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Kommentar zu SWR-Doku

Auftrag verfehlt

Jörg-Rainer Zimmermann, 02.08.16
In ihrem TV-Beitrag „Der Kampf um die Windräder“ wollen zwei Journalisten vermeintlich systematische Machenschaften rund um die Windenergie enthüllen. Leider scheinen sie zu vergessen, die Zuschauer ausgewogen zu informieren. Stattdessen setzen sie unserer Meinung nach auf Suggestion und Stimmungsmache - lesen Sie dazu unseren Kommentar:

Welcher Zuschauer sollte da nicht mitfühlen: Sorgenvoll beschreibt eine Familie ihre Lage. Direkt hinter ihrem Haus in Ostfriesland werden schon bald Windkraftanlagen gebaut. Werden sie und ihre Kinder mit dem Anblick und den Geräuschen klarkommen? Früher seien sie für die Windenergie gewesen, erklärt das junge Elternpaar – aber nun gäbe es einfach zu viele Parks in dieser Gegend. Obendrein müssten die Windräder ja oft stillstehen, weil Stromnetze fehlen. Man brauche die Anlagen also gar nicht, lautet das Resümee.

Schwierigen Fragen widmen sich Claudia Butter und Achim Reinhardt in ihrem Beitrag „Der Kampf um die Windräder“ (Erstsendung 01.08.2016, Das Erste). Wer sind die Verlierer der Energiewende? Wie geht man mit Gemeinderäten um, die aus wirtschaftlichem Eigeninteresse eigentlich als befangen gelten müssten? Wie viel Lobbyismus ist in der Politik erlaubt? 30 Minuten Zeit haben die Autoren von Report Mainz, um Antworten zu geben. Gelingt das?

Eine wichtige Aufgabe von Journalismus ist es, Menschen ausgewogen zu informieren und Missstände in Gesellschaft und Politik aufzuweisen. In dem SWR-Beitrag wird auch eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern interviewt. Sie hat mehrere Jobs und verfügt dennoch nur über ein Einkommen von 1000 Euro im Monat. Demnächst wird ihr wohl der Strom abgestellt, weil sie die ständig steigenden Rechnungen nicht mehr zahlen kann. Ein Missstand, den es zu benennen gilt. Statt aber die Zuschauer über die wahren Hintergründe zu informieren, verfolgt der Beitrag offenbar vor allem die Absicht, das Mitgefühl der Zuschauer zu erregen, zu emotionalisieren. Kein Wort von sinkenden Preisen an den Strombörsen durch den vielen erneuerbar produzierten Strom, die Energieversorger an ihre Kunden weitergeben könnten, kein Wort von den Entlastungen der Industrie zu Lasten der kleinen Verbraucher.

Viele Fragen, kaum Antworten

Stattdessen werden unbelegte Aussagen („die Kosten explodieren“, „einige wenige profitieren auf Kosten der Natur und auf Kosten der Bürger“) und unzählige rhetorische oder suggestive Fragen aneinandergereiht, Antworten aber allenfalls unpräzise angedeutet. Auffällig sind auch die vielen inhaltlichen Fehler. So ist etwa die im EEG festgelegte Vergütung keine staatliche Subvention, wie in der Vergangenheit gerichtlich bestätigt wurde. Wenn die Autoren auch für ihre Recherchen zum Missbrauch von Steuergeldern durch Bayerische Landtagsabgeordnete für den diesjährigen Grimme-Preis nominiert sind, vermisst man in ihrem Beitrag zur Windkraft über weite Strecken eine differenzierte, korrekte Darstellung der Sachverhalte.

So geht es weiter, von einem Problem zum anderen springend: Tatsächlich ist es fragwürdig, wenn Gemeinderäte in der Kommunalpolitik auch eigene wirtschaftliche Interessen verfolgen. Es handelt sich um einen bekannten Missstand, viele Lokalpolitiker standen in der Vergangenheit wegen Vetternwirtschaft am Pranger. Report Mainz könnte allein mit diesem Thema wohl einen mehrstündigen Bericht füllen. Sicher, dass es in jüngerer Zeit auch bei der Flächenausweisung von Windparks solche Fälle gegeben hat, ist schlecht für das Image der gesamten Branche. Doch trägt sie eine besondere Verantwortung für menschliches Fehlverhalten und Lücken im Kommunalrecht? Wohl kaum.

