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Gastbeitrag

Die Bundesregierung an ihrem Kostenziel messen

Uwe Nestle, 11.02.16
In einem Gastbeitrag widmet sich der Energie- und Klimaberater Uwe Nestle der Frage, ob die aktuelle Regierungspolitik zum erklärten Ziel passt, die Kosten für erneuerbare Energien zu senken. Sein Fazit: Die Energiewende könnte effizienter sein – wenn die Politik den Ausbau gezielt beschleunigen würde.

Da der Ausbau der erneuerbaren Energien sowohl im Wärme- und Kältesektor als auch beim Verkehr nicht vorankommt und die Bundesregierung beim Ökostrom einen Ausbaudeckel eingeführt hat, droht Deutschland sein gegenüber der Europäischen Union verpflichtendes Erneuerbaren-Ziel zu verfehlen. Auch die Erreichung das Klimaschutzziels von minus 40 Prozent Treibhausgasemissionen bis 2020 ist fraglich. Die internationale Klimapolitik hat seit dem Pariser Klimagipfel neuen Schwung, den man nutzen könnte und sollte. Und es gibt Druck – nicht nur seitens der Bundesländer –, den Ökostromausbau zu beschleunigen. Energieminister Gabriel aber lehnt das strikt ab. „Dann müssen wir auch auf die Kostenseite schauen“, sagt er. Guter Vorschlag, mache ich gerne:

Ihr Kostenziel hat die Bundesregierung sauber definiert. Sie will die Durchschnittsvergütungen neuer Anlagen, die durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) finanziert werden, auf unter zwölf Cent je Kilowattstunde (ct/kWh) senken. Der Haken an diesem Ziel ist, dass die Bundesregierung solche Zahlen nicht vorlegt – weder aktuelle noch historische. Man stelle sich vor, die Regierung würde staatliche Leistungen kürzen, um einen ausgeglichenen Haushalt herzustellen. Ihre Ausgaben und Einnahmen aber würde sie geheim halten. Dann wüsste man noch nicht einmal, ob der Staat aktuell überhaupt Schulden macht und ob daher Kürzungen notwendig sind, geschweige denn ob die Neuverschuldung gerade steigt oder sinkt.

Obwohl die relevanten Kostendaten also praktisch unbekannt sind, wird gerade das EEG sehr grundsätzlich umgekrempelt: mit einer Deckelung des Ökostromausbaus und der Umstellung auf ein Ausschreibungssystem. Wer solch massive Änderungen am mit Abstand erfolgreichsten Klimaschutzinstrument Deutschlands umsetzt, sollte sich an seinen Zielen messen lassen. Mit Hilfe eines Berechnungsmodells habe ich daher unter anderem die durchschnittlichen Vergütungen aller neuen EEG-Anlagen ermittelt, die in einem Kalenderjahr ans Netz gegangen sind. Ich nenne diesen Kostenindikator „EEG-Jahrgangsvergütung“. Damit ist die Kostenentwicklung neuer EEG-Anlagen seit 2001 sichtbar – also genau das, was die Bundesregierung uns vorenthält. Mit Annahmen über den möglichen zukünftigen Ökostromausbau ist ferner die Entwicklung bis 2020 abschätzbar. Die Kostenwirkungen unterschiedlicher Politiken werden damit transparent.

