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Interview

„Ein neues Geschäftsmodell für Anlagenbetreiber“

Interview: Michael Hahn, 01.09.16
… sieht Kirsten Hasberg von der Initiative Blockchain-Hub Berlin in der Idee, jedem den direkten Kauf und Verkauf von Strom ohne Mittelsmann zu ermöglichen. Für eine weiträumige Einführung der Blockchain-Technologie sind die rechtlichen und regulatorischen Unklarheiten allerdings noch zu groß.

neue energie: Wie kann Blockchain das Energiesystem verändern?

Kirsten Hasberg: Blockchain liefert einen wichtigen Baustein für die dezentrale Energiewende. Heutige Datentechnologie baut auf eine zentrale Serverstruktur auf. Blockchain ist das genaue Gegenteil, mit ihr gelingt eine Dezentralisierung der Dateninfrastruktur.
Energieversorger verwalten zumeist Verträge, organisieren also Einkauf und Verkauf. Mit Blockchain kann man diese Verträge als sogenannte Smart Contracts abbilden. Transaktionsdaten werden in einer langen Kette von Datenblöcken auf Tausenden am System teilnehmenden Computern dezentral und sicher gespeichert und verschlüsselt. So werden Zwischenhändler überflüssig – ein Stromhandel ohne Mittelsmann. Dabei wird ein Vertrag zwischen Stromverbraucher und Stromerzeuger geschlossen, der automatisch ausgeführt wird, wenn alle vereinbarten Bedingungen erfüllt sind. Viele der Funktionen, die eigentlich der Energieversorger als dritte Partei übernimmt, erfolgen über Blockchain. Auch die Verifizierung des Vorgangs.
Eine Überlegung ist, einen dezentralen Stromhandel – praktisch von Maschine zu Maschine – abzubilden, der nicht über den zentralen Strommarkt läuft. Vereinfacht gesagt: Eine Photovoltaikanlage verkauft Strom an einen Toaster. Und zwar nicht im selben Haushalt, sondern an verschiedenen Orten. Diese sogenannten Mikrotransaktionen sind heute weder möglich noch wirtschaftlich.

neue energie: Beziehe ich von meinem Versorger also weniger Strom und kaufe zusätzlich wie beim Mieterstrom direkt vom Erzeuger?

Hasberg: Ja – zumindest anfänglich. Wie Mieterstrommodelle wirft das System die Frage der Regulierung auf. Wo fallen Abgaben oder Steuern an? Das ist die gleiche Fragestellung wie bei der Besteuerung des Eigenverbrauchs. Der Gesetzgeber kann die Entwicklung eines dezentralen Strommarkts unterstützen. Dafür muss die Möglichkeit des regionalen Stromhandels gegeben sein, ohne dass zusätzliche Abgaben die Wirtschaftlichkeit der Mikrotransaktionen unsinnig machen.

neue energie: Wie lässt sich das Konzept vermitteln? Deutsche sind generell ja eher misstrauisch Neuem gegenüber.

Hasberg: Gerade in Deutschland sehe ich eine riesige Chance. Hier stehen 1,5 Millionen PV-Anlagen. Davon bekommen viele schon jetzt oder in den kommenden Jahren keine EEG-Förderung mehr. Die Anlagenbetreiber suchen nach neuen Wirtschaftsmodellen. Dafür kommt Blockchain wie gerufen.
Der Gedanke dahinter ist ein genossenschaftlicher: Blockchain ist nichts anderes als ein hochtechnologisches genossenschaftliches Modell, eine IT-Infrastruktur, die durch die vielen Teilnehmer getragen wird. Das sollte hier die große Chance sein.

neue energie: Aber wer verdient an Blockchain?

Hasberg: Blockchain ersetzt die üblichen Internet-Plattformgeschäftsmodelle durch ein genossenschaftliches Modell. Die Nutzer sind auch die Nutznießer des Profits. Es gibt keinen dritten Profiteur. Es ist die Rückkehr zu einer „Sharing economy“. Durch Blockchain gibt es die Möglichkeit, Plattformgeschäftsmodelle fair zu gestalten. Genauso wie die Energiewende ist Blockchain von der Idee der Dezentralisierung und Demokratisierung geprägt. Genau das kann die Technologie ermöglichen. Wie die Umsetzung von Statten geht, ist eine andere Frage.

neue energie: Was denken Sie, woran die Umsetzung scheitern könnte?

Hasberg: Bei technologischen Themen scheitert die Umsetzung meist schon in den Köpfen. Es scheitert daran, dass bestehende Rahmenbedingungen mit einer Technologie verglichen werden, von der noch niemand weiß, wie gerecht und fair die Rahmenbedingungen durch sie werden. Die automatische Antwort ist oft: „Das geht innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen nicht.“ Aber Rahmenbedingungen sind dafür da, gesellschaftlich Vorteile bringende Modelle zu unterstützen. Ich plädiere dafür, den Blick etwas zu heben, um zu sehen welche gesetzlichen Bedingungen Blockchain ganz grundsätzlich braucht, nicht nur im Energiebereich.

neue energie: Also ist die Politik gefragt?

