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Interview

„Das ist ein Tanker, den man jetzt umsteuern muss“

Interview: Tim Altegör, 06.04.17
Berlins neue Umweltsenatorin Regine Günther ist angetreten, den Klimaschutz in der Hauptstadt voranzubringen – vor allem beim Verkehr. Dafür hat sie nach mehr als 15 Jahren beim WWF die Seiten gewechselt.

neue energie: In Ihrer alten Funktion beim Umweltverband WWF haben Sie die Politik viele Jahre kritisch begleitet, Forderungen an sie gerichtet. Jetzt sind Sie als Berliner Umweltsenatorin vor einigen Monaten selbst auf die Seite der politisch Verantwortlichen gewechselt. Was hat Sie dazu bewogen?

Regine Günther: Das Reizvolle ist genau dieser Perspektivwechsel vom Ideen-entwickeln und Fordern zum Selbst-Verantwortung-tragen und Umsetzen. Zu sehen, was geht und wo stößt man an seine Grenzen? Und natürlich ist es mein Bestreben, möglichst viel von unseren Forderungen Realität werden zu lassen. Mein Verantwortungsbereich ist ein Gestaltungsressort mit sehr vielen Möglichkeiten, Dinge auch in die Tat umzusetzen.

neue energie: Hat Sie das denn frustriert, immer wieder beispielsweise Klimakonferenzen zu kommentieren und sagen zu müssen, es wäre mehr nötig gewesen – ohne wirklich etwas daran ändern zu können?

Günther: Paris war ja keine frustrierende Erfahrung auf internationaler Ebene, ganz im Gegenteil. National waren die letzten vier Jahre in der Klimapolitik sicherlich hartes Brot. Kanzlerin Merkel lässt viel laufen, der bis vor kurzem verantwortliche Minister war sehr stark auf Kohle ausgerichtet. Das war sehr mühsam. Die Arbeit selbst hat mir aber immer sehr viel Freude gemacht, weil man eben doch einiges bewegen und Weichenstellungen beeinflussen konnte.

neue energie: Im Vorfeld Ihrer Ernennung gab es bei den Berliner Grünen, die Sie als Parteilose nominiert haben, intern einiges Gerangel um den Posten. Dadurch entstand zumindest nach außen der Eindruck, dass Sie nicht die allererste Wahl waren für die Besetzung. Hatten Sie eigentlich Zweifel, zuzusagen?

Günther: Es liegt in der Natur der Sache, dass ich zu dem Gerangel gar nichts sagen kann. Ich habe keine Informationen, über wen noch diskutiert wurde. Es ist eine große Freude für mich, dass ich ausgewählt wurde, man mir dieses Amt zugetraut hat, und ich habe es sehr gerne angenommen.

neue energie: Sie waren also sofort überzeugt?

Günther: Ich habe mir natürlich sehr genau angeschaut, wie ambitioniert der Koalitionsvertrag ist. Das ist die Grundlage unseres Handelns. Das fand ich so reizvoll, dass ich gesagt habe, ja, das kann ich mir gut vorstellen.

neue energie: Denken Sie eigentlich darüber nach, den Grünen beizutreten? Ihnen fehlt ja so etwas wie eine „Hausmacht“ innerhalb der Partei.

Günther: Es gibt zurzeit keinen Anlass dafür. Es läuft sehr gut, ich arbeite vertrauensvoll mit Fraktion und Partei zusammen, wir stimmen uns eng ab. Unter anderem bin ich ja auch gefragt worden, weil ich parteilos bin. Ich würde aber nicht für alle Zeiten ausschließen, dass ich der Partei beitrete.

neue energie: Nun ist die Erwartungshaltung natürlich besonders hoch, dass mit Ihnen beim Klimaschutz in Berlin wirklich etwas passiert. Bei Ihrer Amtsübergabe haben Sie gesagt, es seien schon „unheimlich viele Wünsche“ an Sie herangetragen worden. Wie gehen Sie damit um? Manche werden Sie enttäuschen müssen…

Günther: Meine Erfahrung ist augenblicklich, dass die Menschen schon sehr gut verstehen, dass nicht alles sofort umgesetzt werden kann. Es wird zugleich aber auch wahrgenommen, dass wir Berlin zu einer lebenswerteren Stadt machen wollen und dafür ein ambitioniertes Programm vorgelegt haben, das wir versuchen, in den nächsten fünf Jahren hoffentlich abzuarbeiten.

neue energie: Sie haben also keine Angst, alte Weggefährten aus der NGO-Szene zu verprellen? Sie müssen ja jetzt Realpolitik machen.

