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Interview

„Beim Thema klimaneutrale Industrie braucht es maximale Transparenz“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 04.11.21
… ist der Energieforscher Uwe Leprich überzeugt. Sonst komme es zu Mogelpackungen. Wer es mit dem Klimaschutz ernst meint, müsse das gesamte Wirtschaftssystem nachhaltig umgestalten.

neue energie: Wenn es um das Voranbringen der Energiewende geht, wird das Augenmerk derzeit verstärkt auf die Industrie gelenkt. Der Thinktank Agora Energiewende etwa hat unter dem Titel ‚Agora Industrie‘ eigens ein neues Team aufgestellt. Was tut sich da gerade?

Uwe Leprich: Bislang wurde besonders den privaten Verbrauchern und der öffentlichen Elektrizitätswirtschaft mit den EEG-Anlagenbetreibern im Zentrum viel Aufmerksamkeit geschenkt. Aber mit diesen Sektoren allein werden wir unsere Klimaschutzziele nicht erreichen. Ich halte es deshalb für logisch, den Blick auf den großen Brocken zu richten. Mehr als ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs und fast die Hälfte des Stromverbrauchs in Deutschland entfällt auf die Industrie. Dort liegen die schwierigen Potenziale, wobei der Green Deal der EU zusätzlich für mächtig Druck sorgt.

ne: Tatsächlich wird in den jüngsten Diskussionen ein wichtiger Faktor hervorgehoben, nämlich dass die Industrie bis 2045 klimaneutral sein soll, bis dahin aber nur noch ein Investitionszyklus ansteht …

Leprich: Das stimmt. Gerade in der Grundstoffindustrie werden Produktionsanlagen über einen langen Zeitraum abgeschrieben. Wer also heute bei der Technologie und dem Energieträger eine Entscheidung trifft, die nicht die Möglichkeiten bietet, die klimapolitischen Zielsetzungen zu erreichen, für den wird es ein böses Erwachen geben. Das trifft auch die Bundesregierung, wenn die ab einem Zeitpunkt X feststellen muss, dass sie die Klimaziele des Pariser Abkommens nicht erreicht. Müssten solche, für den Klimaschutz ungeeigneten Anlagen daraufhin abgeschaltet werden, würde das volkswirtschaftlich sehr teuer werden. Dann sprechen wir von Stranded Investments.

ne: Der Energieversorger RWE und der Chemiekonzern BASF haben sich zusammengetan, um gemeinsam ein großes Offshore-Projekt zu stemmen. Sind Kooperationen zwischen Großerzeuger und Großabnehmer ein zukunftsweisendes Modell, um den ‚großen Brocken‘ in den Griff zu bekommen und die Energiewende damit zu beschleunigen?

Leprich: In Einzelfällen ja. Gerade, wenn ein Gigant wie BASF sich ernsthaft bemühen will und von einem anderen Giganten unterstützt wird, ist das natürlich hilfreich. Aber wir müssen grundsätzlicher fragen, welche Zielsetzung dahintersteht. BASF geht es darum, ungebremst zu produzieren und mindestens bisherige Absatzvolumina zu sichern, also einfach so weiterzumachen wie bisher, nur eben klimaneutral. Dabei muss zudem genau betrachtet werden, wie solche Unternehmen wie BASF oder auch RWE „Klimaneutralität“ definieren, denn da gibt es eine ziemliche Bandbreite.

ne: Nämlich?

Leprich: Das reicht von der Reduzierung der eigenen Treibhausgase auf Null bis hin zum Ausstoß in völlig unveränderter Höhe, der dann lediglich kompensiert wird. Aber Kompensationsprogramme sind erfahrungsgemäß häufig Mogelpackungen, die eine Treibhausgas-Reduktion lediglich auf dem Papier, nicht jedoch in der Realität nachweisen können. Wenn ein Unternehmen beispielsweise Zertifikate von Wiederaufforstungsprojekten in Indonesien kauft, am eigenen Standort aber nicht viel ändert, dann hilft das in der globalen Klimakrise nicht wirklich weiter. Wir brauchen beim Thema Klimaneutralität maximale Transparenz, um mögliches Greenwashing der Industrie bereits im Ansatz aufzudecken.

ne: Wirtschaft und Politik betonen immer wieder, dass der Industriestandort Deutschland erhalten bleiben soll. Das ist stets verbunden mit dem Hinweis auf den globalen Wettbewerb. Bei BASF etwa geht man davon aus, dass 50 Prozent des Chemie-Weltmarkts 2030 von China dominiert wird. Das befördert natürlich die nationale Diskussion, die Industrie beim Klimaschutz nicht übermäßig zu belasten. Wie bewerten Sie das?

