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Warnung vor Investitionsblase

Ende des Kohle-Booms ist in Sicht

Joachim Wille, 06.04.16
Der weltweite Boom der Kohle-Verstromung ist offenbar gebrochen. Der Verbrauch des besonders klimaschädlichen Energieträgers ging 2015 im zweiten Jahr zurück, zudem ist die Auslastung der am Netz befindlichen Kohlekraftwerke deutlich gesunken – in China, dem wichtigsten Kohleland, sogar auf unter 50 Prozent.

Allerdings sind weltweit immer noch 1500 Kohlekraftwerke im Bau oder in Planung, die die Überkapazitäten noch weiter erhöhen würden, wie ein aktueller Bericht zeigt. Die Folge: Das Risiko von Fehlinvestitionen durch diese Projekte beträgt demnach knapp eine Billion US-Dollar. Eine „Carbon Bubble“ drohe, warnen die Autoren. Die US-amerikanische Umwelt-NGO „CoalSwarm“ hat zum zweiten Mal akribisch die Entwicklung im Kohle-Sektor analysiert; in ihrem „Global Coal Plant Tracker“ finden sich die Daten zu den über 4700 Kohlekraftwerken weltweit, die seit 2010 geplant wurden. Zusammen mit dem US-Umweltverband Sierra Club und Greenpeace USA veröffentlichen die Energieexperten nun unter dem Titel „Boom and Bust 2016“ die Auswertung der Daten.

Strom aus Kohle ist billig, und der Energie-Rohstoff reichlich verfügbar – theoretisch noch für Jahrhunderte. Vor allem Schwellenländer wie China, Indien und Südafrika, die ihre Wirtschaft schnell entwickeln wollen, setzen seit Mitte des letzten Jahrzehnts darauf. Zwischen 2005 und 2012 verzeichnete die Kohleverstromung weltweit große Zuwachsraten. Seither stagniert sie beziehungsweise geht zurück – ein Trend, der laut den US-Experten wegen des Booms der immer billiger werdenden erneuerbaren Energien wie Windkraft, Solarenergie und Biomasse anhalten dürfte.

Weltweit sind laut CoalSwarm immerhin rund zwei Drittel der seit 2010 geplanten Kraftwerksprojekte entweder zurückgestellt oder aufgegeben worden. Vor allem in den USA und Europa sinkt die Bedeutung der Kohle bereits deutlich. Hier kamen seit 2010 auf ein Gigawatt (GW) neu gebaute Kohlekraftwerks-Kapazitäten fast zwei GW, die stillgelegt wurden. In den USA nehmen Fracking-Erdgas und erneuerbare Energien der Kohle Marktanteile weg, in Europa ist es vor allem der Ökostrom-Ausbau.

Europa

In der EU sind Kohlekraftwerke für 17 Prozent des Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich. Deutschland war 2014 der größte Emittent, gefolgt von Polen und Großbritannien. Rund zwei Drittel der Kohlemeiler sind älter als 30 Jahre. Mehrere EU-Staaten haben einen Kohleausstieg in den 2020er Jahren angekündigt, darunter Großbritannien, Finnland und Österreich. In Deutschland wird über Enddaten zwischen 2035 und 2050 diskutiert. Osteuropäische Länder setzten weiter auf Kohle, darunter vor allem Polen.

 

USA

In den USA hat die Kohlenutzung stark abgenommen. Im Jahr 2005 lieferten Kohlekraftwerke rund 50 Prozent des verbrauchten Stroms, zehn Jahre später waren es nur noch 33 Prozent. Rund ein Drittel der Anlagen wurde seit 2010 abgeschaltet, und der Kohleabbau im Land liegt heute so niedrig wie seit 30 Jahren nicht mehr. Projekte für neue Kohlekraftwerke gibt es derzeit nicht. Erdgas-Kraftwerke und erneuerbare Energien wie Wind und Solar boomen im Gegenzug. Die Regierung in Washington fördert diese Entwicklung aktiv.

Selbst in China beginnt das Umdenken

Allerdings: Dass die Öko-Energien die Kohle „automatisch“ verdrängen, ist damit längst nicht ausgemacht. Zwar werden inzwischen pro Jahr weltweit mehr Ökoenergie-Kapazitäten als fossile neu gebaut. Doch trotz der Streichung geplanter Kraftwerke sind laut CoalSwarm weiterhin viele neue Kohlekapazitäten in der Pipeline. Alleine seit 2010 seien 473 GW neu ans Netz genommen worden, was mehr als 500 Kraftwerken entspricht. 90 Prozent davon stehen in Asien, vor allem in China und Indien. Weitere 340 GW sind im Bau und über 1000 GW in Planung, was sich auf 1500 neue Anlagen summieren würde. Die Baukosten dafür betragen laut der Studie insgesamt rund 981 Milliarden Dollar.

Die staatlichen Energieplaner und Kraftwerksbauer passen ihre Strategien nur mit Verzögerung an die veränderte Marktlage an. Aber selbst im bisherigen Kohle-Boomland China, wo der Kohleverbrauch seit 2013 um 6,4 Prozent zurückgegangen ist, scheint das Umdenken zu beginnen. Nach jüngsten Meldungen stoppt die Regierung in Peking Bau und Planung einer Vielzahl von Kraftwerken. Das könnte bis zu 280 von 460 genehmigten und im Genehmigungsverfahren befindlichen Anlagen treffen.

