepunkt des Lausitzer Klima- und Energiecamps war ein großangelegter Demonstrationszug am Samstag: 1500 Aktivisten zogen friedlich vom Rathaus Welzow bis Proschim. Mehr Aufmerksamkeit erregte allerdings das Bündnis „Ende Gelände“. In einer Aktion des zivilen Ungehorsams besetzten nach Angaben des Veranstalters bis zu 2000 Umweltschützer für 48 Stunden den Tagebau Welzow-Süd sowie für 24 Stunden das Kraftwerk „Schwarze Pumpe“ und dessen Zufahrts- und Versorgungswege. Der Meiler stand nach Medienberichten aufgrund der unterbrochenen Kohlezufuhr zeitweise kurz vor der Abschaltung. „Ende Gelände“ und die Aktionen des zivilen Ungehorsams sind Teil der globalen Aktionswoche "Break free from fossil fuels", die auf Initiative des Klimaschutznetzwerks 350.org zurückgehen. Letztes Jahr hatten die Aktivisten den Tagebau Garzweiler im Ruhrgebiet besetzt.

Das Klimacamp und „Ende Gelände“ sind jeweils eigenständige Initiativen, die jedoch eng miteinander vernetzt sind. Während die Aktivitäten im Camp angemeldet und legal sind, überschreiten die Aktionen des zivilen Ungehorsams zumeist die Grenzen der Legalität. Die Veranstalter beider Initiativen werten die Proteste als großen Erfolg. Die Polizei spricht dagegen von einem „militanten Vorgehen“ der Aktivisten. Sie hätten „nicht nur Gewalt gegen Sachen ausgeübt, sondern auch gegen Sicherheitsleute des Unternehmens“. 120 Personen wurden wegen schweren Landfriedensbruchs vorläufig festgenommen.

„Die große Mehrheit der Aktivisten hatte nicht die Absicht, friedlich zu demonstrieren, sondern hat es auf Eskalation angelegt und damit auch die Gefährdung von Menschen billigend in Kauf genommen“, sagte der Vorstandsvorsitzende von Vattenfall Europe Mining, Hartmuth Zeiß. Dem schwedischen Staatskonzern gehören die Tagebaue und Braunkohlekraftwerke in der Lausitz. Als Folge der Aktionen hat das Unternehmen Strafanzeige gestellt. Die Proteste wurden von Gegenprotesten durch Anwohner und Kohlearbeiter begleitet. Einige Medien berichten auch von Rechtsradikalen, die sich den Gegenprotesten angeschlossen hätten.

Dass die Klima-Camper ihre Zelte bei Proschim aufgeschlagen haben, ist bewusst gewählt: Die Ortschaft  befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Tagebau Welzow-Süd und soll im Zuge der Erweiterung der Abbaufläche nach derzeitigen Plänen im Jahr 2026 weggebaggert werden. Ein Schicksal, das nicht nur den 370 Proschimern droht, sondern auch 400 Einwohnern der Kreisstadt Welzow. Die bittere Ironie im Falle Proschims: Das Örtchen ist ein Bioenergiedorf und erzeugt durch Photovoltaik, Biogas und Windkraft mehr erneuerbaren Strom, als es verbrauchen kann – ein Paradebeispiel für die Energiewende.

Tagebaue haben starke Auswirkungen auf die Region

Auch im Klimacamp war die Energiewende zu spüren. In den ersten fünf Tagen wurde der gesamte Strom für das alltägliche Camp-Leben aus einer mobilen Solaranlage gewonnen. Mit steigender Teilnehmerzahl zum Wochenende war dies zwar nicht mehr möglich. Aber Sonnenenergie wurde weiterhin intensiv genutzt: Auf den Zeltplätzen, die rund um das Basiscamp lagen, fanden sich sogar einzelne Igluzelte mit kleinen Solarpaneelen.

„Die Flächen für das Camp wurden von den Einwohnern der Region zur Verfügung gestellt“, erklärt Mitorganisator Marvin Kracheel. Doch längst nicht alle Anwohner seien Unterstützer. Die Bevölkerung der Lausitz steht einem möglichen Kohleausstieg zwiespältig gegenüber: Der Kohleabbau ist einerseits Jobmotor für die strukturschwache Region, andererseits vernichtet er ganze Landstriche, Dörfer und Ökosysteme. Die Bewohner, die in der Nähe des Tagesbaus wohnen, leiden unter Staub, wegsackende Böden beschädigen ihre Häuser, der sinkende Grundwasserspiegel macht Bäumen und Pflanzen zu schaffen. Um die Kohle trockenzulegen, wird das Grundwasser weiträumig abgepumpt, die Auswirkungen sind im Umkreis von 50 Kilometern zu spüren.