Auch ohne EEG-Novelle 2014 wären die Kosten des Ökostromausbaus gesunken

Nach der EEG-Novelle 2014 erklärte die Bundesregierung, sie hätte die „Kostenexplosion gestrichen“. Das erste überraschende und gute Ergebnis ist für die Bundesregierung etwas peinlich: Schon die EEG-Jahrgangsvergütung 2014 lag mit knapp 11,6 ct/kWh unter ihrem offiziellen Kostenziel. Da das EEG 2014 erst im August 2014 in Kraft trat und praktisch erst im Jahr 2015 hat wirken können, wurde das Regierungsziel also bereits auf Grundlage des alten EEG erreicht. Ohne Ausbaubegrenzung und ohne Umstellung auf ein Ausschreibungssystem. Dennoch wurde beides beschlossen, an der Umsetzung wird intensiv gearbeitet. Das ist – im Bild von oben – als würde der Staat seine Leistungen massiv kürzen, obwohl der Haushalt bereits ausgeglichen ist. Der Ökostromausbau ist also wieder günstig. Noch im Jahr 2010 lag die EEG-Jahrgangsvergütung bei über 25 ct/kWh. Innerhalb von nur vier Jahren sind die Kosten kontinuierlich um mehr als die Hälfte gefallen.

Die Gründe dafür sind der massive Verfall der Kosten bei der Photovoltaik, der Rückgang beim Zubau der relativ teuren Biogasanlagen und der deutlich gestiegene Ausbau des Billigmachers Windenergie an Land. Bei Vergütungen von unter neun ct/kWh sinkt die EEG-Jahrgangsvergütung umso stärker, je mehr Windenergie an Land ausgebaut wird. Das gleiche gilt heute grundsätzlich auch für viele Photovoltaikanlagen. So teuer wie noch vor wenigen Jahren wird es also nie wieder. Vergleichbare Zusatzbelastungen werden durch neue EEG-Anlagen nicht mehr auf die Verbraucher zukommen.

Nicht so gut ist das Ergebnis für den EEG-Jahrgang 2015 – jedenfalls für die Bundesregierung. Auf Basis des neuen EEG ist die EEG-Jahrgangsvergütung 2015 nicht gesunken, sondern erstmals seit 2010 wieder gestiegen. Mit gut 14,6 ct/kWh liegt sie wieder spürbar über dem Kostenziel. Das lässt aufhorchen, muss uns aber nicht erschrecken. Denn im Vergleich zu den Kosten der Jahrgänge 2007 bis 2011 ist dies noch immer wenig. Wirklich teuer war der Ökostromausbau auch 2015 nicht. Und das, obwohl die noch relativ teure Offshore-Windenergie mit einer Vervierfachung einen Zubau-Rekord hingelegt hat. Da sie für mindestens die ersten acht Jahre eine Vergütung von 19,4 ct/kWh erhält, treibt sie die Durchschnittskosten nach oben.

Wind an Land wird die Planungsgrundlage entzogen

Trotzdem will das Energieministerium mit dem Eckpunktepapier zum EEG 2016 den Ausbau der Offshore-Windenergie gegenüber den Plänen von 2014 um rund 20 Prozent steigern. Gleichzeitig beschneidet es mit einer neuen Formel dramatisch den Ausbau des Billigmachers Windenergie an Land. Mit diesem Schwenk droht die Regierung, ihr Kostenziel dauerhaft zu verfehlen. Mit einer Formel zur Ausbaugeschwindigkeit bei Windenenergie an Land wird diese abhängig gemacht vom Ausbau der anderen Ökostromtechnologien – beispielsweise der Offshore-Windenergie. Damit wird dem Wind an Land die Planungsgrundlage entzogen. Das Arbeitstier der Energiewende wird zu Rudis Resterampe.

„Im Fall von extremen Entwicklungen kann die Formel perspektivisch unter Umständen eine Ausschreibungsmenge von unter 2000 MW auswerfen“, so das Eckpunktepapier. Diese 2000 Megawatt werden darin als Mindestmenge vorgesehen. Nach den Plänen von 2014 sollten es fast jedes Jahr über 4000 MW sein. Würden bis 2025 nur 2000 MW Windenergie an Land ausgeschrieben, gäbe es bis 2025 aufgrund der vielen dann außer Betrieb gehenden Anlagen nur einen Netto-Zubau von knapp 300 MW, bis 2035 würde die installierte Leistung des Billigmachers Windenergie an Land gerade so konstant gehalten. Der Ökostromausbau wird dann praktisch nur noch von der relativ teuren Offshore-Windenergie und der Photovoltaik vorangetrieben.

