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Ausbauzahlen

Harte Zeiten für die Windkraft

Margit Hildebrandt, 25.07.19
Wenige Genehmigungen, dafür viele Klagen – die Windenergie stößt derzeit auf massive Hindernisse. Die Folge ist ein verschwindend geringer Ausbau im ersten Halbjahr.

Neueste Zahlen zum Stand der Windenergie zeigen: es bleibt schwierig für die Branche. Bereits in den ersten drei Monaten 2019 waren so wenige neue Anlagen ans Netz gegangen, wie seit 19 Jahren nicht mehr. Dieser Trend hat sich nun im zweiten Quartal fortgesetzt, wie der Bundesverband WindEnergie (BWE) und der Maschinenbauverband VDMA Power Systems heute (25. Juli) bekannt gaben.

Der Ausbau bleibt im ersten Halbjahr 2019 mit lediglich 86 Anlagen und 287 Megawatt (MW) – berücksichtigt man den Rückbau, sind es netto sogar nur 35 Anlagen – sehr deutlich unter den Erwartungen. Letztes Jahr gab es mit insgesamt knapp 2500 MW schon einen starken Einbruch um 55 Prozent, verglichen mit den ersten sechs Monaten 2018 ist der Zubau nochmals um 82 Prozent gesunken. Die Erwartungen für das gesamte Jahr 2019 waren mit 2000 MW niedrig, müssen nun aber wohl auf 1500 MW nach unten korrigiert werden. Zum Vergleich: Im Rekordjahr 2017 wurden noch Anlagen mit über 5300 MW Leistung errichtet.

Es gibt vielfältige Ursachen dafür, dass der Wind-Ausbau an Land so gut wie stillsteht und die Beteiligung an Ausschreibungen immer weiter sinkt – trotz gestiegener Vergütung. Derzeit werden über 1300 Projekte in Deutschland beklagt oder aufgrund von zivilen oder militärischen Belangen der Luftfahrt blockiert. Es geht um zusammen mehr als 9400 MW, die daher nicht umgesetzt werden können. So lautet das Ergebnis einer aktuellen Branchenumfrage der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) und des BWE, an der sich 89 Unternehmen beteiligten.

Davon meldeten 40 Firmen laufende Klagen, 66 Umfrageteilnehmer machten Angaben zu Problemen wegen ziviler, 42 wegen militärischer Luftfahrt. Laut Berechnungen der FA Wind entfallen auf die 40 von Klagen betroffenen Firmen 30 Prozent der insgesamt bundesweit genehmigten, aber noch nicht gebauten Windkraftleistung. Beklagt werden bei ihnen derzeit 325 Windenergieanlagen. Die meisten Fälle wurden aus Niedersachsen (66) und Nordrhein-Westfalen (58) gemeldet. Es geht um rund 1000 MW Leistung, etwa 300 MW sind davon bereits gebaut und in Betrieb. Von den genehmigten, aber noch nicht betriebenen Anlagen werden 20 Prozent durch Rechtsstreitigkeiten verzögert, in Bayern und Hessen sogar 40 Prozent – und das durchschnittlich um fast 22, in einem Fall sogar um 59 Monate.

„Überraschend hohe Zahl von Klagen"

„Die Umfrage hat eine überraschend hohe Zahl von Klagen gezeigt. In einzelnen Regionen wird nahezu jedes zweite Windrad durch Rechtsstreitigkeiten blockiert. Dabei ist der Zubau dramatisch eingebrochen – schon im letzten Jahr und in diesem noch viel mehr“, sagt FA-Wind-Experte Jürgen Quentin zu den Umfrageergebnissen. „Die Genehmigungslage ist weiterhin desolat, von den wenigen genehmigten Projekten wird ein nennenswerter Anteil auf dem Gerichtsweg mindestens verzögert, wenn nicht gar verhindert, und neue Projekte werden blockiert.“ Die Dauer der Klagen könne abschreckend wirken, das alles lasse keine rosige Zukunft erwarten.

