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Bundestagswahl 2017

„Wer den Kumpels heute noch Versprechungen macht, lügt ihnen ins Gesicht“

Interview: Redaktion neue energie, 15.09.17
Die energiepolitische Sprecherin der Linken, Eva Bulling-Schröter, über Termine für den Kohleausstieg und ihren Rückzug aus Berlin.

neue energie: Wenn Sie sich für eines entscheiden müssen: Was ist Ihr wichtigstes energiepolitisches Ziel für die nächsten vier Jahre – und wie wollen Sie es erreichen?

Eva Bulling-Schröter: An erster Stelle steht ein Kohleausstiegsgesetz, am besten im Zusammenhang mit einem Klimaschutzgesetz. Wir müssen die Klimaziele verbindlich und den Kohleausstieg planbar machen. Dazu braucht es viel Druck von der Klimabewegung und eine Koalition der Klimaschutz-Willigen, denke ich. Bei den erneuerbaren Energien müssen wir die Kosten im Blick behalten: die Energiewende muss fair sein, damit meine ich für alle bezahlbar und gerecht, dass also alle sich angemessen an den Kosten beteiligen.

ne: Ärgert es Sie eigentlich, dass die Grünen beim Kohleausstieg jetzt doch die ersten sein wollen? Zwischendurch sah es so aus, als könnte Ihr Ausstiegsjahr 2035 das früheste Datum sein…

Bulling-Schröter: Das Wichtigste ist jetzt wirklich: sofort anfangen! Wir haben mit der Großen Koalition weitere vier verlorene Jahre hinter uns, ja die Energiewende wurde durch die Deckelung der Ausbaukorridore sogar ausgebremst. Wenn wir mit dem Einstieg in den Kohleausstieg noch länger warten, wird es umso schmerzhafter für die Regionen, weil die Gefahr von Strukturbrüchen steigt. Wer den Kumpels heute noch Versprechungen macht, lügt ihnen ins Gesicht. Wir müssen in den nächsten Jahren die 20 schlimmsten Dreckschleudern abschalten. Das sehen die Grünen auch so. Die hatten übrigens auf der Fachebene in Berlin noch bis vor kurzem 2037 als Ausstiegsdatum. Dann sind sie in NRW aus der Regierung geflogen. Kurz danach kam der 2030-Beschluss. Der Think Tank Agora Energiewende, der ja für eine ambitionierte Energiewende steht, hat einen Pfad für einen sozialverträglichen Kohleausstieg bis 2040 aufgezeigt. Wenn wir allerdings verhindern wollen, dass die Fidschi-Inseln im Meer versinken, müssen wir den Kohleausstieg eher schon 2025 schaffen, nur so hält Deutschland auch sein Versprechen vom Pariser Klimaabkommen, das Angela Merkel ja gerade auch auf dem G20-Gipfel so hochgehalten hat. Das Wuppertal-Institut hält 2035 für möglich. Ich denke, mit 2035 haben wir Linke also ein realistisches Datum. Früher wäre natürlich besser.

ne: Spielen da auch Ihre Parteikollegen im Braunkohleland Brandenburg mit?

Bulling-Schröter: Die Linken Kolleg*innen in Brandenburg tragen das Ausstiegsdatum 2035 mit. Die Klima-Bremser sind dort vor allem bei der SPD zu finden, was Sie regelmäßig den Äußerungen des Wirtschaftsministers Gerber entnehmen können. Er wollte zuletzt das EEG abschaffen, da hört für die Linke der Spaß natürlich auf.

ne: Sie persönlich verlassen Berlin und kandidieren für den bayerischen Landtag. Warum kehren Sie der Hauptstadt den Rücken?

Bulling-Schröter: Ich bin jahrzehntelang zwischen Bayern und Berlin gependelt und habe, ehrlich gesagt, genug davon. Ich möchte auch Platz für Jüngere machen. Aber den Einzug der Linken in den Bayerischen Landtag zu schaffen – das reizt mich einfach. Bayern braucht endlich wieder eine echte linke Kraft im Maximilianeum, um die stockende Energiewende im Freistaat wieder anzuschmeißen, dabei aber einkommensschwache Haushalte nicht zu vergessen.

ne: Die Große Koalition hat die Förderung von erneuerbaren Energien auf Ausschreibungen umgestellt. Nach der ersten Runde für Windkraft an Land wurde nun auf die Schnelle per Moratorium nachgebessert. Wie bewerten Sie das Auktions-Ergebnis und wo sehen Sie hier noch politischen Handlungsbedarf nach der Sommerpause?

Bulling-Schröter: Wir haben Ausschreibungen stark kritisiert und waren sogar die ersten, die mit Anfragen im Oktober 2016 die Bundesregierung auf die Möglichkeit des Missbrauchs der Bürgerenergie-Regelungen aufmerksam gemacht hatten. Herr Baake hat uns damals geantwortet, die Missbrauchsmöglichkeiten seien „minimal“. Das war leider ein Irrtum, wie man jetzt sieht. Denn offenbar verbergen sich hinter den 96 Prozent Zuschlägen für „Bürgerenergie“ tatsächlich eher große Projektierer. Wir befürworten daher die EU-konforme De-minimis-Regelung: kleinere Projekte bis 18 Megawatt von Ausschreibungen auszunehmen. Zudem benötigen wir ein bundesweites Beteiligungsgesetz, das Kommunen und echte Bürgerenergie – am besten Genossenschaften – vor Ort stärkt.

ne: Zusammengefasst – warum sollten Wählerinnen und Wähler, denen Energiewende und Klimaschutz am Herzen liegen, am 24. September Linke wählen?

Bulling-Schröter: Wir sind wohl die Einzigen, die eine entschlossene Energie- und Klimapolitik nicht nur ökologisch, sondern auch immer kapitalismus- und wachstumskritisch begründen. Wir werden mit ungebremstem Wachstum und Konsum einen Klimakollaps erzeugen, der als erstes den Ländern des Südens Zerstörung bringt, dann auch uns. Naomi Klein hat ein lesenswertes Buch über Kapitalismus versus Klima geschrieben. Dass erneuerbare Energien weltweit ein Jobmotor sind, ist erfreulich. Aber der sozial-ökologische Umbau für alle Sektoren bedeutet nicht nur emissionsfreie Technologien. Sondern auch eine Reduktion des Verbrauchs: also Energie sparen, Verkehr vermeiden und vieles mehr – das kann durchaus einen Gewinn an Lebensqualität bringen. Ein Staat, der die Klimaziele erreichen will, sollte auch wieder stärker das Energiegeschäft übernehmen und die Energiewende gerecht machen. Angefangen bei den Stromnetzen. Die gehören in die öffentliche Hand, damit nicht weiter Profit damit gemacht wird wie derzeit. Wir brauchen eine funktionierende Strompreisaufsicht, die Stromsteuer soll weg, EEG-Industrieprivilegien runter, Energiesperren gehören verboten. Aber vor allem: Die Bundesregierung darf nicht länger den Kohle- und Autokonzernen gehorchen, sondern muss den Weg vorgeben, den diese gehen müssen. Wenn unsere Generation diese große Transformation nicht schafft, wird es bald zu spät sein.

Eva Bulling-Schröter hat uns schriftlich auf unsere Fragen geantwortet.

 

 

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