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Klimaschutz

Streit um Kohle und EU-Vorgaben

Michael Hahn, 13.09.17
Die Ministerpräsidenten der vier deutschen Braunkohleländer wehren sich gegen strengere Grenzwerte für Kohlekraftwerke. Das wiederum ruft Umweltverbände auf den Plan. Beide Lager haben Briefe an Wirtschaftsministerin Zypries geschrieben. Dabei müsste der Großteil der betroffenen Meiler ohnehin vom Netz, um die Klimaziele zu erreichen.

Deutsche Kohlekraftwerke müssen sauberer werden oder vom Netz gehen. Das ist die Konsequenz eines EU-Beschlusses, nach dem der Ausstoß gesundheitsschädlicher Schadstoffe – wie Stickoxide, Quecksilber oder Feinstaub – aus großen Verbrennungskraftwerken ab 2021 deutlich reduziert werden muss. Die Bundesregierung hatte sich erfolglos gegen die schärferen Vorgaben ausgesprochen. Mitte August hat die EU-Kommission nun die strengeren Grenzwerte veröffentlicht, auch Kraftwerke in Deutschland müssen nachrüsten.

Dagegen wehren sich die Ministerpräsidenten der vier Braunkohleländer Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Sie fürchten einen wirtschaftlichen Schaden und wollen, dass die EU-Vorgaben per Nichtigkeitsklage ausgehebelt werden. Dazu hat Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU), auch im Namen seiner Amtskollegen, einen Brief an Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) geschrieben. Sie berufen sich demnach auf ein Gutachten, wonach die Grenzwerte auf Grundlage fehlerhafter Daten bestimmt worden seien und technisch sowie wirtschaftlich nicht vertretbar zu erreichen wären.

Umweltverbände protestieren

Darauf haben wiederum acht Umweltverbände reagiert und am Montag (11. September) ebenfalls einen Brief an Zypries geschrieben. Zu den Unterzeichnern zählen unter anderem die Klima-Allianz Deutschland, Greenpeace und der Nabu. In dem Schreiben heißt es, dass die Behauptung der Ministerpräsidenten, die EU-Umweltstandards seien rechtswidrig zustande gekommen, faktisch nicht haltbar sei. Es handele sich vielmehr lediglich um einen verzweifelten Versuch, die Umsetzung zu verzögern, gestützt auf ein Rechtsgutachten, das mit fadenscheinigen Argumenten die Interessen der deutschen Braunkohlewirtschaft vertrete.

„Ein Zögern der Bundesregierung oder – wie von der Braunkohle-Lobby gefordert – die Einleitung rechtlicher Schritte, würde das Vertrauen in die Bundesrepublik in Bezug auf die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben stark beschädigen. Wir fordern Sie daher auf, sich klar zur konsequenten Umsetzung der auf EU-Ebene beschlossenen Standards zu bekennen“, schreiben die Verbände. Sie erbitten außerdem eine zügige Antwort von Zypries, ob sie rechtliche Schritte gegen die EU-Vorgaben beabsichtige.

Einer Analyse der Klima-Allianz zufolge müsste der Großteil der betroffenen Kraftwerke sowieso in der kommenden Legislaturperiode vom Netz gehen – wenn die erklärten Klimaziele erreicht werden sollen. Zugleich könnte so die deutsche Strom-Überproduktion reduziert werden. Laut einer im August erschienenen Studie im Auftrag der Grünen werden vor allem die deutschen Braunkohle- und Atomkraftwerke zu unflexibel betrieben. Dadurch hätten sich die Stromexportüberschüsse in den letzten fünf Jahren fast verzehnfacht.

Abkehr von Klimazielen geplant

Dennoch halten vor allem die Landesregierungen bislang an der Kohleindustrie fest. Jüngst hat der brandenburgische Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) erklärt, die Klimaziele des Landes deutlich abschwächen zu wollen. In der „Energiestrategie 2030“, die auch im rot-roten Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, steht bislang eine CO2-Reduktion in diesem Zeitraum um 72 Prozent gegenüber 1990. Dieser Wert soll nach den SPD-Plänen nun auf 55 Prozent senken. Zur Begründung führt Gerber unter anderem an, dass im Braunkohlekraftwerk Jänschwalde nicht, wie vor Jahren einmal geplant, die CCS-Technik zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid zum Einsatz kommt.

Zudem stützt er sich offenbar auf ein Gutachten der Beratungsfirma Prognos, das drei Szenarien für die Weiterentwicklung der Energiestrategie berechnet hat. Nummer 1 beschreibt den Status Quo, Nummer 2 folgt den Zielen des Klimaschutzplans 2050 der Bundesregierung, Nummer 3 orientiert sich am Zwei-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimavertrag. Gerber will demnach Szenario 1, das einen deutlich langsameren Kohleausstieg vorsieht. Ein kürzlich versandter Entwurf der neuen „Energiestrategie 2030“ aus Gerbers Ministerium, der dem Online-Magazin Klimaretter vorliegt, bestätigt diesen Kurs. Darin heißt es auch, dass mit der altersbedingten Stilllegung des Kraftwerkes Jänschwalde die CO2-Emissionen in 2032/2033 voraussichtlich um insgesamt 68 Prozent reduziert würden.

Was die Position des Koalitionspartners die Linke angeht, gibt es widersprüchliche Aussagen. Medienberichten zufolge hat er sich der SPD-Linie angeschlossen. Die Linken-Parteivorsitzenden im Bund und in Brandenburg bekräftigten dagegen in einer gemeinsamen Erklärung, mit der Partei gebe es „kein Zurück beim Klimaschutz“.

Das wünscht sich auch die Mehrheit der Deutschen: Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Umweltverbands BUND kommt zu dem Ergebnis, dass 59 Prozent der Befragten eine baldige Stilllegung der Kohlekraftwerke befürworten und 72 Prozent einen Fahrplan für den Kohleausstieg von der nächsten Regierung erwarten. Einige machten ihren Widerstand zuletzt auch wieder direkt vor Ort deutlich: Im August demonstrierten Klimaschützer im Braunkohlegebiet Hambach in Nordrhein-Westfalen für den Kohleausstieg, unter anderem mit einer Menschenkette aus 3000 Teilnehmern.

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