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Ein Jahr Ampel-Koalition

„Was geplant ist, kann große Wirkung entfalten“

Foto: Öko-Institut

Foto: Öko-Institut

Interview: Tim Altegör, 17.01.23
Im Wärmesektor habe die neue Regierung viel auf den Weg gebracht, sagt Veit Bürger vom Öko-Institut. Ob es am Ende die Wärmewende wirklich voranbringt, entscheide sich aber erst mit der konkreten Ausgestaltung.

neue energie: Wie fällt Ihr Fazit nach einem Jahr Ampel-Koalition aus?

Veit Bürger: Die neue Regierung widmet der Wärmewende deutlich mehr Aufmerksamkeit als die Vorgängerregierungen. Sie hat sich viel vorgenommen und sich sehr ehrgeizig auf den Weg gemacht. Der Krieg in der Ukraine hat dann vieles überlagert, manches beschleunigt, manches leider auch gebremst. Aber ich bin sehr hoffnungsvoll, dass die Wärmewende in der Legislaturperiode gut vorankommt. Das ist aber auch extrem wichtig, da die Investitionszyklen bei den Gebäuden und den Infrastrukturen des Wärmesektors so lang sind und der Sektor entsprechend träge ist.

ne: Zum Einstieg hat die Regierung die Förderprogramme für energiesparende Gebäude umgebaut, teils auch beendet oder gekürzt. Ist die Förderung jetzt auf einem schlüssigen und sinnvollen Weg?

Bürger: Es wurden einige Dinge geändert, die aus meiner Sicht gut waren. Dass zum Beispiel Mittel aus der Neubau- in die Sanierungsförderung verschoben werden, ist absolut richtig. Die Wärmewende wird nur dann gelingen, wenn wir uns auf die Sanierung des Gebäudebestands konzentrieren. Gleiches gilt übrigens auch für die Dekarbonisierung der Prozesswärme in der Industrie. Genauso wichtig ist es, dass es keine Förderung mehr für fossile Heiztechnik, also Öl- und Gaskessel gibt. Wo ich mir bessere Förderkonditionen wünschen würde, ist bei den Sanierungen auf die Effizienzhausstandards. Da wurden die Fördersätze leider gekürzt. Im Sinne von „Efficiency first“ ist aber eine attraktive Effizienzhausförderung ein ganz wichtiger Baustein in der Förderkulisse.

ne: Wie sieht es auf der anderen Seite mit gesetzlichen Vorgaben und Standards aus – reicht das mit Blick auf den Klimaschutz, etwa was das Ende fossiler Heizungen angeht, die in Deutschland ja bis zuletzt reihenweise installiert wurden?

Bürger: Die aktuellen gesetzlichen Regelungen reichen bei Weitem noch nicht. Aber was geplant ist, kann große Wirkung entfalten. Die Bundesregierung hat ja zum Beispiel beschlossen, dass ab Januar 2024 bei jeder neuen Heizung, also auch bei einem Heizungstausch, mindestens 65 Prozent erneuerbare Wärmeenergien eingesetzt werden müssen. Diese 65-Prozent-Anforderung kann ein extrem wirkmächtiges Instrument werden. Ambitioniert ausgestaltet leitet es das Aus von Gas- und Ölkesseln ein. Eine andere Maßnahme sind die Mindestenergieeffizienzstandards, die in Brüssel gerade für die ganze EU diskutiert werden. Da geht es darum, den gesamten Gebäudebestand kohortenweise nach und nach energetisch zu sanieren, beginnend mit den ineffizientesten Gebäuden. Dadurch würde die Sanierungsrate deutlich nach oben gehen. Aber natürlich lässt sich solch ein Instrument auch so ausgestalten, dass es im Endeffekt fast nichts bewirkt. In der Ausgestaltung spielt die Musik. Kurzum, viele politische Maßnahmen sind in der Diskussion und Regierung und Parlament werden sich daran messen müssen, wie wirkmächtig sie diese letztendlich ausgestalten werden.

ne: Sie haben den Krieg in der Ukraine und die Folgen für den Wärmesektor schon angesprochen. Sehen Sie die Energiekrise denn eher als Hindernis oder als Beschleuniger?