Leprich: Ich würde mal so anfangen: Wenn China sich entscheiden sollte, den Klimaschutz nicht ernst zu nehmen, dann ist die Klimakrise, und zwar eine dramatische Klimakrise, vorgezeichnet. Zum Glück scheint das aber nicht der Fall zu sein. In den letzten Jahren wurden dort beispielsweise enorm viele Wind- und Solaranlagen installiert. Und man ist auch dabei, erste Industrieprozesse auf Klimaneutralität umzustellen. Wenn nun hierzulande gedroht wird, dass Unternehmen im Zweifel abwandern, weil bei uns der Klimaschutz überzogen sei und die Politik deshalb keine zu ambitionierten Ziele formulieren solle, dann ist das auf Dauer keine besonders überzeugende Argumentation. Aber die neue Studie des Bundesverbands der Deutschen Industrie „Klimapfade 2.0“ zeigt ja zum Glück gerade, dass die deutsche Industrie offensichtlich bereit ist, die notwendige fundamentale Transformation offensiv anzugehen.

ne: China entwickelt sich demnach, im Guten wie im Schlechten, zum Taktgeber für europäische Unternehmen?

Leprich: Absolut. China wird noch vor Ende des Jahrzehnts die stärkste Wirtschaftsnation der Erde sein. Exemplarisch dazu: In Deutschland werden jährlich rund 40 Millionen Tonnen Stahl produziert, in China sind es knapp 900 Millionen Tonnen. Wobei es auch dort längst darum geht, hochwertige Qualität zu produzieren. Wenn der Weltmarkt in Richtung CO2-freier Stahl geht, wird China schnell ganz vorn mit dabei sein. Insofern gehe ich davon aus, dass uns China mit seinem zielstrebigen Vorgehen sehr bald in Sachen Klimaverträglichkeit große Konkurrenz machen wird.

ne: Das Klimaschutzargument muss also künftig nicht unbedingt für Deutschland als Produktionsstandort sprechen?

Leprich: Es gibt bekanntlich stromintensive Industriezweige, die in Deutschland mit immer noch relativ schmutzigem Strom produzieren, obwohl es Länder gibt, in denen der Strom im Vergleich viel sauberer ist und die Produktionskosten niedriger sind. Es ist also schlicht falsch zu behaupten, dass es für den Klimaschutz stets besser sei, zum Beispiel Aluminium in Deutschland herzustellen. Nein, vielleicht wäre es klimapolitisch sogar erwünscht, stromintensive Industriezweige ziehen zu lassen, wenn an einem anderen Ort dieser Welt auf Basis erneuerbarer Energien eine CO2-freie Produktion schneller möglich ist als bei uns. Eine solche volkswirtschaftliche und zugleich klimapolitische Diskussion, ob es vernünftig ist, bestimmte Produktionen in Deutschland zu halten angesichts einer fortgeschrittenen weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung, wird aber gar nicht erst zugelassen. Wenn es beim Industriestandort Deutschland in Wahrheit in allererster Linie um Arbeitsplätze und um Wertschöpfung geht, dann sollte man das deutlich sagen und nicht den Klimaschutz vorschieben.

Das vollständige Interview mit Uwe Leprich lesen Sie in Ausgabe 11/2021 von neue energie.


Uwe Leprich
unterrichtet an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlands in den Fächern Wirtschafts-, Energie- und Umweltpolitik. Von April 2016 bis März 2018 leitete er am Umweltbundesamt in Dessau die Abteilung Klimaschutz und Energie.

 

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