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Interview-Special zur aktuellen Titelstory

„Die Wertschöpfungskette wird sich wesentlich verändern“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 04.01.17
…sagt Stephan Reimelt, President GE Germany & Austria. Auch global tätige Unternehmen müssten heute lokal und regional auftreten.

neue energie: Aus der Energiewende ist die ‚Große Systemtransformation‘ geworden. Welchen Effekt hat das Ihrer Meinung nach für die deutsche Volkswirtschaft?

Stephan Reimelt: Die erste Phase der Energiewende liegt hinter uns. Die nächste Phase ist nun die Verwirklichung großer Infrastrukturprojekte, beispielsweise der Bau von Übertragungsnetzen und Offshore-Plattformen zur Übertragung des Windstroms an Land – das sind Multi-Milliarden-Projekte. Zudem rücken die Themen Wärme und Mobilität in den Vordergrund. Die Eingriffe führen zu einem massiven Umbau der deutschen Wirtschaft. Welche Auswirkungen das auf die künftige Ausrichtung der Schwerpunkte der Wirtschaft haben wird, ist ungewiss. An einem Beispiel aus dem Automobilbereich kann man den massiven Einfluss dieser Transformation auf die deutsche Wirtschaft gut erkennen – hier wird sich die Wertschöpfungskette wesentlich verändern: So kommt der Elektromotor im Tesla nicht mehr aus Deutschland. Und das Chassis ist nicht das zentrale Thema der deutschen Autobauer – sondern der Verbrennungsmotor. Unternehmen brauchen also einen guten Plan.

neue energie: Wie positioniert sich der Global Player GE in Deutschland?

Stephan Reimelt: Deutschland ist für uns das Energielabor. Wie in einem Brennglas versuchen wir zu verstehen, was möglicherweise in Zukunft global im Energiebereich passieren wird. Dezentralität, erneuerbare Energien und inzwischen auch die Digitalisierung sind dabei die Schlagworte. GE hat verstanden, dass das Unternehmen flexibler und damit schneller reagieren muss. In diesem Zusammenhang hat GE beispielsweise seine Finanzsparte verkauft – immerhin eine der größten Banken der USA. Inzwischen wurde der Fokus auf Themen wie Digitalisierung und 3D-Druck verlagert. Additive Manufacturing ist ein wesentlicher Bestandteil der Transformation von GE. Erst kürzlich hat GE den Kauf der Concept Laser GmbH mit Sitz im fränkischen Lichtenfels und der Arcam AB aus Mölndal in Schweden bekanntgegeben. Bis 2020 will GE eines der größten Software-Unternehmen weltweit werden. Und natürlich wurde der Technologie-Sektor, konventionell ebenso wie erneuerbar, vorangetrieben. Dieses Portfolio haben wir um Bereiche wie Offshore und Netze erweitert, nicht zuletzt durch die Akquisition von Alstom. In Deutschland haben wir uns deutlich breiter aufgestellt – von vier großen Kunden, die 70 Prozent des Energiemarkts kontrollierten, auf über 1000 Kunden, nicht zuletzt Stadtwerke. Wir haben dafür ein Stadtwerke-Team aufgebaut und unser Produktportfolio entsprechend ausgestaltet.

neue energie: Ganz konkret, wie sieht Ihre Strategie für Deutschland aus, welche Schwerpunkte setzen Sie bei der weiteren Geschäftsentwicklung?

Reimelt: Sicher liegen unsere Schwerpunkte auf erneuerbaren Energien und dezentraler Energieversorgung, also Blockheizkraftwerke auf der Basis von Gasmotoren. Das ist die große Richtung. Gas als Energieträger benötigen wir, um das System flexibel zu machen. Wind ist das große Erneuerbaren-Thema. Dort stecken jede Menge weiterer Themen drin, Wechselrichter, Power Quality, Übertragungs- und Speichertechnologien und viele mehr. Wir sehen Deutschland als einen fragmentierten, hochentwickelten Markt. Die Frage ist, wann die staatliche Förderung der Energiewende zu einem ökonomischen Rückfluss führt, sich die Investition also volkswirtschaftlich rechnet. In Deutschland positionieren wir uns derzeit auch zum Thema Rückbau von Atomkraftwerken. Dazu können wir viel bieten, müssen uns aber lokal aufstellen. Die Gesetzmäßigkeiten in Deutschland und Europa sind völlig andere als in anderen Weltregionen.

neue energie: Ist die deutsche Energiewende immer noch ein Testfeld für Innovationen?

