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Was sagt die Politik?

Klimaschutz als Frage der Solidarität und der Demokratie

Gastbeitrag von Klaus Mindrup, 28.02.19
Der SPD-Abgeordnete Klaus Mindrup umreißt die Aufgaben der Regierungskoalition.*

Wirksamer Klimaschutz ist eine Frage der Solidarität. Dies habe ich bereits in meiner Rede im Deutschen Bundestag am 29.11.2018 deutlich gemacht. Es geht um die Solidarität mit den Ländern des globalen Südens, die bereits heute unter den Folgen des menschengemachten Klimawandels leiden. Es geht auch um die Solidarität mit den Küstenstädten und -regionen, die zukünftig durch den ansteigenden Meeresspiegel und Hochwasser bedroht werden. Und es geht um die Solidarität mit den kommenden Generationen.

Seit 2016 befassen wir uns in der SPD-Bundesfraktion vertieft in Arbeitsgruppen mit Klimaschutzfragen. Im Sommer 2017 hat die Arbeitsgruppe unter meiner Leitung ein Konzept mit umfassenden Empfehlungen für alle Sektoren vorgelegt, das von der Bundestagsfraktion beschlossen wurde. Eines der wichtigsten Ergebnisse war, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien im geplanten Korridor des EEG deutlich zu gering ausfällt, um die Klimaschutzziele einzuhalten. Zwar hatten wir in den vier Jahren von 2014 bis 2017 einen Rekordzubau an Windenergie – dies war allerdings vor allem der Tatsache geschuldet, dass wir im Parlament großzügige Übergangsregelungen bis zum Greifen der Ausschreibungen mit definierten Mengen durchgesetzt haben.

In den Koalitionsverhandlungen hat die SPD vehement darauf gedrungen, dass diese für den Klimaschutz notwendigen erneuerbaren Energien im Bereich Wind und Photovoltaik über zusätzliche Sonderausschreibungen abgesichert werden. Auch wenn es eine entsprechende Formulierung im Koalitionsvertrag gab, hat es aufgrund des Widerstands in der CDU/CSU-Fraktion eine halbjährliche Verzögerung gegeben, bis wir die Sonderausschreibungen endlich am 30.11.2018 beschlossen haben.

Erst 14 Prozent Erneuerbare

Ohne Zweifel haben wir im Augenblick in Teilen unseres Landes eine Akzeptanzkrise für den Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Windenergie. Dazu trägt auch die verbreitete Auffassung bei, wir hätten schon genügend erneuerbare Energien und die Energiewende sei so gut wie geschafft. Dies stimmt aber nicht! Wir haben in Deutschland erst rund 14 Prozent erneuerbare Energien am gesamten Energieverbrauch erreicht, und es hilft nichts, wenn wir uns an den Erfolgen im Stromsektor berauschen und die anderen Bereiche gedanklich ausblenden. Dies ist auch einer der Hauptgründe, warum wir im Klimaschutz nicht vorankommen. Es wird dringend Zeit, dass wir von einer „Stromwende“ zu einer wirklich ganzheitlichen Energiewende kommen.

Eine der Auseinandersetzungen findet dabei um den weiteren Ausbau der Windenergie an Land und auf See statt. Wer Klimaschutz ernst meint, muss den weiteren Ausbau der Windenergie und sinnvolle Lösungen für die demnächst aus der EEG-Förderung fallenden Anlagen unterstützen. Dies ist auch eine Frage des Artenschutzes, wie die aktuellen Studien des WWF zeigen, denn der menschengemachte Klimawandel ist auch eine große Gefahr für die Biodiversität.

Noch grotesker ist die Situation in unseren Städten und Dörfern. Das größte Hemmnis für den Ausbau von PV und hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplung sind die bürokratischen Blockaden gegen dezentrale Anlagen. Dahinter stehen klare Interessen und die Angst vor Kontrollverlust. Der absurdeste Fall von politischer Schizophrenie der Bundesregierung ist der 52-Gigawatt-PV-Deckel. Wenn wir die Klimaschutzziele von Paris erreichen wollen, müssen wir nahezu das gesamte PV-Potenzial auf unseren Dächern und Fassaden nutzen. Wir reden dabei von deutlich über 200 Gigawatt PV-Leistung. Damit ist klar: Der Deckel muss weg.

Dies ist auch sozialpolitisch und wirtschaftspolitisch sinnvoll. Selbst ohne Betrachtung der ökologischen Folgekosten sind inzwischen die wichtigsten erneuerbaren Energien Wind und PV kostengünstiger als alle fossilen und nuklearen Optionen im Neubau! Dass sie sich noch nicht in der Fläche durchsetzen, liegt allein an unserem regulatorischen Rahmen. Dabei sind die Vorgaben der EU und die Beispiele aus der Schweiz und Spanien klar: Schluss mit der Blockade von dezentralen Lösungen durch Abgaben und bürokratische Hürden.