Dramatische Hintergrundmusik und das Label „Exclusiv im Ersten“, der Verweis auf Langzeit-Recherchen, dies alles dürfte bei nicht wenigen Zuschauern den Eindruck erzeugen, da werde Enthüllungsjournalismus geboten. Es wird der Fall eines Ex-BUND-Mitglieds aufgegriffen, der der Naturschutz-Organisation vorwirft, einen Windpark nicht verhindert zu haben, obwohl der Rotmilan-Bestände gefährden könnte. Allerdings liegt das Jahre zurück, wurde in den Medien breitgetreten – und am Ende blieb von den Anschuldigungen wenig übrig. Kein sehr heißer Fall also.

An mancher Stelle wirkt die suggestive Bildsprache, mit der man investigativen Journalismus vorgaukeln kann, geradezu unfreiwillig komisch. Etwa wenn „enthüllt“ wird, dass im Verlauf der jüngsten Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes das jährliche Ausbauziel für Windenergie weniger stark gesenkt wurde, als ursprünglich vorgesehen. Die Report-Redakteure sprechen davon, dass ihnen exklusive, interne Dokumente vorliegen. Doch die betreffenden Referentenentwürfe aus dem Wirtschaftsministerium sind leicht öffentlich zugänglich. Dass eine Gesetzesänderung ein mehrstufiges Verfahren darstellt, bei dem die Ministerien zumeist mit ihren Maximalforderungen in den politischen Ring steigen, um dann mit Branchenvertretern und Experten einen abgeschwächten Kompromiss zu erarbeiten – das ist völlig normal und alles andere als ein Skandal. Wer solche Sachverhalte aber skandalisiert, ist in der Gefahr, in den Bereich des Boulevardjournalismus abzudriften.

Der Zuschauer bleibt ratlos zurück

Der Vorwurf, die Branche habe exzessiven Lobbyismus betrieben, wirkt also eher dünn. Parlamentarier werden als Zeugen aufgerufen, die davon berichten, selten solchen Druck erlebt zu haben. Lobbyismus im politischen Berlin – wieder so ein großes, abendfüllendes Thema, durchaus geeignet für Enthüllungsstorys. Laut einer Studie von Transparency International bekämpft man in Deutschland die Einflussnahme auf Politiker ähnlich hartnäckig wie in Bulgarien oder Portugal – nämlich so gut wie gar nicht. Stellt sich also die Frage, mit wem die Energieexperten von CDU und SPD sonst so Kontakt bei der Arbeit haben.

Zumal die personellen Verflechtungen zwischen Politik und energiewirtschaftlichen Verbänden hierzulande eng sind – Hildegard Müller etwa war lange Jahre Staatsministerin unter Kanzlerin Angela Merkel, später wechselte Müller erst an die Spitze einer der mächtigsten deutschen Lobbyvereinigungen, dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Heute arbeitet sie bei RWE. Die ehemalige Staatssekretärin Katherina Reiche führt mittlerweile den Verband kommunaler Unternehmen, der vorwiegend die Interessen von Stadtwerken vertritt. Doch dazu schweigt der SWR-Beitrag.

Lieber wirft er der Windenergie noch vor, dass sie trotz vermeintlich explodierender Kosten „nicht einmal 15 Prozent des Stromverbrauchs“ ausmache. Was also nun, rufen die Autoren nach mehr oder weniger Ausbau? Oder soll mit den oben erwähnten jährlichen acht Milliarden Euro Kosten der komplette in Deutschland benötigte Strom produziert werden? Bei gutem Journalismus sollte der Zuschauer nicht interpretieren müssen. Doch hier bleibt am Ende Ratlosigkeit – und bei so manchem vor dem heimischen Fernseher vielleicht auch das diffuse Gefühl, dass es irgendwie nicht klappt mit der Windkraft. Eine solche Stimmungslage wird in dem Beitrag über weite Strecken aufgebaut.