Bürger: Es ist beides. Das öffentliche Interesse für die Wärmewende ist gestiegen, die Menschen sind aufgerüttelt und haben eine wesentlich größere Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Es geht nicht mehr nur um Klimaschutz, sondern auch um Energiesicherheit und Energiekosten. Man merkt das zum Beispiel an der Nachfrage nach Wärmepumpen, die in den letzten Monaten deutlich gestiegen ist. Auf der anderen Seite sind hohe Energiepreise für viele Haushalte ein enormes Problem. Sich darum zu kümmern, dass die Menschen ihre Energierechnungen bezahlen können, bindet viele politische Ressourcen, Generell habe ich aber das Gefühl, dass der Krieg, so schlimm er ist, für die Wärmewende ein Momentum bedeutet.

ne: Das liegt ja auch nahe, nachdem Deutschland zuvor sehr stark auf günstiges Gas aus Russland gesetzt hat...

Bürger: Es gab immer dieses Narrativ, Heizöl ist schmutzig, Erdgas ist sauber. Den Ölkessel durch einen Gaskessel zu ersetzen wurde als klassische Klimaschutzmaßnahme gepriesen. Das Narrativ war aber schon immer falsch. Heizöl hat einen Emissionsfaktor von 265 Gramm pro Kilowattstunde, bei Erdgas sind es 200. Gas ist also sauberer, aber bei Weitem kein klimafreundlicher Brennstoff. Das Unschöne ist, dass Hauseigentümer jetzt wieder verstärkt zum Ölkessel greifen. Daher ist die 65-Prozent-Anforderung ein ganz wichtiges Signal, an die Hauseigentümer, aber auch den gesamten Heizungsmarkt, vor allem die Installateure und Anlagenhersteller. Effizienztechnologie, saubere Fernwärme, Wärmepumpen, Solarkollektoren und in Ausnahmefällen effiziente Pelletheizungen, das ist die Zukunft, und alle Akteure müssen ihr Geschäftsfeld darauf ausrichten.

ne: Speziell Wärmepumpen sind der große Hoffnungsträger der Regierung, sie sollen massiv ausgebaut werden. Halten Sie die Pläne für realistisch?

Bürger: Politik und Branche haben sich verständigt, ab 2024 mindestens 500 000 Wärmepumpen pro Jahr zu verbauen. Ich glaube, auf der Ebene der Fertigung ist das schaffbar. Viele Hersteller investieren gerade sehr viel Geld in die Ausweitung ihrer Fertigung. Der Flaschenhals besteht eher darin, diese 500 000 Wärmepumpen in die Gebäude reinzubekommen. Die Nachfrage nach Wärmepumpen-Installationen ist jetzt schon rapide angestiegen, sie trifft dabei aber auf Betriebe im Bereich Sanitär, Heizung, Klima, die momentan ohnehin schon volle Auftragsbücher haben. Zahlreiche Betriebe müssen sich auch erst noch fit machen für das neue Geschäftsfeld, müssen ihr Angebotsportfolio auf den Vertrieb, den Einbau und die Wartung von Wärmepumpen ausrichten. Das ist die Voraussetzung dafür, die Wärmewende im Heizungskeller zu beschleunigen.

ne: Kriegen wir denn dafür den Fachkräftemangel schnell genug in den Griff?

Bürger: Der Fachkräftemangel ist eine Riesenherausforderung, dem wir aus meiner Sicht noch deutlich mehr Aufmerksamkeit widmen müssen. Wir können uns die Installateure ja nicht backen. Wir brauchen eine großangelegte Aus-, Fort- und Weiterbildungsoffensive, um die ambitionierten Installationszahlen hinzubekommen. Betriebe müssen für die Auslegung, Planung, Installation und Wartung von Wärmepumpen geschult werden. Aus meiner Sicht sollten auch die Ausbildungscurricula angepasst werden, wobei dies in Deutschland ein sehr langwieriger Prozess ist. Im Endeffekt benötigen wir Installateure, die ihren Fokus auf die Heizanlagen legen, das heißt, weniger Bäder installieren und schwerpunktmäßig im Heizungskeller tätig sind.

ne: Im Laufe des Jahres mussten die Ministerien für Bauen und Wirtschaft ein Sofortprogramm erarbeiten, weil der Gebäudesektor – wie der Verkehr – seine CO2-Obergrenze 2021 überschritten hatte. Der Klima-Expertenrat der Regierung hat sich skeptisch geäußert, ob die Lücke damit zu schließen ist. Wie bewerten Sie das?