Günther: Nein, wir haben jetzt unterschiedliche Rollen. Sie sind in der Verantwortung, mich zu treiben, und ich wünsche ihnen viel Glück. Das nehme ich gerne an.

neue energie: Aber einen besonderen Druck nehmen Sie nicht dadurch wahr, dass Sie jetzt in der Position sind, ein Stück weit Ihre eigenen Forderungen umzusetzen?

Günther: Ich denke, dass ich auch als NGO-Vertreterin ambitionierte, aber zugleich realisierbare Forderungen vertreten habe. Und so weit es geht, versuchen wir das jetzt auch in die Umsetzung zu bringen. Dass dieses Bemühen hier im Hause vorhanden ist, wird, glaube ich, schon anerkannt.

neue energie: Beim WWF haben Sie sich in erster Linie mit nationaler und internationaler Klimapolitik befasst. Jetzt machen Sie Stadtpolitik – wenn auch in der Millionenmetropole Berlin. Wie passt das zusammen?

Günther: Das passt eigentlich sehr gut zusammen. Die vergangenen Jahre waren geprägt davon, dass man einen Rahmen setzt, national und international. In Paris hat sich die internationale Staatengemeinschaft Ziele gegeben, national gibt es die unterschiedlichen Klimaprogramme und jetzt geht es in die konkrete Umsetzung. Und wir haben uns einen Bereich vorgenommen, der bisher ganz wenig zum Klimaschutz beigetragen hat – nämlich den Verkehr. Das ist genau die Herausforderung in den Städten: aus der Spirale herauszukommen, dass in den wachsenden Städten der Verkehr immer mehr Emissionen ausstößt – oder zumindest nicht weniger. Wenn wir jetzt nicht damit anfangen, werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen. Das ist ein Tanker, den man jetzt umsteuern muss. Es geht um den Umbau hin zu einer anderen Infrastruktur.

neue energie: Ist der Zeitpunkt vielleicht auch günstig für eine Wende im Verkehrssektor? In Berlin wird darüber gerade viel diskutiert, auch wegen des Fahrrad-Volksentscheids.

Günther: Wir sind an einem Punkt, an dem deutlich wird: So wie es momentan läuft, hat es keine Perspektive für eine wachsende Stadt. Menschen, die zuziehen, aber auch Pendler, werden nicht alle zusätzlich mit Autos fahren und parken können. Insofern lautet die Frage, welche Alternativangebote geschaffen werden. Da sind Bus und Bahn und Fahrräder wichtig, es braucht jedoch die passende Infrastruktur. Und da ist Berlin nicht vorne dabei, wenn ich mir Städte wie Kopenhagen angucke.

neue energie: Ihr Staatssekretär Jens-Holger Kirchner sagt allerdings, er erwarte einen „Kampf um den öffentlichen Raum“, allein schon bei so etwas harmlosem wie dem Ausbau der Rad-Infrastruktur…

Günther: Es wird bestimmt harte Diskussionen geben, die muss man bestehen und offensiv führen. Ich sehe andererseits bei ganz vielen Gesprächspartnern, auch bei sehr autofreundlichen Verbänden, dass sie erkannt haben: Ein „Weiter so“ wie bisher kann es nicht geben. Es geht also nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie.

neue energie: Gibt es denn eine Aufgabe im Verkehrssektor, die für Sie jetzt Priorität hat?

Günther: Ich glaube das Zauberwort ist Integration. Wir haben mit dem Radverkehr angefangen, aber der ist Teil eines Mobilitätskonzepts. Die einzelnen Verkehrsträger müssen viel besser ineinandergreifen. Es muss mehr Angebote im ÖPNV geben, etwa mehr und bessere Busse, die keinen Verbrennungsmotor haben. Wir brauchen zuverlässige S- und U-Bahnen sowie eine bessere Radinfrastruktur und mehr Angebote an Elektromobilität. Dieses ganze Bündel auf den Weg zu bringen, ist eine der großen Herausforderungen.

neue energie: Ein weiteres wichtiges Thema in dieser Legislaturperiode wird der Kohleausstieg sein. In Berlin soll die Kohleverstromung bis spätestens 2030 beendet sein. Im Koalitionsvertrag steht außerdem, dass sich die Hauptstadt bei der gemeinsamen Landesplanung mit Brandenburg gegen weitere Tagebaue einsetzen will. Würden Sie notfalls auch ein formelles Veto einlegen?

Günther: Das ist ein laufender Prozess, da möchte ich jetzt nichts vorwegnehmen.

neue energie: Mit welchen Argumenten wollen Sie die brandenburgischen Kollegen ansonsten überzeugen?

