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Windenergie-Krise

Industriestrategie im Widerspruch

Jörg-Rainer Zimmermann, 29.11.19
Die Flaute am Heimatmarkt trifft die Windbranche mit voller Härte. Eine Initiative der nördlichen Bundesländer soll den Erneuerbaren-Sektor stärken.

Der Widerspruch scheint kaum auflösbar zu sein: Während heute Morgen (29.11.2019) im Bundeswirtschaftsministerium Hausherr Peter Altmaier seine lange erwartete Industriestrategie vorstellte, zeichneten in der nicht weit entfernten Bundespressekonferenz (BPK) in Berlin-Mitte fast zeitgleich Vertreter der Windenergiebranche – einer der Schlüsselindustrien der Zukunft – gemeinsam mit den Regierungschefs der betroffenen Bundesländer ein Bild des Niedergangs. Aber auch des Widerstands: Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern), Andreas Bovenschulte (Bremen), Daniel Günther (Schleswig-Holstein), Peter Tschentscher (Hamburg) und Stephan Weil (Niedersachsen) präsentierten einen Elf-Punkte-Plan, mit dem dem Onshore-Wind-Sektor schnell wieder aufgeholfen werden soll. „Wir starten heute hier gemeinsam eine Initiative zur Sicherung der Energieversorgung von Deutschland aber auch zur Sicherung des Klimaschutzes“, stellte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) fest.

Dass der Ausbau der Windenergie an Land in diesem Jahr faktisch zum Erliegen gekommen ist, beschäftigt die Medien hierzulande seit geraumer Zeit. Während von 2014 bis 2018 bundesweit jährlich Anlagen mit durchschnittlich 2700 Megawatt neu aufgestellt worden waren, ist in diesem Jahr die Quote um 82 Prozent eingebrochen – 2019 waren es bislang lediglich 86 Anlagen mit 507 Megawatt. Die Situation ist so katastrophal, das sich die Heute-Journal-Redaktion in einer Sendung vom 19. November ungewöhnlich intensiv mit dem Thema beschäftigte. Doch selbst gegenüber Anchorman Claus Kleber zeigte der zur Rede gestellte, verantwortliche Minister Altmaier keinerlei Anzeichen, von seinem Kurs abweichen zu wollen.

Im Gegenteil – derzeit besteht die Befürchtung, dass es noch schlimmer kommen könnte. In einem Referentenentwurf zum Kohleausstiegsgesetz (Stand 11. November) waren als Vorgriff auf die für das erste Quartal 2020 erwartete Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) auch Punkte zu Wind an Land und auf See sowie zur Photovoltaik enthalten. So sollte der bestehende Offshore-Ausbaudeckel von 15 auf 20 Gigawatt angehoben und der 52-Gigawatt-Solardeckel sogar gestrichen werden – auf den ersten Blick positive Signale. Für heftige Kritik sorgte jedoch die Aufnahme von pauschalen 1000-Meter-Abständen, die laut Gesetzesentwurf künftig zwischen Kleinstsiedlungen ab fünf Häusern und Windkraftanlagen gelten sollen.

Abstandsregeln noch nicht vom Tisch

Dagegen wurden nicht nur in der Opposition und beim Koalitionspartner SPD Proteste laut, sogar in der Union selbst sorgt der Punkt für Kopfschütteln. Ministerpräsident Daniel Günter (CDU) heute in der BPK: „Das heißt in Schleswig-Holstein, dass wir unsere Windeignungsflächen um mindestens 60 bis 70 Prozent absenken werden.“ Repowering, also der in den kommenden Jahren massiv anstehende Austausch von Alt- durch Neuanlagen „wäre in den wenigsten Bereichen möglich“.

All diese Punkte – und einige andere, neue Hemmnisse für den Erneuerbaren-Ausbau wurden im aktualisierten, der „neue energie“-Redaktion vorliegenden Entwurf zum Kohleausstiegsgesetz (Stand 26. November) zwar komplett gestrichen. Doch, das ist gesetzt, sie kommen wieder auf den Tisch.

In der Branche hat man deshalb große Bedenken. Dass die Erneuerbaren im aktuellen Referentenentwurf keine Rolle mehr spielen, deutete Wolfgang von Geldern vom Wirtschaftsverband Windkraftwerke (WVW) nicht gerade optimistisch: „Es ist ein Versuch, die Kohleproblematik vorab zu lösen und danach die gegen die Windkraft gerichteten Maßnahmen doch umzusetzen.“

Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands WindEnergie (BWE), zeigte ebenfalls Skepsis: „Die Trennung der Maßnahmen bedeutet zunächst nicht, dass es zu einer Entlastung der Windbranche kommt. Im Gegenteil, halte ich die Herausnahme der konstruktiven und nötigen Entscheidungen für die Photovoltaik und der Offshore-Windenergie für einen Versuch, diese Branchen gegeneinander zu treiben. Das wird der Bundesregierung aber nicht gelingen.“

Geschlossenheit von Industrie und Verbänden

Tatsächlich demonstrierten die Vertreter der Verbände wie auch der Industrie gegenüber der von der Bundespolitik verantworteten Schieflage Geschlossenheit. Enercon-Geschäftsführer Hans-Dieter Kettwig, der jüngst bereits den Abbau von rund 3000 Stellen bei dem Auricher Windenergieanlagenhersteller bekannt geben hatte, machte klar, dass eine anhaltende Absatzflaute am Heimatmarkt weitere Folgen für die Arbeitsplätze in diesem Industriezweig haben werde.

