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CO2-Preis

„Die Leistungsfähigkeit des Emissionshandels wird kaum infrage gestellt“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 01.08.19
… beklagt Ex-DLR-Forscher Joachim Nitsch angesichts der im Juli vorgelegten Regierungsgutachten zur CO2-Bepreisung – und warnt davor, mit deren Einführung alle anderen Förderinstrumente für saubere Energietechnologien abzuschaffen.

neue energie: Herr Nitsch, Sie beschäftigen sich seit langem mit den Möglichkeiten einer CO2-Bepreisung, haben selbst Vorschläge erarbeitet. Was fällt Ihnen grundsätzlich bei den im Juli vorgelegten Regierungsgutachten auf?

Joachim Nitsch: Die grundsätzlich positive Botschaft ist, dass alle Gutachten unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass wir einen CO2-Preis über alle Sektoren brauchen, der mittel- bis langfristig deutlich ansteigen muss. Zudem besteht Einigkeit, dass jetzt der Zeitpunkt für die Einführung endgültig gekommen ist und es sehr schnell gehen muss, damit die Klimaziele für 2030 noch erreicht werden. Das ist positiv.

ne: Experten fordern seit Jahren eine wirksame CO2-Bepreisung, gerade weil der Emissionshandel (ETS) nicht die gewünschten Resultate gebracht hat – was lässt Sie hoffen, dass es jetzt wirklich vorangeht?

Nitsch: Im Unterschied zur Vergangenheit gibt es jetzt den öffentlichen Druck, der durch die Demonstrationen von Fridays for Future und Scientists for Future so groß geworden ist, dass sich alle etablierten Parteien bewegen. In der CDU wurden dazu mehrere Arbeitsgruppen gebildet. Andere Parteien haben bereits konkrete Vorschläge vorgelegt. Zudem hat sich die Kanzlerin dazu bekannt, am 20. September ein entsprechendes Gesetzespaket vorzulegen. Das alles wird also nicht im Sande verlaufen. Was allerdings im Ringen der Großen Koalition dann im Detail herauskommt, ist eine andere Frage.

ne: Deuten sich bereits politische Sollbruchstellen in den Gutachten an?

Nitsch: Es gibt in den vorgelegten Vorschlägen noch einige Unschärfen. Das Umweltministerium hat sich ja nur mit den Sektoren beschäftigt, die derzeit nicht vom europäischen Emissionshandel erfasst werden. Das sind die Bereiche Gebäude und Verkehr. Dafür wurde eine CO2-Besteuerung gefordert, inklusive einer sozialen Komponente, also einer Rückverteilung der Einnahmen. Das kann es aber nicht alleine sein.

ne: Wie meinen Sie das?

Nitsch: Das Sondergutachten der Wirtschaftsweisen wie auch das Papier des wissenschaftlichen Beraterkreises des Bundeswirtschaftsministeriums haben jeweils das Gesamtsystem betrachtet, also die Wechselwirkungen zwischen den Sektoren. Sie kommen dabei zu der ganz entscheidenden Aussage, dass zumindest mittelfristig anzustreben ist, dass über alle Sektoren hinweg ein einheitlicher CO2-Preis gelten muss. Damit könnten alle Sektoren in effektiver Weise zu einer deutlichen CO2-Reduktion beitragen. Stichwort: Sektorenkopplung.

ne: Allerdings geht es auch den Gutachtern besonders darum, beim Verkehr und mehr noch bei den Gebäuden aktiv zu werden. Deutet sich zumindest an dieser Stelle inhaltlich ein möglicher Konsens zwischen dem SPD-geführten Umweltministerium und den beiden von der Union dominierten Regierungsstellen an?

Nitsch: Ein Konsens ist denkbar. Vor allem in Richtung der Wirtschaftsweisen, für die als Übergangslösung ja auch eine CO2-Besteuerung infrage kommt, als Alternative zu dem Vorschlag, für die Bereiche Gebäude und Verkehr einen getrennten, nationalen Emissionshandel einzuführen. Wobei dann innerhalb der nächsten zehn Jahre die Sektoren zu einem gesamteuropäischen ETS zusammengeführt werden sollen. Für mich ist aber eigentlich entscheidend, dass das jetzt schnell kommen muss. Insofern ist es gut, dass das Sondergutachten betont, dass eine CO2-Steuer schon zum 1. Januar 2020 in Kraft treten könnte. Gut ist auch, dass die Wirtschaftsweisen darauf hinweisen, dass es mit einem nationalen Emissionshandel wahrscheinlich ein bis zwei Jahre dauern würde. Insofern liegt jetzt alles in der Verantwortung der Politik, schnell zu handeln.

ne: Ein zentraler Bestandteil der Gutachtervorschläge ist die Entlastung der Verbraucher, dabei wird immer wieder die Streichung oder Senkung der Stromsteuer genannt …