Es könnte einfach ein misslungener TV-Beitrag sein. Allerdings häufen sich in jüngerer Zeit Medienberichte, die unverhältnismäßige, unsachliche Kritik an der Windenergie üben. Dass ohne die Erneuerbaren die Klimaschutzziele unerreichbar sind, kommt dabei höchstens noch am Rande vor. „Die Politik setzt weiter falsche Anreize beim Windkraftausbau und gefährdet so die Akzeptanz der Energiewende“, so lautet das Fazit der SWR-Autoren. Dabei gefährden sie diese Akzeptanz selbst – indem sie sich damit begnügen, Stimmung zu machen, statt umfassend und ausgewogen zu informieren. Von einer öffentlich-rechtlichen Dokumentation zur besten Sendezeit, zumal von dekorierten Journalisten, darf man deutlich mehr erwarten.

Der Beitrag „Der Kampf um die Windräder“ ist noch bis zum 3. August 2017 in der ARD-Mediathek verfügbar. Der SWR hat am 11.8. auf deutliche Kritik reagiert und eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er den Beitrag verteidigt.

Hinweis: neue energie wird vom Bundesverband WindEnergie herausgegeben, der im SWR-Beitrag für seinen Windkraft-Lobbyismus kritisiert wird. Die Redaktion arbeitet jedoch nach streng journalistischen Kriterien. Mehr Infos dazu gibt es in unserem Leitbild, das unsere eigenständige Arbeitsweise garantiert.

 

Kommentare (18)

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  • 04.08.16 - 18:35, Tiede

    Weshalb muss ich für solchen Unsinn auch noch Zwangsgebühren zahlen?

  • 05.08.16 - 09:09, M.B.

    wie sich der Strom in der Produktion, Verbrauch zusammensetzt, welche Länder wann aus DE Strom bekommen und ob und wann DE Strom importiert kann online bei Agora Energiewende - dort dem Agorameter nachvollzogen werden.
    Wie diese Daten erhoben werden ist auch entsprechend beschrieben. Die Werte können mit Statistischen Auswertungen des Bundes gerne verglichen werden. Meine Stichproben hat Agora jedenfalls bestanden.
    https://www.agora-energiewende.de/de/themen/-agothem-/Produkt/produkt/76/Agorameter/

  • 05.08.16 - 09:31, Rainer Doemen

    Wir haben auf unserer Facebook-Seite der Freunde von PROKON e. V. zu dieser Propaganda des SWR-Teams gegen Windkraft gepostet. Ich freue mich, dass wir weit über 6.000 Menschen und ca. 1.000 Vereinigungen in nur 48 Stunden erreicht haben und danke allen Lesern und Kommentatoren. Jörg-Rainer Zimmermann formuliert treffend und noch sehr freundlich, was die verantwortlichen Journalisten*innen mit diesem Beitrag angerichtet haben. Die Kommentare auf unserer Facebook-Seite zeigen mir leider, wie sehr öffentlich-rechtliche Medien durch einen solchen rein emotionalisierenden Beitrag Menschen lenken können. Hier muss sich die Redaktionsleiterin beim SWR zumindest fragen, ob dieser Beitrag mit Wiederholungen zu den besten Sendezeiten nicht eine Mitverantwortung des SWR bei dem komplexen und komplizierten Themenfeld "Klimaschutz durch Energiewende" auslöst. Vielleicht war ja genau das gewollt? Der Eindruck drängte sich mir zumindest beim erstmaligen Ansehen dieses Beitrags auf. Ich hoffe, auf einen Versuch des SWR auf Wiederherstellung seines guten Rufes durch einen journalistisch ausgewogenen und qualifizierten Beitrag mit Wiederholungen zu den besten Sendezeiten.