Akzeptanz vor Ort entscheidend

Damit rücken dann auch die wirklich entscheidenden Fragen in den Mittelpunkt. Der Erfolg der Energiewende hängt an der Akzeptanz vor Ort. In den Quartieren und Dörfern sind kostengünstige Lösungen für Mieterinnen und Mieter und für den Mittelstand sinnvoll umsetzbar. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die Stadtwerke vor Ort sowie Bürgerenergiegenossenschaften. Selbstverständlich muss erneuerbarer Strom auch dezentral gehandelt werden können. Wir reden immer über „Smart Cities“ – aber das bisherige System der Vermarktung am Spotmarkt ist alles andere als intelligent.

Es ist peinlich, aber für die nächsten zwei Jahre kaum aufzuhalten: Deutschland wird seine Klimaschutzziele in den Bereichen Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft verfehlen und muss Emissionsrechte bei europäischen Nachbarn einkaufen, die ihre Ziele übererfüllen. Dieser Aspekt geht bei der Diskussion über den Kohleausstieg gerade unter.

Kraftwerke und große Industrieanlagen unterliegen dem europäischen Emissionshandel. Mit der Reform des Emissionshandels auf europäischer Ebene und der inzwischen erfolgten Umsetzung in deutsches Recht konnten wir durchsetzen, dass zukünftig bei einer vorzeitigen Stilllegung von Kohlekraftwerken die mit den Kraftwerken verbundenen Emissionsrechte aus dem Markt genommen werden können. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass ein nationaler Kohleausstieg überhaupt klimapolitisch Sinn macht.

Ich bin mir sicher, dass die Kohlekommission ihren Auftrag erfüllt und in wenigen Wochen sowohl Vorschläge für den Strukturwandel als auch gestaffelte Ausstiegsdaten für die Kohleverstromung vorlegen wird. Es ist völlig klar, dass wir die betroffenen Regionen bei ihrem Strukturwandel spürbar unterstützen müssen.

Wir werden aber auch unsere Kraftwerksstruktur grundlegend verändern müssen. Auch wenn wir im Augenblick große Überkapazitäten haben, werden wir neue Gaskraftwerke brauchen. Diese müssen zwingend in die Städte gebaut und in Kraft-Wärme-Kopplung betrieben werden, von der kleinen Brennstoffzelle bis zum Gas-und-Dampf-Kraftwerk an großen Wärmetrassen. Wenn wir dies nicht tun, werden wir unsere Klimaschutzziele im Gebäudebereich nicht einhalten und weiter doppelt zahlen.

Sozialverträglicher Klimaschutz

Eine Schlüsselrolle für den Klimaschutz kommt wie gesagt den Städten und Gemeinden, ihren Stadtwerken und auch Bürgerenergiegenossenschaften zu. Kraft-Wärme-Kopplung kann in Kombination mit Power-to-Heat im Fall eines lokalen Stromüberangebots gut und flexibel genutzt werden. Auch eine Kombination mit Biomasse ist sinnvoll, wie die Elektrizitätswerke Schönau dies im Schwarzwald beispielsweise tun. Blockheizkraftwerke auf Erdgasbasis laufen das gesamte Jahr. Im Winter wird der erhöhte Wärmebedarf durch Biomasse gedeckt. Überall dort, wo in Quartieren gedacht und gehandelt wird, funktioniert Klimaschutz. Unsere Wohnungsbaugenossenschaft Bremer Höhe in Berlin und die Innovation City Bottrop sind gute Beispiele, wie Klimaschutz sozialverträglich gemacht werden kann.

Diese und andere Bespiele zeigen auch, dass eine breite Akzeptanz für den Klimaschutz geschaffen werden kann, wenn man die Energiewende von unten organisiert, sie demokratisiert und die Menschen direkt von ihr profitieren.

Neben dem Ausbau der Erneuerbaren brauchen wir auch schnell einen klaren gesetzlichen Rahmen für Speicherlösungen. Dabei geht es nicht nur um Batteriespeicher, sondern auch um Wärmespeicher und den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. Die Ablehnung der Wasserstoffwirtschaft aus Effizienzgründen trägt nicht, weil sie nicht den gesamten ökologischen Rucksack von der Produktion bis zur Entsorgung betrachtet. Damit wird auch klar, dass wir zukünftig unsere Gasnetze und Speicher weiter nutzen können und werden.

Wir können somit ein Kaskaden-System aufbauen, bei dem es klar um „nutzen statt abregeln“ geht, wie der Bundestag in seiner Resolution zur Klimakonferenz in Polen beschlossen hat. Dies ist volkswirtschaftlich und ökologisch sinnvoll.

Jetzt geht es um den grundlegenden Umbau unserer Industriegesellschaft. Ich bin überzeugt, dass dies gerade in unserer Demokratie gelingen kann!

 

*An dieser Stelle lesen Sie einen Gastbeitrag, der nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wiedergibt. Für den Inhalt sind die jeweiligen Autoren verantwortlich.

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