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Interview

„Wir wollen die Wirtschaftswende!“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 26.02.15
…sagt Katharina Reuter, Geschäftsführerin von UnternehmensGrün, dem Bundesverband der grünen Wirtschaft. Gemeinsam mit französischen und österreichischen Partnerverbänden wurde jetzt der europäische Zusammenschluss Ecopreneur.eu gegründet.

neue energie: Frau Reuter, Sie sind Geschäftsführerin von UnternehmensGrün, einem ökologisch orientierten Unternehmensverband, und Sie bekennen sich zum Begriff der Wirtschaftswende. Was verstehen Sie darunter genau?

Katharina Reuter: Es geht um die Einsicht, dass man den Einklang zwischen Wirtschaftlichkeit, sozialen und ökologischen Belangen schaffen kann. Es geht uns um dezentrale Wirtschaftsstrukturen, um die kleinen und mittleren Unternehmen, die in der Region verankert sind und Arbeitsplätze schaffen. Der Begriff „Wirtschaftswende“ spinnt die Begriffe Energiewende, Verkehrswende, Agrarwende fort. Der Begriff Nachhaltigkeit wird ja inflationär gebraucht. Wirtschaftswende bringt eindeutig zum Ausdruck, dass es nicht um weiteres Wachstum mit grünem Anstrich, sondern um ein echtes Umsteuern in unserer Volkswirtschaft geht. Wobei ich davon überzeugt bin, dass Suffizienz, also das Bemühen um einen möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch, keinen Verlust, sondern im Gegenteil einen Gewinn darstellen wird. Tatsächlich hat man das in vielen Unternehmen aus klassischen Bereichen verstanden. Dort wächst die Einsicht, dass man nicht ständig wachsen muss, sondern dass es schon anspruchsvoll genug ist, ein vernünftiges Niveau zu halten. Man braucht keinen erhobenen Zeigefinger.

neue energie: Wer sind die Mitglieder von UnternehmensGrün?

Katharina Reuter: Mitglied sind kleinere und mittlere Unternehmen und bekannte Pioniere aus der Nachhaltigkeitsbranche wie etwa die GLS Bank, oekom, taz, Memo, EWS Schönau oder Naturstrom. Wir sind sehr branchen-übergreifend aufgestellt. Wir haben Brauereien, Maschinenbau-Unternehmen, Bio-Läden, grüne Druckereien oder Effizienzexperten an Bord. Politischen Einfluss nehmen wir etwa über Expertenanhörungen zu Gesetzesvorhaben im Bundestag, die Verbände-Runde des Bundesumweltministeriums oder über unsere Kontakte zu den energie- und wirtschaftspolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen. Natürlich sprechen wir je nach Themenlage auch die Staatssekretäre oder Ministerien direkt an. Obwohl unser Name vielleicht einen anderen Eindruck erweckt, sind wir parteipolitisch unabhängig. In unserem Vorstand haben die meisten Unternehmer kein Parteibuch, daneben engagieren sich einige Mittelständler bei der SPD oder den Grünen.

neue energie: UnternehmensGrün hat gemeinsam mit französischen und österreichischen Partnerverbänden die europäische Dachorganisation Ecopreneur.eu ins Leben gerufen. Wie kam es dazu?

Katharina Reuter: Wir widmen uns schon seit längerer Zeit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit anderen Verbänden. Die Partnerschaft mit dem französischen Verband „Entreprendre Vert“ und dem österreichischen Verband „Grüne Wirtschaft“ entstand schon 2009. Diese drei nationalen Verbände haben zusammen 1000 Mitglieder, wobei Österreich besonders stark aufgestellt ist, da dieser Verband Teil der Wirtschaftskammer ist. Es lag nahe, daraus ein europaweites Netzwerk zu formen. Das ist im Januar in Wien geschehen. Im Sommer werden wir weitere Verbände aufnehmen.

neue energie: Wie soll sich Ecopreneur.eu entwickeln?

Katharina Reuter: Bislang laufen die Fäden bei uns in Berlin zusammen, aber das soll sich ändern. Es ist geplant, ein Büro in Brüssel einzurichten. Dazu müssen wir uns natürlich mit potenziellen Mitgliedern über Beiträge und Organisationsstrukturen verständigen.

neue energie: Es gibt ja bereits eine große Palette an „grünen“ Unternehmensverbänden. Was hat sich Ecopreneur.eu auf die Fahne geschrieben?

Katharina Reuter: Wir wollen die grüne Wirtschaft in Europa stärken. Unsere Partner, die anderen nationalen Verbände, sind – so wie wir auch – auf kleine und mittlere Unternehmen fokussiert. Deren branchenspezifische Interessen werden in einigen Bereichen bereits von anderen Verbänden abgedeckt. Der Vertretungsanspruch auf europäischer Ebene hinsichtlich des Themas Nachhaltigkeit wurde bislang aber nicht formuliert. Es geht um den Ausgleich von Ökologie, Ökonomie und sozialen Maßstäben im europäischen Rahmen. Das gibt es so noch nicht. Wir werden eine neue Stimme im Brüsseler Lobbykonzert sein.

neue energie: Welchen großen Themenblöcken werden Sie sich widmen?

