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CO2-Preis

Wie die Klima-Steuerreform aussehen könnte

Gastbeitrag von Patrick Graichen (Agora Energiewende), 15.05.19
Warum eine Anpassung der Energie- und Stromsteuern an die CO2-Intensität der jeweiligen Energieträger der einzige kurzfristige Weg ist, das Abgaben- und Steuersystem klimagerecht zu reformieren. Und wie die daraus resultierenden Einnahmen am besten an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben werden können.*

Die Diskussion über eine CO2-Bepreisung ist seit etwa zwei Jahren in vollem Gange – und auch wenn sie bisher nur zögerlich von der Politik aufgegriffen wird, so ist doch unter Experten klar, dass kein Weg daran vorbeiführt. Denn zum ersten ist Deutschland als größter Mitgliedsstaat der EU ambitionierte Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens eingegangen: Die nicht vom EU-Emissionshandel erfassten Sektoren müssen europarechtlich verpflichtend ab 2021 jedes Jahr bis 2030 ihre Emissionen um etwa 15 Millionen jährlich reduzieren. Werden diese Jahres-Budgets nicht erfüllt, und so sieht es derzeit aus, drohen dem Bundeshaushalt im Zeitraum von 2021 bis 2030 Kosten in Höhe von 30 bis 60 Milliarden Euro.

Zum zweiten verlangt effizienter Klimaschutz einen CO2-Preis, der einen Anreiz setzt, den Ausstoß von CO2 zu vermeiden. Aktuell fehlt dieser bei Verkehr, Wärme und Landwirtschaft völlig, im EU-Emissionshandel ist er niedrig und instabil. Und zum dritten sind die Energiepreise schief: Während klimaschädliches Heizöl, Diesel, Benzin und Erdgas heute wieder so viel kosten wie 2008, ist der zusehends grüner werdende Strom seitdem immer teurer geworden. Ein solches Ungleichgewicht blockiert die Energiewende bei Verkehr, Wärme und Industrie, denn es verhindert, dass grüner und inzwischen äußerst kostengünstig zu produzierender Strom die fossilen Energien ersetzen kann.

Eine CO2-orientierte Reform der Steuern, Abgaben und Umlagen auf Energie entfaltet allerdings eine gesellschaftliche Wirkung, die weit über die Anforderungen des Klimaschutzes hinausgeht. Daher muss sie auf breite, dauerhafte Akzeptanz treffen. Dies lehrt besonders auch die Erfahrung mit den Gelbwesten-Protesten in Frankreich, die sich an der Erhöhung des CO2-Beitrags auf die Kraftstoffe im November 2018 entzündeten.

Erfolgskriterien der Reform

Eine Klima-Steuerreform sollte daher neben dem effektiven Klimaschutz mindestens die folgenden vier Kriterien erfüllen:

1. Aufkommensneutralität: Aus Akzeptanzgründen müssen die durch die Reform entstehenden Einnahmen an Bevölkerung und Unternehmen rückverteilt werden. Sie dürfen nicht der Verbesserung des Staatshaushalts dienen.

2. Sozialer Ausgleich: Die CO2-Einnahmen sind mindestens auf die unteren Einkommensgruppen zurückzuzahlen, denn diese werden von ihr relativ stärker getroffen als höhere Einkommensgruppen.

3. Die Reform darf nicht zu Wettbewerbsnachteilen der deutschen Industrie führen. Dies würde nicht zu Senkungen der Emissionen führen, sondern im Zweifel nur zur Verlagerung von Emissionen in andere Länder. Falls nötig, sind daher entsprechende Ausnahmeregelungen erforderlich.

