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Interview

„Wir kämpfen dafür, die Ziele von Paris ernst zu nehmen“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 21.07.16
…sagt Simone Peter, Bundesvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Der Großen Koalition wirft sie bei der EEG-Novelle Versagen vor. Die Energiewende und der Klimaschutz sollen zu zentralen Themen des Bundestagswahlkampfs 2017 werden.

neue energie: Die Novelle des EEG ist abgeschlossen, auf welchem Kurs befindet sich die deutsche Energiewende?

Simone Peter: Ich befürchte, dass der Abwärtskurs der Energiewende weitergeht. Die Energiewende mit ihrer großen Innovationskraft und ihrem dezentralen Systemansatz läuft Gefahr, massiv ausgebremst zu werden. Wir haben schon als Folge der EEG-Novellen in den Vorjahren massive Einbrüche bei der Solar- und der Bioenergie erlebt. Viele Jobs sind verloren gegangen. Das steht jetzt auch für die Windenergie zu befürchten, deren Zubauvolumina in den vergangenen beiden Jahren noch hoch waren. Durch die vorgesehen Ausschreibungen werden erneuerbare Energien künftig nicht günstiger, sondern eher teurer werden. In Kombination mit den zahlreichen Deckeln wird sich das auf die Installationszahlen, aber auch auf Akteursvielfalt und Dezentralität auswirken. Dabei hat gerade die Bürgerenergie das Gewinnende.

neue energie: Wir hatten uns Ende 2013 (neue energie 11/2013) über den Kurs der Grünen und das EEG unterhalten. Sie haben damals erklärt, dass Sie sich in den kommenden Jahren dafür einsetzen würden, verstärkt grüne Positionen ins EEG zu bekommen, beispielsweise über den Bundesrat. Ist das gelungen?

Peter: Wir haben uns in enger Abstimmung mit den grün mitregierten Bundesländern für einen beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren eingesetzt und gegen die Ausbaubremsen und Deckel. Es hat sich aber gezeigt, dass Union und SPD, gerade auch das Bundeswirtschaftsministerium, beim Fokus auf die Großindustrie geblieben sind und die Position der konventionellen Energiewirtschaft sogar noch stärken. Die Große Koalition will die Energiewende ausbremsen, das ist politisch gewollt. Daran haben die zahlreichen Aktionen und die Proteste der Branche ebenso wenig zu ändern vermocht wie die Kritik aus den grün mitregierten Bundesländern. Über den Bundesrat konnten wir das Gesetz nicht stoppen, weil es sich bei der EEG-Reform nicht um ein Zustimmungsgesetz handelte.

neue energie: Gerade seitens ideologisch geprägter Erneuerbaren-Akteure wird den Grünen jetzt Mitverantwortung an diesem EEG gegeben…

Peter: Für mich ist das nicht nachvollziehbar. Wir haben in vielen Runden und Gremien nicht zuletzt auch mit Verbänden und Initiativen zusammen gesessen. Vielleicht lässt sich diskutieren, wie man mehr Menschen auf die Straße bringen könnte. Es geht doch um die Beschäftigten, die von Einbrüchen direkt betroffen sind, um konkreten Klimaschutz und um Bürgerenergie, die wir ausbauen und nicht beschneiden wollen. Ich möchte aber festhalten, dass es trotz intensiver politischer Arbeit, trotz der parlamentarischen Einflussnahme über die Ausschüsse des Bundestags und trotz der Arbeit in den Gremien des Bundesrats nicht gelungen ist, die Koalition von ihrem Kurs abzubringen. Das hat sich auch in meinen direkten Gesprächen mit den politisch Verantwortlichen auf Seiten der Bundesregierung gezeigt. Die Union will die Energiewende beenden. Und die SPD setzt dem nichts entgegen. Hinzu kommt, dass der Bundeswirtschaftsminister mit dem Ruf nach Marktreife gerade bei den Erneuerbaren etwas einfordert, das für den Rest der Energiewirtschaft bislang nie gegolten hat. Das Ergebnis sind Rahmenbedingungen, die für Erneuerbare zum Verhängnis werden. Wenn also der gute Wille in den Bundesländern besteht, bedarf es doch der Rahmenbedingungen, die in Berlin geschaffen werden.

