Anzeige
Interview

„Ich war ehrlich gesagt auch sehr überrascht“

Interview: Tim Altegör, 07.02.18
Im September bekam Lisa Storcks im ZDF ein Versprechen von der Bundeskanzlerin höchstpersönlich: Das Klimaziel für 2020 werde erreicht. Doch nun, wenige Monate später, geben Union und SPD das Ziel faktisch auf. Wie kommt das bei der Studentin an?

neue energie: Frau Storcks, Angela Merkel hat Ihnen persönlich in einer ZDF-Sendung im September das ausdrückliche Versprechen gegeben, das Klimaziel für 2020 noch zu erreichen. Nun wird die Bundeskanzlerin es offenbar brechen. Wie finden Sie das?

Lisa Storcks: Ich bin auf jeden Fall ziemlich enttäuscht. Ein Versprechen ist eigentlich etwas, das man nicht bricht, das lernen wir alle ja schon im Kindesalter. Für mich ist es auch ein Unterschied, ob ich ein Ziel nicht erreiche, oder ob ich es vorher aufgebe. Dass es für 2020 wahrscheinlich verfehlt wird, war ja vor dem Gespräch mit ihr klar, einfach von der Politik der letzten Jahre her.

ne: Haben Sie der Kanzlerin denn damals trotzdem geglaubt? Für viele kam das Versprechen überraschend, eben weil die Zahlen deutlich dagegen sprechen.

Storcks: Ich war ehrlich gesagt auch sehr überrascht, weil es in dem Gespräch sehr schwierig war, sie auf irgendetwas festzunageln. Als dann das letzte Statement dieses Versprechen war, war ich in dem Moment sehr zufrieden und habe gedacht, ok, jetzt habe ich sie doch irgendwie erreichen können. Ich hatte schon das Gefühl, dass sie dahinter steht. Trotzdem blieb bei mir, wie wahrscheinlich bei den meisten klimapolitisch engagierten Zuschauern, natürlich die Frage, wie sie das noch schaffen will. Auf die Umsetzung ist sie in dem Gespräch ja überhaupt nicht eingegangen.

ne: Wie kam es eigentlich zustande, dass Sie in der Sendung waren?

Storcks: Ich bin seit vielen Jahren in der WWF-Jugend aktiv und wurde dort angesprochen, ob ich mir vorstellen kann, in diese Sendung zu gehen. Ich habe einen Moment überlegt, weil ich damals gerade in der Endphase meiner Abschlussarbeit war, habe dann aber entschieden: Das ist mein Herzensthema und ich mache das trotzdem. Wann hat man schon mal die Chance, mit der Kanzlerin zu diskutieren? Es gab dann noch ein Bewerbungsgespräch mit der Redakteurin der Sendung und ich wurde ausgewählt. Mit dem WWF war abgesprochen, dass ich als Privatperson auftrete und nicht als Aktivistin, dass es um mein persönliches Interesse geht. Das war mir ganz wichtig.

ne: Sie wussten aber nicht, dass Sie an die Reihe kommen und eine Frage stellen können?

Storcks: Genau. Es war für mich ziemlich enttäuschend, dass im gesamten Wahlkampf das Thema Klimaschutz ziemlich heruntergefallen ist. Auch innerhalb der Sendung war gar kein Block dafür vorgesehen. Es hieß dann, es könnte im Jungwähler-Block unterkommen oder in der Wirtschaftspolitik, aber eigentlich war das Thema nicht fest eingeplant. Deswegen war es ein ganz schönes Bangen, ob es überhaupt zur Sprache kommt.


Angela Merkel im Wortlaut: „Wir werden Wege finden, wie wir bis 2020 unser 40-Prozent-Ziel einhalten. Das verspreche ich Ihnen.


ne: Merkels damalige Antwort wird jetzt überall zitiert. Sind Sie auch ein bisschen stolz darauf, sie aus ihr hervorgelockt zu haben?

