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Leitartikel

Dschungelcamp

Jörg-Rainer Zimmermann, 08.03.13
China überholt, Osteuropa zieht nach, Deutschland fällt zurück - im Wettlauf um die Erneuerbaren-Weltspitze verspielt die Berliner Regierung derzeit den wertvollen Vorsprung, den die Pioniere des heimischen Mittelstands einst errungen hatten. Den politisch Verantwortlichen fehlt es an Mut und Weitblick - der Wahlherbst macht sie betriebsblind.

Dschungel Osteuropa: marode bis nicht vorhandene Infrastruktur, undurchsichtige Bürokratie, kein stabiler Rechtsrahmen, verschreckte Investoren – unter solchen Bedingungen ist ein schnelles Gelingen der Energiewende kaum denkbar, möchte man meinen. Verallgemeinerungen und alte Vorurteile sind jedoch fehl am Platz. Der im Rahmen der EWEA-Jahreskonferenz vorgestellte Bericht „Eastern winds“ macht deutlich, dass sich ein genauer Blick auf die einzelnen postsozialistischen Länder lohnt. Durch viele weht ein frischer Wind, der den Erneuerbaren gute Startbedingungen bietet. Auch die aktuelle Gesetzesinitiative, die Russland endlich ein belastbares Fördersystem bescheren soll, weist in diese Richtung. Ist das schon der Auftakt zu einer grünen Perestroika, dem Umbruch in der russischen Energiewirtschaft?

Dschungel Deutschland: unzureichende Infrastruktur, komplizierte Bürokratie, kein stabiler Rechtsrahmen mehr, verschreckte Investoren – unter solchen Bedingungen ist ein schnelles Gelingen der Energiewende kaum denkbar, das ist sicher. Der jüngste Vorstoß der Bundesminister Rösler und Altmaier, gedeckt von Kanzlerin Merkel, trifft die Systemtransformation – in ihrer mittelständisch-dezentralen Variante – ins Herz. Sollte die aktuelle Gesetzesinitiative zur Beschneidung der Erneu-erbaren-Vergütung noch vor dem Wahlherbst den Bundestag passieren, sind die Zeiten eines belastbaren Fördersystems hierzulande vorbei. Es wäre nicht das Ende der Energiewende. Doch die Karten würden neu gemischt.

Dass sich die derzeitigen Akteure ausgebremst sehen, ist schon jetzt klar: Die Stadtwerke München etwa haben erst vor kurzem ambitionierte Erneuerbaren-Ziele formuliert. Jetzt will man sich bis auf Weiteres auf keine neuen Projekte mehr einlassen – kommunale Unternehmen sind zu verantwortlichem Handeln quasi per Verordnung gezwungen. Rösler und Altmaier ist es jedoch gelungen, die Energiewende in ein Zwischenreich der Rechtsunsicherheit ohne Bestandsschutz zu manövrieren. Oder wie man es in München sieht: „Die Geschäftsführung ist dazu verpflichtet, Investitionen in neue Projekte zu stoppen, da das unternehmerische Risiko bei der derzeitigen Lage völlig unkalku-lierbar ist.“ Vordergründig klingt das nach Dschungel Osteuropa – dann, wenn Verallgemeinerungen und alte Vorurteile zuträfen...

Im Bereich der Photovoltaik scheint die Sache schon entschieden. Tapfer kämpfen einige deutsche Solarunternehmen im Verbund mit der Forschung ums Überleben und versuchen, es mit den chine-sischen Billigproduzenten aufzunehmen. Die Firmen aus dem Fernen Osten dürfen sich allerdings der Unterstützung aus Peking gewiss sein, teils sind sie sogar mit klarem staatlichem Auftrag unterwegs – die Funktionäre wissen, wie langfristige Planung geht. Doch warum in die Ferne schweifen: Die Dänen besinnen sich derzeit auf ihre Pionierleistung in Sachen Erneuerbare. Nach einer Phase der Agonie versucht man, den Markt wieder in Schwung zu bringen. Die Politik hat aus alten Fehlern gelernt und agiert nun mit Weitsicht.

Bundesumweltminister Altmaier hingegen ist in der Wunderwelt der dick gedruckten B-Worte angelangt: Eine Billion Euro koste die Energiewende, verkündet er. Wie billig. Wie wenig belastbar. Und doch so breitenwirksam – in Wahlkampfzeiten ist die Aufmerksamkeit nicht nur der Boulevard-Presse damit garantiert. Dieses in weiten Expertenkreisen als unseriös und die Erneuerbaren-Sache als schädigend gebranntmarkte Anbiedern zeigt aber auch, dass Merkel, Altmaier und Rösler – ein Trio, das schlecht zusammenspielt, aber für die Energiewende und die Erneuerbaren-Branche den Ton angibt – erheblich unter Druck stehen. Schließlich ist es ein bisschen wie beim Dschungelcamp: Am Ende entscheidet das (Wahl-)Publikum.

Dieser Leitartikel ist als Editorial der März-Ausgabe von neue energie erschienen.

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