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Stromkosten

Ökostrom als Billigmacher

Joachim Wille, 15.10.19
Endkunden sparten seit 2011 laut einer Studie rund 70 Milliarden Euro gegenüber einem Elektrizitätssystem ohne Wind und Solar. Nutznießer ist allerdings vor allem die Industrie.

Die Öko-Energien, vor allem Sonne und Wind, gelten als Preistreiber beim Strom. Tatsächlich hat sich die EEG-Umlage in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht – auf zuletzt 6,4 Cent pro Kilowattstunden. Im kommenden Jahr steigt die Umlage auf 6,75 Cent (siehe Infokasten). Allerdings ist das nur eine Seite der Medaille. Die steigende Ökostrom-Einspeisung besitzt gleichzeitig eine dämpfende Wirkung auf den Großhandels-Strompreis an der Börse. Laut einer aktuellen Untersuchung macht diese Verbilligung die Verteuerung durch die Ökostrom-Umlage mehr als wett. Die Endverbraucher haben danach zwischen 2011 und 2018 unter dem Strich insgesamt über 70 Milliarden Euro eingespart – Ökostrom als Billigmacher. Allerdings profitierten davon vor allem Industriebetriebe, nicht die Haushaltskunden.

Energieexperten der Universität Erlangen-Nürnberg rekonstruierten für ihre Studie, wie sich die Preise an der Strombörse in den Jahren 2011 bis 2018 ohne Windkraft- und Photovoltaik-Einspeisung entwickelt hätten, die heute zusammen bereits rund 30 Prozent des Stroms liefert. Ergebnis: Die Großhandelspreise des in diesem Fall noch fast komplett fossil-atomaren Systems hätten deutlich höher gelegen; und diese Zusatzkosten hätten die EEG-Umlage insgesamt sogar deutlich überschritten, nämlich um 45 Prozent.

Niedriger Börsenpreis

In einer früheren Untersuchung hatten die Forscher um den Nürnberger Energieprofessor Jürgen Karl bereits gezeigt, dass die Endverbraucher dank der Öko-Energien in den Jahren 2011 bis 2013 rund 30 Milliarden Euro sparten. Laut der aktuellen Studie hat sich der Trend fortgesetzt: Windkraft und Solarstrom konnten dank des so genannten Merit-Order-Effekts den Börsenstrompreis signifikant senken und bis 2018 nochmals Mehrkosten von über 40 Milliarden Euro vermeiden. Der Merit-Order-Effekt besagt, dass Kraftwerke mit niedrigen Betriebskosten (wie Erneuerbare) teurere (Kohle, Erdgas, Erdöl) verdrängen.

Der Anstieg der Strompreise für die Privathaushalte begann laut der Untersuchung bereits mit der Liberalisierung des deutschen Strommarkts im Jahr 1998, also bereits zu Zeiten, als die erneuerbaren Energien noch kaum zur Stromversorgung beitrugen. Der sukzessive Aufbau der Öko-Kapazitäten begann erst nach der Einführung des EEG anno 2000. Als bestimmender Faktoren für den Börsenpreis erwiesen sich in dem in der Studie betrachteten Zeitraum steigende Preise für die Energierohstoffe Kohle und Erdgas sowie der Handel mit CO2-Zertifikaten, der in der EU 2005 eingeführt worden war. Die Betreiber von Kohle- und Erdgas-Kraftwerken müssen seither Emissionszertifikate kaufen, um ihre Anlagen betreiben zu können. Die Preise dafür lagen lange Zeit sehr niedrig, etwa bei fünf Euro, sie sind seit 2018 allerdings deutlich angestiegen, in der Spitze auf knapp 30 Euro.

EEG-Umlage steigt 2020 leicht

Am 15. Oktober haben die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber die Höhe der EEG-Umlage für das nächste Jahr bekannt gegeben. Sie steigt demnach von 6,4 auf etwa 6,75 Cent je verbrauchter Kilowattstunde Strom. Ihren bisherigen Höchstwert erreicht die Umlage im Jahr 2017 mit 6,88 Cent. Experten rechnen damit, dass sie ab Mitte der 2020er wieder sinkt, weil dann ältere, vergleichsweise teure Anlagen keine garantierte Vergütung mehr erhalten. Um die Umlage schon früher und stärker zu senken, gibt es verschiedene Vorschläge. So könnten weniger Industriebetriebe davon befreit werden, was die Kosten für alle anderen Stromverbraucher reduzieren würde. Zudem könnte die Umlage im Ausgleich für einen CO2-Preis auf Heizenergie und Treibstoffe gesenkt werden (oder sogar entfallen), um Strom günstiger zu machen. Die Bundesregierung plant dies in ihrem Klimaprogramm, allerdings soll die Entlastung 2021 zunächst nur 0,25 Cent je Kilowattstunde betragen, bis 2023 dann 0,625 Cent. (ta)

