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Windmesse in Hamburg

Bedingt optimistisch

Jan Oliver Löfken, 04.10.22
Die riesigen Ausbauziele für Windenergie beflügeln die Phantasie. Doch bislang beherrschen viele Unsicherheiten den Markt. Auf der Wind-Energy-Messe in Hamburg wurde die Lage heiß diskutiert.

Rund 1400 Aussteller aus 40 Ländern, bis zu 35 000 Besucher und kurze Wege an den Spätnachmittagen von einer Standparty zur nächsten – auf der Hamburger Wind Energy herrschte gute Stimmung, war es nach vierjähriger Pandemiepause doch die erste große, internationale Windmesse ohne Corona-Beschränkungen. Allerdings gab es am vorletzten Messetag auch schlechte Nachrichten: Siemens Gamesa kündigte den Abbau von 2900 Stellen an. Das entspricht mehr als zehn Prozent der Belegschaft. So blicken die Branchenakteure zwar optimistisch in die Zukunft, die aktuelle Lage aber wird als äußerst herausfordernd beschrieben. Einerseits gibt es rund um den Globus sehr hohe Ausbauziele – allein in Deutschland soll sich die installierte Leistung an Land pro Jahr um zehn Gigawatt auf 115 Gigawatt bis 2030 mehr als verdoppeln.

Andererseits dämpfen hohe Materialkosten, unterbrochene Lieferketten, langwierige Genehmigungsprozesse, zu wenig Flächen und stockender Netzausbau. Sowohl die Folgen von Pandemie und Krieg als auch hausgemachte Versäumnisse fordern ihren Tribut und belasten den Markt. „Wenn die Bundesländer ihren Job nicht machen, werden wir scheitern“, unterstrich Energie- und Klimaminister Robert Habeck sein Ziel, bundesweit zwei Prozent der Flächen für die Windkraft zur Verfügung zu stellen. „Machen Sie Ihre Arbeit“, forderte er in seiner Rede zur Messeeröffnung die nachhinkenden Bundesländer auf – vor allem Bayern war angesprochen.

„Wind und die Erneuerbaren insgesamt sind eine strategische Industrie“, sagte Ben Backwell, CEO vom Global Wind Energy Council (GEWC). Dieser Status müsse von der Politik, in erster Linie von der Europäischen Kommission in Brüssel, gesetzt werden, um der Windbranche bevorzugt den Nachschub an Rohstoffen, Materialien und Halbleitern zu sichern. „Wir müssen in Europa stabile Lieferketten aufbauen, um nicht den Anschluss an andere Weltregionen zu verlieren“, ergänzte Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer Power Systems beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau VDMA.

„Hamburger Erklärung“

„Der Ausbau der Stromnetz-Infrastruktur muss signifikant beschleunigt werden – onshore und offshore“, benannte Sven Utermöhlen, Chairman von Wind Europe, einen weiteren bremsenden Faktor für den Windausbau. Mit solch optimierten Bedingungen würde laut Björn Spiegel, Vizepräsident des Bundesverbands WindEnergie (BWE), einzig ein intensives Investment zu mehr Versorgungssicherheit im Energiesektor führen. „Und das jeden Tag, jede Woche, jedes Jahr“, so Spiegel.

All diese Forderungen auf dem Weg zu einer konzertierten, europäischen Industriepolitik für die Erneuerbaren, ergänzt um die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren von derzeit bis zu sieben auf maximal ein bis zwei Jahren, bündelten die vier Verbände – GWEC, Wind Europe, VDMA, BWE – zum Auftakt der Messe in der „Hamburger Erklärung zur Reaktion auf die Energie- und die Klimakrise“.

Mit dem von der EU geplanten, dämpfenden Deckel auf die derzeit hochgeschnellten Börsenstrompreise von 180 Euro je Megawattstunde kann die Branche aber offensichtlich leben. „Das ist ein Instrument, das funktionieren kann. Aber es muss einheitlich über ganz Europa greifen“, sagte Utermöhlen. Allerdings müsse der Deckel zeitlich begrenzt sein. Selbst vor einer mutmaßlich billigeren Konkurrenz etwa aus China, deren Unternehmen auf der Messe allerdings kaum vertreten waren, fürchtet sich die europäische Windbranche nicht. „Bei Wasserstoff und Wind stehen wir mit den USA und China im Wettbewerb. Aber wichtig für einen fairen Wettbewerb sind einheitliche Standards, die alle erfüllen müssen“, sagte Rendschmidt.

