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Interview

„Der Artenschutz lässt sich für alles instrumentalisieren“

Interview: Astrid Dähn und Jörg-Rainer Zimmermann, 04.10.18
... sagt Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Er wirbt dafür, die Widersprüche zwischen Naturschutz und Ausbau der Erneuerbaren-Kraftwerke auszuräumen – und den Klimaschutz wesentlich schneller voranzutreiben als bisher.

neue energie: Während Umweltaktivisten in Deutschland derzeit lautstark für einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle kämpfen, nimmt gleichzeitig auch die Kritik von Naturschützern an Windparkprojekten zu. Wie ließen sich aus Ihrer Sicht Naturschutz und Energiewende am besten in Einklang bringen?

Jochen Flasbarth: Bei der Diskussion über Naturschutz und Energiewende klingt es häufig so, als ob die Probleme für den Naturschutz erst durch den Hochlauf der erneuerbaren Energien entstanden wären. Wenn ich mir die Braunkohlelandschaften oder die Folgen anderer konventioneller Kraftwerke ansehe, glaube ich, dass da ein Stück Realität ausgeblendet wird. Richtig ist aber: Durch die Energiewende kommt die Energieerzeugung näher an die Menschen heran, sie sehen die Produktionsanlagen einfach mehr. Naturschutz und Akzeptanz von Solar- und Windparks hängen deshalb eng miteinander zusammen.

ne: Wie könnte man die Akzeptanz steigern?

Flasbarth: Oberste Priorität muss eine gute Planung haben. Je besser man die Parks plant und die Betroffenen frühzeitig einbindet, desto leichter kann man die verbundenen Konflikte lösen. In der Startphase der erneuerbaren Energien gab es sicher auch Projekte, die man heute so nicht mehr machen würde. Aber inzwischen haben wir viel Forschung betrieben, etwa zum Vogelschutz rund um Windkraftanlagen. Und wir haben das ‚Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende‘ eingerichtet. Dort arbeiten Naturschützer und Vertreter der Erneuerbaren gemeinsam mit vermittelnden Personen an dem Ziel, die fachlichen Fragen und die dahinterliegenden Akzeptanzprobleme zu lösen.

ne: Um welche fachlichen Fragen geht es dabei konkret?

Flasbarth: Das ist ganz unterschiedlich. Zum einen gilt es, planerisch umsichtig vorzugehen, indem man die Windparks beispielsweise nicht gerade in Zugrouten von Vögeln legt. Es gibt aber auch technische Lösungsansätze. Bei der Offshore-Windenergie geht es unter anderem darum, die Rammarbeiten für die Fundamente leiser zu machen, um etwa Schweinswale weniger zu stören. Da haben wir mit technischen Entwicklungen wie Blasenschleiern zur Verminderung der Schallausbreitung schon echte Fortschritte erzielt. Insofern glaube ich, dass auf diesem Gebiet viel machbar ist.

ne: Sehen Sie über die Technik hinaus Möglichkeiten, das Problem anzugehen, etwa vonseiten des Gesetzgebers?

Flasbarth: Grundsätzlich haben wir alle nötigen gesetzlichen Grundlagen, sie müssen nur klug angewandt werden. Jeder Anlagenbetreiber braucht im Übrigen über das gesetzlich Notwendige hinaus ein Grundverständnis dafür, dass man durch frühzeitige Beteiligung vor Ort die Konfliktpunkte möglichst minimieren sollte, weil das dazu beiträgt, die Akzeptanz zu steigern. Beim Bau von Chemieanlagen ist die Notwendigkeit einer solchen Herangehensweise offenkundig. Bei den erneuerbaren Energien hat es dagegen etwas gedauert, bis das erkannt wurde. Man wähnte sich per se immer auf der guten Seite. Aber ich glaube, der Weg vorwärts ist jetzt klar.

ne: Beim Ausbau der Stromnetze scheint er jedoch nicht so richtig zu funktionieren. Viele Projekte stocken, auch wegen Bedenken von Arten- und Naturschützern...