China
China ist das Land mit dem höchsten Kohlverbrauch weltweit – rund vier Milliarden Tonnen jährlich. Die Kapazitäten wurden im letzten Jahrzehnt rasant ausgebaut, zeitweise ging hier pro Woche ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Im Jahr 2014 sank der Kohleverbrauch erstmals, 2015 setzte sich der Trend fort. Gründe waren der nachlassende Wirtschaftsboom und massive Investitionen in Wind- und Solarenergie. Genehmigungen von Kohlemeilern nahmen 2015 trotzdem stark zu, da die Zuständigkeiten dafür von Peking zu den Provinzbehörden verlagert wurden.

 

Indien

Fast Dreiviertel des in Indien verbrauchten Stroms stammt aus Kohlekraftwerken. Im Jahr 2014 überholte das Land die USA als zweigrößter Kohlenutzer weltweit. Die Regierung in Neu-Delhi will die Kohlenutzung weiter ausbauen, unter anderem um die 300 bis 400 Millionen Inder zu versorgen, die noch keinen Stromanschluss haben. Es erscheint jedoch fraglich, ob die Ausbaupläne angesichts hoher Kosten und des mangelhaft ausgebauten Stromnetzes realistisch sind. 2015 gingen nach einem Zehn-Jahres-Boom erstmals weniger neue Kohlekapazitäten ans Netz als im Vorjahr.

 

Entwarnung an der Klimawandel-Front kann laut CoalSwarm indes nicht gegeben werden. Die sich andeutende Trendumkehr bei der Kohlenutzung bringt zwar eine gewisse Entlastung gegenüber den bisherigen CO2-Prognosen, tatsächlich wäre die Welt damit aber immer noch weit von einem 1,5- bis Zwei-Grad-Erwärmungslimit entfernt, wie es seit dem Paris-Klimagipfel als Ziel verankert ist. „Selbst wenn keine weiteren Kohlekraftwerke mehr gebaut würden, läge der CO2-Ausstoß der vorhandenen Kraftwerke 150 Prozent höher, als für das Zwei-Grad-Limit tolerabel wäre“, heißt es in der Untersuchung. Schlussfolgerung: „Die meisten der Kraftwerke, die derzeit laufen und neue gebaute Anlagen müssen deutlich vor dem Ende ihrer geplanten Betriebsdauer abgeschaltet werden.“

Deutscher Kohleausstieg bis 2035?

Die US-NGOs warnen davor, dass ohne eine schnelle Kurskorrektur „Hunderte Millionen Dollar in unnötige Kohlekraftwerke versenkt werden“. Um den Klimawandel tolerabel zu halten, müsse das Geld in saubere Energien umgeleitet werden. „Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagte CoalSwarm-Direktor Ted Nace. Die Organisation rechnet vor, dass nach Zahlen der Internationale Energie-Agentur (IEA) rund zwei Drittel der für neue Kohlemeiler geplanten Investitionssumme ausreichen würden, um 1,2 Milliarden Menschen auf der Erde, die bisher keinen Stromanschluss haben, Zugang zu einer nachhaltigen Stromversorgung mit Solar, Wind und Biomasse zu ermöglichen. Hinzu komme, dass ein schneller Umbau des Energiesystems die Luftverschmutzung deutlich senken würde. Laut dem Bericht führen die Schadstoffe aus Kohlekraftwerken, darunter Feinstaub, Schwefel und Quecksilber, bereits jetzt jährlich weltweit zu 800.000 vorzeitigen Todesfällen.

Der deutsche Klimaexperte der Entwicklungsorganisation Oxfam, Jan Kowalzig, hält die Studie gut 100 Tage nach der Verabschiedung des Paris-Abkommens für „hochaktuell“. „Die Studie gibt keine Entwarnung“, so Kowalzig. „Im Gegenteil: Wer in Kohle investiert hat, wird alles daran setzen, noch möglichst lange Geld zu verdienen, ungeachtet der Beschlüsse von Paris.“ Umso wichtiger sei es, dass weltweit die Politik die Weichenstellungen für einen geordneten Ausstieg aus der Kohle tätigt. In Deutschland müsse spätestens 2035 das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen. Sonst sei die 1,5-Grad-Grenze nicht zu halten. „Wer jetzt nicht handelt, verrät das Pariser Abkommen“, sagt Kowalzig.

Südafrika
Südafrikas Energieversorgung basiert sehr stark auf den im Land reichlich vorhandenen Kohlevorkommen. Rund 90 Prozent des Stroms stammen aus dieser Quelle, und 30 Prozent der Kraftstoffe sind aus verflüssigter Kohle. Die Regierung setzt weiter auf den Energieträger, zum Teil soll auch Kohle schlechterer Qualität genutzt werden. Allerdings nimmt der Protest von Anwohnern und Umweltgruppen gegen geplante neue Kraftwerke zu. Südafrika ist zudem ein großer Kohle-Exporteur, gut die Hälfte der ausgeführten Mengen geht nach Asien, Hauptabnehmer ist Indien.

 

Australien

Australien ist der viertgrößte Kohleproduzent weltweit mit hohem Exportanteil, Abnehmer sind vor allem Länder in Ostasien wie Japan. Rund 80 Prozent der im Land verbrauchten Elektrizität stammt aus Kohlekraftwerken. Neue Meiler wurden in den letzten Jahren nicht gebaut, der Kraftwerkspark ist überaltert und sehr CO2-intensiv. Neubau-Projekte werden derzeit nicht aktiv verfolgt. Grund sind hohe Überkapazitäten. Die Regierung plant den Kohleexport auszubauen, umstritten ist die dafür nötige Erweiterung des Abbot Point-Hafens in der Nähe des Great Barrier Reef.

 

 

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