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Bundestagswahl 2017

Klimaschutz-Koalition dringend gesucht

Jörg-Rainer Zimmermann, 15.09.17
Dass Angela Merkel erneut Kanzlerin wird, bezweifeln nur wenige. Doch wird sie je ihrem Spitznamen „Klimakanzlerin“ gerecht werden?

Warten auf Katastrophen – ist das der kleinste gemeinsame Nenner, wenn es um die anstehenden Bundestagswahlen und das Fortschreiten des Klimawandels geht? Dass Angela Merkel am 24. September das Rennen um die Kanzlerschaft machen wird, gilt als ziemlich sicher. Seit geraumer Zeit liegt die CDU in den Umfragen zur Wahl vor der SPD, führt mit rund 40 Prozent der Stimmen gegen- über den Sozialdemokraten. Und auch im direkten Vergleich der Kandidaten scheint Angela Merkel gegenüber Martin Schulz wohl das Rennen zu machen.

Hält die Stimmung an, wäre es für Merkel die vierte Amtsperiode, nachdem sie 2005 als erste Frau an die Spitze der Bundesregierung kam. Über die Jahre hinweg hat man der gebürtigen Hamburgerin so einige Beinamen verpasst, mal eher sachliche, mal flapsige: „Euroretterin“ etwa, oder „Mutti“. Dass der  Titel „Klimakanzlerin“ seit langem durch die Medien geistert, liegt sicher nicht nur daran, dass diese Wortschöpfung schön eingängig klingt. Das mit der Energiewende und dem globalen Klimaschutz hat sich als noch komplizierter erwiesen als die anderen großen Baustellen. Banken-Kollaps, Flüchtlingskrise – Merkel hielt nicht nur durch, sondern handelte. Teils unkonventionell und zur Überraschung auch der eigenen Parteikollegen. Ob mit langfristigem Erfolg, wird die Zukunft zeigen.

Doch bei den Themen Energie und Klima hakt es permanent, trotz der 180-Grad-Wende in der Atompolitik. Mit den von Merkel unterschriebenen Zielen, mit der bestehenden Koalition in Berlin und dem für die Umsetzung beauftragten Team in Ministerien und Behörden geht es nicht schnell genug voran. „Klimakanzlerin“ – der Begriff weckte Hoffnungen, dort wo Ängste um die Zukunft nächster Generationen wirken. Statt einer echten Entwarnung bekommen wir jedoch das übliche Kleinklein zwischen Bund und Ländern, zwischen Koalitionspartnern und Lobbyisten geboten, obendrauf kommt das politische Geschacher auf globaler Ebene.

Enttäuschte Hoffnungen schlagen um in Kritik. „Klimakanzlerin“ – in der Berichterstattung zieht die Wortschöpfung schon lange das mediale Feuer auf sich. Tatsächlich ist die „grüne“ Bilanz der Ära Merkel weit davon entfernt, zu überzeugen. Die nationalen Ziele zur CO2-Mindung bis 2020 werden ziemlich sicher deutlich verfehlt. „Da haben wir in der Tat alle Hände voll zu tun, das zu erreichen“, räumte die Kanzlerin jüngst in ihrem großen Fernseh-Sommerinterview ein – und schob zuletzt das ausdrückliche Versprechen nach, die Emissionsminderung von 40 Prozent gegenüber 1990 doch noch zu schaffen. Doch die Hürden sind hoch, die versprochenen eine Million E-Mobile werden bis 2020 wohl kaum auf deutschen Straßen rollen, der Netzausbau stagniert und das dient wiederum als Argument dafür, den Windenergieausbau im Norden stark einzuschränken.

Das deutsche Öko-Image ist ramponiert

Zusammen mit den neuen Ausschreibungen im Erneuerbaren-Sektor – die nach dem Willen Brüssels willfährig vom Bundeswirtschaftsministerium eingeführt wurden – könnte es künftig zu einem starken Rückschritt beim Windkraft-Ausbau kommen. Dieses Schicksal hat alle anderen Erneuerbaren bereits zuvor ereilt. Zudem sieht sich die Branche nun auch im Windbereich den Effekten der protektionistischen Politik Chinas gegenüber. Das könnte zu ähnlichen Verwerfungen führen, wie sie die deutsche Solarindustrie erlebt hat. Dabei würde der Zusammenbruch der deutschen Erneuerbaren-Branche 17 mal mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit treiben als die sofortige Schließung der Braunkohlereviere.

