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Energiewende

Der Stillstand geht weiter

Tim Altegör, 13.03.20
Auch ein Treffen von Ländern und Bundesregierung bringt keinen Fortschritt in der Energiepolitik – dieses Mal wegen des Corona-Virus. Die Regierungsparteien sind zerstritten, dabei steuert das Land auf eine Lücke beim Ökostrom zu. Nach der Windkraft könnte in Kürze auch die Solarenergie einbrechen.

Die Welt ist im Corona-Ausnahmezustand, daher kam die Meldung wenig überraschend: Bei ihrem Treffen am 12. März in Berlin konzentrierten sich Bundesregierung und Länderchefs auf die Virus-Pandemie. Das ursprünglich angesetzte Thema Energie flog von der Agenda. Die Versammlung sei „umfunktioniert“ worden, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Eigentlich sollten die Gespräche einen Durchbruch bringen bei der offenen Frage, wie die politische Führung das Energiesystem weiterentwickeln will. Hier sind sich weder Bund und Länder einig, noch die Länder untereinander, noch die Koalitionsparteien Union und SPD. Eine Arbeitsgruppe soll nun übernehmen, kündigte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an, der momentan der Ministerpräsidentenkonferenz vorsitzt.

Dass unter normalen Umständen eine schnelle Einigung möglich gewesen wäre, erscheint allerdings unwahrscheinlich. Laut Deutscher Presseagentur sieht Söder „erheblichen Beratungsbedarf“ und „noch eine Menge an Arbeit“. Strittig ist vor allem, wie es mit dem Ausbau erneuerbarer Energien weitergehen soll. Auf der einen Seite hat die Bundesregierung angekündigt, deren Anteil am Stromverbrauch bis 2030 auf 65 Prozent zu steigern (von derzeit knapp 43 Prozent).

Zu diesem Zweck sollen in einer Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) nach Technologien aufgeschlüsselte Zubauziele beschlossen werden. Ihre Vorstellungen dazu hat die Große Koalition schon in ihrem Klimaschutzpaket vom Herbst hinterlegt: Solarenergie und Offshore-Windparks sollen verstärkt ausgebaut werden, Windkraft an Land dagegen nur noch eingeschränkt.

SPD wirft Union „Geiselhaft vor

Im Detail sah das Paket vor, dass das Offshore-Ziel für 2030 von 15 auf 20 Gigawatt erhöht wird, der Solardeckel von 52 Gigawatt gestrichen wird, ab dem schlagartig die Förderung ausläuft, und Onshore-Windräder einen bundesweiten Mindestabstand zu Wohngebäuden verordnet bekommen. Letztere werden momentan mangels Genehmigungen aber ohnehin kaum noch gebaut, laut mehreren Studien würden verschärfte Abstände das Problem weiter verstärken.

Die Situation der Photovoltaik hingegen hat sich zuletzt nach einer jahrelangen Krise wieder etwas gebessert, mehr Anlagen gingen ans Netz. Voraussichtlich ist jedoch in wenigen Monaten die Grenze von 52 Gigawatt installierter Leistung erreicht. Seit 2012 steht im EEG, das dann die Vergütung für neue Anlagen entfällt. Dort steht auch, dass die Bundesregierung „rechtzeitig“ eine Anschlussregelung vorschlägt. Schon jetzt würden Solarprojekte auf Eis gelegt, erklärte der Geschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft, Carsten Körnig. Die Branche brauche „noch vor Ostern Investitionssicherheit“, bereits ein Förderstopp von wenigen Wochen führe zu Umsatzeinbrüchen in Milliardenhöhe.

Die SPD-Fraktion will den Deckel streichen, und die Unionsabgeordneten wären im Prinzip einverstanden, bestehen aber offenbar darauf, dass sie im Gegenzug die Windkraft-Abstandsregel bekommen. An diesem Konflikt ist bereits eine Arbeitsgruppe der beiden Fraktionen gescheitert. Die zuständigen SPD-Abgeordneten Bernd Westphal, Johann Saathoff, Timon Gremmels und Nina Scheer kritisierten ihre CDU/CSU-Kollegen in einem Brief an einige Verbände scharf: „Wer die Solarindustrie in Geiselhaft nimmt, um in anderen Fragen politische Ziele durchzusetzen, der schadet einem wesentlichen Wirtschaftszweig und mehreren zehntausend Beschäftigten – und damit dem Industriestandort Deutschland insgesamt.“

Fehlende Prozente überall

Weitere strittige Punkte sind zudem, ob der Erneuerbaren-Ausbau an jenen der Stromnetze gekoppelt werden soll – was mit ziemlicher Sicherheit ebenfalls zu Verzögerungen führen dürfte – und ob Deutschland für die Erzeugung von Wasserstoff in erster Linie auf Strom aus dem eigenen Norden oder aus anderen Ländern setzt. Zudem sind Erleichterungen für Windkraft-Genehmigungen im Gespräch, darunter mehr Personal in den Behörden und weniger Instanzen bei den mittlerweile häufigen Klagen gegen Projekte.

Auch der Vorsitzende des Umweltverbands BUND, Olaf Bandt, bezeichnete die Union als „die größte Blockiererin“ einer Einigung. Für den Stillstand könne der Corona-Virus „nur bedingt als Entschuldigung herhalten“, da schon zu viel Zeit ungenutzt verstrichen sei. Auf welchem Weg sich Deutschland momentan befindet, hat der Thinktank Agora Energiewende errechnet. Er konstatiert eine drohende „Ökostromlücke“: Aufgrund der Windenergie-Krise läuft es demnach auf 55 Prozent Ökostrom bis 2030 hinaus, mit entsprechend höheren CO2-Emissionen. Zum Schließen der Lücke schlagen die Autoren mehrere Szenarien vor, die jeweils – mit unterschiedlicher Gewichtung – einen deutlich stärkeren Ausbau von Wind- und Solarenergie vorsehen.

Währenddessen sieht sich das Bundeswirtschaftsministerium bei der Emissionsminderung offenbar auf Kurs. Ein aktuelles Gutachten des Beratungsunternehmens Prognos schätzt, dass bis 2030 ein Minus gegenüber 1990 von 52 Prozent erreicht werde. Ungefähr diesen Wert hat auch ein zweites Gutachten des Öko-Instituts für das Umweltbundesamt errechnet. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kommentierte, das Regierungsziel von minus 55 Prozent werde damit zu 95 Prozent erreicht. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) äußerte sich zurückhaltender, vor allem im Verkehrssektor sei noch viel zu tun.

Laut Klimaforschern sind die deutschen Ziele ohnehin deutlich zu niedrig angesetzt, um die Vorgaben des international vereinbarten Paris-Abkommens zu erfüllen. Darauf wies auch der energiepolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Lorenz Gösta Beutin, hin. Altmaiers Erfolgsmeldung sei „völlig an der Realität vorbei und billige Regierungspropaganda“, so Beutin. Die zum Regierungsziel fehlenden fünf Prozent würden immer noch den gesamten jährlichen Treibhausgasemissionen der Slowakei oder Tunesiens entsprechen.

 

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