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Interview

„Wir müssen Wettbewerbsnachteile abschaffen“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 04.11.16
… sagt Ralph Lenkert, umweltpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Deshalb fordert er die Beseitigung der großen regionalen Unterschiede bei den deutschen Netzentgelten.

neue energie: Sie fordern bundeseinheitliche Netzentgelte in Deutschland. Weshalb?

Ralph Lenkert: Diese Forderung besteht schon seit geraumer Zeit. Und sie bezieht sich nicht nur auf die Übertragungsnetze, sondern auch auf die Verteilnetze. Wir sind der Ansicht, dass die starken, regionalen Unterschiede grundfalsch sind. Nehmen wir zum Beispiel mal die Stadt Düsseldorf. Dort gibt es mit die niedrigsten Netzentgelte in Deutschland. Das liegt daran, dass es dort eine sehr hohe Einwohnerdichte und nur wenige Erneuerbaren-Anlagen im Stadtgebiet gibt. Die Netzentgelte liegen so um die vier Cent je Kilowattstunde. Im Havelland in Brandenburg sind es fast zehn Cent. Dass die Netzentgelte in dieser Region so hoch sind, hängt auch ein wenig damit zusammen, dass die Stadt Düsseldorf im Havelland einen Windpark betreibt, für den das dortige Stromnetz ausgebaut werden musste. Da zudem die Einwohnerdichte in Brandenburg sehr viel geringer ist, verteilen sich die Kosten auf sehr viel weniger Schultern. Die Menschen müssen also dort, wo die Erneuerbaren-Anlagen stehen meist sehr viel höhere Netzentgelte entrichten. Wir haben deshalb einen entsprechenden Antrag im Bundestag gestellt, bundeseinheitliche Netzentgelte einzuführen. Das war im November 2014. Der wurde aber leider abgelehnt.

neue energie: Mit welcher Begründung?

Lenkert: Es hieß sinngemäß, das wäre Gleichmacherei, vor allen Dingen hieß es aber aus der Koalition, man wolle sich des Problems ohnehin annehmen, wie es im Koalitionsvertrag zu lesen sei. Darauf warten wir bis heute vergeblich.

neue energie: Planen Sie einen weiteren Vorstoß?

Lenkert: Wir werden den Antrag sicher wieder einbringen, allerdings wohl nicht mehr in dieser Legislaturperiode. Vielmehr denken wir darüber nach, die Netzentgeltsystematik komplett umzustellen. Zum besseren Verständnis – unser erster Antrag wurde, ob bewusst oder unbewusst, falsch interpretiert. In der Begründung der Ablehnung war die Rede davon, dass man nicht sämtlichen Netzbetreibern das gleiche Netzentgelt zugestehen könne und damit das Prinzip der Anreizregulierung ausgehebelt würde. Das war nicht gefordert. Unsere Forderung ist, dass alle Endkunden das gleiche Netzentgelt bezahlen. Die Bundesnetzagentur würde also wie bisher die individuellen Entgelte für die Netzbetreiber festlegen. Das einheitliche Netzentgelt der Endkunden würde jedoch in einen Topf eingezahlt. Aus diesem Topf würden dann jeder Netzbetreiber seine individuell von der Bundesnetzagentur bewilligten Entgelte erhalten.

neue energie: Heißt das auch, dass Privathaushalte und Industriekunden die gleichen Entgelte bezahlen sollen?

Lenkert: Nein, sondern wir fordern eine deutliche Reduzierung der Befreiungen von stromintensiven Unternehmen – natürlich immer mit Blick auf deren Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Raum. Aber es geht uns dabei wiederum um die einheitliche Ausgestaltung. Derzeit bekommt ein Unternehmen in Bayern einen anderen Strompreis als etwa in Mecklenburg-Vorpommern. Das muss sich ändern. Es geht darum, Wettbewerbsnachteile abzuschaffen. Es kann nicht sein, dass dort, wo er produziert wird, im Norden und Nordosten, der Strom am teuersten ist. Dadurch entsteht nämlich ein betriebswirtschaftlicher Anreiz für stromintensive Unternehmen, sich im Süden anzusiedeln. Oder anders gesagt, stellen Sie sich eine Bäckerei in Schleiz in Thüringen und eine im bayerischen Hof vor. Die Orte sind 30 Kilometer voneinander entfernt. Beide Bäckereien haben die gleichen Kosten. Nur dass in Hof der Strom einige Cent günstiger ist. Und jetzt raten Sie mal, welche der beiden Bäckereien im Extremfall stärker von einer Insolvenz bedroht wäre. Um es also noch einmal deutlich zu sagen, derzeit ist das System so ausgerichtet, dass alle wirtschaftlichen Anreize darauf gerichtet sind, Kraftwerke dort zu bauen, wo es die niedrigsten Stromgestehungskosten gibt. Dabei wird nicht darüber nachgedacht, dass ein Transport nötig wird und wo die Stromkunden sitzen. Das gibt es in keiner anderen Branche.

neue energie: Sie sagen, Sie wollen die Befreiung von stromintensiven Unternehmen zurückschrauben. Würde das nicht ebenfalls wirtschaftliche Probleme mit sich bringen?

Lenkert: Die großen Konzerne haben noch vor drei Jahren beim Börsenstrompreis mit Beschaffungskosten von fünf Cent je Kilowattstunde gerechnet. Jetzt rechnet man mit unter drei Cent. Es wird zwar immer wieder davon gesprochen, dass die Unternehmen ohne Netzentgeltbefreiung Stellen abbauen müssen oder sogar Pleite gehen, aber diese Zahlen erzählen etwas anderes. Wir sind der Meinung, dass zumindest diese deutliche Reduzierung von zwei Cent je Kilowattstunde beim Börsenstrompreis mit Befreiungstatbeständen verrechnet werden sollte.

 

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