Demgegenüber sprachen Dirk Güsewell (EnBW) wie auch Michael Jost (VW) von großen, anstehenden Investitionen, die aktuell aber unter schlechten Vorzeichen stünden. Dies wiederum sahen die Konzernmanager durchaus im Widerspruch zur Befürwortung, die die Energie- und Mobilitätswende in der Bevölkerung in zunehmendem Maß erfährt. Güsewell stellte mit Zahlen der Fachagentur Windenergie an Land klar, dass bei Menschen, die in der Nähe von Windparks leben, die Akzeptanz sehr oft hoch sei. Was im direkten Widerspruch zur Einführung von bundesweit pauschalen Abständen steht – die sollen laut Bundeswirtschaftsministerium nämlich dafür sorgen, dass die Akzeptanz steigt.

Angesichts der Sachlage erstaunt es kaum, dass die heute vorgestellten Forderungen von Branche und Landespolitikern weitgehend gleichlautend sind. Um schnell neue Genehmigungen für Onshore-Projekte zu realisieren – die braucht es, um an den Auktionen teilnehmen zu können –, müssen unter anderem Konflikte mit dem Artenschutz gelöst, mehr Windvorrangflächen ausgewiesen, die Menschen vor Ort stärker beteiligt und die Stromnetze ausgebaut und optimiert werden.

Sektorenkopplung muss in Gang kommen

Außerdem muss die Sektorenkopplung – also die Verbindung der verschiedenen Bereiche der Energiewende – in Gang kommen, weshalb der Ruf nach einem geeigneten regulatorischen Rahmen für die Wasserstofftechnologie immer lauter wird. Die Landeschefs legten heute zudem mit ihrer Forderung nach einem jährlichen Ausbau der Windenergie an Land im Umfang von fünf Gigawatt und der Anhebung des Offshore-Deckels sogar noch eins oben drauf.

Bleibt die Frage, weshalb angesichts des Unmuts in der Bevölkerung die Bundesregierung immer noch nicht den Fuß von der Energiewende-Bremse nimmt. Auch heute, dem „Global Day of Action“, gingen im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Madrid Massen von Menschen auf die Straßen, um für bessere Maßnahmen gegen die Erderwärmung zu kämpfen.

Stattdessen wurde das viel zu unambitionierte Klimaschutzpaket auf den Weg und – auch das hielt der heutige Tag bereit – zumindest in Teilen jetzt durch den Bundesrat gebracht. Nur bei den Punkten höhere Entfernungspauschale, steuerliche Förderung bei der Gebäudesanierung, dem Grundsteuersatz für die Windkraft und der Senkung der Mehrwertsteuer bei Bahntickets klappte das nicht. Ein Vermittlungsausschuss soll bis 19. Dezember für Klarheit sorgen. Der beim Emissionshandel sagenhaft niedrige Einstiegspreis von zehn Euro je Tonne CO2 jedoch kam durch.

Machtkampf zwischen Nord und Süd

Dass wirtschaftliche Interessen hinter der Gesamtstrategie stünden, vermutet Daniel Günther. Er wurde in der BPK sehr konkret: „Wer hat eigentlich in der Bundesregierung ein Interesse daran, den Ausbau der erneuerbaren Energien abzubremsen?“ Seine Antwort: Durch die wirtschaftlichen Chancen, die der Norden mit der Windenergie habe, würde sich das Nord-Süd-Gefälle verschieben. Es gehe auch um einen Machtkampf. Stephan Weil nahm den Ball auf, er erläuterte den enormen Bedarf, den die energieintensive Industrie künftig an grün produziertem Wasserstoff habe. Was das für den Norden Deutschlands bedeutet, erläuterte Manuela Schwesig, indem sie einen im September vorgelegten OECD-Bericht zur Metropolregion Hamburg zitierte. Die Studie besage, dass die Region das Potenzial besitze, Weltmarktführer in Sachen Wasserstoff-Technologie zu werden.

Davon ist die Region aber noch weit entfernt. Und es könnte auch noch ein bisschen dauern. Mit der Entkopplung des Kohleausstiegsgesetzes vom EEG kommt es in Sachen Erneuerbaren-Ausbau zu einem Zeitverlust – und die Verunsicherung der Branche bleibt wohl über den Jahreswechsel hinaus bestehen. Aus Sicht der verantwortlichen Politiker könnte das gewollt sein. Mit Akteuren, die um ihre Existenz bangen, verhandelt es sich leichter. Eine gelungene Industriestrategie, die heimische Märkte, Beschäftigung und Exportchancen im Sektor von Zukunftstechnologien sichern hilft, sieht jedoch anders aus.

 

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