Nitsch: Es ist bemerkenswert, dass das in vielen der Stellungnahmen propagiert wird. Damit könnte tatsächlich die Lenkungswirkung verstärkt werden. Es geht nicht nur darum, Brenn- und Kraftstoffpreise anzuheben, sondern parallel die Strompreise abzusenken. Schließlich werden künftig ja alle Bereiche mehr oder weniger auf sauberen Strom umgestellt werden müssen. Insofern ist es wichtig, dass einkommensschwächere Haushalte bei den Stromkosten entlastet werden, die man in der Vergangenheit mit immer mehr Abgaben über die EEG-Umlage stark belastet hatte. Und ich finde es bemerkenswert, dass damals von kaum einem Politiker über mögliche soziale Verwerfungen gesprochen wurde …

ne: … in den letzten Jahren dann schon, Stichwort: Energiearmut …

Nitsch: Was man gleich dem EEG angelastet hat. Dabei war das eine einseitige Darstellung. Die großzügig gewährten Industrieausnahmen wurden auf die privaten Haushalte abgeladen. Jetzt plötzlich hat man die soziale Komponente entdeckt – was ich prinzipiell gut finde. Ob aber die alleinige Rückvergütung über die Stromsteuer ausreicht, muss geprüft werden. Nicht sämtliche sozialen Problemlagen, speziell im Wohnungssektor, werden darüber abzudecken sein. Da wird es weiterhin andere Instrumente wie das Wohngeld geben müssen.

ne: Nach der Veröffentlichung der Gutachten wurden schnell Bedenken laut, Vermieter könnten die Kosten für eine Sanierung einfach an Mieter durchreichen. Dann entstünde eine Schieflage …

Nitsch: Mit der Entlastung über den Strompreis, also der Reduktion der Stromsteuer, würde es ja zunächst zu einer Kompensation hinsichtlich steigender Kosten bei Heizöl und Gas kommen. Sicher muss man aber das Mieter-Vermieter-Dilemma grundsätzlicher lösen. Deshalb muss endlich die steuerliche Erleichterung von Gebäudesanierungen eingeführt werden. Das ist ein ganz wichtiges Parallelinstrument.

ne: Streit zwischen den Koalitionären könnte es um die anzustrebende Höhe des CO2-Preises geben, der ja jahrelang viel zu niedrig war. Die Gutachten machen für den Anfang eine Spanne von 25 bis 50 Euro auf, erst 2030 sollen es dann 180 Euro sein …

Nitsch: 180 Euro im Jahr 2030, das ist ehrgeizig. Der Charme liegt jetzt darin, dass wir sanft beginnen, wobei ich unterstelle, dass der Einstieg nicht unter 40 Euro liegen sollte, der dann aber auch als Mindestpreis im bestehenden EU-Emissionshandel gelten sollte. Dann würde für die Stromerzeugung die Besteuerungshöhe derjenigen in den anderen Sektoren entsprechen. Damit käme es wohl wirklich zu einem deutlich schnelleren Kohleausstieg vor 2038. Das wird bemerkenswerterweise auch in dem Sondergutachten betont. Zumal dann die Entschädigungszahlungen für die Kraftwerksbetreiber entfielen. Zum Zweiten hätte man mit diesem sanften Einstieg eine hohe Akzeptanz auf der Gebäude- und Verkehrsseite. Würde der gestaffelte Anstieg auf 180 Euro politisch festgelegt und 2030 auch erreicht, würde das im Gebäudesektor eine Menge bewirken.

ne: Das scheint im Verkehrssektor aber anders zu sein. Dort gehen die Gutachter letztlich von Effekten zwischen zehn und 50 Cent aus, was zu Literpreisen führt, die man an deutschen Tankstellen schon gesehen hat. Die Lenkungswirkung dürfte – ohne ordnungspolitische Maßnahmen – also gering sein …

Nitsch: Das ist richtig, im Verkehrssektor brauchen wir ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Wir haben es da auch mit 20 Jahren versäumter Verkehrspolitik zu tun. Die CO2-Preiserhöhungen können eigentlich nur dazu führen, dass individuelle Nutzerschneller auf kleinere Fahrzeuge oder auf Elektrofahrzeuge umsteigen und das Steueraufkommen zudem in einen besseren ÖPNV fließt. Letztlich geht es aber um eine völlig andere Verkehrspolitik, um Mobilitätskonzepte, den ÖPNV-Ausbau, die Reduktion des Individualverkehrs. Die CO2-Bepreisung könnte da sogar der kleinste Baustein sein. Es braucht aber dennoch das Signal, dass der Sprit immer teurer wird. Und dass es künftig durchaus relevant ist, ob man sich für einen großen SUV, einen Kleinwagen oder das Carsharing entscheidet.

ne: Letztlich geht es also um Investitionssicherheit, im kleinen wie im großen Maßstab…

Nitsch: Absolut. Insofern wäre mit einer festgelegten Steigerung der CO2-Steuer und einem Preiskorridor für alle Akteure ein eindeutiges Signal gesetzt, hinsichtlich ihrer Investitionsentscheidungen in Effizienztechnologien, in erneuerbare Energien oder in neue Technologien, also Power-to-X und dergleichen. Auch die zahlreichen kleinen Akteure, um die es gerade geht – Wohnungseigentümer, Gebäudeeigentümer, kleine Unternehmen, auch Energiegenossenschaften – hätten eine klare Vorgabe und könnten damit planen.

ne: Würde es ohne zusätzliche ordnungspolitische Instrumente funktionieren?