Bürger: Das Sofortprogramm listet Maßnahmen wie die 65-Prozent-Anforderung auf, bei denen man heute noch nicht genau weiß, in welcher Form sie am Ende umgesetzt werden. Eine Einschätzung darüber, ob sich damit die Klimaziele erreichen lassen, ist da natürlich schwierig. Wie gesagt, die geplanten Politikmaßnahmen haben ein großes Potenzial, die Wärmewende entscheidend voranzubringen. Am Ende hängt es aber an der konkreten Ausgestaltung dieser Maßnahmen.

ne: Was muss jetzt im zweiten Jahr aus Ihrer Sicht ganz dringend passieren, sind das die genannten Punkte?

Bürger: Entscheidend ist die Umsetzung des politisch Beschlossenen. Dabei gilt es auch, die Wärmewende möglichst sozial auszugestalten. Dann steht derzeit die gesetzliche Umsetzung der kommunalen Wärmeplanung an. Dies ist eine ganz zentrale Maßnahme, um die Wärmewende in den Kommunen zu unterstützen. Und schließlich muss die Gasnetzregulierung angepasst werden. Wir werden ja langfristig Teile unseres Gasverteilnetzes nicht mehr brauchen. Die Regulierung dieser Netze ist aber auf ihren Ausbau und Erhalt ausgerichtet, nicht auf ihre Stilllegung. Wenn zum Beispiel in einem Neubaugebiet für alle Gebäude eine Wärmepumpe geplant ist, in der hintersten Ecke aber ein Bauherr unbedingt einen Gasanschluss möchte, dann ist der Netzbetreiber in der Regel verpflichtet, diesen zu legen. Angesichts der Klimaschutzziele ist das ziemlich anachronistisch. Wir müssen den Regulierungsrahmen also so umgestalten, dass er die Stilllegung ermöglicht.

Das Interview ist Teil einer Strecke zur Zwischenbilanz nach einem Jahr Ampel-Koalition. Es ist zuerst in der Ausgabe 1/2023 von neue energie erschienen.


 

Veit Bürger

ist stellvertretender Leiter des Bereichs Energie und Klimaschutz am Öko-Institut. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Transformation des Wärmesektors.

 

Kommentare (1)

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  • 02.02.23 - 13:27, Rudolf Rothe

    Ein wesentlicher Hinderungsgrund ist die Bürokratie, bei der ich den >Eindruck habe, dass da akribisch nach >Verhinderungsgründen für ein Projekt gesucht wird, statt kreativ nach Lösungen zur Genehmigung zu suchen!
    Wenn Gebäude in den Nähe von Fließgewässen liegen, sollte es doch möglich sein, wasserbasierte Wärmepimpen einzusetzen, die mit einem erheblich besserenWirkungsgrad als die luftbasierten arbeiten. Zusätzlich kann dazu noch ein Abwasser-Wärmetauscher das noch verbessern. Auch bei weiter entfernten Gebieten kann eine gemeinschaftliche Ver- und ernsorgung von Flusswasser sinnvoll sein!
    Zum Mangel an Fachkräften, gerade im Handwerk möchte ich bemerken, dass 80-90 % der Tätigkeiten-gerade am Bau und in der Gebäudertechnik von überqualifizuertem Personal ausgedührt werden. In der Industrie wird die Aufragenteilung und Qualifizierungs-Slakierung schon lange erfolgreich praktizuert-jeder macht das, was er kann.
    Wir alimentieren ca. 1 Million Migranten, von denen die meisten arbeiten und ihren Unterhalt verdienen wollen, die aber das nichr dürfen. Sprachbarrieren sollten nicht von amtswegen, sondern im Betrieb entschieden werden! Als nicht in Ankerzentrenversauern lassen, sondern ausbilden und arbeiten lassen! Ein Register von ausländischen Qualifikationen mit vergleichenden Kompetenzen und Defiziten gegenüber deuteschen Abschlüssen würde die Anerkennung erheblich erleichtern!

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