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Wasserstoffstrategie

Blick auf die Wasserstoff-Weltkarte

Frank-Thomas Wenzel, 22.07.20
In Zukunft wird der kostbare Rohstoff global gehandelt werden, auch die Bundesregierung setzt auf Importe. Einige Regionen eignen sich besonders gut als Erzeuger: Eine Übersicht zu drei vielversprechenden Kandidaten.

Wer sich über die globalen Hotspots zur Erzeugung von grünem Wasserstoff kundig machen will, sollte einen Atlas zur Hand haben. Es geht um weit abgelegene Regionen. Wie die Innere Mongolei, ein Areal im Norden Chinas mit endlos flachen Graslandschaften, hunderten von Flüssen und Seen und auch mit Wüsten.

Die Internationale Energieagentur (IEA) hat in einer Studie auf einer Weltkarte die Innere Mongolei mit Rot eingezeichnet und damit als einen der bevorzugten Standorte für die Erzeugung von Wind- wie auch von Sonnenstrom klassifiziert. Perspektivisch, nämlich im Jahr 2030, soll es dort möglich sein, Ökostrom für weniger als zwei Dollar-Cent pro Kilowattstunde zu erzeugen. Hinzu kommen die großen Vorkommen von Wasser – dem Rohstoff, der per Elektrolyse in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt werden kann. Platz genug für große Wind- und Solarparks gibt es auch. Die Innere Mongolei ist äußerst dünn besiedelt – mit Abstandsregeln dürfte es dort keine Probleme geben.

China ist bereits einer der größten Erzeuger von Wasserstoff, doch bislang wurde er vor allem in der Petrochemie eingesetzt und aus der Vergasung von Kohle gewonnen. Eine umfassende Wasserstoff-Strategie gebe es aber bislang nicht, so die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), die im Auftrag mehrerer Bundesministerien tätig ist. Doch für Ende Juni sei geplant, dass die Nationale Energiebehörde NEA einen ersten Entwurf vorstellt. Laut des Fachdiensts China Market Insider wurde auf der diesjährigen Sitzung des Nationalen Volkskongresses erstmals die Förderung der Wasserstoff-Industrie nebst der Produktion von Brennstoffzellen im aktuellen Entwicklungsplan festgeschrieben.

Derweil laufen bereits zahlreiche ambitionierte Projekte an. So berichtet die Finanznachrichtenagentur Bloomberg, dass die staatliche Beijing Jingneng Power Company für 3,3 Milliarden Dollar ein Projekt startet, das die kombinierte Erzeugung von Wind- und Sonnenstrom, Wasserstoff-Produktion und dessen Speicherung zum Ziel hat – ebenfalls in der Inneren Mongolei. Nächstes Jahr soll der Komplex mit einer Kapazität von fünf Gigawatt fertiggestellt sein und dann jährlich bis zu 500 000 Tonnen Wasserstoff produzieren. Weitere Details werden nicht genannt.

China: Produktion im großen Maßstab

Klar ist aber, dass dieses Projekt im globalen Vergleich ganz weit vorne liegt. Wegen der zweifachen Erzeugungsform, die zwar hohe Investitionen erfordert, aber zugleich die Volllaststunden des Elektrolyseurs steigert und damit die Gestehungskosten für den Wasserstoff drückt. Und wegen der Dimension: China setzt damit um, was hierzulande bislang nur auf dem Papier existiert – die Produktion von grünem Wasserstoff im großindustriellen Maßstab.

Es gibt noch jede Menge weiterer neuer Projekte. So meldete der japanische Autobauer Toyota Anfang Juni, dass mit führenden chinesischen Herstellern (FAW, Dongfeng, BAIC) und dem Brennstoffzellen-Experten Beijing Sino Hytec ein Forschungs-Joint-Venture gegründet wurde. Das Ziel: Fahrzeuge zu entwickeln, die mit wettbewerbsfähigen Brennstoffzellen Wasserstoff in elektrische Energie umwandeln. Derzeit gehe es in erster Linie um Busse und Lkw, berichtet China Market Insider. Kommunen würden bereits angehalten, ihre Nutzfahrzeuge auf den umweltfreundlichen Wasserstoffantrieb umzustellen. H2-Tankstellen würden verstärkt vom Staat gefördert. Ende dieses Jahres sollen die ersten 100 errichtet sein.