Nitsch: Auf keinen Fall. Wir brauchen Fördermittel für Investitionen in die Sanierung von Gebäuden und Infrastrukturen und Anreize für die Grundstoffindustrie, um dort CO2-freie Grundstoffprozesse einzuführen, Stichwort: Stahlherstellung mittels Wasserstoff. Derzeit stagniert das ja. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass wir uns in die Richtung der 2030er-Ziele bewegen. Und nebenbei gesagt, die 2030er-Ziele, die die Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, sind alles andere als ausreichend für das Paris-Ziel. Selbst wenn wir bei den Emissionen ein Minus von 55 Prozent erreichen, überschreiten wir gnadenlos unser CO2-Budget, das uns noch bleibt.

ne: Denken Sie, dass es richtig ist, am Ende auf einen europäischen, vielleicht sogar globalen Emissionshandel zu setzten? Wir hatten ja bereits angesprochen, dass dieses Instrument in der Vergangenheit nicht gut funktioniert hat, etwa weil es sensibel auf konjunkturelle Veränderungen reagiert …

Nitsch: Tatsächlich setzt besonders an dieser Stelle meine Kritik an den vorgelegten Regierungsgutachten an. Die Leistungsfähigkeit des Emissionshandels wird kaum infrage gestellt. Aktuell wird so getan, als würde der Emissionshandel im Strom- und Industriesektor funktionieren. Das tut er nicht, er ist auch nach Jahren kein wirksames Klimaschutzinstrument. Wir haben erlebt, dass wir bei der Industrie durch zu viele Zertifikate und zu viele Ausnahmen eigentlich überhaupt keine CO2-Minderung in den letzten zehn Jahren erreicht haben. Die Minderung gibt es nur bei der Stromerzeugung, was nicht zuletzt aber ein Verdienst der erneuerbaren Energien ist. Zertifikate sind ein schwerfälliges Instrument, und wir haben die Wechselwirkungen mit anderen Instrumenten, bei uns speziell mit dem EEG, zu wenig beachtet. Es muss also nachgebessert werden.

ne: Inwiefern?

Nitsch: So wie jährlich die Höhe einer CO2-Steuer nach oben korrigiert werden müsste, müsste man die Zertifikatemenge ständig reduzieren. Die Verknappung könnte gewährleisten, dass der Preis angemessen hoch ist und eine Lenkungswirkung entsteht. Bislang gab es immer die Tendenz, dass es zu großzügigen kostenlosen Zuteilungen an die Industrie kommt. So gesehen könnte ich mir sogar vorstellen, dass man sich generell davon trennt und auch auf europäischer Ebene eine CO2-Steuer einführt.

ne: Sie geben der Steuer grundsätzlich den Vorzug?

Nitsch: Es sind sehr viele Akteure, die an der Reduktion der CO2-Emissionen mitwirken müssen. Da halte ich einen direkten Preis über eine Steuer für das besser vermittelbare Signal. Kommen wir noch einmal zum Hauseigentümer. Bei einer vorgegebenen Zertifikatsmenge weiß er nicht, mit welchem Preis er in fünf Jahren rechnen kann. Er wird dann zögerlich in eine Gebäudesanierung investieren. Der Emissionshandel ist etwas, was die Profis verstehen. Die können auch mit einem gewissen Risiko umgehen, was den Preis anbelangt. Deshalb favorisiere ich für den Gebäude- und Verkehrssektor, wo es Millionen Einzelakteure gibt, zunächst ein direktes Preissignal. Ich will aber nicht bestreiten, dass zu einem späteren Zeitpunkt auf nationaler – oder auch internationaler – Ebene auch eine Kombination aus unterschiedlichen Instrumenten funktionieren kann, das gibt es in einigen Ländern ja schon. Man könnte das durchaus als Experiment sehen, um herauszufinden, was am besten funktioniert.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Den vollständigen Text lesen Sie in der Ausgabe 08/2019 von neue energie.


Joachim Nitsch

war von 1976 bis 2005 Leiter der Abteilung Systemanalyse und Technikbewertung am Institut für Technische Thermodynamik des DLR in Stuttgart. Zudem leitete er von 1988 bis 1993 das Fachgebiet Systemanalyse im Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg. Gleichzeitig war Nitsch wissenschaftlicher Berater verschiedener Bundes- und Landesregierungen. Heute nimmt er als Beirat des Vereins „CO2-Abgabe“ Stellung zu aktuellen Fragen der Klima- und Energiepolitik. Nitsch ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beraterkreises von neue energie.

Aktuelle Papiere des CO2-Abgabe-Vereins zum Download:

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