Trend zu größeren Anlagen

So bereiten sich alle Anlagenhersteller trotz der aktuell schwierigen Marktlage auf den künftigen Windkraft-Ausbau vor. „Wir verbessern bewährte Technologien stetig“, sagte Tony Adam, bei Nordex verantwortlich für politische Kommunikation. Mit der N175/6.X wächst die Leistung der neuesten Onshore-Turbine auf 6,22 Megawatt. Die optimierten Rotorblätter mit 85,7 Metern Länge sind für Standorte mit schwachen und mittleren Windstärken ausgelegt. „Unsere neuen Anlagen passen genau für die Energiewende in Deutschland“, so Adam. In der gleichen Leistungsklasse fokussiert sich Enercon in Aurich mit dem nun präsentierten Spitzenmodell E-175 EP5 ebenfalls auf das Schwachwind-Segment. Mit rund 175 Meter Rotordurchmesser und Nabenhöhen von bis zu 163 Metern sollen die Stromgestehungskosten weiter sinken. Der Start der Serienfertigung ist für 2024 vorgesehen.

Der europäische Onshore-Marktführer Vestas setzt mit der bereits im Frühjahr vorgestellten V172-7.2 MW ebenfalls auf höhere, leistungsfähigere Anlagen für schwächere Winde. „Kombiniert mit einem 199 Meter hohen Turm können damit bis zu 20 Prozent mehr Energie als mit bisherigen Anlagen erzeugt werden“, betonte Jan Hagen, CTO für Nord- und Zentraleuropa. Die Strategie der Modularität, um Komponenten wie Turm, Gondel oder Rotorblatt möglichst optimal an den jeweiligen Standort anzupassen, erleichtere auch die effizientere Serienfertigung. „Modularität schafft Synergien über verschiedene Plattformen hinweg“, sagte Hagen. Als Beispiel nennt er das neue Offshore-Windrad V236-15.0 MW, das einzelne Bauteile mit der deutlich kleineren Onshore-Anlage gemein hat.

Siemens Gamesa bleibt weiterhin mit einer Produktpalette bis hin zur SG 7.0-170 mit 170 Metern Rotordurchmesser und bis zu sieben Megawatt Leistung im Onshore-Markt vertreten. „Onshore und Offshore zählen zu unserer Firmenstrategie. Bei Offshore sind wir klar Marktführer“, sagte Martin Gerhardt, Geschäftsführer Deutschland. Diese Position will das Unternehmen mit der Anlage SG 14-236 DD ausbauen. „Wir installieren aktuell die erste Pilotanlage mit 236 Metern Rotordurchmesser und hoffen, mit dieser Generation viel Volumen zu bekommen“, so Gerhardt. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Denn der Offshore-Markt wachse laut Gerhardt mit fast 30 Prozent.

Dynamik beim Offshore-Ausbau

Diese Dynamik spiegelte sich in der breiten Präsenz von Offshore-Akteuren auf der Hamburger Messer wider. Das belgische Unternehmen Deme etwa präsentierte sein jüngstes Schiff Orion, das bis zu 110 Meter lange Stahlfundamente für Anlagen der 15-Megawatt-Klasse transportieren kann. Um den Aufbau der Offshore-Riesen selbst bei schwierigen Wetterbedingungen besser planen zu können, setzt die norwegische Firma OSC auf aufwendige Simulationen. Mit digitalen Zwillingen der Spezialschiffe lassen sich Manöver oder Kranführung bereits im Vorfeld erproben, um auf offener See die Plattformen schneller und effizienter installieren zu können. „Allein in Norwegen werden 30 Gigawatt Windleistung bis 2040 aufgebaut“, sagte Arne Eik vom norwegischen Konzern Eqinor, der bisher vor allem im Öl- und Gasgeschäft tätig ist. Das Unternehmen beteiligt sich dabei mit mehreren Projekten mit festen Fundamenten, aber auch mit schwimmenden Plattformen.

Im Vergleich dazu ist der deutsche Ausbauplan für Offshore-Wind mit mindestens 70 Gigawatt Leistung bis 2045 deutlich größer. Doch will Equinor mit den Windparks Hywind Tampen (88 MW, im Bau), Utsira Nord oder Trollvind zeigen, dass sich auch die Installations- und Betriebskosten für Floating Offshore Wind – also schwimmende Windparks – künftig drastisch senken lassen.

Mit dem kommenden Ausbau der Windkraft – onshore und offshore – drängt sich auch die Erzeugung von grünem Wasserstoff als Speicher und Schlüssel zur Sektorenkopplung auf. „Wind und Wasserstoff sind sehr gute Partner“, sagte François Paquet von der Renewable Hydrogen Coalition, die in Brüssel die Interessen der aufkommenden Wasserstoffwirtschaft vertritt. Denn Wasserstoff bringe die Erneuerbaren in viele Bereiche wie Industrie, Schifffahrt und Flugverkehr. „Der Wasserstoff-Wettlauf hat begonnen und Europa ist aktuell führend“, sagte Paquet. Aber die USA und China bewegten sich auch schnell, warnte er. So überrascht es nicht, dass Wasserstoff-Technologien – vom Elektrolyseur über den Transport bis zur Nutzung – auf der Hamburger Windmesse viel Raum einnahmen, ergänzt durch die angedockte „H2 conference“.

