Anzeige
Hintergrund

Wenn der Strompreis ins Minus rutscht

Bernward Janzing, 16.10.20
Immer häufiger gibt es an der Strombörse negative Preise. Woran liegt das, was bedeutet es für Haushalte – und wird der Strom wirklich ins Ausland verramscht?

Hartnäckig hält sich die Vorstellung, Deutschland zahle aufgrund der Energiewende in großem Stil Geld für den Export von überflüssigem Strom (mitunter ist gar von einer „Entsorgung ins Ausland“ die Rede). Doch das ist nicht der Fall. Richtig ist: Aufgrund der zeitweise sehr hohen Erzeugung aus erneuerbaren Energien, speziell wenn diese mit geringer Stromnachfrage zusammenfällt, gibt es Stunden mit negativen Strompreisen an der Börse. Und richtig ist auch, dass deren Anzahl zunimmt: Das Jahr 2019 brachte einen Rekord von 211 Stunden mit Minuspreisen, nach 134 Stunden im Jahr zuvor.

Strom zu verkaufen, kostet in diesen Zeiten Geld, statt Gewinne zu erwirtschaften. Doch dass zu diesen Konditionen dann regelmäßig große Mengen ins Ausland fließen, ist ein Mythos. Das hängt zum einen damit zusammen, dass auch die umliegenden Länder negative Preise am kurzfristig ausgerichteten Spotmarkt kennen und diese oft in den gleichen Zeiten auftreten, wie in Deutschland. Zum Beispiel war am 24. Mai 2020, als der Börsenpreis in Deutschland während 17 Stunden negativ war, dasselbe auch in Frankreich, Belgien, Österreich und der Schweiz über 16 beziehungsweise 17 Stunden der Fall. Mitunter kommt es auch vor, dass der Strompreis in Nachbarländern noch stärker ins Minus geht als in Deutschland.

Betrachtet man die gesamte wirtschaftliche Bilanz der grenzüberschreitenden Stromlieferungen, so zeigt sich, dass Deutschland zuletzt für den exportierten Strom pro Kilowattstunde im Durchschnitt höhere Einnahmen erzielte, als es für importierten Strom bezahlte. Die Zahlen dazu veröffentlicht regelmäßig das Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (Ise). Im Jahr 2019 erzielte die Megawattstunde im Export durchschnittlich 46,82 Euro Erlös. Im Import fielen nur 44,96 Euro je Megawattstunde an. Auch das erste Halbjahr 2020 war vergleichbar: 44,52 Euro Erlös für den Export, 42,64 Euro Kosten für den Import.

Spürbare Corona-Folgen

Niedrige Preise am Spotmarkt erhöhen allerdings die EEG-Umlage. Denn die Umlage fängt im geltenden System die Differenz auf, die sich zwischen den garantierten Vergütungen für die Anlagenbetreiber und dem Erlös des EEG-Stroms an der Börse ergibt. Für Windparks gilt seit einigen Jahren, dass bei einem Minuspreis über sechs Stunden am Stück die Vergütung gestrichen wird. In der Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, die bis Ende des Jahres abgeschlossen sein soll, will die Bundesregierung die Grenze auf eine Stunde absenken – was bei Betreibern für viel Kritik sorgt, weil die Einnahmen und damit die Projektfinanzierungen unsicherer werden.

Die Zusammenhänge sind komplex; zum Beispiel spielt auch der europäische Handel für CO2-Zertfikate mit hinein: Höhere CO2-Preise erhöhen den Börsenpreis, weil die Kosten für fossile Kraftwerke steigen, und senken damit tendenziell die EEG-Umlage.Zuletzt hat der gesunkene Stromverbrauch im Land infolge der Corona-Einschränkungen zu Preiseinbrüchen an der Strombörse geführt. Nach Ostern bezifferte der Branchenverband BDEW den Rückgang der Nachfrage an den Werktagen auf zwölf Prozent im Vergleich zu den Vorjahren.

In manchen Ländern war der Einbruch noch stärker: In Italien sank der Strombedarf zeitweilig um 30 Prozent, in Frankreich sogar um 36 Prozent. Großbritannien, Spanien, Österreich und Belgien lagen jeweils rund 20 Prozent im Minus. Der Zustand hielt lange an, auch im Juni war der Stromverbrauch in Deutschland noch um gut fünf Prozent reduziert.