neue energie: Sie sprechen die Bundesländer an. In Schleswig-Holstein schienen die Proteste der Grünen hinsichtlich der Einführung von Netzengpassregionen nicht sehr laut…

Peter: Wir haben in Bund und Ländern deutlich gegen Netzengpassregionen Stellung bezogen. Besonders in Schleswig-Holstein, wo vor allem Kohle- und Atomstrom das Netz flutet, und auch die landespolitische Planung diese Netzengpassregionen nicht rechtfertigt. Wir haben unsere Möglichkeiten ausgeschöpft, aber die Haltung der Bundesregierung, die Kostenfrage alleine über die Energiewendebremse zu lösen und  die klassische Energiewirtschaft zu bevorzugen, bis hin zur Übererfüllung von EU-Vorgaben – Stichpunkt Ausnahmen von den Ausschreibungen – konnten wir alle nicht korrigieren.

neue energie: Die Ausnahmeregelung für Bürgerenergie-Projekte wurde kurz vor der Verabschiedung noch angepasst, bei einem erfolgreichen Gebot erhalten sie nun den höchsten noch zugelassenen Preis. Steigen damit ihre Chancen, auch künftig am Markt teilzunehmen?

Peter: Es wäre zu wünschen, dass es etwas für die Bürgerenergie bringen wird, allerdings glauben wir nicht daran. Wirklich etwas gebracht hätte es, wenn zusätzlich die Pönalen für Bürgerenergie-Projekte gestrichen worden wären. So weiß eine Bürgerenergiegesellschaft bei der frühen Teilnahme an der Ausschreibung nicht, welchen Preis sie bekommt und ob im Genehmigungsverfahren Auflagen hinzukommen. Stellt sich dann heraus, dass der bezuschlagte Preis nicht reicht und die Projektträger nicht bauen können, werden 45000 Euro Strafe pro Anlage fällig. Wir befürchten, dass das Bürgerenergieakteure abschrecken wird.

neue energie: Wie würden Sie das Vorgehen des Bundeswirtschaftsministeriums im Prozess der Novelle bewerten? Es gab ja eine Menge teils ganz neuer Vorstöße, die Weltformel, die so plötzlich verschwand, wie sie gekommen war, dann die Einmaldegression, die Netzengpassregionen...

Peter: Es wurden bis zuletzt immer neue Instrumente aus der Schublade geholt, was viele im politischen Prozess Beteiligte vor den Kopf gestoßen hat. Die letzten Änderungen in einem 400 Seiten starken Antrag wurden dem Wirtschaftsausschuss erst wenige Minuten vor Beginn seiner Beratungen vorgelegt und dann einfach durchgepeitscht. Eine ernsthafte Beschäftigung mit den Änderungen war so gar nicht möglich. Das ist kein Prozess, der Vertrauen schafft.

neue energie: Mit Staatssekretär Rainer Baake verfügt das BMWi über einen ausgewiesenen Energie-Experten, er war Chef der Denkfabrik Agora Energiewende, und hat intensiv an der aktuellen EEG-Novelle mitgewirkt. Zugleich ist er ein prominentes Grünen-Mitglied. Spielt er für Ihre Partei damit nicht eine unglückliche Rolle?

