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Windenergie-Krise

Auf Wiedervorlage

Jörg-Rainer Zimmermann, 05.09.19
Der Windenergie-Gipfel bleibt ohne konkrete Ergebnisse – doch die Botschaften der Branche sind bei der Politik angekommen. Nun steigen die Erwartungen an das Klimakabinett.

Es ist der Einstieg in einen mindestens mehrmonatigen Arbeitsprozess – mit ungewissem Ausgang. Innerhalb von wenigen Monaten will die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket schnüren, um der deutschen Klimaschutz- und Energiewendepolitik mehr Tempo zu verleihen. Das allerdings bedeutet, die energiepolitischen Fehler der vergangenen Jahre zu bereinigen – und auch der aktuell schwer gebeutelten deutschen Windbranche wieder aufzuhelfen. So lautet knapp zusammengefasst das Ergebnis des Windenergie-Gipfels, den Wirtschaftsminister Peter Altmaier für heute (5. September) einberufen hatte.

Das nächste Etappenziel steht bereits in rund zwei Wochen an. Am 20. September, der Termin war schon vor der parlamentarischen Sommerpause gesetzt, soll das Klimakabinett unter Leitung von Kanzlerin Merkel erste Arbeitsergebnisse vorstellen – eventuell auch zur Frage, wie der weitere geplante Ausbau der erneuerbaren Energien (65 Prozent bis 2030) auf die Sparten Solar, Onshore- und Offshore-Wind aufgeteilt wird.

Kaum einer der Gipfelteilnehmer – neben den wichtigen Akteuren der Branche waren auch Vertreter von Verbänden, Bürgerinitiativen, Ministerien und den Bundestagsfraktionen geladen worden – durfte für den heutigen Tag bereits konkretere Beschlüsse erwartet haben. Wohl auch deshalb kam es am Ende nicht zur großen Enttäuschung. Im Gegenteil, die Signale aus dem Wirtschaftsministerium wurden aus der Windbranche grundsätzlich begrüßt: „Ich bin froh darüber, dass Peter Altmaier ein klares Bekenntnis zur Energiewende abgelegt hat, ein klares Bekenntnis zum 65-Prozent-Erneuerbaren-Strom-Ziel für 2030 und ein klares Bekenntnis zu dem Bedürfnis, die Windindustrie in Deutschland zu halten“, sagte Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands WindEnergie (BWE) im Nachgang.

Wirtschaft und Umweltschützer sind sich einig

Tatsächlich steht es um die Branche nicht gut – die Gefahr, dass Firmen sich ins Ausland retten, erscheint da naheliegend: Im ersten Halbjahr 2019 wurden bundesweit netto lediglich 35 neue Anlagen gebaut – der niedrigste Wert seit dem Jahr 2000 und ein Einbruch gegenüber dem Vorjahr um rund 80 Prozent. Die jüngste Auktionsrunde war erneut unterzeichnet, auf ausgeschriebene 650 Megawatt gab es nur Gebote für 208 MW. Im Wesentlichen liegt das am aktuellen Genehmigungsstau für neue Windparkprojekte – doch Genehmigungen sind die Voraussetzung zur Auktionsteilnahme. Seit 2017 gingen fast 35.000 Arbeitsplätze in der Branche verloren. Das sind weit mehr, als es Beschäftigte in der Braunkohle gibt. Doch das Ende der Schieflage ist nicht in Sicht. In immer mehr Unternehmen müssen sich Beschäftigte um ihren Arbeitsplatz sorgen – ähnlich wie das vor einigen Jahren bereits in der deutschen Solarindustrie der Fall war.

Die Probleme sind lange benannt, es nimmt kaum Wunder, dass der Kurs des Wirtschaftsministeriums von immer mehr Wirtschaftsvertretern und Klimaschützern vehement kritisiert wird. Im Vorfeld des Windgipfels hatten sie sich mit Forderungen und Vorschlägen zu Wort gemeldet. So veröffentlichten acht Wirtschafts- und Umweltverbände – jeweils vier aus beiden Bereichen – einen gemeinsamen „Zehn-Punkte-Plan“. Es gehe darum, das Regierungsziel von 65 Prozent Ökostrom bis 2030 zu erreichen, schreiben die Verbände. „Das ist kein fakultatives Ziel, der Ausbau der erneuerbaren Energien ist eine klima- und energiepolitische Notwendigkeit“.

