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Interview

„Für eine echte Liberalisierung bräuchte die Politik Mut“

Interview: Astrid Dähn und Jörg-Rainer Zimmermann, 28.03.18
Im April 1998 trat in Deutschland die Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts in Kraft. Danach konnten Verbraucher ihren Energielieferanten erstmals selbst wählen. Ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden des Öko-Energieversorgers Naturstrom, Thomas Banning, über die Folgen der Marktöffnung für die Energiewende und die Aufgaben, die daraus für die Große Koalition erwachsen.

neue energie: Vor 20 Jahren wurde der Energiemarkt für Konkurrenzunternehmen zu den damaligen Monopolisten geöffnet. Doch anders als versprochen sind die Strompreise für Endkunden nicht gesunken, sondern gestiegen. Ist die Liberalisierung des Energiemarkts aus Verbraucherperspektive gescheitert?

Thomas Banning: Nein, für den Verbraucher hat die Liberalisierung zum ersten Mal eine Wahlmöglichkeit gebracht. Die gab es vorher, zu Zeiten der Gebietsmonopole, überhaupt nicht. Deshalb kannten die alten Versorger die Begriffe ‚Vertrieb’ oder ‚Marketing‘ auch gar nicht. Die haben sich einfach als ‚hoheitlich legitimierte Zuteiler’ gesehen. Erst durch die Liberalisierung ist der Verbraucher zu einem Kunden mit Wahlmöglichkeiten geworden. Er kann Geld sparen, indem er von den klassischen Grundversorgertarifen in andere Verträge wechselt. Oder er kann sich einen Stromlieferanten wählen, der ihm einen Mehrwert bietet, zum Beispiel Ökostrom. Das gab es vorher alles nicht.

ne: Bei den Kunden wurde aber auch die Erwartung geweckt, der Strom werde dann dauerhaft billiger…

Banning: Das war definitiv eine unsinnige Aussage. Indem ich etwas liberalisiere, kann ich nicht langfristig Preise senken. Ich kann damit vielleicht kurzfristig den Preis drücken. Denn mit der Öffnung steigt die Wettbewerbsintensität, alle wollen sich eine gute Marktposition sichern und senken dafür für eine gewisse Zeit die Preise. Aber am Ende muss jedes Unternehmen über die Runden kommen. Dabei kommt es zu einem Aussortierungsprozess. Und sobald sich der Markt neu geordnet hat, wird es mit den Preisnachlässen für die Verbraucher vorbei sein.

ne: Hat die Politik den Verbrauchern dann bewusst etwas vorgemacht?

Banning: Na ja, als Politiker haben Sie vor allem die laufende Wahlperiode, also die nächsten vier Jahre im Blick. Für diesen Zeitraum kann es stimmen, dass die Preise sinken. Das ist eben nur keine nachhaltige Entwicklung – und diesen Nachsatz verschweigt die Politik ganz gerne.

ne: 2017 war das Jahr mit den höchsten Strompreisen in Deutschland…

Banning: Richtig, aber die Preisentwicklungen der letzten Jahre sind ja nicht wegen der Liberalisierung eingetreten, sondern weil wir uns andere Ziele gesetzt haben. Wir haben uns zum Beispiel vorgenommen, den Erneuerbaren-Anteil zu erhöhen und daraus resultierend das Netz umzubauen. Und wenn solche Vorhaben in ihrer Entwicklung nicht optimal aufeinander abgestimmt sind, dann können dabei natürlich – zumindest zeitweise – auch zu hohe Kosten entstehen. Um bessere Bedingungen zu schaffen für das Zusammenspiel aller notwendigen Elemente, bräuchte man einen Plan und Stetigkeit in seiner Umsetzung. Das Problem ist: Dafür bräuchte man auch jemanden, der den Überblick über alles hat. Ich bezweifle, dass es so eine Person gibt. Insofern zeigt sich hier ein weiterer Vorteil der Liberalisierung: Durch sie wurde nämlich eine Plattform geschaffen, um Ideen und Ansätzen im Energiesektor, die noch nicht komplett durchgeplant, vorstrukturiert und erprobt waren, überhaupt eine Chance zu geben. Innovationen können Sie nicht in stark regulierten Märkten vorantreiben.

ne: Was hat die Liberalisierung denn sonst noch an Positivem bewirkt?

