ENERGIEPOLITIK _Deutschland Eine Strategie mit Signalfunktion Die Importstrategie der Bundesregierung soll helfen, das Land mit ausreichend Wasserstoff aus aller Welt zu versorgen. Auf Kritik stößt der Umgang mit Nachhaltigkeitskriterien für die Projekte. Von Tim Altegör Ende Juli ging es beim Thema Was- serstoff Schlag auf Schlag. Erst reich- ten die Gasnetzbetreiber ihren Plan für das „Kernnetz“ aus H2-Leitungen ein (siehe Sei- te 24). Dann segnete das Bundeskabinett die vom Wirtschaftsministerium erarbeitete Importstrategie ab. Bis Jahresende soll noch eine Speicherstrategie für das begehrte Gas folgen. Zweck des Ganzen: ein System auf- zubauen, das Deutschland verlässlich mit großen und wachsenden Mengen an Was- serstoff versorgt. Denn der soll eine zentra- le Rolle auf dem Weg zur Klimaneutralität spielen, als Ersatz für fossile Energien etwa in Kraftwerken und der Schwerindustrie. Die Bundesregierung beziffert den Be- darf auf 95 bis 130 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2030, fünfzehn Jahre später sollen es schon 560 bis 700 TWh sein. Ak- tuell liegt der Verbrauch in Deutschland bei 56 TWh, überwiegend erzeugt aus fossilem Erdgas. Künftig soll der Wasserstoff dage- gen per Elektrolyse mithilfe von Ökostrom aus Wasser gewonnen werden und damit „grün“, also CO2-frei sein. Allerdings klafft wie in kaum einem anderen Land – Japan und Südkorea sind ähnliche Fälle – eine Lücke zwischen dem Erzeugungspotenzial für grünen Wasserstoff und dem prognos- tizierten Bedarf. 50 bis 70 Prozent sollen 2030 aus dem Ausland stammen. Hier kommt die Importstrategie ins Spiel: Sie ist eine Art Absichtserklärung, damit mögliche Wasserstoff-Exporteure in die Planung einsteigen und die Produktion hochfahren. Die Strategie sende „ein klares 20 neue energie 09/2024 Signal an unsere Partner im Ausland“, sag- te Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Kabinettsbeschluss. Deutschland erwarte „eine große und stabile Nachfrage“ und sei „ein verlässlicher Partner und Zielmarkt“. Das Dokument nennt die deutschen Zie- le, listet bestehende Förderprogramme auf, umreißt denkbare Herkunftsländer und Importrouten. Dabei scheint die Devise zu gelten: Al- les, was geht. Um die Technologie zu pu- shen, will die Bundesregierung nicht nur grünen, sondern auch blauen Wasserstoff abnehmen. Der stammt weiter aus fossi- lem Erdgas, ist aber zumindest CO2-arm, weil das entstehende Treibhausgas im Pro- zess abgefangen und eingelagert wird, statt in die Atmosphäre zu entweichen (neue energie 04/2024). Erklärtes Ziel ist, nicht von einzelnen Lieferanten abhängig zu sein. Mit zahlreichen Ländern weltweit gibt es bereits Vereinbarungen über eine künftige Wasserstoff-Kooperation (siehe Grafik Sei- te 22). Mehrere Ministerien mischen dabei mit, das fürs Klima zuständige Wirtschafts- ressort, aber auch das Entwicklungsminis- terium und das Auswärtige Amt, das Büros für die H2-Diplomatie unterhält. Grundsätzlich gibt es für den weltweiten Wasserstoff-Handel zwei Transportwege, beide will die Bundesregierung ausbauen. Der eine Weg sind Pipelines. Vier mögli- che Korridore nennt die Strategie: aus dem Nordsee-, dem Ostseeraum, der iberischen Halbinsel und – über Italien – aus Nordaf- rika. Mittelfristig könne voraussichtlich ein Großteil des Bedarfs auf diesem Weg ge- deckt werden. Das stimmt in etwa mit den Befunden einer Studie des Thinktanks Ago- ra Energiewende überein. Demnach könn- ten Pipelines 2035 bis zu 100 TWh Wasser- stoff nach Deutschland bringen. Die größ- ten Anteile an den Liefermengen hätten in diesem Szenario Dänemark, Tunesien, Spa- nien, Norwegen und Finnland. 2030 sei- en dagegen vorerst nur 17 TWh aus dem Nordseeraum plausibel. Kostenfrage zu klären Voraussetzung sei allerdings zum einen die gesicherte Nachfrage durch entsprechende Abnahmeverträge, zum anderen eine Eini- gung, wer welchen Anteil an der grenzüber- schreitenden Infrastruktur bezahlt. „Damit die Wasserstoff-Importkorridore rechtzeitig bereitstehen, braucht es schnell Vereinba- rungen zwischen Exporteuren, Importeu- ren und Transitländern zur Planung und Finanzierung der Pipelines“, so Agora-Di- rektor Simon Müller. Die Bundesregierung sieht sich als Vorreiterin, weil das deutsche Kernnetz „als Grundgerüst für das transeu- ropäische Wasserstoffnetz“ diene. Der zweite Transportweg ist die See. Pipelines bis nach Chile oder Australien sind unrealistisch, aber auch Schiffe kön- nen Wasserstoff laden – vor allem, wenn er vorher in ein sogenanntes Derivat wie Am- moniak umgewandelt wurde. Die dafür nö- tigen Anlande-Terminals sollen in Deutsch- land ebenfalls entstehen, teils durch pers- pektivische Umnutzung der neu gebauten