Reimelt: Ich habe vor Jahren den Slogan bei uns geprägt, dass Deutschland so wichtig ist, weil es das größte Energielabor der Welt ist. Dazu stehe ich nach wie vor. Deutschland hat das Know-how, die nötigen Ingenieure. Und es hat eine hohe Bevölkerungsdichte, man kann noch viel ausprobieren. Dazu kommt der politische Wille, bis 2050 bestimmte Klimaziele erreicht zu haben. Das sehe ich global nicht so stark ausgeprägt wie hierzulande. In Kombination mit dem Atomausstieg erzeugt das Druck. Das ist spannend, und es wird viel getan. Wir haben deshalb in den letzten Jahren unser europäisches Konzernforschungszentrum in Garching bei München verdoppelt. Aber den deutschen Weg als Blaupause für die Welt wird es wohl nicht geben. Wir haben hier 200 Gigawatt installierte Leistung, 100 GW aus erneuerbaren Energien, 100 GW aus konventionellen Technologien, und im Sommer benötigen wir nur 34 Gigawatt. Es dürfte schwierig werden, dieses Modell auf andere Länder zu übertragen. GE muss sich aber fragen, wie das wirtschaftliche Modell aussieht. Man muss einfach sagen, dass die Politik der Treiber ist, der den Rahmen schafft. Sie ist auch der Treiber von großer Volatilität in diesem Bereich, und das ist schwierig zu steuern, vor allem vor dem Hintergrund der durchschnittlichen Laufzeit unserer Projekte.


„Es gibt eine Menge Chancen für kleine und mittlere Unternehmen.“


neue energie: Die deutschen Versorger bauen um, aber das dauert, der Ausgang ist offen. GE ist auch ein Großkonzern, aber Ihnen scheint diese Volatilität nicht so große Sorgen zu bereiten …

Reimelt: Ich bin seit sechs Jahren bei GE und tatsächlich würde ich sagen, dass ich kaum ein anderes Unternehmen kenne, das sich so schnell mit Portfolio-Anpassungen auf sich ändernde Rahmenbedingungen einstellen kann. Es gibt aber auch keinen Trend, den wir hierzulande gerade sehen und der in einem anderen Land bereits umgesetzt wurde. In Deutschland haben wir eine andere Struktur bekommen, die Märkte sind fragmentiert, allein durch über tausend Stadtwerke. Global Player müssen inzwischen als lokale Unternehmen auftreten. Lokalität und Regionalität sind entscheidende Faktoren. Und das gilt europaweit – ich sehe Europa als ein Europa der Regionen, nicht der Länder.

neue energie: Führt die wohl unvermeidliche Marktbereinigung nicht zu einer neuen Konzentration? Werden statt vier großer Konzerne künftig acht, zehn oder zwölf sehr große Unternehmen den Markt dominieren?

Reimelt: In Transformationsprozessen gibt es naturgemäß große Volatilität. Das wiederum geschieht in einem Markt, der global nur sehr langsam wächst. Insofern gibt es eine Menge Chancen für kleine oder mittlere Unternehmen. Nehmen wir mal die Stadtwerke: Von den tausend plus in Deutschland gibt es einige, die extrem innovativ sind, die auch über Kapitalkraft verfügen. Das sind unsere Kunden, mindestens 250 davon. Die dürfen wir nicht vernachlässigen. Hinzu kommt, beispielsweise im Geschäftsbereich der Jenbacher Gasmotoren, dass wir dort 2.500 Blockheizkraftwerke betreuen, mindestens 800 davon im Biogas-Sektor.

neue energie: Welchen Anteil haben die Erneuerbaren am GE-Portfolio in Deutschland?

Reimelt: Mit mehr als 2.000 Onshore-Windenergieanlagen und über 2.500 Jenbacher-Gasmotoren unterstützt GE die Energiewende in Deutschland. Das Thema Hybridkraftwerk wird uns zukünftig auch beschäftigen. Sicher wird es noch einige konventionelle Kraftwerke zur Netzstabilisierung im Süden Deutschlans geben. Der Rest wird erneuerbar sein.

neue energie: Was wäre, wenn der Einspeisevorrang in Europa fällt?