Diese Kurskorrektur ist wahrhaftig eine Wende, die nichts mit Kosteneinsparung oder Kosteneffizienz zu tun hat. So wird die Bundesregierung ihr Kostenziel verfehlen. Auch wenn der Ausbau im Vergleich zu den Jahren um 2010 noch immer sehr günstig ist – für die Bundesregierung ist das kein gutes Ergebnis. Als Grund für die oben genannte Formel und die weitere Stutzung der Windenergie an Land wird angeführt, dass der 45-Prozent-Deckel für 2025 unter keinen Umständen überschritten werden darf – wegen Gabriels „Kostenseite“.

Im Jahr 2014 wollte die Bundesregierung den Ökostromausbau noch „auf die kostengünstigsten Technologien, Wind onshore und Photovoltaik, konzentrieren“. Mit der neuen Formel macht sie genau das Gegenteil. Der Billigmacher wird zum Lückenfüller degradiert. Setzt die Bundesregierung das Eckpunktepapier zum EEG 2016 um, wird sie ihr Kostenziel verfehlen – umso deutlicher, je mehr sich im parlamentarischen Prozess die Hardliner der Wirtschaftsflügel von Union und SPD durchsetzen und den Ausbau noch weiter reduzieren.

Die neue Formel und das starre Festhalten an der Obergrenze von 45 Prozent Ökostrom im Jahr 2025 zeigen, wo die Regierung ihre Prioritäten setzt. Kosteneffizienz gehört offenbar nicht dazu. Wind offshore ist wichtiger als Wind onshore. Planungssicherheit für Kohlekraftwerke ist wichtiger als die für die erneuerbaren Energien. Denn maximal 45 Prozent Ökostrom im Jahr 2025 bedeutet im Umkehrschluss mindestens 55 Prozent fossiler Strom. Angesichts der dringender werdenden Klimakrise und des sehr anspruchsvollen internationalen Klimavertrags von Paris ist das ein beeindruckender Bestandsschutz für Klimakiller.

Ein beschleunigter Ausbau der Ökostromtechnologien spart Kosten

Klimaschutz gehört entsprechend ebenfalls nicht zu den Prioritäten der Bundesregierung. Den Schwung von Paris nun aufrecht zu erhalten und möglichst weiter zu verstärken würde allerdings die Chancen erhöhen, dass aus dem Papier von Paris tatsächlich wirksamer Klimaschutz wird. Schließlich stehen auch die Reduktionsziele der einzelnen Staaten bislang nur auf dem Zettel, der Vertrag muss noch von allen Staaten ratifiziert werden. Es ist längst nicht ausgemacht, dass dies passiert.

Ein beschleunigter Ausbau von Windenergie an Land und Photovoltaik ist dabei sowohl volkswirtschaftlich als auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher kostengünstiger als eine Ausbaubegrenzung. Denn auch wenn wir derzeit einen Kapazitätsüberschuss beim Kraftwerkspark haben: Bis spätestens 2022 gehen die restlichen Atomkraftwerke vom Netz, die Hälfte der Steinkohlekraftwerke sind älter als 30 Jahre und angesichts der Klimakrise gehören zumindest die Braunkohlekraftwerke schnellstmöglich abgeschaltet. Für all diese Kapazitäten ist ein Ersatz notwendig.

Der Stromverbrauch dürfte angesichts der zu erwartenden stärkeren Elektrifizierung des Verkehrs- und des Wärme-/Kältesektors eher steigen als sinken. Eine Modernisierung des konventionellen Kraftwerksparks steht somit absehbar an. Es stellt sich die Frage, ob diese Modernisierung mit fossilen oder erneuerbaren Energien durchgeführt werden soll. Selbst wenn die hohen Umweltschadenskosten nicht mit eingerechnet werden – bei Braunkohlekraftwerken belaufen sie sich auf über elf ct/kWh –, sind Windenergie an Land und Photovoltaik im Schnitt schon heute nicht teurer als die konventionelle Konkurrenz. Wollten wir die anstehende Modernisierung beispielsweise mit neuen Erdgaskraftwerken umsetzen, würden diese für die Verbraucher nicht günstiger kommen als die bereits heute günstigen Ökostromtechnologien.