4. Bürokratiearmut: Eine CO2-Orientierung der Steuern, Abgaben und Umlagen sollte mit möglichst wenig zusätzlichem Verwaltungsaufwand verbunden sein

Grundsätzlich existieren verschiedene Möglichkeiten einer Reform unter Wahrung der oben aufgeführten Kriterien. Die vier meistgenannten heißen „CO2-Steuer“, „CO2-Abgabe“, „Energiewende-Umlage“ und „CO2-orientierte Ausgestaltung der Energiesteuern“. Rechtlich ist davon lediglich die letzte Option vergleichsweise leicht und schnell umzusetzen, wie die ähnlich gelagerte Einführung der Öko-Steuer im Jahr 1998 gezeigt hat: Sie wurde innerhalb von nur sechs Monaten beschlossen und umgesetzt. Alle anderen Optionen müssten hingegen verfassungsrechtliche Hürden (CO2-Steuer und Energiewende-Umlage), das Problem der Unzulässigkeit von Ausnahmen (CO2-Abgaben) und/oder einen hohen Bürokratieaufwand (CO2-Abgaben und Energiewende-Umlage) überwinden.

Gegen eine CO2-orienterte Anpassung der Sätze der existierenden Energiesteuern bestehen hingegen keinerlei europarechtlichen oder verfassungsrechtlichen Hindernisse. Die EU-Energiesteuerrichtlinie sieht „Umweltschutz“ als Begründung für die Festsetzung der Steuern sogar explizit vor. Auch die Stromsteuer kann auf Basis der CO2-Intensität der Stromerzeugung festgelegt werden. Bei einer solchen Reform sind grundsätzlich zwei Optionen denkbar: zum einen ein CO2-Aufschlag auf die bestehenden Steuern für Heizöl, Benzin, Diesel und Erdgas. Zum anderen könnte das bisherige System der Steuern, Abgaben und Umlagen auf Energie abgeschafft und durch ein neues, zielorientiertes System ersetzt werden.

Viele Wege führen zur Rückverteilung

Der CO2-Aufschlag auf die bestehenden Steuern für Heizöl, Benzin, Diesel und Erdgas entspricht dem Weg, den Frankreich gegangen ist. Bei einem CO2-Aufschlag von 50 Euro pro Tonne CO2 würde sich Erdgas um einen Cent pro Kilowattstunde verteuern, Heizöl und Diesel um 13 Cent pro Liter, und Benzin um zwölf Cent pro Liter. Im ersten Jahr entstünden Mehreinnahmen für den Bundeshaushalt in Höhe über 15 Milliarden Euro. Diese könnten zum Beispiel verwendet werden, um den Strompreis um vier Cent je Kilowattstunde zu senken – etwa über eine Absenkung der Stromsteuer auf das europarechtliche Minimum sowie für einen Zuschuss zum EEG-Konto in Höhe der EEG-Industrieausnahmen. Zudem wäre es möglich, 2,7 Milliarden Euro als Anschubfinanzierung für die Wärme- und Verkehrswende auszugeben.

Alternativ könnten die gut 15 Milliarden Euro pauschal an die Bürgerinnen und Bürger sowie an Unternehmen rückerstattet werden. Jeder und jede bekäme 120 Euro im Jahr; Unternehmen könnten sich über 120 Euro je 100.000 Euro Lohnsumme jährlich freuen. Denkbar wären auch Mischformen zwischen diesen Modellen. Gemein ist ihnen jeweils, dass sich die Kriterien der Aufkommensneutralität, der sozialen Ausgewogenheit und der Wettbewerbsneutralität mit ihnen kontrolliert erreichen lassen.

Dies gilt ebenfalls für die zweite Option, bei der im Kern das bisherige System der Steuern, Abgaben und Umlagen auf Energie abgeschafft und durch ein neues klares System ersetzt würde. Dieses würde auf zwei Grundsätzen basieren: Jeder Sektor finanziert seine Infrastrukturkosten selbst und darauf aufbauend erfolgt eine einheitliche CO2-orientierte Besteuerung für alle Energieverbräuche - Strom, Diesel, Benzin, Erdgas und Heizöl.