Storcks: Was heißt stolz, ich bin einfach wahnsinnig froh, dass ich für dieses Thema einstehen durfte und dass das jetzt noch Nachwirkungen hat. Ich freue mich auf jeden Fall, dass es auf Resonanz stößt, gerade weil es eben im Wahlkampf meiner Meinung nach zu kurz gekommen ist.

ne: Wenn Sie nicht zu Wort gekommen wären, hätte es dieses Versprechen vielleicht nie gegeben – auch wenn sich an der faktischen Klimapolitik bislang scheinbar wenig ändert…

Storcks: Es ist so ein bisschen meine Hoffnung, dass dadurch, dass Medien groß darüber berichten, zumindest eine zusätzliche Aufmerksamkeit geschaffen wird, die auch zu einer Motivation von unten führt. Dass, wenn die Politik ein Versprechen bricht, aus der Gesellschaft heraus nochmal neue Impulse kommen, für einen Kohleausstieg und einen klimafreundlichen Lebensstil aktiv zu werden.

ne: Sie selbst sind schon lange aktiv, erzählen Sie mal.    

Storcks: Ich bin seit ich zwölf Jahre alt war im Kinder- und Jugendprogramm des WWF und habe dort mit Postkartenaktionen oder Referaten in der Schule begonnen, später dann Infostände organisiert. Seit 2014 bin ich Online-Redakteurin für die WWF-Jugendseite, wir sind 20 junge Menschen aus ganz Deutschland. Außerdem koordiniere ich Aktionen in NRW und habe eine Divestment-Kampagne an meiner Uni gestartet. Parallel habe ich auch bei Greenpeace gearbeitet und engagiere mich im Netzwerk Plurale Ökonomik, das sich für mehr Vielfalt in den Wirtschaftswissenschaften einsetzt. Ich habe VWL studiert und sehe im Wirtschaftssystem viele Ursachen der Klima- und Energieproblematik.

ne: Was nehmen Sie jetzt mit aus dieser Erfahrung mit Merkel und dem Klimaziel?

Storcks: Vor allem die Motivation, noch tiefer einzusteigen, gerade im Hinblick auf Energiewende und Kohleausstieg. Ich bin schon erstaunt, was diese Frage an Frau Merkel für Folgen hatte. Im November habe ich ihr mit Unterstützung von Greenpeace einen offenen Brief geschrieben und sie an ihr Versprechen erinnert, auf eine Antwort warte ich noch. Ich überlege auch, mich im Masterstudium auf Energiewirtschaft und -politik zu spezialisieren und langfristig in dem Bereich beruflich unterwegs zu sein. Aber das hängt natürlich nicht alles nur mit diesem einen Gespräch zusammen.

ne: Aber Ihr Vertrauen in Politik hat nicht gelitten?

Storcks: Nein, mir war wie gesagt in der Situation schon irgendwie bewusst, dass das jetzt ein schönes Versprechen ist, das aber wahrscheinlich nicht eingehalten werden kann. Ich sehe es natürlich kritisch, wenn die Klima- und Umweltpolitik in langwierigen Verhandlungen abgeschwächt wird. Aber ich kann mir schon auch vorstellen, mich in einer Partei zu engagieren. Ich sehe die Politik nicht als etwas, das mich erschüttert, worauf ich aber keinen Einfluss nehmen kann, sondern für mich ist das ein Anstoß, mich noch weiter einzubringen.


Nachtrag: Lisa Storcks und Greenpeace haben mittlerweile eine Petition gestartet. Sie appellieren unter anderem an die Bundeskanzlerin, 2018 die ersten Kohlekraftwerke abzuschalten.


Von Kohl bis Merkel – deutsche Emissionen und Klimaziele

Daten: Umweltbundesamt (tatsächliche Emissionen bis einschließlich 2017, Ziele für 2020 und 2030.)


 

Kommentare (0)

Kommentar verfassen»

Kommentar verfassen

Anzeige
Anzeige