Bei den Unterzeichnern handelt es sich um die Verbände BDEW (Energiewirtschaft), BWE, VDMA (Maschinenbau), VKU (Stadtwerke) sowie die Umwelt- und Klimaschutzorganisationen WWF, Greenpeace, Germanwatch und DUH.

Die zehn Punkte sind in drei Bereiche eingeteilt: Die Verfügbarkeit von Flächen für Windparks, den Ausgleich mit dem Naturschutzrecht sowie die Stärkung lokaler Strukturen. In die erste Kategorie fallen etwa die Einrichtung eines festen Dialogs von Bund, Ländern und Kommunen zur Ausweisung von genügend Flächen und entschärfte Abstandsregeln zu Anlagen der Flugsicherung. Außerdem soll das Repowering älterer Windparks auf denselben Flächen erleichtert werden. Pauschale Abstände zu Wohngebäuden, wie sie Teile der CDU/CSU fordern, lehnen die Unterzeichner ab.

Beim Naturschutz fordern sie „einheitliche, klare, praktikable Vorgaben“. Konkret helfen soll ein Onlineportal zum Artenschutz, zudem solle rechtlich klargestellt werden, dass für Windkraftanlagen unter Bedingungen Ausnahmen vom Artenschutz möglich sind. Bei der Umsetzung vor Ort schließlich soll eine wirtschaftliche Beteiligung der ansässigen Kommunen helfen, zudem die Schaffung von Servicestellen in den Bundesländern sowie modernisierte und besser ausgerüstete Behörden.

Die Deckel könnten fallen

Einen Appell mit ähnlichem Inhalt richteten auch 30 Stadtwerke an Wirtschaftsminister Altmaier, darunter jene aus Mainz, Bochum, Münster und der Stadtwerke-Verbund Trianel. Und auch die Offshore-Windbranche meldete sich zu Wort. Sie fordert, vertreten durch mehrere Verbände und Organisationen, den Beschluss eines „Sonderbeitrags“ von Windparks auf See. Dieser war im Koalitionsvertrag angekündigt, geliefert wurde bislang jedoch nicht. Bis zu zwei Gigawatt seien hier möglich, so die Offshore-Vertreter.

Aus den Oppositionsparteien erntete Altmaier scharfe Kritik. Sein Gesprächsangebot komme „reichlich spät“, kommentierte die energiepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Julia Verlinden. Die Probleme seien „lange bekannt und von der schwarz-roten Bundesregierung selbst verursacht“. Der Sprecher der Linksfraktion, Lorenz Gösta Beutin, erklärte, es brauche „politische Entscheidungen, nicht einen weiteren Stuhlkreis“. Beide hoben negativ hervor, dass Windkraftgegner zu den Gesprächen eingeladen seien.

Der derart aufgebaute Druck zeigte nun ganz offensichtlich Wirkung. Offen räumte Peter Altmaier die Probleme ein, verwies auf weitere, in den kommenden Wochen anstehende Gespräche mit allen Gipfelteilnehmern. Sein Ziel in Sachen Windenergie: „Wir möchten, dass diese Branche erhalten bleibt und eine Zukunftsperspektive hat.“ Deshalb solle geklärt werden, ob es gesetzliche Vereinfachungen bei Genehmigungen und – mittels Leitfäden – beim Thema Artenschutz sowie mehr verfügbare Flächen geben könne. Verhandlungsbereit zeigte er sich auch bei den bestehenden Ausbaudeckeln für Solar (52 Gigawatt) und Offshore-Wind (15 Gigawatt). So könnte die Freiflächen-Photovoltaik aus dem gedeckelten Volumen herausgenommen werden. Bei der Windenergie auf Meer sei eine leichte Anhebung denkbar.