  • 05.08.16 - 12:20, Renate Kühnel

    Es fehlt von allen Seiten jede Sachlichkeit. Hätte unsere Politik den Umstieg von Atomenergie auf auf erneuerbare Energien ernst genommen, so hätte die Umsetzung lauten müssen: Im Netz benötigen wir eine Einspeisung die dem Verbrauch angepasst ist. Frage: Wie können wir diese mit dem fluktuierenden Strom aus Wind- und PV-Anlagen erreichen? Die Rechnung wäre einfach gewesen: Strom aus diesen Erneuerbaren plus Regelenergie ergibt ein Kombikraftwerk, das 1:1 den Atomstrom ablösen kann. Die Erneuerbaren hätten sich ihren Partner suchen müssen und mit ihm verhandeln, wie der Erlös aufzuteilen ist. (Regelenergie können Gaskraftwerke, Blockheizkraftwerke, Batterien, Hackschnitzelwerke usw. liefern). Nur ein lastendeckender Strom hätte die staatliche Förderung erhalten dürfen. So aber hat man Kohlekraftwerke gebaut, damit unser Verbrauch abgesichert ist. Aus der Kraftwerksberechnung der Bundesnetzagentur ergibt sich, auch ohne Wind- und PV-Strom ist die Grundlast durch konventionelle Kraftwerke, das sind hauptsächlich Braunkohlekraftwerke gedeckt. Kohlekraftwerke sind nicht geeignet fluktuierenden Strom zu regeln, sie brauchen viel zu lang bis sie hoch und runtergefahren werden, deshalb lässt man sie durchlaufen. Speisen nun Wind u. PV-Anlagen vorrangig ein, müssten Kohlekraftwerke umgehend vom Netz. Das passiert nicht, so ist plötzlich der doppelte Strom und mehr in der Leitung. Dieses Problem führt wegen Überangebot zu den billigen Preisen an der Börse, aber auch dazu, dass das Netz destabilisiert wird. Nun hat man den Grund gefunden, der den Netzausbau notwendig macht, und wodurch das Desaster aber immer schlimmer wird. Der Schrei nach Atomausstieg wurde hinterhältig als Deckmäntelchen für ganz andere wirtschaftliche Ziele genutzt. Was die billigen Strompreise an der Börse betrifft, so führen diese dazu, dass der Strompreis der deutschen Stromkunden steigt. Denn dadurch, dass er die EEG-Umlage bezahlen muss, im Gegenzug aber für sein Überangebot an der Strombörse nichts erhält, wird die Differenz, Einnahme zu Ausgabe immer größer, was sich dann im Strompreis niederschlägt.

  • 05.08.16 - 12:43, Ulrich Wilk

    ... und so was auch noch im öffentlich-rechtlichen TV. Unglaublich schlecht gemacht. Selten so eine erbärmliche Recherche erlebt. Dafür wäre man im Studium ausgebuht worden.

  • 05.08.16 - 12:45, Ulrich Wilk

    ... da kann ich Dir und allen anderen nur zustimmen, Monika.

  • 05.08.16 - 14:57, Marc Wiemann

    Report Mainz halt!
    Seit bald 20 Jahren arbeite ich inzwischen in der Windbranche - ich kann mich an KEINEN einzigen positiven Beitrag in dieser Zeit von Report Mainz erinnern. Wäre doch vielleicht einmal eine interessante journalistische Aufgabe - alle Beiträge der letzten 15 Jahre von Report Mainz zu prüfen - schnell wird klar werden, wie "objektiv" man dort arbeitet. Nachdem ich gelesen habe, wer den Film erstellt hat, habe ich ihn vorsorglich nicht geschaut - wohl anscheinend zu Recht.

  • 07.08.16 - 18:37, Ingrid Lambertus

    Eigentlich sollte mensch von den "Öffentlich rechtlichen" - die ja durch unser aller Zwangsabgaben gesponsert werden - eine neutrale Berichterstattung verlangen können!
    Ich habe die Stellungnahme des BUND zu dieser Diffamierung gelesen - und finde das was ich über diese Sendung erfahren habe einfach unmöglich - die ARD hat damit Ihren Auftrag verfehlt!

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