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Interview

„An der globalen Realität vorbei“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 09.12.15
…läuft für den ehemaligen grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell der Vorschlag einiger grüner Spitzenpolitiker, die Energiewende-Ziele der Partei anzupassen. Auch am Kurs des grünen Staatssekretärs Rainer Baake übt Fell Kritik.

Aktualisierte Fassung.

Bei deren Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen, die vom 20. bis 22. November in Halle stattfand, reichte der schleswig-holsteinische Energiewendeminister Robert Habeck einen Änderungsantrag ein, der unter anderem anmahnte, neben dem Stromsektor auch Wärme und Verkehr zu beachten. Zugleich sollte das bisherige Ziel der Partei, 100 Prozent Ökostrom bis 2030 zu erreichen, gestrichen werden. Als neue Ziele wurden 50 Prozent Ökostrom bis 2020 und ein „weitgehend CO2-neutrales“ Deutschland bis 2050 gefordert. Zu den Unterstützern des letztlich erfolglosen Antrags zählten unter anderen die Landesumweltminister Franz Untersteller und Stefan Wenzel.

neue energie: Herr Fell, Sie hatten angesichts des Änderungsantrags von Robert Habeck einigen Ihrer Parteikollegen vorgeworfen, die von den Bürgern getragene
Energiewende zu behindern, obwohl sich die Grünen-Mitglieder grundsätzlich für Klimaschutz und erneuerbare Energien aussprechen. Worauf gründet sich Ihr Vorwurf?

Hans-Josef Fell: Man muss fragen, ob die Debatte bei den Grünen insgesamt noch der Weltlage angemessen ist. Wir erleben auf der einen Seite den Klimawandel. Auf der anderen Seite steht ein dramatischer Anstieg kriegerischer und terroristischer Aktivitäten, wie wir das jetzt auf erschreckende Weise in Paris erleben konnten. Das fossile und atomare Energiesystem ist eine der treibenden Kräfte. Wir müssen uns nur die Flüchtlingsbewegung in Europa ansehen. Ja, wir müssen diese Menschen aufnehmen, ihnen helfen. Zugleich müssen wir aber auch dafür sorgen, dass die Lebensgrundlagen in deren Heimat gesichert werden, damit sie nicht flüchten müssen. Und dazu gehört eben ein Stopp der Erderwärmung bei weit unter zwei Grad, am besten wäre eine globale Abkühlung, um Lebensräume zurückzugewinnen, die für die Flüchtlinge verloren gegangen sind. Zum anderen geht es um die Kriegsfinanzierung, die eben nicht zuletzt auf unserem Erdölkonsum beruht, Öl, das auch aus Syrien und dem Irak kommt. Bekanntlich werden mit den Einnahmen ja auch die Waffenkäufe des IS finanziert. Wenn wir diese Probleme sehen, dann müssten wir eigentlich die Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien als unverzichtbaren Beitrag zu den Lösungsansätzen forcieren.

neue energie: Warum wurde dann von Grünen-Politikern aber der Kurswechsel gefordert? Geht es um Phantasien hinsichtlich einer nächsten Regierungskoalition?

Fell: Die Grünen waren eine missionsstarke Partei, sie könnte noch immer eine sein, die die Gesellschaft in richtige Bahnen führt. Es kann aber nicht darum gehen, die Politik anderer Parteien anzuerkennen und darauf zu reagieren, indem man die eigenen Ziele zurechtstutzt. Dazu gehört auch nicht, sich vor Wahlen an die Positionen anderer Parteien anzunähern, um hinterher mit ihnen koalieren zu können. Ganz anders wird ein Schuh daraus. Starke grüne Positionen in der Zeit vor Rot-Grün haben eben dazu geführt, dass wir mit einer Kohlepartei, die die SPD war und ist, historische Veränderungen durchsetzen konnten. Gerade weil die grüne Wahlkampfführung die grünen Kernthemen Ökologie und Energie vernachlässigt hat, haben wir doch viele Wählerstimmen verloren und dies in einer Phase, wo die klare Antiatomhaltung der Grünen sogar kurz zuvor historisch gute Wahlergebnisse lieferte. Genau die gleichen mutlosen Grünen an der Spitze haben dann das Angebot von Frau Merkel, mitzuregieren ausgeschlagen. Es sähe heute um Klimaschutz und erneuerbare Energien in Deutschland viel besser aus, wenn Grüne mitregiert hätten, statt dies einer großen Koalition zu überlassen.


