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Interview zur Titelstrecke im Mai

„Deutschland muss sich am Pariser Weltklimavertrag orientieren“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 08.05.17
…sagt Uwe Leprich, Leiter der Abteilung Klimaschutz und Energie beim Umweltbundesamt. Dafür brauche es unter anderem deutlich höhere Ausbauziele für erneuerbare Energien. Einen vollständigen Kohleausstieg bis 2030 hält Leprich aber für unrealistisch.

neue energie: Wenn US-Präsident Trump ernst macht und wie angekündigt aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigt, was hieße das für die deutsche Politik?

Uwe Leprich: Egal, wer in diesem Jahr die Wahlen hierzulande gewinnt und die Regierung stellt, Deutschland muss sich am Pariser Weltklimavertrag orientieren. Das ist weltweit als prioritäre Aufgabe anerkannt. Deutschland muss seine Hausaufgaben an dieser Stelle machen, wir können es uns noch weniger als andere Staaten leisten, die Ziele zu verfehlen, weil die Energiewende global unter besonderer Beobachtung steht und Leuchtturmcharakter hat.

neue energie: Was muss aus Ihrer Sicht jetzt geschehen, um mit dem Klimaschutz in Deutschland voranzukommen?

Leprich: Ende 2016 wurde der Klimaschutzplan 2050 beschlossen. Wenn man jetzt also Ziele für 2030 definiert, muss auch konkret über Maßnahmen zur Zielerreichung gesprochen werden. Macht das die neue Bundesregierung nicht, wäre das sehr unklug. Es wurden ja schon sektorale Ziele beschlossen, man müsste darauf aufbauend einen realisierbaren Minderungspfad für alle Sektoren entwickeln.

neue energie: Manche Experten fordern dabei den sofortigen Kohleausstieg…

Leprich: Für das zentrale Thema Kohleausstieg wird es Anfang 2018 eine Kommission geben, die das Ziel hat, den Braun- und Steinkohleausstieg im Einklang mit den Klimaschutzzielen zu organisieren. Das ist machbar, obwohl es ein dickes Brett ist. Doch schon bis 2030 den Kohleausstieg vollständig realisiert zu haben, das ist eher ein frommer Wunsch.

neue energie: Kritiker betonen, dass die Zielsetzung der Bundesregierung, bis 2050 eine CO2-Reduktion von 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 zu realisieren, nicht erreichbar ist, wenn nicht sofort massiv in Schlüsseltechnologien wie die elektrische Wärmepumpe, Elektroautos oder Stromspeicher investiert wird…

Leprich: Ich kenne diese Argumentation natürlich, halte sie aber für zu apodiktisch. Es gab immer unvorhersehbare dynamische Entwicklungen, die in den zurückliegenden Jahrzehnten auch immer wieder für ein Umdenken gesorgt haben. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es wieder zu solchen sprunghaften, disruptiven Entwicklungen kommt, etwa durch zellulare Ansätze bei der dezentralen Stromversorgung oder im Mobilitätssektor.

neue energie: Immer wieder wird betont, dass ambitionierter Klimaschutz auch mehr Erneuerbaren-Zubau benötigt. Mit den im neuen EEG eingeführten Ausschreibungen, der Begrenzung der Ausbaumengen und einhergehenden Hürden für Bürgerenergie wurden die Weichen aber anders gestellt, oder?

Leprich: Man muss neben der Organisation des Kohleausstiegs die Ausbauziele für erneuerbare Energien signifikant anheben. Wir brauchen einen deutlichen Nettozubau, ab 2020 gibt es den bei Onshore-Wind ja faktisch nicht mehr. Beim aktuellen Zinsniveau bietet sich das auch an, das Geld ist da. Zudem ist die De-minimis-Regelung der europäischen Beihilfeleitlinie für Onshore-Wind anzuwenden. Außerdem müssen die Lebenslügen bei der Energieeffizienz aufhören. Wir brauchen etwa die Verschärfung der Öko-Design-Richtlinie auf europäischer Ebene, Einsparverpflichtungen für Strom- und Gasversorger, ein Gebäudeenergiegesetz, aber auch steuerrechtliche Abschreibungsmöglichkeiten für energetische Sanierungen – also Ordnungsrecht plus ökonomische Steuerung.

neue energie: Dennoch, sind Ausschreibungen und Klimaschutz hierzulande miteinander vereinbar?

Leprich: Bei der Photovoltaik haben die Ausschreibungen in Deutschland kostensenkend gewirkt. Mögliche Dumpinggebote im Bereich von Onshore-Wind könnten den Mittelstand allerdings vom Markt verdrängen. Ein weiteres Problem wäre, wenn die Anlagen, die sich in den Ausschreibungen durchsetzen, angesichts niedriger Pönalen nicht gebaut würden. Das Izes (Institut für Zukunftsenergiesysteme, Anm. d. Red.) beispielsweise hatte seinerzeit ermittelt, dass es im Ausland viele strategische Gebote gab, was dann mit niedrigen Realisierungsraten einherging. Das darf sich in Deutschland nicht wiederholen. Vielmehr sollten wir ein System schaffen, das Akteursvielfalt und Akzeptanz ermöglicht, gut funktioniert und auf andere Länder übertragbar ist.

neue energie: Ein Argument für Ausschreibungen war ja, die Kosten der Energiewende zu senken und die Verbraucher zu entlasten. Mit welchen anderen Mitteln könnte das gelingen?

Leprich: Die Stromsteuer als Teil der Ökosteuer ist ein Anachronismus. Bei ihrer Einführung 1999 meinte man, die Verteuerung der Energie würde eine Lenkungswirkung entfalten. Das war schon damals eher eine Hoffnung. Aus meiner Sicht setzte die Wirkung in erster Linie bei der Ankündigung einer dauerhaften jährlichen Erhöhung der Steuersätze ein. Das war ein klares Signal in Richtung Hersteller und Industrie. Bundeskanzler Schröder hat diesen Ankündigungseffekt aber im Wahlkampf 2002 einkassiert, und seitdem ist es eine reine Rentenfinanzierungssteuer. Insofern könnte man sie als Ökosteuer auch abschaffen oder aber umwidmen, also daraus eine CO2-Steuer auf alle fossilen Energien machen. Falls man aus politischen Gründen die Stromverbraucher entlasten möchte, könnte man erwägen, die Privilegierung der Industriekunden im Rahmen der EEG-Umlage aus dem allgemeinen Steuertopf zu finanzieren. Das hätte zum einen den Charme, sie auf mehr Schultern zu verteilen, zum anderen wäre der Umfang im Rahmen der jährlichen Haushaltsverhandlungen für die Öffentlichkeit transparenter.

 

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