Peter: Im Bundeswirtschaftsministerium hat Sigmar Gabriel die Richtlinienkompetenz, nicht der ihm unterstellte Staatssekretär. Und mit der EEG-Reform hat Gabriel die kohle- und konzerngetriebene Politik der Großen Koalition durchgesetzt. CDU und SPD bremsen die erneuerbaren Energien, um die Kohlebranche zu schützen. Und sie begünstigen die energieintensive Industrie auf Kosten der Verbraucher durch neue milliardenschwere Ausnahmen von der EEG-Umlage. Diesen Kurs hat die politische Führung der Großen Koalition zu verantworten, nicht ein beamteter Staatssekretär im Wirtschaftsministerium.

neue energie: Dennoch ist es vielen Menschen schwer vermittelbar: Rainer Baake erklärte bei Podiumsdiskussionen, dass die De-minimis-Regel nicht kommen würde – und andererseits verabschiedet die grüne Bundestagsfraktion ein Positionspapier zur Unterstützung der Bürgerenergie…

Peter: Wir Grüne haben immer gefordert, die von der EU eingeräumte De-minimis-Regel zu nutzen, bis zu sechs Windräder à drei Megawatt von den Ausschreibungen auszunehmen. Stattdessen legt die Bundesregierung Bürgerwindparks und Energiegenossenschaften bürokratische Hindernisse in den Weg. Rainer Baakes Job als Staatssekretär ist es, diese verfehlte Politik umzusetzen, unsere Rolle als Grüne, sie zu kritisieren.

neue energie: Welche Chancen sehen Sie jetzt, um die Fehlentwicklung im EEG zu korrigieren?

Peter: Solange die Große Koalition regiert, keine. Deshalb wollen wir Energiewende und Klimaschutz zu zentralen Themen des Bundestagswahlkampfs 2017 machen. Dann bieten wir eine Alternative zum zukunftsvergessenen Kurs der Großen Koalition an. Wir werden als Grüne dafür eintreten, dass der Ausbau der Erneuerbaren deutlich beschleunigt wird, dass die Deckel im EEG wegkommen und dass die Akteursvielfalt der Bürgerenergien wiederbelebt wird. Und wir kämpfen dafür, die Ziele von Paris ernst zu nehmen und endlich den überfälligen Kohleausstieg einzuleiten. Darum wird es bei der Bundestagswahl gehen.

neue energie: Diese Positionen sind aktuell ja weder mit der Union noch mit der SPD vereinbar… Wer wäre ein denkbarer Koalitionspartner für Sie?

Peter: Dass wir Grüne mit unseren umwelt- und energiepolitischen Positionen Widerstände bei Union und SPD überwinden müssen, ist ja nichts Neues. Wir werden ein starkes Energiewende-Ministerium benötigen, in dem die Kompetenzen für Erneuerbare, Kohleausstieg und Klimaschutz gebündelt sind. Wir werden die Energiewende durchkämpfen müssen, egal in welcher Regierungskonstellation.

neue energie: Die Grünen haben jüngst den Abschlussbericht der Koordinierungsgruppe Finanz- und Steuerpolitik vorgelegt, dort heißt es: „Um unser Ziel „100 Prozent Erneuerbare“ im Strommix zu erreichen, bleibt das EEG das zentrale Instrument. Darüber hinaus unterstützen wir dieses Ziel mit unserer Steuerpolitik.“ Können Sie das bitte konkretisieren?

Peter: Zur Förderung der erneuerbaren Energien setzen wir weiter auf das EEG, das wir als Grüne maßgeblich entwickelt haben und das nach wie vor das beste Instrument ist für einen verlässlichen Ausbau. Außerdem wollen wir die steuerlichen Fehlanreize beseitigen, die immer noch das Falsche fördern, Subventionen für die Kohle oder völlig überzogene EEG-Ausnahmen für die Industrie. Und schließlich brauchen wir Einnahmen aus einem gerechteren Steuersystem dafür, um die notwendige Umstellung auf erneuerbare Energien auch im Gebäude- und Verkehrssektor voranzutreiben.

neue energie: Geht es bei dieser Steuerpolitik auch um konkrete Entlastungen des Verbrauchers? Wird damit sichtbarer, dass die Energiewende volkswirtschaftlich sinnvoll ist?

