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Klimaschutz

Erneute Schlappe beim Emissionshandel

Joachim Wille, 02.03.17
Aktualisiert: Das EU-Parlament ist zum wiederholten Mal bei dem Versuch gescheitert, einen angemessenen Preis für das Treibhausgas CO2 zu finden. Auch die Umweltminister der EU-Staaten planen nur eine zaghafte Reform des europäischen Emissionshandels. Dabei nimmt das System gerade weltweit Fahrt auf.

Alle sind sich einig: Das Treibhausgas CO2 muss einen Preis bekommen. Denn solange die Erdatmosphäre als kostenlose Deponie dafür genutzt werden kann, funktioniert die Marktwirtschaft nicht richtig. Abhilfe soll der Emissionshandel (Emissions Trading, ET) schaffen, an dem Industrie und Stromkonzerne teilnehmen. Doch ausgerechnet beim ET-Pionier, der Europäischen Union, funktioniert das System seit Jahren nicht richtig. Der CO2-Ausstoß ist spottbillig. Nun hat das EU-Parlament einen neuen Versuch gestartet, es zu reformieren – leider mit wenig Aussicht auf durchgreifenden Erfolg.

Potenziell ist der Handel mit CO2-Zertifikaten ein elegantes System, um die Treibhausgas-Frachten zu senken und so das Zwei-Grad-Erwärmungslimit des Paris-Klimavertrags einzuhalten. Die Idee: Kostet der CO2-Ausstoß Geld, werden die Manager versuchen, diese Zahlungen zu vermeiden, indem sie in CO2-sparende Techniken investieren. Zudem sorgt der Zertifikatehandel an der Börse dafür, dass sektorweit immer zuerst jene CO2-Einsparmaßnahmen ergriffen werden, die am preiswertesten sind.

Doch beim ET-System der EU, das 2005 eingeführt wurde, gibt es einen gravierenden Kunstfehler. Die Gesamtmenge der Verschmutzungsrechte, die von Behörden berechnet und zugeteilt werden, liegt seit Jahren zu hoch. Experten schätzen, dass rund drei Milliarden CO2-Zertifikate zu viel im System sind; ein Zertifikat erlaubt den Ausstoß von einer Tonne CO2. Dadurch ist der CO2-Preis im Keller. Er schwankt um die Marke von fünf Euro. Experten halten indes ein Niveau von 30 Euro für nötig, um bei den Unternehmen ausreichend Anreize für Klimaschutzmaßnahmen zu setzen.

Weit weg von Paris

Es hat in den vergangenen Jahren mehrere Versuche gegeben, den Emissionshandel wieder in Schwung zu bringen, doch ohne Erfolg. Nun sollten die CO2-Zertifikate endlich stärker verknappt werden, bislang sinkt ihre Zahl jährlich um 1,74 Prozent. Experten hatten vorgerechnet, dass pro Jahr mindesten 4,7 Prozent der Zertifikate stillgelegt werden müssten, um auf den Zwei-Grad-Pfad zu kommen. Der Umweltausschuss des EU-Parlaments wollte den Wert immerhin auf 2,4 Prozent erhöhen, diesem Vorstoß folgte das Plenum bei der Abstimmung am 14. Februar aber nicht.

Beschlossen wurde in Straßburg stattdessen nur eine jährliche Reduktion um 2,2 Prozent. Das entspricht dem Vorschlag der EU-Kommission. Umweltschützer kritisierten, die Abgeordneten seien „vor der Lobby-Übermacht einiger Industriezweige“ eingeknickt – und das nur wenige Monate, nachdem das Parlament mit großer Mehrheit das Paris-Abkommen ratifiziert hat. Die Entscheidung mute „geradezu zynisch“ an, sagte dazu der Vorsitzende des Deutschen Naturschutzrings, Kai Niebert. Durchsetzen konnte sich der Umweltausschuss nur mit der Idee, die sogenannte Marktstabilitätsreserve zeitweise zu verdoppeln, in der überschüssige Zertifikate „geparkt“ werden sollen.

In den kommenden Monaten stehen weitere Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen an, am Ende müssen auch die Regierungen der Mitgliedsländer zustimmen. Am 28. Februar trafen sich deren Umweltminister, um ihre Position abzustimmen. Auch sie einigten sich auf eine Aufstockung der Reserve. Ab 2024 wollen sie daraus zudem Zertifikate dauerhaft löschen, wenn diese den gesamten Umfang übertreffen, der im Vorjahr ausgegeben wurde. Das sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, kommentierte die Klimaschutzorganisation Carbon Market Watch, reiche aber nicht, um dem massiven Überangebot zu begegnen. Die Umweltminister gingen zudem ebenfalls nicht über die 2,2-prozentige Absenkung hinaus.

Angesichts des zähen europäischen Ringens um Reformen ist es umso erstaunlicher, dass der Emissionshandel gleichzeitig in anderen wichtigen Weltregionen Fahrt aufnimmt. ET-Systeme gibt es außerhalb der EU bereits in einer ganzen Reihe von Ländern, darunter Kanada, Japan oder Südkorea, aber auch in einigen US-Bundesstaaten. Und noch 2017 wird auch das Schwellenland China, inzwischen weltgrößter CO2-Emittent, einen nationalen Emissionshandel einführen. Damit werden laut einer Studie des ET-Netzwerks ICAP dann weltweit so viele Länder und Bundesstaaten am CO2-Handel beteiligt sein, dass sie zusammen fast die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung erbringen. Allerdings: Auf die Umsetzung kommt es an, siehe EU.

 

Kommentare (1)

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  • 27.03.17 - 23:11, Karl-Heinz Geil

    Die geradezu Planmäßige Zerstörung des ET Marktes als Folge des Lobbyismus wurde in den letzten Jahren leider auch von den Medien der neuen Energien sehr vernachlässigt. Meist wurde lediglich der ET Handel für tot erklärt. Manchmal war nicht einmal ein Bedauern spürbar. Dadurch bestand kein öffentlicher Druck auf die Politik, die Situation zu verbessern. Wenn die Problematik nicht so in die breite Öffentlichkeit getragen wird, dass ein Gesellschaftlicher Druck auf die Politik entsteht, wird sich auch künftig nichts ändern.
    Darum mein Appell an alle Medien der Erneuerbaren Energien diesbezüglich Verantwortung zu übernehmen. Von wem sollte man es sonst erwarten können.

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