Die GIZ-Expertin Yuxia Yin bestätigt denn auch: „China steht am Anfang einer sektorenübergreifenden grünen Wasserstoffwirtschaft.“ Der Einsatz vor allem im Mobilitäts- und Transportsektor erfahre großen politischen Rückhalt. Aber auch die Integration und Speicherung von Erneuerbaren und die Dekarbonisierung von energieintensiven Sektoren spiele eine wichtige Rolle.

So kommen denn auch mehrere Studien zu dem Schluss, dass die Volksrepublik in den nächsten Jahren zu einem der wichtigsten Akteure beim grünen Wasserstoff werden könnte. Die IEA geht in ihrer Studie davon aus, dass das flüchtige Gas aus der Inneren Mongolei bis 2030 inklusive Transport wettbewerbsfähig sein kann. Dabei spielt nicht nur der preiswerte Grünstrom eine Rolle. Hinzu kommen deutlich sinkende Investitionskosten für Elektrolyseure. Wobei hier die Hochrechnungen weit auseinandergehen.

So kalkuliert die IEA, dass derzeit im günstigsten Fall 500 Dollar pro Kilowatt möglich sind. Dieser Wert könne auf 400 Dollar in zehn Jahren sinken. Die Experten von Bloomberg New Energy Finance (BNEF) gehen indes davon aus, dass chinesische Anlagen schon jetzt für nur 200 Dollar pro Kilowatt liefern können. Bis 2030 würden die Kosten sogar auf 115 Dollar pro Kilowatt sinken, vor allem wegen Skaleneffekten und einer größeren Automation bei der Fertigung der Komponenten. Dies wiederum hätte zur Folge, dass der Preis für grünen Wasserstoff auf weniger als 1,50 Dollar pro Kilogramm fallen kann. Das ist eine wichtige Marke, weil damit ein maßgeblicher Konkurrent, nämlich blauer Wasserstoff (aus Erdgas hergestellt, aber mit CO2-Speicherung) unterboten werden kann.

Marokko: Das Zeug zum wichtigen Player

Marokko ist der afrikanische Vorzeigestaat für erneuerbare Energie. In Quarzazate wurde bereits mit deutscher Hilfe das größte Solarkraftwerk der Welt errichtet. Der nächste große Schritt soll mit grünem Wasserstoff gemacht werden. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) unterzeichnete Anfang Juni eine Absichtserklärung zur Entwicklung einer Produktionsanlage, unmittelbar nachdem die Bundesregierung ihre Nationale Wasserstoffstrategie beschlossen hatte.

Weite Teile des nordafrikanischen Landes sind auf der IEA-Weltkarte mit Rot eingezeichnet. Laut GIZ können die Kosten für die Erzeugung von Sonnenstrom, Onshore- und Offshore-Windstrom bis 2030 voraussichtlich auf ein bis zwei Cent pro Kilowattstunde sinken. Das soll es möglich machen – günstigste Bedingungen wie stark sinkende Investitionskosten, hohe Volllaststunden und Wirkungsgrade vorausgesetzt –, klimaneutrales H2 für etwa einen Euro pro Kilogramm zu erzeugen.

Farhanja Wahabzada, GIZ-Expertin und Leiterin des Sekretariats der Deutsch-Marokkanischen Energiepartnerschaft, erläutert die Ziele: „Kurz- und mittelfristig gibt es in Marokko zwei Säulen für die Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft. Eine davon ist die Verwendung von grünem Ammoniak in der Düngemittelindustrie – damit soll das Land weniger abhängig von Importen werden.“ Hinzu komme der Export grüner Power-to-X-Produkte – also von Treib- und Brennstoffen, die aus regenerativem Strom hergestellt werden.