Peter: Eine konkrete Entlastung wäre etwa die steuerliche Absetzbarkeit von Investitionen in die energetische Gebäudesanierung. Auch das Zurückfahren der überzogenen EEG-Ausnahmen für die energieintensive Industrie wirkt kostensenkend für alle anderen Verbraucherinnen und Verbraucher. Vor allem muss es aber darum gehen, von den enormen Folgekosten der Atomkraft und der fossilen Energieträger wegzukommen, die unser Klima zerstören. Wir machen die Energiewende auch um sicherzustellen, dass Energie bezahlbar bleibt. Das bleibt sie nur mit erneuerbaren Energien.

neue energie: Gibt es nicht noch andere Möglichkeiten, Kosten gerechter zu verteilen, etwa bei den Netzentgelten, die ja in Deutschland je nach Region sehr unterschiedlich sind?

Peter: Sicher muss überlegt werden, wie wir den Netzausbau gerecht finanzieren können, auch um die Akzeptanz der Bevölkerung für den Netzausbau zu erhalten. Es wäre aber falsch, die Netzkosten gegen die Erneuerbaren zu wenden, wie es manche Gegner der Energiewende tun. Wenn man den erforderlichen Investitionen in neue Infrastruktur die Kostensenkung bei den erneuerbaren Energien gegenüberstellt, gerade auch durch die Windkraft an Land, dann steht unterm Strich ein volkswirtschaftlich positives Ergebnis. Und wenn man die Umweltkosten der konventionellen Energien mit einrechnet, sind die Erneuerbaren im Vergleich unschlagbar günstig.

neue energie: Man könnte den Verbraucher aber doch noch ganz anders an der Energiewende teilhaben lassen. Was halten Sie von flächendeckenden Mieterstrom-Modellen?

Peter: Ein sehr gutes Stichwort! Wir setzen sehr darauf, die Chancen von Mieterstrom-Modellen flächendeckend zu nutzen. Mieter sollten von der EEG-Umlage befreit werden und zusätzliche Anreize erhalten, Ökostrom zu produzieren und selbst zu nutzen. Das ist ein soziales und ökologisches Instrument, das wirklich funktionieren könnte. Die Bundesregierung setzt hier jedoch sehr unterschiedliche Signale. Auf der einen Seite wird kurz vor Schluss noch eine Verordnungsermächtigung zu Mieterstrommodellen ins EEG aufgenommen, die jetzt vom Bundeswirtschaftsministerium erstmal umgesetzt werden müsste. Auf der anderen Seite will die Bundesregierung selbst genutzten Solarstrom jetzt zusätzlich zur widersinnigen EEG-Umlage auch noch mit der Stromsteuer belegen.

neue energie: In Brüssel und Berlin scheint man gemeinsam daran zu arbeiten, den Einspeisevorrang für erneuerbare Energien einzuschränken, zugleich wurden in Deutschland Ausschreibungen eingeführt. Erleben wir derzeit die faktische Abschaffung des EEG, auch mit Blick auf geplante Handelsabkommen?

Peter: Das ist zu befürchten, und zwar mit stillschweigender Komplizenschaft der Großen Koalition. Schließlich hat sich die Bundesregierung in der Vergangenheit immer wieder massiv in Brüssel eingesetzt, um etwa Vorteile für die deutsche Autoindustrie zu sichern. Dass es dieses Engagement für die Erneuerbaren nicht gibt, spricht Bände. Dabei könnte man durchaus Verbündete finden, schließlich haben viele Mitgliedsstaaten Einspeisetarife eingeführt, weil sie gut funktionieren. Von Ausschreibungen wissen wir dagegen, dass die Erneuerbaren damit oft teurer werden. Das bisherige EEG bleibt demnach das verlässlichste, zukunftsfähigste Instrument. Tatsächlich lässt sich eine ungute Verschränkung erkennen, durch die die Erneuerbaren noch stärker unter die Räder kommen könnten. Das motiviert zusätzlich, sich gegen unfaire Handelsabkommen wie TTIP und CETA zu organisieren. Wir Grüne haben gemeinsam mit Umweltverbänden, Kulturschaffenden und Gewerkschaften ein ganz klares Nein gegen TTIP formuliert. Wir lassen nicht zu, dass hart erkämpfte soziale und ökologische Standards dem Freihandel geopfert werden – schon gar nicht die Energiewende.

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