Reimelt: Sämtliche Technologiethemen werden bei uns durch die Zielsetzung getrieben, irgendwann erneuerbare Energien nicht mehr zu subventionieren. Das wird kommen. Bei globaler Betrachtung fällt auf, dass die Industrie schon in der Lage ist, Photovoltaik mit drei Cent pro Kilowattstunde zu bauen. Das ist eine Frage der Skalierbarkeit, und da wurden schon viele Fortschritte erzielt.

neue energie: Dann preisen Sie aber rückläufige Ergebnisse bestimmter Geschäftsbereiche von GE ein?

Reimelt: Wieso? Wir sind im PV-Bereich gut positioniert. Unser Berliner Wechselrichter-Werk hat mehrere Gigawatt in den Bestellbüchern. Ja, wir werden vielleicht nicht mehr so viele Gasturbinen der H-Linie in Deutschland verkaufen. Aber das haben wir auch nicht im Plan. Unsere neue H-Linie läuft ansonsten hervorragend, wir werden im kommenden Jahr eine Rekordauslieferung außerhalb Deutschlands haben.

neue energie: Nehmen wir mal die Bioenergie. Die ist vielerorts in Europa besser aufgestellt als in Deutschland. Viele Geschäftsmodelle sind aber akut bedroht, wenn der Einspeisevorrang fällt …

Reimelt: Sicher. Aber das ist die Volatilität des Marktes. In dem Systemwandel müssen sich Unternehmen und Volkswirtschaften mit diesen Fragen beschäftigen. Das geht nicht schmerzfrei. Auch nicht hier in Deutschland.


„Natürlich ändert sich unsere Kundschaft.“


neue energie: Stichwort Digitalisierung, eines der großen Themen für GE. Was bringt die IT-Lösung ‚Predix‘ der Windkraft?

Reimelt: Wir haben vor fünf Jahren festgestellt, dass wir eine Software-Plattform brauchen, die es uns erlaubt, technologische Prozesse, etwa die Lieferkette, in ihrer Gesamtheit abzubilden. Wir wollten die Plattform zunächst nicht selbst entwickeln, aber haben damals keine Lösung auf dem Markt gefunden. Was uns vom Silicon Valley angeboten wurde, war nicht technologiegetrieben und konnte Betriebsdaten nicht in Echtzeit abbilden. Das braucht man heute aber. Also haben wir eine eigene Plattform entwickelt. Hätten wir das nicht getan, wären uns wohl große Service-Aufträge verloren gegangen. Predix ist eine IT-Plattform, die es ermöglicht, eine Fülle von industriellen Daten zu sammeln und zu analysieren. Durch Auswertung der Daten können beispielsweise Anomalitäten während des Betriebs von Anlagen erkannt werden und modellhaft zukünftige Zustände betrachtet werden, um dadurch die Verfügbarkeit und Produktivität zu verbessern und Wartungskosten zu reduzieren. Wir können auch sagen, wann eine Komponente ausfällt, Stichwort vorausschauende Wartung.

Wichtig ist, dass es uns bei der Digitalisierung nicht um die Automatisierung der Produktion geht. Es geht uns aber um völlig neue Geschäftsmodelle. Wir können die Verfügbarkeit der Anlage verkaufen, also Windstrom liefern, ohne dass der Kunde die Anlage erwerben muss. Wir können auch mit einer App die Verfügbarkeit sämtlicher GE-Windparks in Deutschland in Echtzeit miteinander vergleichen, wir kennen Auslastung, Stillstandzeiten und die jeweiligen Gründe. Letztlich entsteht so echter Mehrwert durch Asset Performance Management, beispielsweise beim Betrieb der Komponenten, in der Fabrik und im Service. Und wir können dem Kunden anbieten, in seine Kraftwerke zu investieren. Wir optimieren den Ertrag und teilen den Mehrerlös mit dem Kunden. Das ist nur durch die Digitalisierung möglich. Natürlich mussten wir auch wieder regionale Lösungen finden, gerade für Deutschland, etwa bei der Frage, wem die vielen Daten gehören, die in die Cloud wandern.

neue energie: Verfügbarkeit wird aber wahrscheinlich nicht von einer Bürgerenergiegesellschaft erworben, oder?

Reimelt: Natürlich ändert sich unsere Kundschaft. Früher waren unsere Kunden im Bereich der erneuerbaren Energien Landwirte und mittelständische Betreiber. Heute sind es oft Investmentfonds. Die sind daran interessiert, wie wir ihr Geschäftsmodell verbessern können. Und daran arbeiten wir.  

neue energie: Wird dieser Markt künftig von zwei Plattformen dominiert werden, ‚Predix‘ und ‚Mindsphere‘ von Siemens – ähnlich wie bei Android und Apple?

