Ein Jahr Ampel-Koalition

„Ich hoffe auf einen gewissen Lerneffekt“

Foto: DIW Berlin/F.Schuh

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Interview: Astrid Dähn, 05.01.23
Wolf-Peter Schill vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht die Ampel-Koalition klimapolitisch auf einem guten Weg. Er setzt darauf, dass die aktuelle Energiepreiskrise den Umstieg von fossilen Brennstoffen auf Erneuerbare beschleunigt.

neue energie: Wie beurteilen Sie die Arbeit der Ampel-Koalition in Sachen Klimaschutz und Energiewende nach einem Jahr?

Wolf-Peter Schill: Mein Fazit insgesamt ist verhalten positiv. Aber man muss da ein bisschen differenzieren. Wenn man sich anschaut, was tatsächlich passiert ist etwa im Hinblick auf den Ausbau erneuerbarer Energien, die Sektorenkopplung oder die Minderung der Treibhausgasemission, dann ist das nicht sehr viel. Mehr war jedoch kaum zu erwarten, weil fast alles, was sich die Ampel-Koalition vorgenommen hat, mehr als ein Jahr Zeit braucht. Und in Bezug auf die Programmatik und die Ziele, die gesetzt wurden, ist der Eindruck wirklich sehr positiv.

ne: Ziele wurden aber schon oft definiert, auch von der vorherigen Großen Koalition.

Schill: Das stimmt, aber die jetzigen Zielsetzungen sind sehr viel ambitionierter als bei den Vorgängerregierungen und gehen wirklich in Richtung Klimaneutralität bis 2045. Wenn die Regierung das jetzt weiterverfolgt, ist das ein entscheidender Schritt. Insofern ist die Ampel auf dem richtigen Weg.

ne: Auch wenn es insbesondere mit der FDP einiges Gezerre gibt? Stichwort: Tempolimit, Weiterbetrieb der AKWs, Aufweichen der sektorspezifischen CO2-Sparziele...

Schill: Bei allem Gezerre, das hinter den Kulissen abläuft, würde ich trotzdem sagen, dass die Ampel ein positives Bild abgibt. Man muss der Regierung zugute halten, dass ihr schwungvoller Neustart leider vom Angriff Russlands auf die Ukraine und der daraus resultierenden Energiekrise überlagert wurde. Die dominiert jetzt das energiepolitische Tagesgeschäft und gibt kurzfristig andere Prioritäten vor. Aber zumindest einige Ausbauziele etwa für Wärmepumpen oder Erneuerbare wurden dadurch noch einmal etwas nach oben angepasst.

ne: Anlässlich des einjährigen Bestehens der Regierungskoalition haben Sie einen ‚Ampel-Monitor‘ veröffentlicht, der vom Erneuerbaren-Ausbau bis zur Wärmepumpeninstallation für viele Teilaspekte der Energiewende aufzeigt, wie weit die Umsetzung gemessen an den Zielen für 2030 bisher fortgeschritten ist. In welchen Bereichen ist die Politik im letzten Jahr besonders gut vorangekommen?

Schill: Aufgrund der langen Vorlaufzeiten, die für praktisch alle Erneuerbaren- und Sektorenkopplungs- Technologien nötig sind, kann man eigentlich nicht sagen, dass wir in irgendeinem Bereich schon viel erreicht haben. Relativ betrachtet läuft die Photovoltaik im Moment vergleichsweise gut, und auch bei den Wärmepumpen haben wir, getrieben durch die Gaspreiskrise, eine recht starke Entwicklung. Fortschritte gab es außerdem beim Erdgas: Die Importe wurden stark diversifiziert, zwar weniger aus politischer Absicht, sondern schlicht, weil es aufgrund des Lieferstopps aus Russland unumgänglich war, aber ursprünglich war das auch ein Ziel des Koalitionsvertrags. Und wegen des extremen Preisanstiegs haben wir Erdgas eingespart, das ist durchaus ein Erfolg, auch wenn er auf einem sehr harten Weg erreicht wurde.

ne: Und wo hinkt die Regierung ihren Zielen stark hinterher?

Schill: Ganz offensichtlich zum Beispiel bei der Windenergie. Bei der Windkraft an Land bewegen wir uns im Moment deutlich unterhalb des EEG-Zielpfads, und bei der Windkraft auf See hat sich lange fast gar nichts getan. Verglichen mit der Durchschnittsgeschwindigkeit, die nötig wäre, um die 2030-Ziele zu erreichen, sind wir da ganz weit hinten dran. Ein anderer Bereich, bei dem wir im Rückstand sind, ist die Wasserstoff-Elektrolyse. Da starten wir einfach von einem extrem niedrigen Niveau aus.

ne: Wie steht es um den Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur insgesamt?