Neben der hohen Anzahl der Klagen gegen Genehmigungsbescheide sind auch die Gründe interessant: In den allermeisten Fällen sind es Natur- und Artenschutz sowie Formfehler bei der Umweltverträglichkeitsprüfung. „Bemerkenswert ist, dass in 60 Prozent der erfassten Fälle Umwelt- und Naturschutzverbände prozessieren, dabei ist klar: Klima- und Artenschutz kann nur mit erneuerbaren Energien gelingen“, sagt BWE-Präsident Hermann Albers. Eine weitere schwerwiegende Bremse sind Konflikte um die 59 Drehfunkfeuer der Deutschen Flugsicherung (DFS). Weil Windrädern Einfluss auf diese Navigationsanlagen für den Luftverkehr vorgeworfen wird, können über 4800 MW nicht realisiert werden – seit der letzten Umfrage des BWE im Jahr 2015 hat sich die Zahl nahezu verdoppelt.

Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO verbietet Windräder im Umkreis von drei Kilometern um ein Drehfunkfeuer und empfiehlt je nach Typ einen Prüfradius von zehn bis 15 Kilometern. Die DFS hat daraus verpflichtende Abstände von 15 Kilometern bei allen Typen gemacht – aus Sicherheitssicht unnötig, wie die Bestimmungen fast aller anderen europäischen Länder zeigen. „Allein indem der Prüfradius auf internationalen Standard festgelegt wird, könnten 49 Prozent der heute blockierten Projekte umgesetzt werden. Eine Fläche in der Größe von Schleswig-Holstein würde bundesweit auf einen Schlag nutzbar“, sagt Albers. Meistens hätten diese Flächen keine anderen Restriktionen, wie die Nähe zu Siedlungen.

Klimaziel in Gefahr

Laut FA-Wind-Analyse wird fast die Hälfte der 1100 bundesweit gesperrten Projekte in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen geplant. Beide Bundesländer sind auch von der militärischen Luftraumüberwachung besonders betroffen. In diesem Bereich können bundesweit 900 Anlagen mit 3600 MW Windenergieleistung nicht genehmigt werden. Als Gründe werden vor allem Tiefflugkorridore für Hubschrauber sowie die Radarüberwachung zur Flugsicherung und Luftraumverteidigung angegeben.

Die Mehrheit der durch zivile (72 Prozent) oder militärische (59 Prozent) Luftfahrtbelange blockierten Projekte liegt in über Regional- oder Bauleitpläne gesicherten Gebieten. „Dies ist ein unhaltbarer Zustand, weil deutlich wird, dass ausgewiesene Vorranggebiete am Ende nicht nutzbar sind“, sagt BWE-Präsident Albers. Der Windverband hat als Reaktion auf die Analyse einen Aktionsplan herausgebracht. Darin schlägt er der Bundesregierung und den Landesregierungen konkrete Maßnahmen vor. Zum Beispiel durch angepasste Naturschutzgesetze oder verbesserte Bedingungen schon auf Planungsebene soll sich der Stau bei Genehmigungen, die sich auch in unterzeichneten Ausschreibungsrunden äußern, aufheben lassen.

Denn: „Die Windenergie an Land soll zum Ende des nächsten Jahrzehnts bei einem Erneuerbaren-Anteil von 65 Prozent die Hälfte des Stroms liefern“, sagt Jürgen Quentin. „Wenn der in den nächsten elf Jahren erforderliche Zuwachs an Windstrom erreicht werden soll, aber weiterhin nur 80 Windräder je Halbjahr gebaut werden, dann muss man ernsthaft befürchten, dass das Erneuerbaren- und damit das Klimaschutzziel in Gefahr gerät.“

Einen winzigen Lichtblick gibt es. Der kommt allerdings aus der Offshore-Branche: Auch auf See war der Zubau im ersten Halbjahr mit 42 Anlagen und 252 MW niedrig, wie das Beratungsunternehmen Deutsche Windguard im Auftrag der deutschen Windbranchenverbände ermittelte. Niedrig zwar, aber immerhin im geplanten Rahmen – und nicht meilenweit von den Erwartungen entfernt wie an Land.

 

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