Hasberg: Ohne die Politik ist dieser Wandel nicht möglich. Auf dieser Ebene braucht es ein Umdenken. Die Überlegung sollte sein, welcher gesellschaftliche Wandel durch diese Technologie möglich wäre. Ein Blick auf die Kosten würde schnell den enormen gesamtwirtschaftlichen Vorteil von Blockchain zeigen.

neue energie: Bräuchte es einen vollständigen Systemwechsel?

Hasberg: Am Anfang ist es möglich, klein anzusetzen. Denkbar sind Pilotprojekte, in denen der dezentrale Stromhandel zwischen wenigen Haushalten abgebildet wird. In New York gibt es bereits das „Brooklyn Microgrid“. Der Ablauf der Abrechnung bei großen Energieversorgern kann als Vorbild dienen. Wie können die unzähligen Verträge, die zwischen verschiedenen Händlern und Kraftwerken ablaufen, auf Blockchain abgebildet werden.

neue energie: Die großen Energieversorger verkaufen ja schon direkt an ihre Kunden. Wie wären sie betroffen?

Hasberg: Für die großen Energieversorger verstärkt sich ihr jetziges Problem noch weiter, ihre Absatzmöglichkeiten vermindern sich, weil Strom dezentral erzeugt wird. Die zentralen Kraftwerke verlieren an Bedeutung. Wenn der Stromhandel direkt, also Peer-to-Peer abbildbar ist, steigert sich das Problem für die großen Versorger noch mehr.

neue energie: Mit Vattenfall und RWE beschäftigen sich auch zwei der großen Versorger mit der Blockchain-Technologie. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil?

Hasberg: Ich denke, es ist zunächst Neugierde. Die Unternehmen wollen verstehen, womit sie es zu tun haben. Das sehe ich grundlegend als Teil der Suche nach neuen, digitalen Geschäftsmodellen, die in der Energiewirtschaft allgegenwärtig ist. Große Unternehmen suchen sowohl nach Blockchain-Anwendungen, die stufenweise Verbesserungen bestehender Geschäftsmodelle versprechen, als auch nach Geschäftsmodellen, die das Potenzial besitzen, das eigene Geschäft zu zerstören.

neue energie: Auch große Unternehmen wie Anlagenbauer könnten von dem System profitieren?

Hasberg: Ja, auch sie könnten so neue Märkte erschließen. Zusätzlich haben die Unternehmen den Vorteil, dass sie ihre Anlagen technisch genau auf Blockchain ausrichten können. Aber noch ist es zu früh, um Entwicklungen vorherzusagen. Ich denke, sowohl kleine als auch große Teilnehmer können von dem System profitieren.

neue energie: Was würde Blockchain für die Netzbetreiber bedeuten?

Hasberg: Die Netzbetreiber haben da aus meiner Sicht eine neutrale Stellung. Der Netzbetrieb wird nicht überflüssig, die Parteien nutzen das System nur anders. Der physische Stromfluss ist auch heute schon unabhängig davon, wie Transaktionen abgerechnet werden. Durch Blockchain lässt sich beispielsweise der Stromhandel unter Nachbarhäusern abbilden. Das geht mit dem jetzigen System nicht. Der physische Stromfluss wird sich also nicht ändern, aber die Abrechnung.

neue energie: Bekämen die Netzbetreiber dann trotzdem noch Geld vom Stromkunden?

Hasberg: Die Frage ist, wie die Netzentgelte ausgestaltet werden. Vielleicht kann es ein System geben, in dem Netzentgelte nicht pauschal anfallen, sondern in Bezug darauf, wie viel Strom wirklich durchgeleitet wurde. Als Vorbild kann auch der Netzrückkauf durch die Bürger in Berlin und Hamburg gesehen werden, also die Verwaltung der Netze in öffentlicher Hand. Oder es werden Regularien eingeführt, die eine Neuausrichtung unterstützen, ohne den Betrieb zu gefährden. Da sollte es von allen Seiten einen gewissen Weitblick geben und nicht grundsätzlich gegen eine Technologie gemauert werden, die einen sozialökonomischen Vorteil verspricht.

neue energie: Wie könnte ein realistischer Zeitrahmen für die Umsetzung aussehen?

Hasberg: Bei exponentiellen Technologien lässt sich nicht gut über Zeitrahmen sprechen. Das haben wir auch beim Wachstum der Erneuerbaren gesehen. Am Anfang verlief die Entwicklung langsam und dann ging es so schnell, dass die meisten Prognosen übertroffen wurden. Das könnte auch in diesem Fall möglich sein. Sinnvoll ist es, mit einer kleinteiligen Umsetzung zu beginnen, anstatt flächendeckend. Der gesellschaftliche Wandel ist langsamer als der technologische. Die Probleme, die es gegenwärtig mit der Blockchain-Technologie noch gibt, sollten nicht als Vorwand genommen werden, sie nicht schon in kleinerem Rahmen anzuwenden – denn die Technologie wird sich schnell verbessern, weit schneller, als Rahmenbedingungen sich anpassen werden.

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