Schill: Dafür hat sich die Ampel meines Wissens nach kein konkretes Ziel gesetzt. Nur für die Elektrolyseleistung gibt es vorgegebene Zahlen, die aber auch nicht weiter spezifizieren, ob es sich dabei um reine Wasserstoff-Elektrolyse oder auch um die Weiterverarbeitung zu synthetischen Kohlenwasserstoffen als Energieträger handeln soll. In jedem Fall ist der Zielwert von zehn Gigawatt Elektrolyseleistung bis 2030 äußerst ambitioniert und nur zu erreichen, wenn praktisch alle Projekte realisiert werden, die heute in der Planung sind, auch die in eher vagen Konzeptionsstadien.

ne: Deutschland wird um eine forcierte Produktion von Wasserstoff kaum umhinkommen, wenn wir uns tatsächlich von fossilen Energieträgern lösen möchten. Beim Erdgas hat die Regierung, wie Sie sagten, zuletzt ein paar Fortschritte erzielt. Wie steht es allgemein mit dem Ausstieg aus der konventionellen Energieproduktion?

Schill: Da sind wir in den letzten zwölf Monaten kaum oder eigentlich gar nicht vorwärtsgekommen. Aber das ist in der aktuellen Situation auch besonders schwierig. Die Energiepreiskrise hat sogar gegenläufige Effekte bewirkt: Die Regierung musste die Kohleverstromung erhöhen, um gegen die explodierenden Kosten anzugehen. Die Strom- und die Gaspreisbremse sind letztlich Subventionen für den fossilen Energieverbrauch. Und auch über den Ausbau der Infrastruktur für Flüssiggas kann man streiten. Ich hoffe allerdings, dass sich infolge der derzeitigen Krise ein gewisser Lerneffekt einstellt: Um dauerhaft Energiesicherheit zu erlangen, müssen wir den Ausbau und die Nutzung von Erneuerbaren in allen Sektoren forcieren.

ne: Wenn jetzt im Eiltempo Flüssiggas-Terminals gebaut werden, die sich dann 15 oder 20 Jahre lang amortisieren müssen, wird das dem Umbau des Energiesystems aber wohl eher entgegenwirken.

Schill: Ich denke nicht, dass die Terminals den Erneuerbaren-Ausbau bremsen. Denn Flüssiggas ist nicht billig, und ich sehe nicht, wie sich daran auf dem Weltmarkt in näherer Zukunft etwas ändern sollte. Deswegen glaube ich nicht, dass dieser Energieträger auf Dauer mit Wind und Sonne konkurrieren kann.

ne: In ihrer Startphase hatte die Ampel also mit besonderen geopolitischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Wenn wir nun auf die kommenden Monate schauen – welche Energiethemen sollten die Koalitionäre im nächsten Jahr vorrangig angehen?

Schill: Ich halte es für absolut wichtig dranzubleiben, die Regierung muss die geplanten Ziele jetzt wirklich umsetzen, in allen Bereichen. Es fällt mir schwer, da eine Einzelmaßnahme als besonders wichtig herauszupicken. Leider vermute ich, dass die Umstände in den kommenden Monaten noch deutlich widriger sein werden als beim Ampelstart, weil wir durch die Energiepreiskrise derzeit so hohe Kostenbelastungen haben. Ein Teil der politischen Aktivitäten muss daher auch darin bestehen zu erklären, dass der beschleunigte Umbau hin zu einer Versorgung mit Erneuerbaren und Sektorenkopplung mittelfristig der Weg raus aus solchen Preiskrisen ist.

ne: Sind Sie optimistisch, dass das gelingt?

Schill: Ich denke nicht, dass wir im Laufe des nächsten Jahres wirkliche Durchbrüche erleben werden, ich hoffe vielmehr, dass es graduell auf vielen Feldern vorangeht, etwa bei den Wärmepumpen, dem Erneuerbaren-Zubau, der Elektromobilität oder beim Energiesparen, und dass dementsprechend auch die Preise von Strom und Erdgas wieder etwas sinken, was dann wiederum politisches Handeln leichter macht. In einer fundamental besseren Lage als heute werden wir uns in einem Jahr aber vermutlich nicht befinden.

ne: Wann könnte das dann der Fall sein?

Schill: Wenn die Ampel-Koalition ihre volle Legislaturperiode schafft, wovon ich jetzt mal ausgehen würde, dann sollten wir bis zum Ende ihrer Amtszeit in drei Jahren schon einen deutlichen Fortschritt sehen.

Das Interview ist Teil einer Strecke zur Zwischenbilanz nach einem Jahr Ampel-Koalition. Es ist zuerst in der Ausgabe 1/2023 von neue energie erschienen.


Wolf-Peter Schill

ist stellvertretender Leiter der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Zu den wissenschaftlichen Schwerpunkten des Umweltingenieurs und Energieökonomen gehören modellbasierte Analysen zur Transformation des Energiesystems. Gemeinsam mit Kollegen hat er einen „Ampel-Monitor“ entwickelt, der die Ziele der Regierung im Hinblick auf Klimaschutz und Energiewende mit dem aktuellen Stand vergleicht.

 

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