Unflexible Atommeiler

Weniger Nachfrage bedeutet sinkende Preise, entsprechend reagierte die Strombörse. Schon im Juni hatte das Jahr 2020 einen neuen Rekord für die Zahl der Stunden mit negativem Strompreis verzeichnet. Ende Juli lag die Zahl bereits bei 234 Stunden. Noch im Februar hatten Branchenkenner sich optimistisch gezeigt, dass der Wert in den nächsten Jahren abnehmen werde, weil im Zuge des Atom- und Kohleausstiegs Großkraftwerke vom Netz gehen. Doch dann machte Corona einen Strich durch die Rechnung – und drückte durch niedrige Strompreise im Frühsommer auch das EEG-Konto ins Minus. Die EEG-Umlage wäre dadurch 2021 deutlich gestiegen: 9,65 Cent je Kilowattstunde Strom haben die Netzbetreiber errechnet, ein Plus von fast drei Cent. Die Regierung hat jedoch beschlossen, die Umlage im nächsten Jahr bei 6,5 Cent zu deckeln und die Differenz aus dem Bundeshaushalt zu begleichen.

Die Firma Next Kraftwerke, die Strom an unterschiedlichsten Märkten handelt, weist unterdessen darauf hin, dass „das Entstehen negativer Strompreise nicht allein den erneuerbaren Energien anzulasten“ sei. Die konventionellen Kraftwerke spielten bei der Preisbildung ebenfalls eine Rolle. Denn vor allem bei Braunkohle- und Atomkraftwerken seien „schnelle Lastwechsel aufgrund erhöhtem Verschleiß oder aus konzeptionellen Sicherheitsgründen nicht ohne weiteres möglich“. Insbesondere Atomkraftwerke unterlägen „aus guten Gründen einer Vielzahl an Restriktionen und Auflagen, die eine flexible Fahrweise verhindern“. Für die Reaktoren sei es daher meist einfacher, die Stunden mit negativen Strompreisen in Kauf zu nehmen, als ihre Produktion flexibel anzupassen. Kurz gesagt: Obwohl sie in diesem Moment Geld verlieren, laufen sie weiter und drücken den Preis.

Haushalte profitieren nur selten von Preistiefs

Haushaltskunden profitieren in der Regel nicht von günstigen Preisen am Spotmarkt, im Gegenzug bekommen sie auch extreme Preisausschläge nach oben nicht gesondert in Rechnung gestellt. Dem Privatkundenpreis liegt in der Regel eine Mischkalkulation der Stromlieferanten zugrunde. Aber es gibt erste Ausnahmen. In Großbritannien nutzte im Frühjahr ein Ökostromanbieter die auch dort rapide gefallenen Börsenpreise für eine Marketingaktion: Kunden mit einem flexiblen Tarif und einem smarten Stromzähler bekamen an einem Sonntag im April (als auch auf den britischen Inseln viel Wind und Sonne die Preise drückte) zeitweise umgerechnet einige Cent pro verbrauchter Kilowattstunde gutgeschrieben.

Entsprechende variable Preise, die sich an der Strombörse orientieren, werden zwar auch für Haushalte in Deutschland immer wieder diskutiert. Nischenanbieter bieten sie auch schon an, doch durchsetzen konnten sie sich bisher nicht. Attraktiv können sie für Kunden sein, die in der Lage sind, Verbrauch zu verlagern – etwa indem sie ein Elektroauto in Stunden billigen Stroms tanken. Das wäre dann auch aus Sicht der Energiewende von Vorteil. Denn in Zeiten niedriger Preise am Spotmarkt ist der Strom aufgrund des hohen Anteils erneuerbarer Energien zumeist auch klimafreundlich. So lag der CO2-Wert für den deutschen Strommix in den letzten Monaten zeitweise bei nur noch 120 Gramm pro Kilowattstunde – gegenüber rund 400 Gramm im Jahresmittel 2019.

 

Kommentare (0)

Kommentar verfassen»

Kommentar verfassen

Anzeige
Anzeige