Günther: Wir haben da augenblicklich eine andere Auffassung. Ich halte es für richtig, bei einer Technologie, von der man weiß, dass sie keine Zukunft hat und an der langlebige Infrastrukturen hängen, möglichst frühzeitig den Ausstieg vorzubereiten, um einen sanften Übergang zu garantieren. Brüche sind immer schmerzhafter als ein Ausgleiten. Insofern würden wir sehr stark empfehlen, einen Ausgleitpfad aufzunehmen. Wenn man den Kohleausstieg nach hinten schiebt, nähern wir uns immer stärker der Klippe.

neue energie: In Berlin hält die Koalition an dem Ziel fest, die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 um 85 Prozent zu senken, orientiert am Zwei-Grad-Ziel. Reicht das aus? In Paris wurden ja 1,5 Grad anvisiert.

Günther: Das wurde festgelegt, bevor ich im Amt war. Wenn man es wissenschaftlich bewertet, ist es nicht genug, das muss man so eindeutig sagen. Da sind 95 Prozent Emissionsreduktion bis 2050 das Minimum. Eigentlich müssten die Industrieländer sogar noch mehr tun, wenn man das CO2-Budget zugrunde legt.

neue energie: Werden Sie sich dafür einsetzen, dass der Zielwert in Berlin angehoben wird?

Günther: Augenblicklich geht es erst einmal darum, die kurz- und mittelfristigen Ziele erreichen zu können. Sich auf die 2050er-Ziele zu konzentrieren, würde ich eher als Alibi-Diskussion sehen. Man kann feststellen: Es ist nicht genug. Aber wir müssen jetzt schauen: Wie kommen wir bis 2020 und 2030 auf einen Pfad, dass die Emissionen nach unten gehen. Da ist der Verkehr eines der zentralen Themenfelder und da sind wir jetzt dran.

neue energie: Der Bundesregierung haben Sie bei der Diskussion um den Klimaschutzplan 2050 allerdings wiederholt vorgeworfen, dass sie ihre Ziele nicht auf die 95-Prozent-Reduktion ausrichtet

Günther: Das sage ich ja jetzt für Berlin genauso. 85 Prozent sind nicht ambitioniert genug. Daran war ich nicht beteiligt, ich bin aber daran beteiligt, dass die 2030er-Ziele erreichbar werden. Dazu kann ich etwas beitragen.

neue energie: In der Senatsverwaltung sind Sie für Klimapolitik zuständig, für das neue „Klima-Stadtwerk“ allerdings Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. Wie klappt die Zusammenarbeit? Die beiden Ressorts sind ja gerne mal uneins bei klimapolitischen Themen.

Günther: Die klappt sehr gut. Es sind zwei grüne Häuser und wir werden bei vielen Fragen an einem Strang ziehen.

neue energie: Sie sind damit bei der Klimapolitik aber schon abhängig davon, dass es hier keine Widerstände gibt.

Günther: Das Wirtschaftsressort ist jetzt damit beauftragt, erneuerbare Energien und das Stadtwerk aufzubauen. Frau Lompscher (Senatorin für Stadtverwaltung, Anm. d. Red.) ist damit beauftragt, die Häuser zu dämmen. Und ich bin damit beauftragt, den Verkehr klimafreundlicher zu machen und habe die Gesamtverantwortung. Da gibt es klare Aussagen im Koalitionsvertrag, ich wüsste nicht, woher da Widerstand kommen soll.

neue energie: Das würden Vertreter der Bundesregierung sicher auch sagen, und trotzdem sind Umwelt- und Wirtschaftsministerium ständig im Clinch.

Günther: Das liegt ja vielleicht auch an den handelnden Akteuren. Frau Pop und ich arbeiten sehr einvernehmlich miteinander.

neue energie: Sehen Sie das rot-rot-grüne Projekt in Berlin auch ein bisschen als Fingerzeig in Richtung Bundestagswahl?

Günther: Ob das eine Alternative wird, weiß keiner. Ich will auch keine Koalitionspräferenzen abgeben. Was ich wahrnehme, ist: Die Grünen wollen sich eigenständig aufstellen, ihre eigenen Schwerpunkte definieren und so Profil gewinnen. Das finde ich den richtigen Weg, und ich würde mich da nicht in Koalitionsarithmetik verzetteln wollen.

neue energie: Einen Politikwechsel würden Sie aber schon gerne sehen?

Günther: Also im Klimaschutzbereich auf alle Fälle. Ambitioniertere Vorhaben wären bestimmt angezeigt. Wenn da nicht sehr schnell nachgesteuert wird nach der Bundestagswahl, werden wir die Ziele für 2020 und 2030 krachend verfehlen.

Dieses Interview stammt aus der Ausgabe 4/2017 von neue energie.

 

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