Die Umweltschadenskosten sowie die noch immer existierenden staatlichen Subventionen für konventionelle Kraftwerke in Form von Finanzhilfen und Steuervergünstigungen werden dabei auf keiner Stromrechnung ausgewiesen – anders als die EEG-Umlage. Würden sie ausgewiesen, wäre schnell deutlich, dass nicht ein weiteres Ausbremsen, sondern ein beschleunigter Ausbau der günstigen Ökostromtechnologien ökonomisch sinnvoll ist. Nach diesem Blick auf die „Kostenseite“ ist meine Schlussfolgerung: Der Deckel muss weg, damit die günstigen Ökostromtechnologien schneller wachsen können. Das wäre gut für die Stromkunden, die Volkswirtschaft und das Klima.

Dieser Artikel ist auch in der Ausgabe 2/2016 von neue energie erschienen.
Es handelt sich um einen Gastbeitrag, der nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wiedergibt. Für den Inhalt sind die jeweiligen Autoren verantwortlich.

 

Kommentare (2)

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  • 12.02.16 - 15:58, Michael Engelhardt

    Habe ich das alles missverstanden? Ist das Ironie oder Wahnsinn?

    Herr Nestle schlägt vor, den Zubau bei Erneuerbaren Energien gezielt zu beschleunigen, um die Durchschittsvergütung zu senken. Gleichzeitig steigt doch aber dadurch das absolute Fördervolumen und damit die EEG-Umlage. Die Kosten für den Stromverbraucher würden also noch schneller steigen, als sie es ohnehin schon tun werden.

    Habe ich das also falsch verstanden oder will Herr Nestle die Energiewende bewusst noch stärker diskreditieren, als sie es mittlerweile sowieso schon ist?

  • 15.02.16 - 13:49, Uwe Nestle

    Sehr geehrter Herr Engelhardt,

    ich empfehle, den Ausbau der bereits heute kostengünstigen (!) Ökostromtechnologien zu beschleunigen. Dies führt - wie Sie richtig schreiben - zu einem höheren Vergütungsvolumen und einer höheren EEG-Umlage. Dennoch führt es nicht zu einer höheren Belastung der Stromkunden. Denn aufgrund des Aussteigs aus der Atomkraft, einem in großen Teilen veralteten fossilen Kraftwerkspark und dem notwendigen Klimaschutz muss der bestehende Kraftwerkspark ohnehin in absehbarer Zukunft modernisiert werden. Würden wir das nicht mit den kostengünstigen Ökostromtechnologien Windenergie an Land und Photovoltaikanlagen machen würde das nicht günstiger. Denn Strom beispielsweise aus neuen Erdgaskraftwerken ist in etwa genauso teuer wie Strom aus neuen Windenergieanlagen an Land oder Photovoltaikanlagen - und müsste ebenfalls mit zusätzlichen Mitteln finanziert werden. Darauf habe ich im Kommentar nur kurz hinweisen können.

    Wenn Sie genaueres erfahren wollen schauen Sie gerne in mein aktuelles Gutachten unter

    http://www.enklip.de/projekte_41_2515013633.pdf

    in Kapitel 5.3 ab Seite 28 (Vergleich der Kosten EE vs. neue Erdgaskraftwerke)

    und im etwas älteren Gutachten unter

    http://www.enklip.de/projekte_25_272685380.pdf

    in Kapitel 6 ab Seite 17 (Begründung, warum die EEG-Umlage keine Auskunft über die Kosten des aktuellen EE-Ausbaus gibt)

    Beste Grüße
    Uwe Nestle

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