Grüner Wasserstoff bleibt knapp

„Der Ausbau von Wasserstoff ist nun vom Markt getrieben“, verkündete Minister Habeck. Tatsächlich ließe sich grüner Wasserstoff aus Windstrom aktuell deutlich günstiger herstellen als aus teurem Erdgas, aus dem heute mehr als 95 Prozent des genutzten Wasserstoffs gewonnen wird. Aber diese Rechnung geht nur auf der Basis der Gestehungskosten von Windstrom von unter zehn Cent pro Kilowattstunde auf. Bei den vielfach höheren Marktpreisen, wie sie derzeit an den Strombörsen notiert werden, hat die H2-Erzeugung aus Grünstrom – zumindest vorerst – das Nachsehen.

Zudem bleibt selbst in optimistischen Szenarien grüner Wasserstoff weltweit mindestens bis Mitte der 2030er Jahre ein sehr knappes Gut, wie eine Analyse vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zeigt. Erst ab 2040 könne grüner Wasserstoff 3,2 bis 11,2 Prozent in der EU und 0,7 bis 3,3 Prozent weltweit zur Deckung des Gesamtenergiebedarfs erreicht werden, so die Studie.

Trotz dieser ernüchternden Zahlen gedeihen die Technologien, um Windkraft und Wasserstoff immer besser miteinander zu koppeln. Siemens Gamesa etwa präsentierte das Pilotprojekt im dänischen Brande, wo seit 2021 ein Drei-Megawatt-Windrad grünen Wasserstoff mit einer 400-Kilowatt- Elektrolyse erzeugt. Auf dieser Basis plant das Unternehmen nun bis 2026 im Rahmen des von der EU geförderten Projekts „AquaPrimus II“ eine 15-Megawatt-Anlage vor Helgoland, um Wasserstoff mitunter für die Wärmeversorgung der Hochseeinsel zu erzeugen. „Wir glauben, dass das die Inititalzündung für die dezentrale Wasserstofferzeugung auf See sein könnte“, meinte Gebhardt. So formt Siemens Gamesa eine Strategie, die nicht nur auf Windkraftanlagen, sondern kombinierte Systeme mit Elektrolyseur und Batterie setzt.

5000 Elektro-LKW

Ebenfalls staatlich gefördert will die Salzgitter AG im Projekt Salcos grünen Wasserstoff aus Windstrom für eine fast CO2-freie Stahlherstellung nutzen. Ähnliche Ansätze finden sich auch in Schweden. Im Rahmen des IPCEI-Projekts „Elektrolyse-Korridor Ostdeutschland“ plant das brandenburgische Unternehmen Enertrag, Wasserstoff in einer 210-Megawatt-Elektrolyse mit Strom aus regionalen Wind- und Solarkraftwerken zu erzeugen und per Pipeline zu einer Zementfabrik in Rüdersdorf bei Berlin zu transportieren. Dort sollen mit dem aus der Zementproduktion abgeschiedenen CO2 über mehrere Prozessschritte bis zu 35 000 Tonnen synthetisches, klimafreundliches Kerosin pro Jahr erzeugt werden.

Wann allerdings größere und wirtschaftliche Wasserstoff-Projekte auf solche Pilotvorhaben folgen, ist nicht absehbar – bisher gibt es schlicht keinen Markt für grünen Wasserstoff. Einen anderen Weg schlägt daher das nordfriesische Unternehmen GP Joule ein. „Wir bauen uns den Markt für grünen Wasserstoff selber auf“, sagte CEO Ove Petersen. 5000 Elektro-Lkw der 40-Tonnen-Klasse will er bis 2027 auf deutsche Straßen bringen. Der Strom wird an Bord über eine Brennstoffzelle aus Wasserstoff erzeugt und ermöglicht Reichweiten von mehr als 400 Kilometern. 150 Wasserstoff-Tankstellen sollen dafür entstehen, beginnend in Schleswig-Holstein.

„Dazu bauen wir neue Wind- und Solarparks in ganz Deutschland auf, greifen teilweise aber auch auf bestehende zurück,“ sagte Petersen. Eine installierte Leistung von 2,5 Gigawatt sei für die Wasserstoff-Versorgung in den nächsten fünf Jahren nötig. „Die ersten Lkw werden im zweiten Halbjahr 2023 fahren. 2024 weitere 500, dann jährlich jeweils weitere 1000.“ Das stößt offensichtlich auf Interesse. „Es gibt eine extrem hohe Nachfrage bei den Logistikern nach unseren emissionsfreien Transportangeboten“, unterstrich Petersen.

Wie gut diese Projekte zur Kopplung von Windkraft und Wasserstoff gelingen, könnte sich bereits im kommenden Jahr zeigen. Dann haben alle Interessierten sogar die Wahl zwischen zwei Terminen: Mitte September findet die Husum-Wind statt, Ende September gibt es in Hamburg die dann erstmals eigenständige „H2 Expo & Conference“.

 

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