Landesminister: Motor sein statt Mindestabstände

Weiter reichten die Vorstellungen der Landesminister Franz Untersteller (Baden-Württemberg, Grüne) und Olaf Lies (Niedersachsen, SPD). Untersteller machte etwa seinem Unmut über pauschale, überzogene Abstandsregeln Luft: „Das ganze Gerede um Mindestabstände kann ich nicht mehr hören.“

Lies betonte die führende Bedeutung Deutschlands beim weltweiten Klimaschutz („Wir müssen der Motor sein.“) – und brachte beim Thema Bürgerenergie erneut die De-Minimis-Regel ins Spiel. Mit ihr könnten kleinere Windparks ohne Auktionsteilnahme ermöglicht werden – was die Bundesregierung vormals bei der Einführung des Ausschreibungssystems jedoch abgelehnt hatte. Als wichtigen Zieltermin für die Konkretisierung der Instrumente nannte er die Konferenz der Energieminister aus Bund und Ländern im Dezember.

Wie kam das alles bei den Branchenakteuren an? Die Statements schwanken zwischen verhaltenem Optimismus und auch Zweifeln. „Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Minister Altmaier die Dramatik erkannt hat. Entscheidend für den Erfolg des Windgipfels wird aber sein, was hinten rauskommt. Jetzt müssen weitere Impulse folgen und konkrete, politisch umsetzbare Maßnahmen zeitnah beschlossen werden“, formulierte Michael Class, Vorstandschef des Erneuerbaren-Unternehmens Juwi im Nachgang.

„Das Abarbeiten der 10-Punkte-Liste der Verbände reicht bei weitem nicht. Für die nötigen sechs bis sieben Gigawatt jährlichen Zubau braucht es mehr – freie Fahrt für Sektorkopplung, eine grundlegende Reform der Steuern und Abgaben auf Energie, die alle Energieträger auf Basis der CO2-Emissionen belastet. Und die Nutzbarmachung des Erdgassystems für Wasserstoff. Das ist viel Arbeit in kurzer Zeit“, betonte Enertrag-Chef Jörg Müller.

„Die Antworten müssen kommen“

Klaus Meier, Mitgründer und Aufsichtsratschef von WPD, erklärte, durchaus Hoffnung zu haben, dass sich die Situation bessere. „Wenn ich allerdings aus der Union die Forderung nach pauschalen Abständen zwischen Windparks und Wohnbebauung höre, dann bin ich auch skeptisch. Worauf es jetzt in jedem Fall ankommt ist, dass das Genehmigungsrecht vereinfacht wird, damit der Genehmigungsstau abgebaut wird.“

Die Problemfelder von Klimaschutz und Energiewende sind benannt, die Lösungen weiterhin offen, die Unsicherheit für Investitionen bleibt vorerst. Käme es etwa zu bundesweiten Abstandsregeln, würden die von den Bundesländern für die Windenergie ausgewiesenen Flächen – auch trotz rechtssicherer Regionalpläne – massiv beschnitten. Schleswig-Holstein etwa, wo derzeit die Regionalpläne überarbeitet werden und deshalb seit fünf Jahren ein Windenergie-Moratorium gilt – könnte davon stark betroffen sein. Letztlich wäre dort das Landesziel gefährdet, bis 2025 insgesamt zehn Gigawatt Onshore-Leistung zu installieren.

Ähnlich wichtig ist ein konkreter jährlicher Ausbaupfad (Zeit-Mengen-Gerüst) für sämtliche erneuerbaren Energien, um bis 2030 das 65-Prozent-Ziel gesichert zu erreichen. In den jeweiligen Industriesparten entstünde damit Planungssicherheit. „Die Antworten müssen kommen. Und im zweiten Halbjahr 2020 müssen die Maßnahmen sichtbare Wirkung entfalten. Sonst wird es sehr schwer für die Industrie, nur auf Vertrauen zu setzen“, betonte BWE-Präsident Hermann Albers.

Womit nicht zuletzt die Erwartungen an das Klimakabinett steigen.

 

Mitarbeit: Tim Altegör

aktualisiert am 6.9.2019, 8.50 Uhr

 

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