Übergreifend wäre durch einen Niedergang der deutschen Ökoenergie-Branche das Image Deutschlands als einstigem Energiewende-Pionier endgültig ramponiert. Schon heute traut man im Ausland den Deutschen die Umsetzung der Energiewende nicht mehr so recht zu, wie eine Umfrage des World Energy Council unter Vertretern der Energiebranche in 42 Ländern zeigt. 60 Prozent der Befragten sehen darin kein Modell für die Welt, nur zehn Prozent gehen davon aus, dass man hierzulande die gesetzten Ziele erreicht.

Auch sorgen die angeblich zu hohen Kosten des Systemumbaus international für ernste Mienen. Ein voller Erfolg der Negativ-Rhetorik der Anti-Erneuerbaren-Lobby, der handfeste volkswirtschaftliche Schäden nach sich ziehen kann – bei Investitionen geht es um Vertrauen. Doch ingenieurtechnische Lösungen für erneuerbare Energien hätten das Potenzial, auf lange Sicht eine (Umsatz-)starke Säule des heimischen Exports zu sein. Dagegen nehmen sich die Investitionen für den Systemumbau eher marginal aus. Wobei die Kosten-Kontroverse längst abgeräumt sein könnte, über entsprechende Steuergesetze etwa oder einen ehrlichen Umgang mit den externen Kosten der konventionellen Energien nach dem Verursacherprinzip. Womit wir wieder bei der Verantwortung der Politik wären – und bei der Kanzlerin.

Merkel hat das alte Thema Klimaschutz zuletzt neu entdeckt. Zwar war es nie ganz von ihrer Agenda verschwunden. Im Rahmen des G7-Gipfels auf Schloss Elmau im Jahr 2015 etwa hob die promovierte Physikerin gegenüber der Presse hervor, welche zentrale Bedeutung dem Klimaschutz zukommt. Mitarbeiter aus ihrem direkten Umfeld bestätigen, dass es der Pastorentochter ernst damit ist und sie um die Dringlichkeit schnellen Handelns weiß, mindestens seit ihrer Zeit als Bundesumweltministerin (1994 – 1998). Doch es stellt sich die Frage, welcher Impuls im entscheidenden Moment bei ihr die Oberhand gewinnt – eine moralisch motivierte Einsicht oder doch persönlicher Machterhalt und Staatsräson.

Kohle- statt Klimaschutz in NRW

Sicher hat Merkels Haltung mitgeholfen, den Pariser Weltklimavertrag erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Wirklich aufs Neue angeheizt wurde die Debatte aber in der Abgrenzung zu Donald Trump. Dass ausgerechnet die USA aus dem Abkommen ausscheren, ein Land, das für gigantische Mengen klimaschädlicher Emissionen verantwortlich ist, ist ein Extremereignis. Merkel hat solche Momente stets genutzt, nicht nur rhetorisch. Oft hat man ihr vorgeworfen, Probleme auszusitzen, auf den Fingerzeig der Wähler zu warten, die Weichen in mehrere Richtungen zu stellen, um der weiteren Entwicklung die anstehenden Entscheidungen zu überlassen.

In Krisenzeiten überraschte sie jedoch mit politischen Paukenschlägen: Erst die Garantie der deutschen Spareinlagen, dann der Atomausstieg (trotz schwarz-gelber Koalition, Merkels damaliger Wunschkombination), später die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge. Und wenn es gerade mal taktisch besonders gut passte, wurden heilige Kühe geschlachtet, siehe Abschaffung der Wehrpflicht und Einführung der Homo-Ehe. Derzeit jedoch ist kein Paukenschlag von Merkel zu erwarten. Besonders ein Ja zum schnellen Kohleausstieg wäre ein wichtiges Zeichen gewesen, wo doch die SPD an dieser Stelle kneift und in Brandenburg mit einer rot-roten Regierung geltende Klimaschutzziele kassieren will. Das Wahlprogramm der CDU ist an dieser Stelle aber enttäuschend unkonkret.

Dass sich mit einer solchen energiepolitischen Haltung trotzdem Wahlen gewinnen lassen, hat die CDU erst jüngst in NRW bewiesen. Jetzt übt sie sich zusammen mit der FDP im Kohle- statt im Klimaschutz. Angela Merkel lässt es geschehen, im fortgeschrittenen Wahlkampf und ohne akute äußere Gefahrenlage will sie keine Wähler verprellen. Nach dem 24. September dürfte sie in der komfortablen Lage sein, unter mehreren möglichen Koalitionspartnern zu wählen. Löst sie dann alte Hoffnungen ein, schmiedet sie eine Klimaschutz-Koalition? Dazu müssten die Grünen einen phänomenalen Wahlsieg erringen, deutlich mehr als sieben oder acht Prozent der Stimmen holen.