Langfristig könnten diese Erzeugnisse dann auch im Inland eingesetzt werden, als Energiespeicher oder im Verkehr. Zunächst einmal soll eine Referenzanlage mit einer Leistung von 100 Megawatt mit finanzieller Unterstützung von Deutschlands staatlicher Förderbank KfW entstehen. In einer dekarbonisierten Welt hat Marokko das Zeug dazu, einer der wichtigen Player für Power-to-X zu werden, das Land könnte nach Berechnungen des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (Ise) vier Prozent des gesamten Bedarfs decken. Wie das mit Exporten nach Deutschland funktionieren kann, haben Ise-Experten für das Jahr 2030 bereits hochgerechnet. Sie gehen von Erzeugungskosten von 2,5 Cent pro Kilowattstunde sowohl für Wind- als auch für Solarstrom aus.

Die weiteren Voraussetzungen: Für die Elektrolyse muss Meerwasser entsalzt werden, zudem muss der Wasserstoff für den Transport umgewandelt werden. Die günstigste und effizienteste Methode wäre, ihn zu verflüssigen. Dafür müssen unterirdische Zwischenspeicher angelegt werden, es braucht eine Anlage, die ihn unter hohem Druck in einen flüssigen Zustand versetzt, um ihn dann auf spezielle Schiffe zu pumpen und zu einem Terminal in Deutschland zu transportieren.

Die IEA erinnert daran, dass für ein ähnliches Verfahren, nämlich für verflüssigtes Erdgas, in den vergangenen Jahren ein gut funktionierender Markt mit zahlreichen Terminals in Europa entstanden ist – analog könnte die Entwicklung beim Wasserstoff laufen. Es würde laut Hochrechnung 126 Euro pro Megawattstunde (4,19 Euro pro Kilogramm) kosten, ihn in Deutschland anzulanden – eine Erzeugung in großtechnischen Anlagen vorausgesetzt. Vergleichbare Kosten (124 Euro pro Megawattstunde) kämen zusammen, wenn der grüne Wasserstoff schon vor Ort mittels Stickstoff zu synthetischem Ammoniak verarbeitet würde. Bei synthetischem Methanol wird mit 146 Euro pro Megawattstunde kalkuliert; das Spannende an diesem Prozess ist, dass er CO2 bindet, das beispielsweise in der Industrie entsteht.

Methanol und Ammoniak sind deshalb so interessant, weil sie von Chemieunternehmen als Grundstoffe für Dutzende von Produkten eingesetzt werden. Das Problem ist allerdings: Wird bei all diesen Prozessen Wasserstoff genutzt, der aus fossilem Erdgas gewonnen wurde, liegen die heutigen Kosten nur etwa halb so hoch, teilweise sogar noch niedriger, als die für 2030 prognostizierten Werte für grünen Wasserstoff. Die Parameter können sich allerdings deutlich zu seinen Gunsten verschieben, wenn eine hohe CO2-Bepreisung der fossilen Konkurrenz ins Spiel kommt. Oder wenn fossil hergestellter Wasserstoff blau gemacht werden muss – das entstehende CO2 also abgeschieden und unterirdisch gespeichert wird. Für beides rechnet die IEA im Jahr 2030 mit Preisen zwischen 1,50 und drei Dollar pro Kilogramm.

Chile und Patagonien: Jede Menge Wind

Chile und Patagonien zählen zu den Geheimfavoriten für einen vorderen Tabellenplatz in der künftigen Weltliga der Wasserstoffhersteller. Auf der IEA-Karte sind auch das Land an der Westküste Südamerikas und die Südspitze des Kontinents dunkelrot eingezeichnet. „Chile ist dabei, eine lokale Wertschöpfungskette und parallel dazu aber auch einen Exportmarkt für seinen grünen Wasserstoff aufzubauen, was aufgrund der großen Potenziale an erneuerbaren Energien konfliktneutral möglich ist“, sagt Rainer Schröer, Experte für Erneuerbare und den chilenischen Energiesektor bei der GIZ.

Die Randbedingungen seien einfach gut, grüner Wasserstoff könne dort unter gewissen Bedingungen heute schon für zwei bis drei Dollar pro Kilogramm produziert werden. Lokale Einsatzmöglichkeiten seien Fahrzeuge für den sehr wichtigen Bergbausektor. Hinzu kämen Schiffe, Züge, Überlandbusse und Lkw für Schwertransporte, die mit Brennstoffzellen ausgestattet werden können. Ferner seien grünes Methanol und Ammoniak für die nationale Industrie, aber auch für den Export denkbar.