Banning: Da fallen mir viele Beispiele ein. Nehmen Sie etwa Ökostromunternehmen wie die Elektrizitätswerke Schönau oder uns. Die Gründer der Naturstrom AG haben damals die Chance gesehen, einen Energieversorger auf die Schiene zu setzen, der nicht gegen, sondern für Erneuerbare arbeitet. Wir konnten den Spielraum nutzen, den die Politik uns eröffnete. Und so haben es viele neue Anbieter gemacht.

ne: Aber die meisten sind auch schnell wieder vom Markt verschwunden…

Banning: Ja, viele sind gescheitert, weil der Gesetzgeber bei der Liberalisierung einen Fauxpas begangen hat: Er hat keine Spielregeln vorgegeben, wie der Prozess anschließend ablaufen soll. Wenn er wirklich Innovationen hätte fördern wollen, hätte er Rahmenbedingungen setzen müssen, in denen das möglich ist. Und er hätte Rahmenbedingungen setzen müssen, in die sich die alte Energiewirtschaft hineinbewegen muss. Die konnte ja zunächst einfach weiterarbeiten wie zuvor. Um das Jahr 2000 herum gab es meiner Schätzung nach etwa 90 neue Energieunternehmen in Deutschland. Ende 2004 waren davon noch genau vier unabhängige im Markt – nämlich Lichtblick, Greenpeace Energy, die Schönauer und Naturstrom, also alle, die nicht mit „billig“ warben, sondern mit „öko“. Alle anderen mussten entweder Insolvenz anmelden oder an Größere verkaufen, nach der Maxime: Ich kann in Deutschland, in diesem angeblich liberalisierten Markt, überhaupt gar nichts bewegen, daher ziehe ich mich zurück.

ne: Naturstrom hatte solche Probleme nicht?

Banning: Doch, auch für uns ging es in den ersten acht Jahren ums nackte Überleben. Wir waren immer damit beschäftigt nachzudenken: Wie schaffen wir den nächsten Monat? Woher kriegen wir das nötige Geld organisiert? Haben wir noch einen Aktionär, der bereit ist, ein paar Euro in das Projekt zu stecken? Das änderte sich erst, als 2005 die Bundesnetzagentur mit der Regulierung der Stromnetze und der Netzentgelte beauftragt wurde. Danach hat sich das eklatante Chancenungleichgewicht zwischen den verschiedenen Playern im Markt ein Stück weit verringert. Aber das geschah nur auf massiven Druck der EU hin. Die Bundesregierung hat damals permanent versucht, die Termine nach hinten zu schieben.

ne: Ist das typisch? Hat die Politik Angst, die deutsche Energielandschaft neu zu gestalten?

Banning: Ja, meiner Erfahrung nach neigen Politiker bei ihren Entscheidungen eher dazu zu sagen: Ich bleibe bei dem, was ich kenne. Die Rückwärtsgewandten sind daher häufiger die Personen, die sich am Ende durchsetzen, nach dem Motto: Ich weiß, dass der Weg in der Vergangenheit funktioniert hat, also lasst ihn uns doch einfach weitergehen. Dafür wird man immer relativ starke Kämpfer finden. Leute, die wirklich etwas ändern wollen, sind seltener.

ne: Naturstrom hat die Durststrecke dennoch überstanden…

Banning: Ja, ab 2006 gingen die Zahlen deutlich nach oben. Allerdings nur im Privatkundenbereich. Im Gewerbereich oder im Sonderkundenbereich Fuß zu fassen war für uns Ökostromanbieter nach wie vor fast unmöglich.

ne: Wo liegt Ihr Schwerpunkt aktuell?

Banning: Privat- oder Gewerbekunden – das sind inzwischen für uns nur noch zwei von vielen Kategorien. Wir setzen ergänzend zum bundesweiten Angebot auf eigene Erzeugungsanlagen und die Entwicklung von Projekten zusammen mit Bürgern oder Gemeinden, das heißt, wir konzentrieren uns zunehmend auf Vor-Ort-Lösungen. Wir haben verstanden, dass Ökostrom als Angebot in einem anonymen Strommarkt nicht mehr genügend zieht. Es gibt Ökostromangebote bis zum Abwinken, fast jedes Stadtwerk wirbt heute damit, auch Ökostrom zu vertreiben. Als Alleinstellungsmerkmal für unsere Kundenakquise funktioniert das Schlagwort nicht mehr.

ne: Das Strompreis-Vergleichsportal Verivox hat jüngst gemeldet, dass die Nachfrage nach Ökostrom in den letzten sechs Jahren konstant rückläufig war…

Banning: Das entspricht unseren Erfahrungen. Wir befinden uns in einer Seitwärtsbewegung: Jede Woche bekommen wir ein paar hundert Kunden dazu und verlieren auch welche. Je größer ein Ökostromanbieter ist, desto mehr Kunden kann er verlieren und desto härter muss er zurzeit gegen eine Schrumpfung ankämpfen. Deshalb verfolgen wir eine neue Strategie. Ursprünglich war unser Gründungsauftrag: Verkauft Ökostrom und findet Kunden, die bereit sind, dafür zu zahlen, dass mit ihrem Geld die Energiewende vorangebracht wird. Inzwischen sind wir längst bei marktkonformen Preisen und bauen auf Regionalität. Wir investieren etwa gezielt in örtliche Wärmeversorgungsprojekte, in Mieterstrom und Quartierslösungen.

ne: Finden Sie dafür eher Kunden als für Ökostrom allgemein?