Doch was sollte die Partei aus dem derzeitigen Umfragetief katapultieren? Zwar hat sie sich zuletzt wieder auf den Klimaschutz als alte Kernkompetenz besonnen und die Kommunikationsstrategie angepasst. Doch das kam ziemlich spät. Zudem ist man sich intern bei den Klimaschutz-Instrumenten nicht einig, wie die von Winfried Kretschmann geschürte Debatte um das Ende des Verbrennungsmotors zeigt. Erschwerend kommt hinzu, dass Merkels Klima-Rhetorik den Grünen schon längst bei einigen Wählern die Show gestohlen haben dürfte – zumal diese Show auf der großen internationalen Bühne gespielt wird. Wendet sich Merkel aber wie schon 2009 der FDP zu, dann könnte sie diesen Eindruck nachhaltig Lügen strafen, könnte die Energiewende eine fatale Entschleunigung erleben – es käme wohl einer klimapolitischen Katastrophe gleich. Mantra-artig wiederholen die wiedererstarkten Liberalen ihren Ruf nach mehr Markt.

Schwarz-gelbe Markt-Polemik

Klar ist, dieser Ruf soll zur endgültigen Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) führen. Das fordert auch der energiepolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer. Im Interview mit neue energie spricht er dem EEG in seiner jetzigen Form für die Zukunft die Berechtigung ab. Und zieht zudem mit alten Argumenten ins Feld, die schon in der Vergangenheit zu heftigen Kontroversen mit Energiewende-Vertretern führten – der Vorwurf, Erneuerbare würden über die Maßen subventioniert – sogar stärker als die konventionelle Energiewirtschaft –, gehört dazu. Zahlen des Forums ökologisch-soziale Marktwirtschaft zeichnen ein anderes Bild: Jährlich würden allein fossile Energieträger mit über 46 Milliarden Euro bezuschusst, heißt es in einer neuen Studie. Dazu kommen dann noch die Subventionen für die Kernenergie.

Zwei Fragen stellen sich angesichts der Markt-Polemik von CDU und FDP. Wie geht es mit den Erneuerbaren weiter? Und was passiert beim Klimaschutz? Werden am Ende die Klimaziele nach unten korrigiert oder gar gestrichen? Nichts scheint mehr undenkbar, der Berliner Kreis der CDU hat sogar Zweifel am vom Menschen verursachten Klimawandel – Donald Trump lässt grüßen. Demgegenüber kommt das Versprechen im CDU-Wahlprogramm, an den bestehenden Energie- und Klimazielen festzuhalten, schmalbrüstig daher.

Um große und kleine Katastrophen möglichst abzuwenden, den Klimawandel noch halbwegs in den Griff zu bekommen, müssten Ziele und Instrumente geschärft werden, wie führende Experten seit langem fordern: Benötigt werden mehr Erneuerbaren-Zubau, deutlich weniger CO2-Ausstoß, deshalb eine CO2-Abgabe, mehr Gebäudeeffizienz, die Sektorkopplung, ein schneller Kohleausstieg und die konsequente Umsetzung der Verkehrs- und Wärmewende. Machbar mit Schwarz-Gelb? Schwer vorstellbar. Viel eher dürfte es zu einem altbekannten Phänomen kommen: Die Kanzlerin stellt gleichzeitig Weichen in mehrere Richtungen, um der weiteren geschichtlichen Entwicklung die anstehenden Entscheidungen zu überlassen – und um im Fall von Extremereignissen radikale Kurskorrekturen durchzupeitschen.

Bleibt die Frage, auf welche Katastrophe wir beim mindestens auf Jahrzehnte wirkenden Klimawandel eigentlich warten müssen, damit Politiker sich wieder trauen, der Wählerschaft das Thema in aller Deutlichkeit zuzumuten. Ein Extremereignis zumindest könnte in der weiteren Folge noch für Dynamik sorgen – der Skandal in der deutschen Automobilbranche. Sollten alte Seilschaften aufbrechen, verantwortliche Manager ausgewechselt werden, könnte das Bekenntnis zur E-Mobilität, das sich immerhin weiter im Wahlprogramm der CDU findet, zu schnelleren Erfolgen führen, als derzeit noch vorstellbar.

Der Umbau dieses Industriesektors käme dann mit Sicherheit zügiger voran als mit der alten Mannschaft, die alles tut, um den Verbrennungsmotor noch so lange wie möglich zu verteidigen – und das obwohl in England und Frankreich für 2040 ein Verbot für Benzin- und Dieselmotoren kommen könnte. Ob Merkel nach der Wahl mit unkonventionellen Entscheidungen die Wähler und die Industrie überraschen wird? In jedem Fall wäre schnelles Handeln wichtig – um das Vertrauen der Verbraucher in aller Welt wiederzugewinnen. Und die von der Klimakanzlerin gegebenen Versprechen einzulösen.

Der Artikel stammt aus der August-Ausgabe von neue energie.

 

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