 „Eine Anerkennung der Erderwärmung als Fluchtursache ist nur ein längst überfälliger erster Schritt.“


neue energie: Haben CDU und SPD den Grünen das Thema Energiewende nicht ohnehin längst „weggenommen“? SPD-Ministerin Hendricks forderte jüngst, Klimaflüchtlinge als solche anzuerkennen, Frau Peter legte dann in Halle nach…

Fell: CDU und SPD murksen doch gerade die Bürgerenergiewende in Deutschland völlig ab. Immer mehr Bürger erkennen, dass ihre Beteuerungen reine Lippenbekenntnisse sind. Eine Anerkennung der Erderwärmung als Fluchtursache ist nur ein längst überfälliger erster Schritt. Von aktiven Maßnahmen der Bundesregierung dagegen habe ich bisher nur wenig gehört. Wo ist denn der Aufruf an die deutsche Wirtschaft, die Kohlekraftwerke abzuschalten und keine mehr zu exportieren, an VW und Co endlich nur noch Nullemissionsautos zu bauen, die dann auch kein Erdöl, die wichtigste Finanzquelle des IS, mehr brauchen? Ich sehe viel zu geringe aktive Unterstützung für die deutsche Solar-, Biogas- und Windindustrie, für Investitionen in den Ländern, wo Klimaflüchtlinge herkommen. Stattdessen wird ihnen sogar der deutsche Markt massiv erschwert, weshalb sie dann keine finanzielle Luft mehr haben, um sich in schwierigen Ländern zu engagieren. Ich sehe keine Aktivitäten von SPD und Union, Kleinbauern auf degradierten Böden Anbauhilfen für biologische Lebensmittel und ökologisch saubere Biokraftstoffe zu geben. Stattdessen zerstören sie deren Heimatagrarmärkte mit hohen Agrarsubventionen und besteuern ab 1.1.2016 auch noch E85, womit der letzte reine Biokraftstoff auch noch aus Deutschland vertrieben wird.

neue energie: Robert Habeck werden große Chancen in der Bundespolitik eingeräumt. Werden die Themen des Änderungsantrags wieder aufgegriffen, oder ist mit der Delegiertenkonferenz der Vorstoß vom Tisch?

Fell: Die Signale aus der Parteibasis und vom Bundesvorstand, vor allem von Parteichefin Simone Peter, haben Robert Habeck wohl bewogen, aus Angst vor einer Niederlage den Änderungsantrag zurückzuziehen. Bedenklich ist, dass er überhaupt von so vielen Mandatsträgern unterstützt wurde. Ich fürchte, dass sie es bei anderer Gelegenheit wieder versuchen werden. Daher muss der Bundesvorstand jetzt zusammen mit den vielen offensiven Ökologen in der Partei aktiv an einer neuen ökologischen grünen Wirtschaftsprogrammatik arbeiten. Im Mittelpunkt sollte eine Neudefinition der Klimaschutzpolitik stehen, die nicht nur reine CO2 Emissionsminderungen zum Ziel hat, sondern eine Nullemissionswirtschaft, mit 100 Prozent erneuerbaren Energien, verbunden mit einer kohlenstoffsenkenden Landwirtschaft. Nach Paris werden viele Menschen nach neuen Wegen für einen aktiven und wirklich wirksamen Klimaschutz suchen, auch um Klimafluchtursachen zu bekämpfen. Dies wäre die neue Chance für die Grünen, wieder offensiv politischen Boden gutzumachen.


 „Nach Paris werden viele Menschen nach neuen Wegen für einen aktiven und wirklich wirksamen Klimaschutz suchen.“


neue energie: Sie hatten im Zusammenhang mit dem Änderungsantrag auch Grünen-Mitglied Rainer Baake, parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, kritisiert. Was werfen Sie ihm vor?

