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Finanzmarkt

Konflikt um EU-Taxonomie dauert an

Tim Altegör, 28.01.22
(Am 2.2. aktualisiert) Europa streitet darüber, ob Atomenergie und Erdgas als nachhaltige Investitionen gelten sollen. Die Stellungnahme der deutschen Regierung ist zwiespältig, ein Expertengremium äußerst kritisch, und im Europäischen Parlament wächst der Widerstand. Doch die EU-Kommission hält an ihrem Plan fest.

Investoren sollen wissen, welche Geldanlagen nachhaltig sind – das ist die Idee hinter der sogenannten Taxonomie, an der sich die EU gerade abarbeitet. Zum Jahreswechsel verschickte die Europäische Kommission ihren Vorschlag, Atomenergie und Erdgas mit in die offizielle Liste aufzunehmen, was für reichlich Kritik nicht nur von Umweltschützern sorgte.

Im Januar hatten die EU-Mitgliedstaaten daraufhin die Gelegenheit zur Stellungnahme. Einige Länder wie Spanien und Dänemark hatten bereits vorab klargestellt, dass sie es ablehnen, Atom und Gas als nachhaltige Investitionen zu deklarieren. Österreich kündigte an, dagegen notfalls vor Gericht ziehen zu wollen. Die deutsche Bundesregierung lehnt in ihrem Schreiben an die Kommission den Einbezug von Atomenergie ebenfalls ab. Diese sei nicht nachhaltig und auch nicht geeignet, erneuerbare Energien sinnvoll im Stromsystem zu ergänzen.

Beim Erdgas hingegen setzt sich die Ampel-Koalition dafür ein, einige der Mindestanforderungen aufzuweichen, welche die Kommission vorgesehen hat. So seien Beimischungsquoten CO2-freier Gase von 30 Prozent bis 2026 und 55 Prozent bis 2030 „nicht realistisch zu erreichen“, da Wasserstoff aus erneuerbaren Energien zunächst in der Industrie gebraucht werde.

Experten sehen „ernsthaftes Risiko“ für das Rahmenwerk

Kraftwerksbetreiber dürften auch nicht dafür haftbar sein, wenn eine Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff mangels Angebot ausbleibe. Außerdem sei die Vorgabe, dass neue fossile Kraftwerke alte ersetzen und dabei mindestens 55 Prozent der erzeugten Treibhausgase einsparen müssen, im Falle des Austauschs alter Gaskraftwerke sowie bei der Fernwärmeversorgung zu streng gefasst. Die Punkte entsprechen im Wesentlichen den Forderungen der Energiewirtschaftsverbände BDEW und VKU.

Ein Expertengremium der EU, die Platform on Sustainable Finance, kritisierte die Kommissionspläne in einer Stellungnahme scharf. Es bestehe „ein ernsthaftes Risiko“, das Rahmenwerk auszuhöhlen. Viele Mitglieder seien „zutiefst besorgt“ über die Umweltfolgen. Die Plattform empfiehlt, Atomenergie aus der Taxonomie zu streichen und beim Erdgas strikte Emissionsgrenzwerte zu setzen. Sie beruft sich unter anderem auf das in der Taxonomie festgeschriebene Prinzip, wonach die Technologien „no significant harm“, keinen signifikanten Schaden erzeugen dürfen.

Aufstand im EU-Parlament?

Neben dem Rat der EU-Länder, wo dafür aber voraussichtlich die notwendigen 20 von 27 Stimmen fehlen, könnte auch das Europäische Parlament die Taxonomie in ihrer jetzigen Form noch stoppen. Dort würde eine einfache Mehrheit reichen, ob diese zustandekommt, gilt aber ebenfalls als ungewiss. Widerstand gibt es jedenfalls: Die Fraktion der Sozialdemokraten etwa schrieb in einem Brief an die EU-Kommission, es sei für sie nicht erkennbar, wie sie den Vorschlag mittragen könne. Sie schlägt vor, für Atom und Gas eine eigene Kategorie einzuführen, die ihre zwiespältige Rolle deutlich machen soll.

Viele Mitglieder des Parlaments stören sich auch daran, dass die Regeln durch einen Rechtsakt der Kommission gesetzt werden sollen, den die Abgeordneten nur noch annehmen oder ablehnen können. Auch die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte der Nachrichtenagentur Reuters, es müsse stattdessen eine öffentliche Konsultation und ein normales Gesetzgebungsverfahren geben. Zuvor hatte sie zusammen mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (ebenfalls Grüne) bereits erklärt, Deutschland solle den Rechtsakt „unserer Meinung nach ablehnen“, falls er nicht korrigiert werde.

Die EU-Kommission lässt sich von all dem jedoch offenbar nicht beirren: Am 2. Februar verkündete sie, dass sie ihren Entwurf mit kleineren Anpassungen - darunter die von der Bundesregierung geforderte Lockerung der Beimischungsquoten - endgültig beschlossen habe. Parlament und Rat haben nun maximal sechs Monate Zeit, sich noch dagegen zu stellen.

 

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