Infrastrukturbeitrag für Benzin und Diesel

Da Strom und Gas ihre Infrastruktur über die Netzentgelte und die Konzessionsabgabe finanzieren, wäre bei Benzin und Diesel über die Energiesteuer ein Infrastrukturbeitrag zu erheben, der die Kosten für Erhaltung und Ausbau der Verkehrswege abdeckt. Realistisch und kostendeckend wäre ein Infrastrukturbeitrag in der Energiesteuer von Diesel und Benzin von etwa 42 Cent pro Liter. Das ist ein Niveau, das dem aktuellen Steuersatz sehr nahe ist.

Der CO2-Aufschlag auf Strom, Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas müsste in dieser zweiten Option mindestens so hoch sein, dass das bisherige Aufkommen aus den Energiesteuern sowie den Umlagen gedeckt wird, da es hier Zahlungsverpflichtungen im Rahmen etwa des EEG gibt beziehungsweise Einnahmeplanungen des Bundeshaushalts. Rechnet man diese Variante durch, so ergibt sich ein CO2-Preis von etwa 120 Euro pro Tonne, der notwendig wäre, um die bisherigen Einnahmen aus Steuern und Umlagen zu ersetzen. (Geht man nach den CO2-Schadenskosten, so müsste man gemäß Umweltbundesamt sogar einen Satz von etwa 180 Euro pro Tonne CO2 ansetzen.)

Im Ergebnis dieser Variante würde Strom deutlich günstiger als heute (etwa sieben Cent pro Kilowattstunde), während Diesel und Heizöl deutlich teurer würden. Auch bei Erdgas und Benzin würde es zu signifikanten Steigerungen kommen. Interessanterweise kommen beide Optionen – ein CO2-Aufschlag auf die bestehenden Heizöl-, Diesel-, Benzin- und Erdgassteuern genauso wie eine fundamental anhand von Infrastrukturkosten und CO2-Emissionen orientierte Reform – zu ähnlichen Ergebnissen, wenn man in der ersten Option einen CO2-Aufschlag von etwa 100 Euro pro Tonne CO2 wählt und die Einnahmen zur Senkung des Strompreises verwendet.

Wie auch immer die Reform ausgestaltet wird: Letztlich wird die Politik den Bürgerinnen und Bürgern intensiv erklären müssen, wieso sie nötig ist und wie ihre Rückverteilungsmechanismen funktionieren. Die in Umfragen immer wieder geäußerte große Zustimmung zum stärkeren Klimaschutz lässt auf eine große Bereitschaft in der Bevölkerung schließen, nach Jahren ohne nennenswerte Klimaschutzerfolge auch deutliche neue Klimaschutzmaßnahmen wie eine stärkere CO2-Bepreisung zu akzeptieren. Entscheidend wird sein, wie auf der Verwendungsseite der richtige Mix aus „Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen“, „Senkung des Strompreises“ und „Pro-Kopf-Rückverteilung an Haushalte mit geringem Einkommen“ aussieht und wie dieser transparent kommuniziert wird.

Fazit

Eine CO2-orientierte Besteuerung kann zwar nicht allein alle Klimaschutzprobleme lösen – aber ohne sie wird es praktisch unmöglich, die Energiewende- und Klimaschutzziele für 2030 zu erreichen. Denn es ist schlicht nicht möglich, mit den bestehenden Programmen im Verkehrs- und Wärmesektor gegen günstige fossile Energien „anzufördern“. Im Umkehrschluss gilt aber auch: Viele Innovationen und technischen Neuerungen, gerade im Bereich der Sektorkopplung, warten darauf, dass endlich die aktuellen Hürden bei den Steuern, Abgaben und Umlagen abgebaut werden. Die Zeit ist reif, jetzt ist die Politik am Zug.

 

*An dieser Stelle lesen Sie einen Gastbeitrag, der nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wiedergibt. Für den Inhalt sind die jeweiligen Autoren verantwortlich.

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