Katharina Reuter: Aktuell geht es natürlich um das Freihandelsabkommen TTIP. Darüber hinaus sehen wir die europäische Implementierung der Energiewende, also den forcierten Ausbau der Erneuerbaren, und das Thema Gentechnik als zentral an. Bei letzterem besteht die Gefahr, dass wir einen Flickenteppich in Europa bekommen, indem es einfach Länder gibt, in denen der Anbau verboten ist und andere, in denen er erlaubt ist. Ein weiteres Themenfeld ist die Förderung von nachhaltigen Start-ups und der Abbau von Bürokratiehemmnissen. Da spielen zum Beispiel Fragen nach günstigen Voraussetzungen für social entrepreneurs eine Rolle.

neue energie: Von welcher Seite rechnen Sie in Brüssel mit Unterstützung?

Katharina Reuter: Zum einen haben wir eine themenspezifische Zusammenarbeit mit dem EEB, dem European Environmental Bureau, vereinbart. Natürlich sind aber auch die einzelnen Umweltverbände und die Umwelt- und Wirtschaftspolitiker im Brüsseler Parlament unsere Ansprechpartner.

neue energie: Von der Kommission kommen derzeit aber eher negative Signale...

Katharina Reuter: Wir sehen die Ernennung von Herrn Cañete als Energiekommissar als höchst problematisch an, wir haben das von Anfang an kritisiert. Zudem ist die Bestrebung von Claude Juncker, die Umweltstandards in der EU zu lockern, ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist überhaupt nicht in unserem Sinne, dass bei den Luftreinhaltungs- beziehungsweise Abgasverordnungen eine Rolle rückwärts gemacht wird. Von daher sehen wir die Amtszeit von Herrn Juncker als sehr schwierig an.

neue energie: Ecopreneur.eu hat sich auch gegen TTIP, das geplante Freihandelsabkommen, ausgesprochen. Was sind die Kernargumente?

Katharina Reuter: Sicher geht es zunächst um die intransparente Verhandlungsführung. Es wird immer klarer, dass es ein schwerer politischer Fehler war, ein Abkommen mit solch weitreichenden Konsequenzen im Geheimen verhandeln zu wollen. Wir sagen Nein zum ISDS*, wir sagen Nein zum regulatorischen Kooperationsrat. Unser Anliegen ist ganz klar der Erhalt von Umwelt- und Sozialstandards. Deshalb fordern wir den sofortigen Stopp der Verhandlungen. Blickt man etwa auf die geografische Herkunftsbezeichnung, dann haben wir nicht nur ein Problem damit, dass regionale Marken wegfallen. Wir fordern ja schon bei den jetzigen Regelungen, dass ein Schwarzwälder Schinken nicht aus polnischem Schweinefleisch hergestellt werden darf. Es geht darum, dass regionale Strukturen gestärkt und gefördert werden. TTIP wird die Regionen aber schwächen.

neue energie: Wie wirkt sich TTIP auf die Energiewende aus?

Katharina Reuter: Man müsste bei Neuverhandlungen darauf achten, dass die Rolle der Erneuerbaren gestärkt wird. Es ist völlig richtig, dass die EU derzeit darauf pocht, dass es ein eigenständiges Energiekapitel in dem Abkommen geben soll. Nur so kann es Rechtssicherheit geben. Natürlich muss das darauf hinauslaufen, dass die einzelnen EU-Länder eigenständig über solch hochgefährliche Technologien wie etwa den Einsatz von Fracking entscheiden können. Wenn man sich die Pläne von EU-Energiekommissar Cañete zur Energieunion ansieht, muss man sagen, dass mehr Energieunabhängigkeit zunächst wünschenswert ist. Allerdings dürfte die europaweite Angleichung der nationalen Fördersysteme für Erneuerbare in Deutschland nicht zu einem Rückschritt führen. Schließlich muss es hierzulande mit dem Ausbau vorangehen. Die Bundesregierung legt den Erneuerbaren schon genügend Steine in den Weg, nicht zuletzt Wirtschaftsminister Gabriel und die Kanzlerin selbst.

*Investor-state dispute settlement (ISDS, dt. Investor-Staat-Streitbeilegung) ist ein juristisches Instrument, das einem Investor erlaubt, gegen eine ausländische Regierung, in deren Land er investiert, ein Streitbeilegungsverfahren anzustoßen.

Zur Person: Katharina Reuter engagiert sich seit vielen Jahren für ein nachhaltiges Wirtschaften. Die promovierte Agrarökonomin hat an der Humboldt-Universität Berlin in Forschung und Lehre gearbeitet und war als Unternehmensberaterin für Nachhaltigkeit tätig. Sie war Geschäftsführerin der Zukunftsstiftung Landwirtschaft und der klima-allianz Deutschland. Seit 2014 führt sie die Geschäfte von UnternehmensGrün. Der Verband hat heute mehr als 150 Mitgliedsfirmen. Er ist überparteilich, finanziell unabhängig und als gemeinnützig anerkannt. Mitglied können Unternehmen, Unternehmerinnen und Unternehmer, Selbständige oder leitend in der Wirtschaft Tätige werden.

 

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