Fell: Als Mitarbeiter einer rot-schwarzen Koalition vertritt Herr Baake aktiv Positionen, die einer grünen Politik diametral entgegenstehen. Er organisiert das Ausbremsen der Erneuerbaren. Und das hat er bereits vor seiner Zeit im Bundeswirtschaftsministerium getan, als er noch Chef des Think-Tanks Agora Energiewende war. Viele Vorschläge der Agora wurden von der Regierung umgesetzt. Das führt auch dazu, dass in großem Umfang Bürgerenergiegenossenschaften in ihrer Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt werden. Wie dieser gegen den Klimaschutz gerichtete Kurs mit einem grünen Parteibuch möglich ist, verstehe ich nicht.

neue energie: Die Energiewende ist in einer neuen Phase, in der es um den Umbau der gesamten Energiewirtschaft geht, in ganz Europa. Müssen wir da nicht tatsächlich mit einer Verlangsamung des Prozesses rechnen?

Fell: Der Vorwurf, bestimmte Ziele seien nicht realistisch, begleitet mich mein ganzes Leben. Wir haben aber zumindest im Stromsektor erlebt, dass sämtliche Prognosen von der Realität weit übertroffen wurden. Schnell zunehmende Teile der Finanzwirtschaft sind aufgrund der hohen finanziellen Risiken nicht mehr bereit, Geld in die fossile Energiewirtschaft zu pumpen. Zum einen ist die Renditeerwartung aufgrund der niedrigen Ölpreise im Keller, zum anderen erwartet man, dass die anstehenden Beschlüsse zum Pariser Weltklimavertrag die fossile Wirtschaft noch mehr unter Druck bringen werden. Und dies führt wiederum dazu, dass Gelder und Kräfte für den Ausbau der Erneuerbaren freigesetzt werden, in einem bislang nicht gesehenen Ausmaß. International wird das Tempo der Transformation also zunehmen. Ich betone nochmals, es läuft an der globalen Realität vorbei, wenn die Grünen sich für eine Drosselung des Tempos aussprechen würden.

neue energie: Sie würden demnach sagen, der Änderungsantrag war das absolut falsche Zeichen im Vorfeld der Weltklimakonferenz?

Fell: So ist es. In Paris werden wirklich wirksame Klimaschutzaktivitäten gefordert. Eine der wichtigsten Säulen ist die Umstellung auf 100 Prozent Erneuerbare, und das wird sogar von vielen Nationen angestrebt, denken Sie an Dänemark und Schweden. Die Bundesregierung hingegen bremst die Entwicklung und missachtet die Entscheidung vieler Bürger, die sich dafür längst ausgesprochen haben. Und es kommt ein wichtiger Punkt hinzu: Wir wissen, dass die für die Pariser Konferenz angekündigten nationalen Ziele nicht einmal ausreichen, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, wir wissen auch, dass wir aktuell die Effekte einer heute bereits erreichten Ein-Grad-Erwärmung erleben, wir sehen jetzt bereits katastrophale Wetterextreme und, wie schon gesagt, große Klimaflüchtlingsbewegungen sind schon da. Was meinen Sie ist los, wenn wir die Zwei-Grad-Erwärmung erleben? Nein, wir müssen dafür sorgen, dass eine Trendumkehr stattfindet. Wenn wir erst in diesen Kategorien denken, werden wir auch die Lösungen finden können. Dabei kann eine grüne Partei führend mitwirken, allerdings verbieten sich dann solche Änderungswünsche, wie sie gerade vorgetragen worden sind.

Dieses Interview ist auch in der Ausgabe 12/2015 von neue energie erschienen.

Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group. 1992 wurde er Mitglied bei den Grünen, von 1998 bis 2013 war er Mitglied des Deutschen Bundestags. Gemeinsam mit Michaele Hustedt, Hermann Scheer und Dietmar Schütz hat er das Erneuerbare-Energien-Gesetz geformt.

 

Hinweis: Die folgenden Kommentare beziehen sich möglicherweise auf eine frühere Fassung des Interviews, von der die aktualisierte Fassung inhaltlich jedoch nicht grundsätzlich abweicht.