Banning: Ja. Das stößt sogar teilweise auf größeres Interesse, als wir je gedacht hätten. Es gibt allerdings auch da wieder Unterschiede. Bei manchen Mieterstromprojekten, die wir etwa für ein Wohnungsbauunternehmen organisieren, kommen wir nur auf Beteiligungsquoten von 20 bis 30 Prozent. In anderen Quartieren, die einen ökologischen Touch haben wie der Möckernkiez in Berlin, haben wir dagegen Zusagequoten von mehr als 70 Prozent. Dort passt unser Angebot eben genau zum Lebensverständnis der Zielgruppe.

ne: Um solche Mieterstrommodelle, bei denen Mieter den bei ihnen im Haus mittels Solaranlage oder Blockheizkraftwerk erzeugten Strom selbst nutzen, gab es in der letzten Legislaturperiode zwischen den Koalitionspartnern ein zähes Ringen. Es ging darum, den gesetzlichen Rahmen so zu gestalten, dass die Projekte wirtschaftlich lukrativ sind. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Banning: Nein, bei dem Gesetz hat man das Gefühl, die Politiker wollten gar nicht, dass daraus eine Erfolgsstory wird. Die SPD war für Mieterstromprojekte, die CDU nicht unbedingt, hat sich aber letztendlich wohl gesagt: ‚Kommt, lasst denen ihr Spielfeld.‘ Aber es ging nicht um eine Erfolgsgeschichte. Sonst würde das Gesetz anders aussehen. Beispielsweise sorgt die im Gesetz festgeschriebene Preisobergrenze in der Praxis für enormen Aufwand und Unsicherheit – ohne Mehrwert zu liefern. Auch steuerliche Hemmnisse für die Immobilienbranche bremsen die Entwicklung. Sonst hätten wir schon jetzt viel mehr solcher Projekte, und Stadtwerke, Gemeindewerke oder auch Ökostromer könnten auf dem Gebiet noch viel mehr bewegen.

ne: Angesichts der reglementierenden Gesetzeslage – glauben Sie, dass Deutschland seine Klimaschutzziele für 2030 – 30 Prozent Erneuerbaren-Anteil am Bruttoenergieverbrauch und eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber 1990 – erreichen kann?

Banning: Wenn wir in dieser Legislaturperiode nicht die Weichen dafür stellen, dann wird es danach wieder zu spät sein. Dann sind die 2030er-Ziele am Ende genauso Makulatur wie die 2020er-Ziele. Die Regierung muss jetzt schnell entsprechende Rahmenbedingungen festlegen. Das mit Abstand wichtigste wäre, einen Preis für den CO2-Ausstoß festzusetzen.

ne: Nicht den Kohleausstieg zu beschließen?

Banning: Nein, wenn ich eine ernstzunehmende Bepreisung von fossilen Brennstoffen habe, dann muss ich von staatlicher Seite nicht vorgeben, die Kohlekraftwerke abzuschalten. Dann wird sich die Wirtschaft schon von allein Gedanken machen, welcher Kohlemeiler überhaupt noch rentabel ist, und die größten und damit teuersten CO2-Emittenten vom Netz nehmen. Der Ausstieg regelt sich somit von selbst. Und das hat einen großen Vorteil: Wenn der Staat aktiv ein Kraftwerk abschalten will, muss er das betroffene Unternehmen dafür entschädigen. Wie teuer das werden kann, haben wir beim Atomausstieg gesehen. Möglich, dass manche Energiekonzerne genau darauf spekulieren, wenn sie mit der Politik über eine Abschaltstrategie für die Kohlekraftwerke verhandeln. Wenn wir dagegen einfach den CO2-Preis hochsetzen, ist alles Folgende eine unternehmerische Entscheidung – und kostet den Steuerzahler nichts.

ne: Warum haben wir dann in Deutschland immer noch keine CO2-Bepreisung?

Banning: Dazu bräuchte es Mut bei den Verantwortlichen. Wenn die Politik nicht den Mut hat zu einer echten Liberalisierung des Energiesystems mit einigen wenigen Hauptvorgaben wie einem Preis auf CO2, dann werden wir den Wandel nicht in den Griff bekommen.

Dies ist eine gekürzte Fassung. Das ausführliche Interview mit Thomas Banning ist in der Ausgabe 04/2018 von neue energie erschienen.

 

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