Noch ist Vattenfall für die Tagebaue und Kraftwerke verantwortlich. Der Energieversorger ist jedoch im Begriff, seine Kohlesparte in der Lausitz zu verkaufen. Die umweltschädlichen Meiler sollen aus der Umwelt- und Konzernbilanz verschwinden, auch auf Verlangen der schwedischen Regierung, die sich für eine klimafreundlichere Energieversorgung ausgesprochen hat. Als Käufer hat Vattenfall den tschechischen Konzern EPH ausersehen, die schwedische Regierung muss dem Geschäft aber noch zustimmen.

Was dann mit der Kohle in der Lausitz und den bisherigen Abbauplänen geschieht, ist ungewiss. Sicher scheint jedoch, dass EPH den Betrieb fortführen wird und auf einen erhöhten Kohlebedarf nach dem deutschen Atomausstieg 2022 sowie auf steigende Strompreise hofft. Mit dem jetzigen Deal könnten die Tschechen noch 24 Jahre Kohle aus der Lausitz buddeln. Dabei entstehen so viele Emissionen in einem Jahr, wie das ganze Land Schweden in derselben Zeit ausstößt. Die Lausitz ist Vattenfalls Energieregion Nummer eins, nirgendwo wird mehr Strom produziert – und nirgendwo mehr CO2 ausgestoßen.

Aktivisten kommen aus der ganzen Welt

Im Camp kommen stündlich neue Aktivisten an. Busse aus Tschechien, Schweden, Polen und Holland. Im Infozelt hängt eine Weltkarte, auf der die Teilnehmer ihr Ursprungsland mit einer Stecknadel markieren können. Neben fast allen europäischen Ländern sind auch die USA, Australien, Nicaragua und Israel markiert. Alle Neuankömmlinge werden von einer Schaar freiwilliger Helfer begrüßt und registriert. Zu ihnen gehört Christiane Hildebrandt, die auch Mitorganisatorin des Camps ist. Und zwar von Anfang an, seit 2011 in Jänschwalde.

Neben ihrer Tätigkeit im Infozelt übernimmt Hildebrandt auch die Betreuung der Übersetzer für die ausländischen Aktivisten und die Moderation verschiedener Plena, auf denen das Tagesprogramm vorgestellt und Organisationsangelegenheiten diskutiert werden. Bei allem, so betont sie, stehe immer der Teamgedanke im Vordergrund. Die Berlinerin hat ihre Leidenschaft für Klimaschutz nach jahrelangen ehrenamtlichen Tätigkeiten zum Beruf gemacht, sie ist Referentin für Internationale Klimapolitik bei der Organisation Klima-Allianz. Der Teamgedanke des Klimacamps wird bei den gemeinsamen Mahlzeiten deutlich. In großer Runde bereiten die Aktivisten das Essen vor, schälen in Gruppen Zwiebeln und Kartoffeln. Die Verpflegung ist vegan, Nachhaltigkeit steht an erster Stelle. Für drei Mahlzeiten am Tag zahlen die Teilnehmer zehn bis 15 Euro, je nach finanzieller Situation auch mehr oder weniger.

„Über diese Beiträge finanziert sich das Camp“, erläutert Hildebrandt. Es soll einen „Raum für Menschen aufmachen“ und ihnen unterschiedliche Formen des Protests ermöglichen. Das Konzept des Camps basiert auf vier Säulen: alternativ leben, Vernetzung, Bildung und Aktionen. Es werden Vorträge gehalten zu der Situation der Kohle in der Lausitz oder zu Erneuerbaren. Workshops vermitteln Kenntnisse in Umweltthemen. „Eine Bewegung wird erst zu einer Bewegung, wenn sie vielfältig ist“, betont Hildebrandt. Auch wenn man Druck auf die Regierung ausüben wolle – politisch vereinnahmen lasse sich das Klimacamp nicht.

Bei der Bevölkerung der Lausitz stößt die Aktion nicht nur auf Zuspruch. Einige vorbeifahrende Autofahrer täten ihrem Unmut über die einfallenden Fremden schon mit recht deutlichen Worten kund, erzählt Hildebrandt. Kaum verwunderlich. Hängen doch rund 8000 Arbeitsplätze in der Region direkt vom Kohlegeschäft ab. Wie eine Zukunft ohne diese Jobs aussehen könnte, ist unklar. Die Politik hat bisher keine konkreten Pläne für einen sozialverträglichen Ausstieg aus der Kohle entwickelt. Und die Aktivisten betrachten das nicht als eine ihrer vordringlichen Aufgaben: „Wir müssen der Politik nicht sagen, wie ein Strukturwandel aussieht“, sagt Hildebrandt. Arbeitsplätze könnten ihrer Meinung nach bei den Erneuerbaren entstehen. „Die Zukunft mit Erneuerbaren ist möglich und keine Utopie“, ist sie sich sicher. Dafür müsse die Politik in die Verantwortung genommen werden.

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