Kommentare (4)

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  • 17.11.15 - 14:36, Carl Meter

    Wir brauchen keine Anpassung der Geschwindigkeit sondern der Effizienz der Energiewende. D bezahlt zig Milliarden jedes Jahr bei konstantem CO2 Ausstoss seit etwa 2010. Das ideologische Geldverteilen an Kleinprojekte die nach dem politischen Gusto sind muss aufhören. Herrn Baake, der immer noch ein Fundi ist aber halt jetzt auch mal für die Konsequenzen seiner Empfehlungen einstehen muss, einknicken vorzuwerfen ist lächerlich.
    Das Beste für die Umwelt wäre wenn wir das Thema Umwelt aus der öffentlichen Debatte so weit wie möglich raushalten. D.h. keine Parteiprofilierung auf umweltpolitischen Themen. Dann kann man endlich anfangen eine effektive und wirksame Umweltpolitik zu gestalten. Jeder der einen Beitrag an Greenpeace und Co. zahlt finanziert die ideologische, kontraproduktive Diskussion und steht damit einer Lösung im Wege. Das mögen viele als absurd ansehen. Aber das einzige was wir z.B. zur Senkung des CO2 Ausstosses brauchen ist eine verminderte Anzahl CO2 Zertifikate. Wenn wir dann alle nationalen (i.d.R. komplett wirkungslosen) Programme einstellen und 50% des Geldes zur Entwicklung internationaler Massnahmen anwenden, gibt es eine Chance tatsächlich Wieder auf den Kurs des 2 (oder 3) Grad Zieles zu kommen.

  • 17.11.15 - 16:08, Dipl. Ing. Chri...

    Ich kann Hr. Fell nur voll umfänglich zustimmen. Die Erneuerbaren auszubremsen und auf die lange Bank zu schieben, wie derzeit mit dem EEG 2014 geschehen und gleichzeitig mit dem geplanten KWK-G 2016 den Ausbau der Kraftwärmekopplung auszubremsen, welche gerade in Lage ist, Sonne und Strom auszugleichen und den konventionelle Kraftwerken über den Energiehandel den Vorrang einzuräumen, handelt unverantwortlich. Das schnelle Umsteuern auf Erneuerbare erfordert nur 1/3 der Schadenshöhe welche durch den Klimawandel zu bewältigen ist. Wir der Klimawandel nicht schnell begrenzt drohen schon bald Flüchtlingsströme von > 160 Mio Menschen. Und bei uns nicht zu vergessen werden die Folgen auch immer verherender (Trinkwassernotstand in bayrischen Wald, Rheinschifffahrt auf ca. 1/3 der Ladungskapazität beschränkt, Ernteausfälle, enorme Investitionen in den Hochwasser- und Küstenschutz usw.). Um flexible Gaskraftwerke wieder in den Markt zu bringen, muss das Strommarktdesign anpassen. D.h. dass die konventionellen Kraftwerke nicht mehr nach den Terminmarktkontrakten gefahren werden dürfen, sondern nur noch nach der sog. Residuallast (verbleibende Last = Restlast wenn die Erneuerbaren und die umweltfreundliche Kraftwärmekopplung vorrangig den Strombedarf decken). Das von der Regierung favorisierte sog. "Strommarktdesign 2.0" setzt hier die falschen Signale. Die Erneuerbaren müssen zeitgleich auf die Terminmarktkontrakte gewälzt werden. Die umweltfreundliche Stromerzeugung vor Ort ohne Netzausbau muss belohnt und nicht durch EEG Umlagen auf selbsterzeugten Strom bestraft werden.

  • 09.12.15 - 22:59, Helmut Ronstedt

    Energiepolitik wird immer deutlicher zur Machtpolitik.Längst sind die Technik und die Wirtschaftlichkeit der Erneuerbaren den fossil u atomar erzeugten Energien haushoch überlegen.Aber die Besitzer der fossilen Rohstoffreserven und die Betreiber der Kraftwerke bremsen und bekämpfen die Energiewende mit allen Mitteln.Und davon haben sie reichlich, finanziell und politisch.Es wird deshalb ein langer harter Kampf bis dieser historisch
    erstmalige und einmalige, globale, alle Menschen betreffemde Wandel unserer ökonomischen Basis wahr wird.

  • 09.01.16 - 18:18, Albert Hartl

    Was Herr Carl Meier da schreibt, ist völlig absurd. Ein 2 Grad Ziel ist schon unzureichend. An ein 3 Grad Ziel zu denken, zeigt, das er kein Interesse an einer Energiewende hat. Dazu passt, das er eine Entwicklung von internationalen Massnahmen - mit welchem Zeithorizont wohl? - vorschlägt und das jetzt stattfindende "Geldverteilen" in bereits bewährte Massnahmen als Kleinprojekte kleinredet.

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