Reimelt: Ich denke nicht, es wird wohl eine Menge Kooperationen geben – beispielsweise haben wir in den letzten Wochen die Zusammenarbeit mit Schindler, Bosch und SAP bekannt gegeben, weitere werden sicher folgen. Nachdem wir Predix im Februar 2016 für unsere globalen Kunden freigegeben haben, arbeiten heute bereits 20.000 Entwickler auf der Plattform, und es wurden über 100 Applikationen auf Predix entwickelt. Kooperationen sind ohnehin die Zukunft. Sehen Sie sich mal Apple, Google, Facebook und Amazon an. Diese vier Firmen konkurrieren, zusammen sind die größer als der deutsche Dax – und keines dieser Unternehmen hat es vor 15 Jahren gegeben. Auch die Art der Software-Entwicklung wird sich verändern, ein Konzern kann künftig nicht mehr allein vor sich hin entwickeln, einfach weil sich das Entwicklungstempo dramatisch steigern wird.

neue energie: Wie sieht Ihre Strategie speziell im Bereich der Windenergie aus, welchen Marktanteil streben Sie an?

Reimelt: Wir konnten in den zurückliegenden Jahren unsere Marktanteile in Deutschland stark steigern und werden 2016 mit einem sehr guten Ergebnis abschließen. Beim Service, aber auch bei den Anlagen sind wir neue Wege gegangen, die Windkraftanlage 2.75 haben wir eigens für den deutschen Markt als Schwachwindturbine entwickelt. Hier wieder das Stichwort Regionalität, wir produzieren in Deutschland für Deutschland. Schätzen Sie mal, wie viele Anlagen durchschnittlich in einem GE-Park hierzulande stehen.

neue energie: Fünf Anlagen?

Reimelt: Es sind 3,6 Anlagen – das ist also ein sehr lokales Geschäft. Als ich bei GE angefangen habe, wollten wir keinen Park unter zehn Anlagen anbieten.

neue energie: Kleine Parks, vielleicht weit weg vom Netz, das dürfte mit Ausschreibungen künftig schwer sein. Wie wichtig ist Ihnen Deutschland künftig als Absatzmarkt?

Reimelt: Ich bin absolut davon überzeugt, dass Deutschland einer der technologisch wichtigsten Märkte überhaupt ist, in Europa der wichtigste. Seit 2011 haben wir den Umsatz im Energiebereich verdreifacht. Bis heute wurden etwa 2.000 Onshore Windturbinen von GE in Deutschland installiert.

neue energie: Wenn ich das vor dem Hintergrund der Ausschreibungen richtig verstehe, werden Sie bei den Anlagen noch einmal an der Kostenschraube drehen…

Reimelt: Das Thema Kostensenkung ist uns sehr vertraut. Schauen Sie mal, wie schnell die Entwicklung verlaufen ist, von der Onshore Windkraftanlage 2.75 auf die 3.4. Das waren große Sprünge. Verschlankung der Strukturen und Vereinfachung der Prozesse – das sind Themen, die wir bei GE sehr ernst nehmen. Natürlich geht es aber nicht nur um die Kostensenkung, sondern auch um die Leistungssteigerung, da geht noch etwas. Wir werden uns mit größeren und höheren Turbinen auseinandersetzen müssen. Das Thema Schwachwind wird uns in Deutschland weiter beschäftigen.

neue energie: Jüngst gab es Meldungen, dass die Produktion im Werk Mannheim geschlossen werden könnte. Wie sieht es mit den Wachstumszielen bei Umsatz und Mitarbeiterzahlen in Deutschland aus?

Reimelt: Nach der Akquisition der Energiesparten von Alstom durch GE wurden im Rahmen der Integration europaweit verschiedene Maßnahmen angestoßen, um auf die geänderten Marktbedingungen im Energiesektor zu reagieren. Davon ist auch die Gas- und Dampfturbinenproduktion für konventionelle Kraftwerke am Standort Mannheim betroffen. Insgesamt haben GE und die Energie-Geschäftsbereiche von Alstom in den vergangenen drei Jahren signifikante Investitionen in Deutschland getätigt. Wir investieren auch weiterhin in Technologie und Produktentwicklung – beispielsweise haben wir in diesem Jahr unser Forschungszentrum in Garching nochmals erheblich erweitert.

Eine gekürzte Fassung des Interviews ist in der Ausgabe 1/2017 von neue energie erschienen.

 

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