 

Professor Karl räumte auf Anfrage ein, dass in der Studie die Kosten nicht berücksichtigt worden sind, die durch die nötige Stabilisierung des Netzes – die so genannten Redispatch-Maßnahmen – und den Ausbau der Stromnetze verursacht werden. Beides sind teils Folgen des Ausbaus der fluktuierenden und im Falle der Windkraft in Norddeutschland konzentrierten Öko-Energien. Diese Kosten lägen allerdings vergleichsweise niedrig. Karl: „An der grundsätzlichen Aussage ändert das nichts: Die erneuerbaren Energien verbilligten den Strom unter dem Strich.“ So habe der Redispatch die Stromkosten im Jahr 2017 nur um etwa 900 Millionen Euro erhöht, während die EEG-Umlage 23,4 Milliarden Euro ausmachte. Von den Nord-Süd-Stromautobahnen ist bisher nur ein kleiner Teil gebaut worden. Insgesamt werden die Kosten auf rund 15 Milliarden Euro geschätzt, allerdings verteilt auf mehrere Jahre.

Haushaltskunden zahlen heute im Schnitt rund 30 Cent pro Kilowattstunde. Davon entfällt jeweils ein Viertel auf Erzeugung, EEG-Umlage, Netzkosten und Steuern. Ohne die Einspeisung von Wind und Photovoltaik hätte sich Karl zufolge für Haushaltskunden an diesen Kosten nichts geändert. Sie müssten zwar keine EEG-Umlage von 6,4 Cent pro Kilowattstunde zahlen, dafür lägen aber die Strom-Großhandelspreise um etwa denselben Betrag höher. Die Erzeugungskosten wären damit gleich. Deutlich teurer käme der Strom dagegen für Industriebetriebe, die als „energieintensive Unternehmen“ von der EEG-Umlage befreit sind. Für industrielle Großverbraucher, die Elektrizität direkt von der Strombörse beziehen, hätte sich der Strompreis laut der Studie ohne Wind und Solar im Jahr 2018 von etwa 4,4 Cent pro Kilowattsunde auf über zehn Cent mehr als verdoppelt. Sie vor allem sind also die finanziellen Profiteure der Energiewende.

„Mit Kostentreiber-Mythen aufräumen“

Die Studie sei „hilfreich, um mit den Kostentreiber-Mythen aufzuräumen“, kommentierte der Vorstand des Ökostromproduzenten EWS Schönau, Sebastian Sladek, dessen Unternehmen die Untersuchung in Auftrag gegeben hat. Die Analyse zeige zudem, dass die Pariser Klimaziele in Deutschland mit den aktuellen Ausbauzielen für erneuerbare Energien nicht zu erreichen seien. Die Bundesregierung will den Anteil des Ökostroms bis 2030 von derzeit rund 40 auf 65 Prozent erhöhen. Derzeit stagniert aber der Ausbau der Windkraft an Land fast komplett, während die zwischenzeitlich stark eingebrochene Solarenergie wieder Zuwächse verzeichnet. Sladek forderte, um den CO2-Zielen der Regierung – Reduktion der Treibhausgasemissionen der Energiewirtschaft bis 2030 um die Hälfte gegenüber 2014 – zumindest nahezukommen, müsse der Ausbau erneuerbarer Energien vervierfacht werden.

Allerdings ist ein starker Zubau an Öko-Kapazitäten auch aus ökonomischen Gründen angezeigt. „Bliebe es bei aktuellen Fast-Stagnation des Ökoenergien-Ausbaus, so würden die kommenden Stilllegungen von Atomkraft- und Kohlekraftwerken das Angebot-Nachfrage-Gleichgewicht hin zu höheren Strom-Börsenpreisen verschieben“, warnt Karl. Die sieben noch am Netz befindlichen AKW sollen laut Ausstiegsgesetz sukzessive bis 2022 abgeschaltet werden, und auch der geplante Kohlausstieg senkt die Kapazitäten bereits Anfang der 2020er Jahre spürbar. Um die deswegen zu erwartenden Strompreissteigerungen in den Jahren 2022 und 2023 im Rahmen zu halten, sei „ein massiver und schneller Ausbau der erneuerbaren Energien unabdingbar“, sagte Karl.


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