Wenn es um internationale Geschäfte mit dem flüchtigen Rohstoff gehe, so Schröer, habe das südamerikanische Land eine Reihe von Standortvorteilen. So sei die gute Infrastruktur enorm hilfreich. Chile verfügt insbesondere über Gaspipelines und über Häfen, wo verflüssigtes H2 auf Schiffe gepumpt werden kann. Potenzielle Zielländer seien unter anderem Deutschland und die EU, Japan, Südkorea und Kalifornien. Der größte Vorteil Chiles sind aber günstige Voraussetzungen für die Erzeugung von erneuerbarem Strom. Eine Gesamtleistung von mehr als 1800 Gigawatt ist laut GIZ potenziell mit Solar- und Windkraft zusammengenommen möglich. In Sachen Gestehungskosten hält die GIZ weniger als drei Cent beim Wind und unter zwei Cent bei der Photovoltaik demnächst für möglich.

Eine ganz spezielle Rolle spielt Patagonien, nicht nur, weil sich Chile und Argentinien die Südspitze des amerikanischen Kontinents teilen. Die Region ist fast dreimal so groß wie Deutschland und dünn besiedelt. Und der Wind bläst konstant und heftig. Laut Forschungszentrum Jülich zählt Patagonien zu den Top-Regionen weltweit für Wasserstoff aus Onshore-Windstrom – beim Preis und bei den Mengen.

Fachleute des Forschungszentrums haben die Potenziale einer Wasserstoffversorgung für Japan durchgerechnet. Allein auf der argentinischen Seite könnten mehr als elf Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr hergestellt werden, deren Kosten beim Anlanden in Yokohama bei rund 4,40 Euro pro Kilogramm liegen würden. Etwa zehn Prozent niedriger läge der Preis bei einem Export nach Deutschland.

Dazu braucht es Standorte für etwa 33 000 Turbinen mit einer Gesamtkapazität von 115 Gigawatt. Als Referenzanlagen wurden dabei Starkwindmühlen des hiesigen Herstellers Enercon zu Grunde gelegt, bei 4750 Volllaststunden pro Jahr. Der Strom wird im Szenario in dezentral verteilten Elektrolyseuren erzeugt, das Gas mit einem Druck von 100 bar komprimiert und in ein verzweigtes Pipelinesystem eingespeist, das den Wasserstoff gen Süden zur Hafenstadt Comodoro Rivadavia transportiert. Dort wird er verflüssigt und in riesigen Tanks gelagert, die Schwankungen bei der H2-Produktion und dem Verschiffen ausbalancieren sollen.

In der Theorie funktioniert sie schon, die neue Wasserstoffwelt. Nur mit der Umsetzung in die Realität wird es noch eine Weile dauern.

Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 07/2020 von neue energie erschienen.

 

Kommentare (3)

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  • 25.10.21 - 05:39, Adalbert Wunder

    Dem Verfasser dieser Kommentare ein DANKESCHÖN für die aufschlussreichen Recherchen und Wiedergabe an die deutsche Wirtschaft. Machen Sie so weiter, es ist für uns alle die Zukunft, mit Wasserstoff nachhaltig zum Umweltschutz beizutragen, um den Herausforderun-gen überzeugend zu antworten.

  • 01.10.22 - 14:43, Jürgen Wünsche

    Hallo Leute,
    leider hat der Autor die deutsche Pilotanlage vor Helgoland vergessen.
    Fette 300 MW elektrolytisch die schon 2030 starten soll.
    Immerhin auf deutschem Boden. Alles was außerhalb Deutschlands oder
    gar der EU bezogen werden muss ist so unsicher wie heute Gas oder Öl.

  • 07.08.23 - 12:27, manfred Mehmel

    Dank an den Verfasser für die Zusammenstellung.
    Was mich bei all den Beiträgen zu Energie leider stört, ist das nicht lustige Nebeneinander von Massen-, Volumen-, Leistungs- und Energieangaben. Damit soll wohl der Leser in Ehrfurcht erstarren. Wichtiger sind klare Fakten und wissenschaftlich-technisch fundierte Analysen als ideologiegetragene Vorstellungen.
    Übrigens spielt die Versorgungssicherheit eine nicht zu unterschätzende Rolle, Länder ändern ihre wirtschaftlichen Beziehungen.

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