Deutschland verfehlt weiter absehbar die Klimaziele, besonders bei Verkehr und Gebäuden kommt der nötige Wandel nur zäh voran. Helfen könnten CO-Preise, die allerdings bisher kaum zu spüren sind. Von Tim Altegör Vom Vorwurf, Rechtsbruch zu begehen, bis hin zu Forderungen nach seiner Absetzung – Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) muss- te sich am 17. Juli von Klimaschutzorganisa- tionen einiges anhören. Wissing hatte – ebenso wie Bauministerin Klara Geywitz (SPD) – da- rauf verzichtet, innerhalb der Frist ein Sofort- programm zu präsentieren, das die Einhaltung der Klimaziele in seinem Sektor sicherstellt. Die- se Pflicht will die Ampel-Koalition für einzelne Ressorts abschaffen, noch steht der entsprechen- de Passus jedoch im Bundesklimaschutzgesetz. Die Koalition hat zwar ein gemeinsames Kli- maschutzprogramm veröffentlicht, das sich über alle Sektoren erstreckt. Nur erfüllt auch das die Vorgaben nicht: Wie Klimaminister Robert Ha- beck (Grüne) betont, könne mit allem, was die Regierung bisher getan hat und zu tun gedenkt, das Zuviel an Treibhausgasemissionen, das sich gegenüber den Zielen bis 2030 anhäufen wird, um maximal 80 Prozent reduziert werden. Laut einer Vorabprognose für den neuesten Projek- tionsbericht, der in Gänze eigentlich schon längst vorliegen sollte, verfehlen die Sektoren Gebäude und vor allem Verkehr weiterhin die Maßgaben. Königsweg beim Klimaschutz Da könnte es sich gut treffen, dass die EU die beiden Problembereiche künftig in ihren CO2- Emissionshandel aufnehmen will. Im Vergleich zu kompliziert kleinteiligem Ordnungsrecht er- scheint ein Handel mit CO2-Zertifikaten auf den ersten Blick verlockend einfach und gilt vielen Ökonomen als Königsweg beim Klimaschutz. Auch im konservativ-liberalen Politikspektrum ist er sehr beliebt, aus den Reihen der FDP-Frak- tion kam beispielsweise der Vorschlag, die Ab- schaffung der Sektorenverantwortung mit einer Reform beim deutschen CO2-Preis zu koppeln: weg von gesetzlich definierten Preisen, hin zu ei- ner Deckelung der maximalen Emissionsmenge und freier Preisbildung bei den erhältlichen Ver- schmutzungszertifikaten. Manche Überlegungen gehen sogar noch wei- ter, bis zur Ausweitung des Handels auf alle indi- viduellen Konsumentscheidungen – auch wenn das wegen zahlreicher Hürden theoretischer Na- tur bleiben dürfte (siehe Seite 55). Im Detail ist jedenfalls alles gar nicht mehr so simpel mit den CO2-Preisen. Entweder man lässt Angebot und Nachfrage freien Lauf, dann kann der Preis aber enorm schwanken und auch schnell durch die Decke schießen. Oder man legt die Preise poli- tisch fest, dann ist allerdings ohne weitere Maß- nahmen die Verfehlung der Klimaziele nicht aus- geschlossen – vor allem, wenn man wie Deutsch- land und nun auch die EU mit unter 50 Euro erstmal ziemlich niedrig ansetzt (siehe Seite 46). Sozialpolitisch ist das Ganze auch nicht ohne, schließlich wird ein Milliardär wegen gestiegener Kerosinpreise kaum auf den Privatjet-Flug ver- zichten, während arme Menschen schon durch etwas höhere Heiz- und Spritkosten in Existenz- nöte kommen können und zugleich wenig Al- ternativen besitzen. Helfen soll an dieser Stel- le ein Klimageld; zumindest ein Teil der einge- nommenen Summen würde damit gleichmäßig wieder ausgezahlt, sodass sich CO2-Sparen trotz- dem lohnt. Bei der Bundesregierung scheint die Schaffung der dafür nötigen Infrastruktur aber auf der Prioritätenliste eher unten zu stehen (sie- he Seite 59). Von den Kosten her gesehen, die eine Tonne CO2 für uns alle verursacht, wären übrigens sehr viel höhere Preise angemessen. Eine Metastudie der University of Sussex hat kürzlich ergeben, dass diese Folgekosten mit Fortschreiten der Kli- makrise mittlerweile viermal so hoch angesetzt werden wie noch vor zehn Jahren, Tendenz wei- ter steigend. In Deutschland empfahl das Um- weltbundesamt zuletzt 237 Euro je Tonne, aber auch nur, wenn die Wohlfahrt heutiger Men- schen stärker gewichtet sein soll als die künfti- ger Generationen. Ansonsten wären es mehr als 800 Euro, und davon sind die CO2-Preise wirk- lich noch ein ganzes Stück entfernt. s e e H s i r h C : n o i t a r t s u l l I WIRTSCHAFT _Titel neue energie 08/2023 45