Flasbarth: Ja, es wird keine Energiewende geben ohne den Netzausbau. Hier ergeben sich tatsächlich zusätzliche Fachfragen, zum Beispiel durch vermehrte Erdverkabelung. Wir überlegen gerade, ob wir für die Netzausbauplanung des Bundes einen einheitlichen Ausgleich für die Betroffenen ermöglichen sollen, um die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Das könnte unter Umständen gesetzgeberische Schritte erfordern.

ne: Sehen Sie die Gefahr, dass sich der Artenschutz von Gegnern der Energiewende instrumentalisieren lässt?

Flasbarth: Der Artenschutz lässt sich für alles instrumentalisieren. Dazu ein Beispiel aus der Zeit, als ich noch Nabu-Präsident war. Damals haben wir den Bau der A20 durch Mecklenburg-Vorpommern bekämpft. Und Artenschutzexperten bei uns im Verband haben da einen endemischen Käfer gefunden. Den wollten sie daraufhin zum Heroen gegen die Straßentrasse aufbauen. So etwas habe ich immer abgelehnt. Ich habe gesagt: Es ist gut und wichtig, dass wir auch auf den Käfer gucken. Aber die A20 halten wir nicht aus Artenschutzgründen für falsch, sondern verkehrspolitisch. Und dann müssen wir auch verkehrspolitisch dagegen argumentieren.

ne: Aber häufig machen Naturschutzorganisationen das anders…

Flasbarth: Bei den bundesweit tätigen Umwelt- und Naturschutzorganisationen sehe ich eine professionelle, auch abwägende Herangehensweise. Und bei örtlichen Initiativen wird generell jedes Argument genutzt, das dem Anliegen dienlich ist, ob es nun gegen Braunkohle, ein Windrad, eine Straße oder eine Chemieanlage geht. Vermutlich hätten sich viele Menschen in Stuttgart in ihrem ganzen Leben niemals für den Juchtenkäfer interessiert, wenn er sich nicht geeignet hätte, um ihn gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 ins Feld zu führen. Ich gestehe diesen Initiativen das alles zu. Es ist völlig legitim, jeden Strohhalm, den man vor Ort zu fassen kriegen kann, für seine Anliegen zu nutzen. Kluge Politik und kluge Planungs- und Genehmigungsbehörden müssen das dann bewerten und herausfiltern, was tatsächlich ein echtes Artenschutzproblem ist. Es macht einen Unterschied, ob ich bei den Planungen unter naturschutzfachlichen Aspekten generelle Anforderungen für den Artenschutz stelle oder ob ich mich auf den Einzelfall fokussiere und sage: Durch dieses Windrad ist speziell dieses oder jenes Tier betroffen.

ne: Sie sagen also, der Artenschutz kann im Prinzip jedes Bauprojekt ausbremsen. Wenn man sich Vorhaben wie Stuttgart 21 oder den Autobahnbau anschaut, beschleicht einen allerdings der Verdacht, solche Verkehrsprojekte werden am Ende trotzdem umgesetzt, während Windparks oder Stromleitungen dauerhaft blockiert bleiben. Trügt der Eindruck?

Flasbarth: Ich glaube, die Wahrnehmung der Blockadewirkung des Artenschutzes hängt stark von der Perspektive ab. Wenn Sie etwa mit den Straßenbauern reden, sagen die: Bei uns geht immer am meisten drauf. Und die Schienenleute sagen: Obwohl wir doch eigentlich für den guten, sauberen Teil des Verkehrssystems stehen, kriegen wir einfach keine Trassen geplant. Gehen Sie mal zum Niederrhein, wo es zurzeit um die neue Güterverkehrsstrecke geht – immer hören Sie die gleichen Argumentationsmuster. Die Windenergie hat da keine besondere Opferrolle. Und sie sollte eine solche Rolle für sich auch nicht suchen. Immerhin sind bislang – natürlich jeweils in Abstimmung mit Natur- und Artenschutz – mehr als 32 000 Windenergieanlagen genehmigt worden.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Den ausführlichen Text finden Sie in der Ausgabe 10/2018 von neue energie. Darin spricht Jochen Flasbarth unter anderem über den Diesel-Skandal und die Zusammenarbeit innerhalb der Großen Koalition.

 

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